Ist Bachs Musik spröde?

  • Natürlich ist dieser Titel ein Sakrileg an sich - und einige werde zu Recht darüber murren
    Andrerseits ist diese Frage nicht ganz unberechtigt, denn noch vor einigen Jahren wurde Dies (meist hinter vorgehaltener Hand) behauptet - und irgendwo hab ich mal gelesen, es soll Leute geben, die meinen es wär gar nicht schlecht, daß nur ein Teil der Bach-Kantaten der Nachwelt erhalten geblieben sei. Eines der bekanntesten Orgelstücke (BW 565) ist vermutlich gar nicht von Bach - und die Brandenburgischen Konzerte sind in gewisser Weise eine Sammlung äterer Werke, neu zusammengestellt - eine Art Resteverwertung gewissermaßen. Bach hat diese Konzerte dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt gewidmet, sie aber nicht aus diesem Anlass komponiert. Es handelte sich um bereits vorhanden Konzerte aus verschieden Jahren. Vermutlich ahnte Bach, daß die Widmung nicht mit klingender Münze abgegolten würde und hat deshalb seinen Aufwand minimiert.
    Die Goldberg- Variationen indes waren als Schlafmittel für den Grafen Hermann Carl von Keyserlingk gedacht - so berichtet es zumindest die Überlieferung.....
    Speziell Karl Richter brachte Rhythmus in die Interpretation von Bachs Werken - eine Großtat, die ihm von Zeitgenossen oft angekreidet wurde - und von der Nachwelt nicht beachtet wurde......
    Nun aber zur Ausgangsfrage : "Ist Bachs Musik spröde?" - und wenn ja - warum nicht ?


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Na ja, in der Allgemeinheit, wie die Frage im Threadtitel gestellt wurde, kann sie natürlich nicht in einem Satz beantwortet werden.


    Allerdings: es gibt wohl kaum sprödere Musik (vor 1900) als die Sinfonia aus der c-moll-Partita BWV 826 oder das es-moll-Präludium aus dem WK I. Wer einem Asketen eine Freude bereiten will, spiele ihm diese beiden Stücke in Endlosschleife. - Auch aus dem Spätwerk für Orgel gäbe es ein paar Exemplare dieser Art, etwa die große "Vater unser"-Bearbeitung aus dem "Dritten Teil der Clavierübung". Diese harren eventuell noch ihrer Aufschlüsselung.

  • Da JS Bach in meinen Ohren ein sehr vielfältiges Oeuvre hinterlassen hat, ist die Frage kaum pauschal zu beantworten.
    Sicher gehörten eine Handvoll Orgelwerke (natürlich die vermutlich ursprünglich nicht von Bach stammende Toccata& Fuge d-moll), aber auch die Brandenburgischen Konzerte, die h-moll-(Flöten)-Suite zu Werken, die ich sehr früh kennenlernte. Die haben mir, soweit ich mich erinnere, auch durchaus gefallen, obwohl ich die alten Instrumente (Harnoncourts Brandenburgische aus den 1960ern) etwas seltsam fand. Etwas später lernte ich auch die h-moll-Messe, Weihnachtsoratorium und die Matthäuspassion kennen. Klar haben mich als relativer Anfänger bei diesen langen und komplexen Werken nicht alle Abschnitte gleichermaßen fasziniert. Erstmal eher ein Reinfall war die Kunst der Fuge. Über die hatte ich wer weiß was gelesen, aber das war mir mit ca. 18 tatsächlich zu trocken.


    Die Musik Bachs, die ich zwischenzeitlich vielleicht am häufigsten gehört habe, die Klavierwerke, haben sich mir erst deutlich später erschlossen. Ich war relativ lange insgesamt kein großer Liebhaber von Solo-Klaviermusik (außer Beethoven) und zu stark Klassik/Sonaten geprägt, um mit den Tanzsätzen, Präludien, Fugen warm zu werden. Ich konnte hier oft keine Melodien oder prägnanten Motive erkennen, das schienen oft nur weitgehend gleichförmige Ketten von schnellen Noten...


    Wo ich noch die meisten Lücken habe, ist bei den Kantaten und den Orgelwerken. Ich mag Orgelmusik nach wie vor nur bedingt und die Kantaten enthalten zwar viele Stücke, die gewiss nicht schlechter sind als entsprechende aus den großen Passionen, aber es gibt eben auch Routine, dazu oft für heutige Laien theologisch nicht leicht verständlich usw. Ich habe es jedenfalls noch nie geschafft, über einen längeren Zeitraum, jedes Wochenende eine der entsprechenden Kantaten zu hören...
    Auch bei den Soloviolinsonaten muss ich gestehen, dass hier viele Sätze mir noch eher Respekt abverlangen als wirkliche Zuneigung auslösen


    Die Sinfonia aus der c-moll-Partita finde ich übrigens eines der eingängigsten Stücke, und ich meine auch, dass wäre, selbst als ich mich mit den Partiten eher schwer tat, einer der Sätze, die sich bald einprägten, gewesen. Am sprödesten für mich ist die e-moll-Partita außer der Toccata, die ich liebe, und die 5.+6. Englische Suite.


