BOCK, Jerry: FIDDLER ON THE ROOF

  • FIDDLER ON THE ROOF
    (ANATEVKA)
    Musical in zwei Akten mit Prolog von Jerold Lewis Bock (1928-2010)
    Orchestration von Donald John Walker - Gesangstexte von Sheldon Mayer Harnick
    Buch von Joseph Stein nach dem Roman „Tevje, der Milchiger“ von Scholem Alejchem


    Uraufführung am 22. September 1964 im Imperial Theatre New York


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Tevje, Milchmann
    Golde, seine Frau
    Zeitel, Hodel, Chava, Shprintze, Bielke, Tevjes Töchter
    Mottel, Schneider
    Perchik, ein revolutionärer Student
    Fedja, junger Russe
    Jente, hyperaktive Heiratsvermittlerin
    Shandel, Tevjes Mutter
    Motschach, Gastwirt
    Awram, Buchhändler
    Weitere Personen: ein Rabbi und sein Sohn Mendel, der Bettler Nachum,
    Oma Zeitel, der Fleischer Lazar Wolf, Fruma Sarah (Lazars erste Frau als Phantom),
    ein russischer Wachtmeister und der Fiedler auf dem Dach


    Die Geschichte spielt um 1905 in der Ukraine.


    INHALTSANGABE


    Prolog


    Im ukrainischen Dorf Anatevka lebt eine kleine jüdische Gemeinde, die sehr viel auf Tradition hält. Zu den jüdischen Bewohnern gehört auch die in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie des Milchmanns Tevje. Obwohl es im Land Anzeichen von Pogrom-Stimmung gibt, man als Jude also gefährlich lebt, läßt sich Tevje seine positive Lebenshaltung, die aus tiefgläubiger Grundhaltung stammt, nicht nehmen. Gerade stellt uns Tevje seinen Freund, den Fiedler auf dem Dach (vielleicht eine Anspielung auf ein entsprechendes Bild von Marc Chagall?), sein „Schtetl“, seine Mitmenschen und seine Familie vor. Alle leben (noch) gerne in Anatevka, obwohl es ein mühsames Leben ist, von der Tradition aber zusammengehalten...


    ERSTER AKT


    Golde, Tevjes Frau, bereitet mit den gemeinsamen fünf Töchtern an diesem Freitagabend den Sabbat vor, als die Heiratsvermittlerin Jente hereinschneit. Sie kommt während des folgenden Gesprächs über Umwegen auf ihr eigentliches Anliegen: Was der Fleischer Lazar Wolf ist, wohlhabend und in Tevjes Alter, der hat nämlich ein Auge auf Goldes Älteste, Zeitel mit Namen, geworfen und Jente meint, daß Tevje doch mal mit Lazar Wolf reden sollte. Kaum ist Jente wieder fort, wollen die Töchter - Neugierde, dein Name ist Weib - sofort wissen, worum es in dem Gespräch ging. Die Vorbereitungen zum Sabbat halten die Töchter nicht davon ab, über die Vor- und Nachteile des Verheiratseins zu diskutieren (Matchmaker, Matchmaker/Jento, o Jente).


    Tevjes Pferd hat ein Hufeisen verloren und der Milchmann muß seinen Wagen selber ziehen. Dadurch gerät er fast in Verzug, rechtzeitig zum Sabbat wieder zu Hause zu sein. Er hält gerade Zwiesprache mit seinem Gott und meint, es wäre ja keine Schande, arm zu sein, allerdings auch keine besondere Ehre. Er hat durchaus eigene Vorstellungen über ein Leben im Wohlstand (If I Were A Rich Man/Wenn ich einmal reich wär). Zu ihm kommt Awram, der Buchhändler, und berichtet aufgeregt über die Nachricht, daß man angeblich aus dem Nachbarort Rajanka alle Juden vertrieben hat.


    Der nächste, den Tevje trifft, ist der junge Student Perchik aus Kiew, den er sympathisch findet und daher zur Sabbatfeier einlädt. Für Kost und Logis, so läßt sich Perchik aus, wäre er sogar bereit, Tevjes Töchter zu unterrichten.