    Bei Kunst der Fuge und Musikalischem Opfer muss man wohl zum einen ein gewisses Interesse an solcher Art "theoretischer" Musik mitbringen und man sollte hier nicht unbedingt die Stücke in einem hintereinander weg hören.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Als Chorsänger (Tenor) muss ich sagen, dass viele Chorstücke Bachs spröde sind, vor allem in den Kantaten, denen man oft anmerkt, dass sie schnell komponierte Gebrauchsmusik sind. Allerdings gibt es auch hier grandiose Kantaten wie die Trauerode. Der Grund für die anfangs schwere Zugänglichkeit Bachscher Chormusik ist dieser: anders als Heinrich Schütz behandelt Bach die Chorstimmen wie Instrumentalstimmen und nimmt da z.T auf Sänger überhaupt keine Rücksicht. In der Gesamtwirkung ist es dann wieder ganz wunderbar. Persönlich finde ich, dass die Matthäuspassion und Johannespassion trotz ihrer Schwierigkeiten sehr gut zu singen sind, aber mit vielen Kantaten und dem Magnificat kann ich nicht viel anfangen. Allerdings gibt es in den Kantaten eine Eigenheit: fast jede Kantate enthält eine Perle, entweder instrumental, eine Arie oder ein Chorsatz. Daher lohnen sich die Kantaten dann doch.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Bachs Musik hat sicherlich mehrere spröde Elemente.


    Pingel hatte schon die Kantaten erwähnt. Ich halte auch die Partiten für Violine solo für spröde. Sie sind für ungeübte Ohren schwer erschließbar.


    Jemand, der Bach kennt, wird weniger das tendentiell harsche Gekratze des Bogens hören, sondern wird sich auf die Läufe und die Struktur konzentrieren und einen wunderbaren Nachmittag haben. Aber es braucht einiges an Hör-Erfahrung um sich soweit zu kommen (übrigens kein Widerspruch zu meinen Ausführungen bei der "Anspruchs-"-Diskussion).

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  • Jemand, der Bach kennt, wird weniger das tendentiell harsche Gekratze des Bogens hören, sondern wird sich auf die Läufe und die Struktur konzentrieren und einen wunderbaren Nachmittag haben. Aber es braucht einiges an Hör-Erfahrung um sich soweit zu kommen (übrigens kein Widerspruch zu meinen Ausführungen bei der "Anspruchs-"-Diskussion).


    Wohl wahr! Gibt es (für Ungeübte) abstoßendere Musik und (für Eingeübte) Tieferes als diese Werke?


  • Wohl wahr! Gibt es (für Ungeübte) abstoßendere Musik und (für Eingeübte) Tieferes als diese Werke?


    Ja und ja.:D
    (zB isorhythmische Motetten, Beethovens op.133, Bergs Lyrische Suite usw.)

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  • isorhythmische Motetten kenn ich nu nich, aber 133 und Berg würde ich sicherlich auf der anderen Seite des Spektrums einordnen...


    :thumbup:

  • Wie haben das eigentlich die Zeitgenossen empfunden ?
    Es ist schon auffällig, daß Bach, als er der Posten des Thomaskantors in Leipzig vakant war erst an dritter Stelle zum Zug kam.
    Das kann natürlich auch an Bachs Wesen gelegen haben - er galt als sehr jähzornig (Das wird aber in Kürze in einem neu zu eröffnenden Thread behandelt werden)
    Es ist durchaus möglich, daß Bach zu Lebzeiten mehr - oder aber weniger - geschätzt war als heute.
    Bachs Beliebtheit - das ist jedenfalls meine Meinung - hat mit Einführung der "historischen Aufführungspraxis" zugenommen. Zu recht wie ich meine - denn es sit mehr Schwung in diesen Interpretationen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zum Stellenwert Bachs zu Lebzeiten haben wir vor einigen Monaten schon einige Informationen zusammengetragen. Bach war sehr bekannt als Orgelvirtuose und Experte und gehörte zu den angesehensten deutschen Komponisten. Er war nicht ganz so berühmt wie Telemann, Händel und etwas später Hasse, aber keineswegs obskur (wie etwa, vermute ich mal, der arme Zelenka, der in Dresden lange nur einfacher Orchestermusiker gewesen ist).
    Wie populär seine Kirchenmusik bei den Leipzigern war, wissen wir wohl nicht genau. Aber jedenfalls wurde Bachsche Konzert und Kammermusik dort regelmäßig im Kaffeehaus aufgeführt und Stücke wie die "Bauernkantate" oder "Kaffeekantate" schlagen einen populären Ton an.
    Nach seinem Tod wurden einzelne Werke regional u. auch von seinen Söhnen wiederholt aufgeführt. (Es gibt von Friedemann? eine aufgepeppte Fassung der Kantate "Ein feste Burg" mit Trompeten.)
    Insbesondere kursierten aber Stücke wie das Wohltemperierte Klavier und die Kunst der Fuge in Musikerkreisen und dienten u.a. zu Ausbildungszwecken.

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  • Ich glaube Alfreds Frage, weshalb Bach auf der Liste für die vakante Kantorenstelle in Leipzig erst an dritter Stelle kam, lässt sich ganz leicht beantworten: sowohl Telemann als auch Graupner hatten schon zuvor in Leipzig gewirkt - Telemann als Student und Musiker, und Graupner sogar als Thomaner unter Kuhnau. Da Bach zwar bekannt war, aber überhaupt nicht als Kichenmusiker (er schrieb fast alle Kantaten nach 1722), ist es wenig überraschend, dass die Leipziger ihre beiden Lokalmatadore bevorzugten. Bachs Jähzorn, falls dieses Gerücht überhaupt stimmt, wird wohl beim Bewerbungsgespräch nicht aufgelodert sein.

  • Allerdings: es gibt wohl kaum sprödere Musik (vor 1900) als die Sinfonia aus der c-moll-Partita BWV 826 oder das es-moll-Präludium aus dem WK I. Wer einem Asketen eine Freude bereiten will, spiele ihm diese beiden Stücke in Endlosschleife. - Auch aus dem Spätwerk für Orgel gäbe es ein paar Exemplare dieser Art, etwa die große "Vater unser"-Bearbeitung aus dem "Dritten Teil der Clavierübung". Diese harren eventuell noch ihrer Aufschlüsselung.

    Mir ist ehrlich gesagt nicht ganz klar, was im Thread mit "spröde" gemeint ist - besonders wenn Du hier u.a. die Sinfonia anführst.