    Zu Hause angekommen, überfällt ihn Golde mit der Nachricht, daß der Fleischer Wolf mit ihm reden wolle. Nun, erst einmal wird jetzt Sabbat gefeiert (Sabbath Prayer/Sabbat-Gebet). Dabei unterhalten sich Zeitel und der Schneider Mottel Kamsoil sehr angeregt; keiner in dieser Runde weiß, daß sich die beiden jungen Leute heimlich verlobt haben. Der Schneider zögert aber, bei Tevje um die Hand seiner Liebsten anzuhalten, weil ihm noch eine moderne Nähmaschine fehlt, mit der er besser und schneller nähen, dadurch höhere Einnahmen erzielen und eine Familie ernähren könnte.


    In der Dorfgaststätte treffen sich Tevje und Lazar Wolf; der Milchmann glaubt zunächst, Wolf möchte wieder einmal über den Verkauf seiner Milchkuh verhandeln und stimmt, ohne genau hinzuhören, einfach zu. Plötzlich jedoch merkt er, daß es überhaupt nicht um die Kuh, sondern um seine Zeitel geht. Na gut, die Partie wäre für seine Tochter ja nicht die schlechteste, denkt sich Tevje und wird demzufolge mit Lazar Wolf auch schnell einig. Die beiden Männer stoßen auf das Wohl von Wolfs neuer Braut an. Daraus wird dann ein allgemeiner Umtrunk, an dem sich sogar die russischen Soldaten, die sich ebenfalls in der Gastwirtschaft aufhalten, beteiligen (To Life/Zum Wohl).


    Der russische Dorf-Wachtmeister tritt an Tevje heran und informiert ihn „so unter der Hand“, daß man hier im Dorf in Kürze mit einer „kleinen, inoffiziellen Demonstration“ gegen die Juden zu rechnen habe. Das müßte Tevje eigentlich beunruhigen, aber er bleibt unerschütterlich.


    Perchik ist beim Unterricht für Tevjes Töchter und erzählt ihnen dabei auch von neuen Ideen, über die seit einiger Zeit im Lande diskutiert wird und die tatsächlich zu einer Revolution führen könnten. Hodel, Tevjes Zweitälteste, interessiert sich nicht für Politik, ist jedoch erstaunt, als sie hört, daß in den großen Städten des Zarenreichs Ehen auch ohne Heiratsvermittler geschlossen werden können und daß Männer und Frauen sogar bei Festivitäten zusammen tanzen. Dem aufmerksamen Zuschauer wird sofort klar, daß es zwischen den beiden jungen Leuten eine ganz bestimmte Übereinstimmung gibt, die etwas außerhalb des Unterrichtsstoffes liegt.


    Als nun Tevje hinzukommt und die Verlobung von Zeitel und Lazar Wolf bekannt gibt, geraten alle „aus dem Häuschen“ und gratulieren dem Paar und den Eltern - nur Zeitel ist entsetzt und erschrocken. Was wird denn dann aus ihrem Mottel? Und dann geschieht etwas, das nicht geschehen dürfte, das in dieser Gesellschaft bisher undenkbar war: Zeitel mißachtet die traditionellen Vaterrechte und lehnt es rundheraus ab, Lazar Wolf zu heiraten. Dafür wird Mottel jetzt ganz mutig und hält bei Tevje um Zeitels Hand an. Der über diese Wendung geschockte Vater zögert lange, ehe er sich dann entschließt, mit der altehrwürdigen Tradition zu brechen und Mottel als neuen Schwiegersohn zu akzeptieren (Tevjes Monologue; Mottels Miracle Of Miracle/Wunder, o Wunder). Das Problem für Tevje: Wie soll er das nur Golde beibringen?


    Aber Tevje ist ja ein Schlitzohr und ihm kommt nach einigem Überlegen eine List in den Sinn und die muß ihm helfen, sein Weib von seiner Neuorientierung zu überzeugen: Er wird einen Traum simulieren, in dem ihm Oma Zeitel, seine verstorbene Schwiegermutter, erscheint und Mottel als Ehemann für ihre Enkelin bestimmt. Außerdem wird er erzählen, daß die Oma von Lazars erster Frau, Fruma-Sarah, berichtet hat, daß Schreckliches mit Tevjes Familie passiert, falls Zeitel den Fleischer heiraten sollte (Tevjes Dream).