    Spröde = kein Ohrwurm zum Nachsingen?? Wenn das so gemeint ist, kann ich das nachvollziehen.


    Aber diese Sinfonia ist ein gutes Beispiel für das facettenreiche Komponieren Bachs auf engstem Raum (ca. 4 Minuten). Gefühl und Geist (zugegeben etwas pathetisch ausgedrückt) werden hier angesprochen.
    Und um beim Gefühl zu bleiben: Die Intimität dieses kurzen Stückes, sein teilweiser wehmütiger Charakter berühren mich beim Hören zutiefst. Vor diesem Hintergrund passt für mich "spröde" so gar nicht.

  • Ich denke man kann nicht pauschal spröde (ich nehme mal an damit ist das Gegenteil von eingängig gemeint) sagen so wie man zB Mozart auch nicht pauschal als heiter betiteln kann. Sicher gibt es manche Werke bei Bach wo er besonders seine Kunstfertigkeit in der polyphonen Komposition zeigen wollte (zB Kunst der Fuge, chromatische Fantasie und Fuge, gewisse Kantaten,...) ohne jetzt vielleicht genau darauf zu achten gleichzeitig massentauglich zu sein.
    Aber es gibt so viel von Bach, das sich für jeden der zum. halbwegs etwas mit Barockmusik im Allgemeinen anfangen kann, sofort erschliessen läßt. JR hat ja schon ein paar Beispiele aufgezählt, man könnte das noch zahlreich erweitern wie zB
    Großteil der Inventionen, Großteil der Konzerte für Cembalo und Orchester, Großteil der Sonaten für Cembalo und Violine, gewisse Titeln aus dem Orgelbüchlein, Konzerte für Violine und Orchester,...
    wer das spröde bezeichnen würde dem seine "Schmerzgrenze" fürs Spröde würde aber sehr tief liegen.
    Für mich persönlich ist Bach sowieso nur in wenigen Fällen richtig spröde und denke das ist letztendlich auch einfach persönliche Geschmackssache, ich verbinde diesen Begriff viel eher mit gewissen anderen (wegen off-topic außen vorgelassenen) Komponisten.
    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Ich glaube niemand würde bestreiten, dass "spröde" ein sehr vages und extrem subjektives Attribut ist. Wie schon gesagt, kann ich bei einem Stück wie der Sinfonia aus der c-moll-Partita kein bißchen nachvollziehen, warum das als eines der unzugänglichsten Stücke vor dem 20. Jhd. gelten sollte. (Da würden mir, nicht nur von Bach, hunderte anderer Stücke eher einfallen. Den kleinen Zwischenteil zwischen der langsamen Einleitung und der Fuge finde ich eines der eingängigsten Stücke aus den Partiten)
    Auch bei fast allen Konzerten oder auch dem Weihnachtsoratorium spricht die große und breite Beliebtheit dieser Werke dagegen. dass "Sprödigkeit" generell zutrifft. Andererseits ist nachvollziehbar, dass Orgelmusik und solche für Solo-Streichinstrument allein vom Klang her nicht jedermanns Geschmack ist und sich viele erst einmal gewöhnen müssen. (Und offensichtlich sind Bachs Stücke für diese Instrumente immer noch beliebter als Bibers, Buxtehudes oder Regers...)
    Wie ebenfalls schon erwähnt, kann ich aus meiner eigenen Erfahrung die schwierige Zugänglichkeit einiger Werke nachvollziehen, was bei "Lehrwerken" oder Kantaten auch damit zu tun haben könnte, dass die in Zusammenhänge gehören, die uns heute eher fremd sind, die schwierige Hörbarkeit von Bach insgesamt jedoch nicht. Ein sehr auf eingängige Melodien fokussierter Hörer dürfte vielleicht Schwierigkeiten mit Bach haben, aber dann auch mit sehr viel anderer Musik. Ebenso hat der Freund des "orchestral spectacular" wenig Anknüpfungspunkte (aber derartiges gibt es im 18. Jhd. eh kaum).

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  • Hallo JR,


    Deinen Beitrag, dem ich weitest gehend zustimme, möchte ich ergänzend hinzufügen:


    Spröde, dazu zählen für mich z. B. manche Kantaten, denen ich den Gebrauchsmusikcharakter (in Verbindung mit dem Auftraggeber) deutlich anhöre.


    Eines seiner für mich beeindruckendsten Werke ist die Motette "Singet dem Herrn ein neues Lied..." und zwar ohne Orchester oder Orgel, da kommt das "singet" so richtig zur Geltung, wenn es z. B. die "Windsbacher" singen, jubilieren...!


    Zu seinen "Rennern" (Weihnachtsoratorium, Passionen) habe ich ein leicht eingetrübtes Verhältnis.


    Aber gibt es viele eingängige Melodien von Bach, auch in der vielleicht als "spröde verrufenen" Hohen Messe.


    Und wer findet wohl die Goldberg-Variationen fad? Zudem in den unterschiedlichsten Interpretationen (von Gould bis...) und instrumentalen Besetzungen.


    Was ist an der Bachschen Orgelmusik spröde? Die Komposition? Der Orgelklang? Beim Orgelklang hätte ich teilweise Verständnis, denn wer den Orgelklang der franz. Orgelromantiker kennt - siehe meine Threads (das ist Werbung in eigener Sache!) - wird sich zumindest ab und zu einen anderen Klang wünschen, als den "silbrig hellen" der Silbermann-Orgeln.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • ... denn wer den Orgelklang der franz. Orgelromantiker kennt...wird sich zumindest ab und zu einen anderen Klang wünschen, als den "silbrig hellen" der Silbermann-Orgeln.


    Ab und zu mag das so sein - aber ich finde, daß die Silbermann-Orgeln insgesamt Bach doch adäquater widerzugeben vermögen als romantische Orgeln.