    Zeitel und Mottel werden also jetzt nach der jüdischen Tradition miteinander vermählt (Sunrise, Sunset/Jahre kommen, Jahre gehen). Im „Schtetl“ spricht sich sehr schnell herum, daß Mottel Kamsoil die Zeitel bekommen hat und nicht Fleischer Wolf. Während also die Hochzeit gefeiert wird, kommt es zwischen Tevje und Wolf über diese Ehe zu einem Streit, wobei Wolfs Ärger wegen des nicht eingehaltenen Versprechens verständlich erscheint.


    Der junge Russe Fedja spricht Tevjes dritte Tochter Chawa an; er hat nämlich erfahren, daß Chawa gerne liest und er möchte ihr ein Buch ausleihen. Natürlich geht es Fedja nur darum, Chawa wiederzusehen; die Behauptung, er wolle mit ihr dann über den Lesestoff sprechen, weiß man sofort richtig einzuschätzen.


    Perchik tritt auf der Hochzeitsfeier voll in den Traditionalisten-Fettnapf: Er fordert doch tatsächlich Hodel zum Tanz auf, was Tevje zwar als „unprotokollarischen Zwischenfall“ registriert, aber dennoch zu überspielen weiß. Nachdem alle den Fauxpas von Perchik überwunden haben, raffen sich allmählich alle auf und machen es den beiden nach (Wedding Dances; Finale I).


    In den jetzt allgemeinen Freudentaumel platzen russische Soldaten und schlagen, wie sie sagen, in „höherem Auftrag“ und um den „Juden ihre Abhängigkeit“zu demonstrieren, alles kurz und klein...


    ZWEITER AKT


    Tevje hadert mit Gott. Perchik muß nach Kiew zurück und macht kurz vor dieser Reise seiner Hodel einen Heiratsantrag, den Tevjes Zweitälteste beglückt annimmt (Now I Have Everything/Nun hab ich, was ich will). Natürlich ist das gegen alle Traditionen; Perchik macht keine formelle Brautwerbung und ignoriert, ganz schlimm, das Elternrecht. Trotzdem will Tevje der jungen Liebe keinesfalls im Wege stehen und willigt schließlich ein (Tevjes Rebuttal/Monolog). Und schon wieder muß er sich die Frage stellen: Wie bringe ich es Golde bei?


    Viel Zeit zum Überlegen hat er allerdings nicht, denn seine Frau kommt und will genau das wissen: Was er jetzt wieder gegen alle Traditionen hat durchgehen lassen? Tevje rettet sich in die Gegenfrage, ob Golde ihn nicht auch liebe (Do You Love Me/Ist es Liebe).


    Mottel hat endlich seine neue Nähmaschine bekommen, die von allen Umstehenden gebührend bestaunt wird. Tevje aber versucht, seiner Tochter Chawa die Freundschaft mit dem andersgläubigen Fedja auszureden und argumentiert dabei mit dem immer noch gültigen Satz: „Man soll unter sich bleiben!“ Chawa ist aber nicht zu überzeugen; sie liebt Fedja und sie will in partout heiraten - sei er auch hundertmal ein Christ. Tevje reagiert unversöhnlich und lehnt immer noch ab. Als er von Golde hört, daß Chawa und Fedja sich bereits vor einem Popen das Ja-Wort gegeben haben, hadert er schon wieder mit seinem Gott.