    Mein Top-Orgelstück (nicht nur von Bach) ist die Toccata und Fuge d-moll BWV 538 (die dorische, nicht die berühmte), gespielt von Miklos Spanyi auf einer silbrig klingenden Orgel in der Tschechei. Da ist gar nichts spröde, das geht ab wie die Luzie!

  • Für mich ist Bach nur dann spröde, wenn er spröde gespielt wird - was leider sehr oft vorkommt und was meiner Ansicht nach auch diesem inzwischen schon etwas übertriebenen Trend zu den "historischen" Instrumenten zu verdanken ist.


    Als ich jung war, wurde Bach teilweise noch richtig "zelebriert" und das war nicht eben schön. Da schlief einem fast das Gesicht ein und selbst Bach Afficionados wie ich gähnten durch die Johannes Passion (den Satz meines Fagottlehrers im Ohr, der im schönsten Sächsisch sagte: "Das mag dem Johannes seine Passion sein - mein wird's nie!"). Dann kam Richter und ja, man muss ihm zugestehen, dass er Bach den Rhythmus zurückgegeben hat, was dann aber meines Erachtens bei Rilling (ja, ich bin aus Stuttgart und ich habe dereinst die halbe Gächinger Kantorei gekannt. Dennoch bin ich kein Rilling Fan) schon zu viel wurde - da kam's dann teilweise so "rhythmusbetont", dass es mich schon an Militärmusik gemahnte. Ich habe daraufhin übrigens vollends meine anglophile Ader entdeckt - zu meinen Lieblings-Bach-Dirigenten zählen ganz oben Sir Neville Marriner und Sir John Eliot Gardiner.


    Ich denke, dass die Engländer einen so "sinnlichen", lebendigen, temperamentvollen Bach abliefern, hat vielleicht ein bisserl damit zu tun, dass sie mit Händel groß geworden sind, der nie so "zelebriert" wurde. Händel war "weltlicher" als Bach, er war opulenter und er wird in England schon immer mit einigem "Swing" gespielt. Ich habe immer das Gefühl, dass die Engländer das auch auf Bach übertragen - und meines Erachtens bekommt es ihm sehr.


    In der Zeit, in der ich die Engländer entdeckte, begann dann auch der Aufstieg von Harnoncourt, dessen Verdienste ich sicher nicht bestreiten will, obwohl ich mit seinem Stil nie sehr glücklich war. Und was ich ihm fast verüble: Er hat uns diese neue "Bach-Schule" beschert, die es fast als "Sakrileg" sieht, Bach auf modernen Instrumenten zu spielen. Und so bekommt man heute allerorten Originalinstrumente, was - Gott sei's geklagt - nur dann funktioniert, wenn sie sehr gut gespielt werden. In vielen Fällen ist es dann allerdings so, dass die Hörner kieksen, die Trompeten (Bach-Trompeten!!!) stumpf klingen, die Streicher quietschen und das Cembalo klingt wie 'ne Nagelkiste (und das mir, die ich eigentlich begeistert Cembalo spiele und sehr stolze Besitzerin eines sehr schönen Cembalos bin). Da klingt dann der Muff aus jedem Takt und man hat das Gefühl, es rieche nach altem Archiv mit Stockflecken. Ne, muss nicht sein - das hat Bach wirklich nicht verdient. Und wenn dann so ein Ensemble noch das "Musikalische Opfer" spielt - zugegeben nicht eben ein Bach-Werk, das sich leicht erschließt und bei dem ich es keinem Nicht-Bach-Fan verdenke, wenn er es "spröde" findet - dann hab' selbst ich das Gefühl, dass ich hinterher 'ne große Portion Bruckner oder sonst was "opulentes" brauche, um diesen Magerquark verdauen zu können.


    Tut mir leid, aber ich glaube, Bach würde heute für moderne Instrumente optieren. Er war der, der ständig an seinen Orgeln rumgeschraubt hat, der bekanntlich mit Silbermann befreundet und an der Entwicklung des Hammerklaviers beteiligt war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er, wenn man ihm die Wahl zwischen dünnem Klang und problematischer Intonation und rundem Klang und sauberer Intonation gelassen hätte, nicht für letzteres entschieden hätte! Und wenn mir dann jemand mit dem Argument kommt, dass man den schlankeren, "durchsichtigeren" Ton, den Polyphonie nun mal braucht, nicht mit einem modernen Instrument erzielen kann - mit Verlaub, das ist für mich schlichtweg Unsinn. Ich war Fagottistin und ich habe schließlich ein Heckel-Fagott gespielt. Die Dinger sind dafür gebaut, dass zwei davon genug "Krach" machen, in einem 120 Mann starken Sinfonieorchester noch gehört zu werden. Die haben ganz großen Wumm und es ist gar nicht so einfach, die "leise" zu spielen. Wenn man mit denen im Kammerorchester so loslegen würde wie man es im Orchestergraben der Oper oder in der vierten Reihe hinten vor dem schweren Blech tut, gäbe das Solo für Fagott mit begleitenden Streichern. Aber bei mir hat es sich aus meinem Faible für Barockmusik und meinen Beziehungen zu Kirchenmusikern (ich habe Fagott und ev. Kirchenmusik studiert und teilte mir mit einem Freund eine B-Organistenstelle in einer Stuttgarter Kirche) ergeben, dass ich sehr viel in kleinen Ensembles zugange war. Zudem habe ich mit einer Freundin, die Flöte spielte und einem befreundeten Cembalisten rauf und runter die Bach-Flötensonaten gemacht (die m.E. mit einem Fagott als Continuo-Instrument schöner sind wie mit einem Cello). Dabei lernt man, dass es halt nicht "knallt", wenn das Fagott loslegt, sondern dass man sich - vor allem im Continuo - ganz schlank ans Cembalo oder die Orgel "anschmiegt" und an sich gar nicht auffällt. Mein Lehrer - erster an der Oper und ein ganz guter Musiker - pflegte zu behaupten, ein gutes Continuo-Fagott sei das, das als solches nicht bemerkt wird, sondern halt einfach Teil des Continuo-Klanges ist. Und wer behauptet, das ginge nicht mit einem modernen Fagott, der hat schlichtweg keine Ahnung. Ein Fagottist, der das nicht kann, ist sein Geld nicht wert.


    Es gibt Leute, die das auf andere Instrumente erweitern. Ich erinnere mich an einen trompetenden Freund, der ganz großartig Bachtrompete spielte (wann immer ich BWV 51 höre, denke ich daran, wie ich da bei der ersten Probe in meiner Heimatkirche den ersten Einsatz verbasselt habe, weil ich so baff war, wie sensationell schön Friedemanns Trompete klang) - und zwar eine moderne. Und ich habe genug Gelegenheit gehabt, die Flötensonaten sowohl auf Holz- wie auch auf modernen Silberflöten zu hören. Ich bevorzuge die Silberflöten, tut mir leid. Ich brauche nämlich keine "Nebengeräusche" und ich finde sogar, dass die Silberflöten, wenn gut gespielt, im Klang schlanker und beweglicher sind.


    Lustigerweise bin ich aber bei Bach auf Tasteninstrumenten absolute Puristin. Ich vermute, Bach hätte an einem modernen Konzertflügel seine helle Freude gehabt, aber ich mag Bach auf dem Flügel nicht allzugerne (okay, ich muss an der Stelle gestehen, eh kein Klavierfan zu sein und mit "purer" Klaviermusik nicht viel am Hut zu haben. Es mag daran liegen, dass ich so eine scheußlich schlechte Pianistin bin. Mein erstes Tasteninstrument war die Orgel - und die ersten 10 Jahre habe ich auch auf der geübt. Das war aber so eine alte Walcker-Orgel, auf der man richtig Schmackes brauchte). Goldberg-Variationen auf dem Klavier? Muss für mich nicht sein (und wenn's dann noch Glenn Gould ist, kriege ich vollends das Laufen). Aber auf dem Cembalo immer gerne. Und zu meinen Lieblingsstücken bei Bach zählt übrigens das Konzert für vier Cembali.


    Bach auf der Orgel - keine Frage, dass da eine Barockorgel (wie eben die Silbermann-Orgeln) besser klingt als eine romantische! Mit manchen romantischen (und auch modernen) Orgeln kann man Bach erschlagen - oder man hat entweder die Wahl zwischen einer absoluten Spar-Registrierung (wobei die Biester da meist auch nicht so toll klingen, weil sie dafür nicht unbedingt gebaut sind) oder einem Klangbrei. Die sind spätestens dann, wenn man was koppelt, zu "opulent" im Klang. Das macht bei Fauré (den ich sehr liebe) Spaß, damit kann man Bruckner spielen (da fällt mir sofort das Nachspiel in d-moll ein, von dessen Anfang mein Orgellehrer mal sagte: "Volle Bässe rein, mit Schmackes einsteigen und dann auf jedem Ton ausruhen! Wenn die Lampen nicht vibrieren, war's nix!"), aber bei Bach - ne, eine Fuge ist nun mal nicht dafür geeignet, darin rumzumatschen.


    Übrigens, M-Mueller: die "berühmte" 565er (Toccata und Fuge in d-moll) hieß in meinem Freundeskreis immer nur die "epidemische" (im Gegensatz zur dorischen 538er), weil die so abgenudelt war. ;)


    Sycorax
    "Und jetzt wäre mir mal wieder nach einer Orgel ..."

  • Lustigerweise bin ich aber bei Bach auf Tasteninstrumenten absolute Puristin. Ich vermute, Bach hätte an einem modernen Konzertflügel seine helle Freude gehabt, aber ich mag Bach auf dem Flügel nicht allzugerne (okay, ich muss an der Stelle gestehen, eh kein Klavierfan zu sein und mit "purer" Klaviermusik nicht viel am Hut zu haben. Es mag daran liegen, dass ich so eine scheußlich schlechte Pianistin bin. Mein erstes Tasteninstrument war die Orgel - und die ersten 10 Jahre habe ich auch auf der geübt. Das war aber so eine alte Walcker-Orgel, auf der man richtig Schmackes brauchte). Goldberg-Variationen auf dem Klavier? Muss für mich nicht sein (und wenn's dann noch Glenn Gould ist, kriege ich vollends das Laufen). Aber auf dem Cembalo immer gerne. Und zu meinen Lieblingsstücken bei Bach zählt übrigens das Konzert für vier Cembali.


    Hallo,


    warum diese Ablehnung Goulds?Man muß doch zugeben,daß einen alleine die immense technische Begabung und das makellose Non-Legato-Spiel sprach- und atemlos zurückläßt.Nur auf das Mitsummen könnte ich gut verzichten.


    Viele Grüße


    Joachim Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Tja, Joachim,

    warum diese Ablehnung Goulds?Man muß doch zugeben,daß einen alleine die immense technische Begabung und das makellose Non-Legato-Spiel sprach- und atemlos zurückläßt.Nur auf das Mitsummen könnte ich gut verzichten.

    Das ist so eine Frage, bei der mich meine sonst übliche Eloquenz (von manchen Leuten auch "Geschwätzigkeit" genannt) verlässt. Wie ich schon sagte: Ich bin generell keine große Freundin von Geflügel. Und Bach auf dem (modernen) Klavier ist schon gar nicht meins. Und Glenn Gould ... ja, das war technisch vom feinsten, ich werd's nicht bestreiten. Aber seine Bach-Auffassung ist von meiner einfach himmelweit entfernt. Ich mag seine Tempi nicht, ich mag seine Art nicht, mit dem Bass umzugehen - es ist einfach nicht mein Ding. Aber ich kann's in dem Fall nicht fassen und verbal erklären. Es ist eine emotionale Abneigung.