    Die Heiratsvermittlerin Jente ärgert sich derweil gewaltig über entgangene Einnahmen, weil Perchik sich als Heiratskandidat über die Usancen hinweggesetzt hat. Sie revanchiert sich übelgelaunt, indem sie im Dorf über die revolutionären Tätigkeiten des Studenten schwadroniert (The Rumor - I Just Head/Der Dorftratsch), die dann auch prompt zur Verhaftung Perchiks und zu seiner Verbannung nach Sibirien führen. Als Hodel davon erfährt, reagiert sie empört und besteht darauf, ihrem Liebsten nachzureisen; sie kündigt ihrem Vater an, auf Perchik keinesfalls verzichten zu wollen und ihn auch woanders, wenn nötig sogar unter einem Baldachin zu heiraten (Far From The Home I Love/Abschied vom Elternhaus).


    Der russische Wachtmeister tritt auf die Szene und kündigt unangenehme politische Ereignisse an, die bis in die Familiengeschichte eingreifen: Alle Juden müssen nämlich innerhalb von drei Tagen das „Schtetl“ Anatevka verlassen haben. Tevjes Familie beginnt sofort, wie auch alle anderen Juden im Dorf, die paar Habseligkeiten zu packen. Tevje will mit seiner ganzen Familie nach Amerika auswandern, Jente möchte unbedingt ins Gelobte Land, nach Jerusalem. Zeitel und Mottel, inzwischen Eltern geworden, wollen zunächst in Warschau wohnen, um dann später der übrigen Familie nach Amerika zu folgen. Chawa und Fedja haben sich Krakau als Wohnsitz ausgesucht. Bevor alles aufbricht, treffen sie noch einmal auf Tevje, um doch seinen väterlichen Segen zu erhalten.


    Die ganze Familie wird also in alle Winde verstreut werden - nur der „Fiedler auf dem Dach“ als Symbol von Hoffnung in einer Welt von Armut und ständiger Bedrängnis, will bleiben. Tevje aber ruft ihn zu sich und man tritt gemeinsam die Reise nach Amerika an...


    Berühmte Songs aus diesem Musical:
    Tradition
    Matchmaker (Jente, o Jente)
    If I Were a Rich Man (Wenn ich enmal reich wär)
    Sunrise, Sunset (Jahre kommen, Jahre gehen)
    Do you love me (Ist es Liebe)
    Miracle of Miracles (Wunder, ja ein Wunder)
    Anatevka


    Man darf sich schon darüber wundern, daß FIDDLER ON THE ROOF (in Deutschland bekannter unter dem Titel ANATEVKA) trotz seiner mitreißenden Songs, aber ohne den typischen Glamour und ohne die üblichen Showeinlagen, ein Erfolg geworden ist. Die Darstellung des Existenzkampfs der jüdischen Bewohner im ausgehenden russischen Zarenreich war nicht unbedingt ein Thema für ein Musical, gewann aber durch den mit Spiellaune vorgetragenen jiddischen Witz das Publikum. Wenn am Ende die zunächst nur von Ferne angedrohten Pogrome Realität werden, die jüdischen Dorfbewohner ihr „Schtetl“ verlassen müssen und in eine ungewisse Zukunft gehen, ist es vielleicht gerade diese heute noch existentille Erfahrung des Ausgegrenztseins, eine durchaus immer noch erschreckende Aktualität, die FIDDLER ON THE ROOF den Erfolg bescherte.


    © Manfred Rückert für Tamino-Musicalführer
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Deutsches Libretto von Rolf Merz, Verlag Jugend und Volk, Wien/München 1969
    Schotts Musical Handbuch
    Reclams Musicalführer
    Wikipedia über FIDDLER ON THE ROOF

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    MUSIKWANDERER

  • Auch zu diesem Musical hat der unermüdliche Tamino-Chronist Harald im Musicalforum bereits drei Threads, die dem Werk, dem Komponisten und dem Texter gewidmet sind, gepostet. Wer also an Aufnahmen interessiert ist, wird dort fündig - natürlich ohne eine Garantie daß die genannten Einspielungen auch noch zu haben sind. Die Beiträge über den Komponisten und den Texter erinnern leider an deren Ableben (Stein starb im Oktober und Brock im November 2010).


    http://tamino-klassikforum.de/…page=Thread&threadID=7368


    http://tamino-klassikforum.de/…age=Thread&threadID=12509


    http://tamino-klassikforum.de/…age=Thread&threadID=12450

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    MUSIKWANDERER