    Sycorax
    "Einigen wir uns einfach auf 'I moag's halt net.'"

  • "Spröde" ist an Bach vielleicht die Neigung, die Melodielinie "gnadenlos" der kontrapunktischen Komplexität seiner Schreibweise unterzuordnen - dabei ist Bach meiner Meinung nach der beste Melodiker aller Zeiten. Aber der nicht so kontrapunktisch geneigte Hörer fühlt sich vermutlich erschlagen. Händel schreibt ja viel fassbarer als Bach.

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  • "Einigen wir uns einfach auf 'I moag's halt net.'"


    ehhh - der bester Interpret, den der beste Komponist je hatte - und Du magst ihn nicht...


    ansonsten kann ich Dir ziemlich zustimmen, ich mag auch lieber vollen Klang als dünne Suppe (übrigens auch bei Geflügel), und ich freue mich unabhängig von Deinen Detail-Vorlieben darüber, daß die Barock-Fraktion hier wieder verstärkt worden ist!!

  • "Spröde" ist an Bach vielleicht die Neigung, die Melodielinie "gnadenlos" der kontrapunktischen Komplexität seiner Schreibweise unterzuordnen


    Das würde ich so nicht sagen. Bei Konzerten und Arien, überhaupt "melodiebetonten" Sätzen, macht Bach das normalerweise nicht, jedenfalls nicht gnadenlos.
    Und eine Reihe der ausgewiesen polyphonen Werke hat keine nennenswerten Melodien (etwa die Kunst der Fuge, deren Thema fast vollständig durch die Eignung für Umkehrung und Engführung bestimmt ist). Schließlich sind gar nicht so wenige "Melodien", nämlich die Choralthemen in vielen Chor und Orgelsätzen ja schon vorgegeben. Insofern passt Bach die unterschiedlichen Parameter oder Aspekte meistens sehr geschickt den jeweiligen Anforderungen an.
    Vgl. auch einen Thread von KSM Niedergang der Polyphonie.


    Ein Grund, warum Bach weitaus populärer ist als alle polyphonen Meister vom 14. bis ins 17. Jhd., deren Werke an Kunstfertigkeit und Komplexität vergleichbar sind, dürfte sein, dass seine Musik melodisch und harmonisch so viel näher an uns ist und nicht "gnadenlos" von der polyphonen Stimmführung dominiert.
    Wobei Du freilich insofern recht hast, dass der Vorwurf etlicher Zeitgenossen (oder in der Generation der Söhne Bachs) ja übertriebene Kunstfertigkeit und zu wenig "Empfindung" betraf (die hätten allerdings Bach nicht als großen Melodiker gewählt, ich auch nicht, aber fast alle meine Lieblingskomponisten sind angeblich schwach in der Melodie).

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  • Bei Konzerten und Arien, überhaupt "melodiebetonten" Sätzen, macht Bach das normalerweise nicht, jedenfalls nicht gnadenlos.


    Selbstverständlich hat Bach auch viele Stücke geschrieben, die weniger komplex sind. Diese sind dann auch überaus beliebt wie die "Air" aus der D-Dur Ouvertüre oder die Badinerie aus der in h-Moll. Der Begriff "Melodie" ist zudem überhaupt fragwürdig. Unter einem "guten Melodiker" verstehe ich nicht nur Komponisten, die schöne Melodien schreiben (von denen gibt es von Bach gerade in den Kantaten mehr als genug - viele von ihnen relativ unbekannt), sondern einer der memorable, griffige Themen benutzt (siehe die 5. Symphonie von Beethoven). Und das tut Bach in extrem hohem Maße, nicht nur im Vergleich mit den Zeitgenossen. Gerade in den komplexeren Werken, wie etwa den Fugen des WTC, gibt es absolut wunderbare Themen, die zudem noch nach allen Regeln der Kunst verarbeitet werden. Trotzdem ist das für ungeübte Hörer nicht so leicht erkennbar - Du hast ja nach eigener Aussage zu Beginn auch mit dem WTC gekämpft und kannst das heute kaum mehr nachempfinden. Es gäbe noch zahllose weitere Beispiele wie etwa die Triosonaten für Orgel, deren zum Teil grandiose Themen gleich ins Stimmengewirr eingespeist werden. Ähnliches, wenn natürlich von der Vorgehensweise völlig unterschiedlich, höre ich bei Haydn. In seinen Themenverabeitungsabenteuern tauchen immer wieder absolut fantastische Varianten des Materials auf, auf denen andere, sogar Mozart oder Beethoven ewig herumreiten würden. Haydn aber macht munter weiter und fort ist der wunderbare Moment (ganz extrem in den Klaviersonaten). Auch das empfinden, denke ich, viele als sperrig.

  • Ich meinte nicht mehr oder weniger komplex (was auch nur bedingt mit Anzahl der Stimmen usw. zu tun hat), sondern schon inwiefern eine Hauptstimme dominiert. Natürlich ist das nicht nur davon abhängig, wie melodisch oder motivisch einprägsam die ist. Und im Barock wird selbst in einer nur bassbegleiteten Arie die Basslinie oft einprägsam und "selbständig" sein, nicht nur bei Bach. Dennoch besteht bei solch einem Stück normalerweise kein Zweifel, dass die Oberstimmenmelodie die "Hauptstimme" ist.
    (Meinem Gefühl nach höre ich meistens selbst in Stücken mit sehr gleichberechtigten Stimmen wie den Orgel-Triosonaten meistens eine Stimme vorübergehend als Hauptstimme, aber vielleicht höre ich hier auch falsch.)


    Wenn es um Melodien geht müsste der Sonatenstil eigentlich als spröder empfunden werden als der Barockstil. Denn bei einer Fuge bleibt "die Melodie" normalerweise erhalten (bei einer Arie eh), während sie bei Beethoven oder Haydn schonmal ziemlich zerhackt werden kann. Und eine Fuge basiert viel enger auf einem "Thema" als ein Sonatensatz, für den eine harmonische Entwicklung zentral ist und nicht bestimmte Themen.
    Was ich als Anfänger an Bach spröde fand, war nicht die Polyphonie, sondern die (für mich) Uneinprägsamkeit vieler Themen/Melodien, nicht nur bei Präludien, die in gleichmäßigen 16teln ablaufen, und vermutlich fehlte, anders als bei den Konzerten bei Klaviermusik für mich auch Farbe/Kontrast. Wie schon mehrfach gesagt, kann ich das heute nur teilweise nachvollziehen. Aber es betraf jedenfalls Klaviersuiten ohne viel Polyphonie mehr als die h-moll-Messe ;))


    Ich lehne den Begriff "Melodiker" inzwischen weitgehend ab, weil fast jeder was anderes darunter zu verstehen scheint (So findet Alfred Beethovens Waldsteinsonate anscheinend "melodisch eingängig", während für mich die einzige "richtige" Melodie des Stücks das Rondothema ist.)
    Selbst bei üblicherweise so charakterisierten Komponisten wie zB Schubert sind in einigen der besten Sätze/Stücke die Melodien dünn gesät (oder primitiv), zB G-Dur-Quartett, Wandererfantasie u.a.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Wenn es um Melodien geht müsste der Sonatenstil eigentlich als spröder
    empfunden werden als der Barockstil. Denn bei einer Fuge bleibt "die
    Melodie" normalerweise erhalten (bei einer Arie eh), während sie bei
    Beethoven oder Haydn schonmal ziemlich zerhackt werden kann. Und eine
    Fuge basiert viel enger auf einem "Thema" als ein Sonatensatz, für den
    eine harmonische Entwicklung zentral ist und nicht bestimmte Themen.


    :jubel:


    Zitat

    Was ich als Anfänger an Bach spröde fand, war nicht die Polyphonie,
    sondern die (für mich) Uneinprägsamkeit vieler Themen/Melodien

    Bekanntlich hat Bach ja auch etliche höchst populäre Melodien hinterlassen; was aus diesen später so gemacht wurde, läßt mich begrüßen, daß es nicht noch mehr sind. Ich bin überzeugt, daß Bach nicht selten bewußt auf eingängige Themen verzichtet hat, weniger um eine einfachere Verarbeitbarkeit derselben zu erzielen - siehe Musikalisches Opfer oder einige selbstgewählte Themen, die offensichtlich als "Selbstherausforderung" konzipiert wurden - als vielmehr etwa zugunsten einer musikalischen Dramaturgie, einer mehr "äußeren" im Falle sakraler Vokalwerke, einer "inneren" bei Instrumentalstücken.


    Zitat

    Tut mir leid, aber ich glaube, Bach würde heute für moderne Instrumente optieren. Lustigerweise bin ich aber bei Bach auf Tasteninstrumenten absolute Puristin

    Bei allen pseudoobjektiven Debatten hängen die Vorlieben, zumindestens bei passiven Konsum, von den persönlichen Klangvorlieben ab. Solange ich nicht selbst spielen muß, finde ich Damsaiten schöner, vorausgesetzt es stimmt der Instrumentalist, der Raum, die Raumtemperatur.... . Und, Sycorax, die ganzen Nagelcembalos - da sind die Entwerfer von Neuperts Modell "Bach" o.a. wohl in den tieferen Instrumentalbauerhöllen gelandet . Ich mag eben auch die "altertümlichen" Bläser der Wiener Phil, lieber mal nen Kieckser beim Horn, aber dann auch diesen Klang. "Nebengeräusche" stören mich nur wenn selbstproduziert, übrigens nicht nur beim musizieren.


    Im Falle der Orgel scheint ja überwiegend Konsens zu herrschen:

    Zitat

    daß die Silbermann-Orgeln insgesamt Bach doch adäquater widerzugeben vermögen als romantische Orgeln.

    Ja schon, aber warum bitte immer Silbermann? Daß G.S. in Sachen Temperierung etc. nicht mit J.S.B. übereingestimmt hat (und letzterem diese Frage
    überaus wichtig war) ist ja unbestritten. Dennoch gibt es, soweit ich sehe, dreieinhalb Gesamteinspielungen ausschließlich auf Silbermann-Orgeln, exklusive der Aufnamen mit angeblichen Silbermannorgeln aus dem Elsaß. Was ist mit den Bach doch näheren Hildebrandt oder Trost? Ganz zu schweigen von den weiteren zeitgenössischen Orgelbauern aus Bachs Heimatregion (Döring, Schröter, Thielemann, Volckland etc.).


    Einige dieser Orgeln lassen sich, ausnahmsweise, hier hören (Silbermann ist natürlich auch dabei):

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  • Uns wurde im Fach Orgelkunde vermittelt, dass die Orgeln von Arp Schnitger (und Leuten aus seinem Dunstkreis) mit am ehesten den Idealvorstellungen Bachs entsprachen. Der Orgelprofessor hat es auch sehr gut erklärt, warum diese Orgeln dem ästhetischen Ideal Bachs besonders nahestehen, doch leider kann ich es auswendig nicht mehr rekapitulieren.....


    Man bringt Bach aus geografischen Gründen immer mit Silbermann in Verbindung, der jedoch andere , mehr französische Einflüsse in seinem Klangbild verwirklichte.


    Die Bach-Aufnahmen mit Schnitger-Orgeln (oder von einem Schnitger-Schüler) können mir jedenfalls sehr gefallen.


    Gruss
    Glockenton


    PS.: Zum Thema eingängige Melodien:


    Bachs Themen sind doch überaus prägnant. Wer z.B. die Kantaten kennt, der wird nur wenn er schon die Liste der Titel liesst (sei es "Christum wir sollen loben schon" oder "Wie schön leuchtet der Morgenstern", oder "Selig ist der Mann" oder "Wachet auf...." oder "Ich will den Kreuzstab" oder....oder, ich könnte lange fortsetzen.....) sofort die Musik mit ihren klaren Themen im Kopf haben. Wenn man das kennt, dann vergisst man es nie, weswegen ich neben tausenden anderen Gründen Bach so schätze.

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Die Choralthemen sind ja nicht von Bach, sondern normalerweise älter. Unbestritten ist allerdings zB die Melodie, die bei "Wachet auf" als konzertante Umspielung (in der Orgelbearbeitung bzw. in der zweiten Strophe in der Kantate mit cantus firmus im Tenor) auftaucht ein echter Hit geworden.


    Dass es eine ganze Reihe weiterer sehr eingängiger Melodien/Themen bei Bach gibt möchte ich keinesfalls bestreiten. Eben gerade, weil er eben nicht alles einer dominierenden Kontrapunktik unterwirft (bzw. das zwanglos verbinden konnte). Aber wenn man einen bestimmten Melodie-Typ gewohnt ist, dann ist eben vieles andere erst einmal ungewohnt, ganz unabhängig von Dichte und Komplexität, sondern auch in kaum oder gar nicht polyphonen Allemandes, Präludien u.ä.
    Und es wird m.E. auch nicht Komplexität (oder Kontrapunkt) per se als spröde empfunden, sonst müsste Bach viel weniger beliebt sein (und zB Schütz erheblich beliebter) .

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Uns wurde im Fach Orgelkunde vermittelt, dass die Orgeln von Arp
    Schnitger (und Leuten aus seinem Dunstkreis) mit am ehesten den
    Idealvorstellungen Bachs entsprachen.

    Lieber Glockenton, die Orgeln von Schnitger und seinen Schülern mag ich ebenfalls sehr. Bach hätte in Hamburg oder Lübeck natürlich besseres "Material" zur Verfügung gehabt als in seinen Wohnorten. Quintessentielle Bachorgeln sind die norddeutschen Großwerke allerdings auch nicht. Die neu "rekonstruierte" Orgel in der hamburger Katharinenkirche wurde z.B. in ihrem Tonumfang im Vergleich zum Originalzustand erweitert, da in letzterem der "ganze" Bach nicht hätte gespielt werden können.
    Die "geografische Nähe" (oder gar die persönliche) Silbermanns zu Bach ist ja keineswegs größer als die von Scheibe, Hildebrandt oder einigen thüringischen Orgelmachern.


    PS: Wenn man keine eigenen melodischen Einfälle hat, muß man eben althergebrachte Choralthemen (wenigstens postum-rezeptionell) "adoptieren" :cursing:

  • Dass es eine ganze Reihe weiterer sehr eingängiger Melodien/Themen bei Bach gibt möchte ich keinesfalls bestreiten. Eben gerade, weil er eben nicht alles einer dominierenden Kontrapunktik unterwirft (bzw. das zwanglos verbinden konnte). Aber wenn man einen bestimmten Melodie-Typ gewohnt ist, dann ist eben vieles andere erst einmal ungewohnt, ganz unabhängig von Dichte und Komplexität, sondern auch in kaum oder gar nicht polyphonen Allemandes, Präludien u.ä.


    Prinzipiell möchte ich sagen, dass ich Bach keineswegs spröde finde - ganz und gar im Gegenteil. Ich versuche aber Begründungen zu finden, weshalb manche dieser Meinung sind. Eine weitere Möglichkeit, neben der von mir vorgebrachten Komplexität, wäre, dass jene Bach spröde finden, die auch sonst keine Barockmusik hören. Da Bach allgemeinhin als "Supergenie" gilt, gehören seine Werke mehr zum "allgemeinverbindlichen Kanon" als die Händels oder gar Vivaldi oder Rameaus. Ich halte es durchaus für denkbar, dass die Musik Bachs als Barockmusik(!) vielen Hörern, die nolens volens mit Bach in Berührung kommen, zu trocken ist. Hier wird dann Bach sozusagen pars pro toto als spröde abqualifiziert.

  • Ich lehne den Begriff "Melodiker" inzwischen weitgehend ab, weil fast jeder was anderes darunter zu verstehen scheint (So findet Alfred Beethovens Waldsteinsonate anscheinend "melodisch eingängig", während für mich die einzige "richtige" Melodie des Stücks das Rondothema ist.)
    Selbst bei üblicherweise so charakterisierten Komponisten wie zB Schubert sind in einigen der besten Sätze/Stücke die Melodien dünn gesät (oder primitiv), zB G-Dur-Quartett, Wandererfantasie u.a.


    Wenn nicht einmal wir beide, die wir praktisch dieselben Vorlieben (wenn auch etwas anders gewichtet) haben, hier auf einen grünen Zweig kommen, dann kann man wohl davon ausgehen, dass so etwas wie Konsens in dieser Frage unmöglich ist. Trotzdem: als "Melodiker" im eigentlichen Sinne könnte man vielleicht Komponisten bezeichnen, die fähig sind, Melodien zu erfinden, die ohne Verarbeitung und unterlegte Komplexität zu faszinieren wissen. Da gehört Bach sicherlich dazu, ebenso Händel und Vivaldi. Bei Rameau oder Zelenka bin ich mir da hingegen nicht so sicher.

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