Ein Grundproblem eines jeden echten Musikliebhabers, das da schlicht lautet: das Leben ist zu kurz.

  • Wieder einmal habe ich den Ausspruch eines Mitglied für einen - hoffentlich erfoplgreichen - Treadtitel annektiert:


    Garaguly schrieb in einem anderen Thread.


    Zitat

    Ja, Wolfram, Du benennst hier ein Grundproblem eines jeden echten Musikliebhabers, das da schlicht lautet: das Leben ist zu kurz. Es gibt zu viele Werke von zu vielen Komponisten, die ausführlich gehört werden wollen, dann die zahlreichen und höchst interessanten Vergleichsaufnahmen


    Diese Meinung habe ich vor kurzem auch vertreten. Und natürlich ist das kein angenehmer Gedanke. Aber andrerseits kann man es auch anders sehen. Keine Generation vor uns hatte dieses Problem in so ausgeprägter Weise wie heute.
    Einerseits gab es nicht so unzählige Alternativaufnahmen von großen Künstlern, und schon gar nicht von solchen der Vergangenheit. Andrerseits waren die vergangenen Jahrhunderte ja nicht so reich an Werken, jedes Jahrzehnt stieg die Anzahl an neuen und neuartigen Werken. Wenn wir bedenken, daß Mozart keinen Beethoven oder Schubert hören konnte, Bach keinen Haydn und Mozart - wie reich sind wir dagegen. - Sollen wir uns darum "beklagen"
    Staunend würden die genannten - und einige mehr - vor all dem stehen, was nach ihrem Tode komponiert worden war -oder vielleicht sogar - abgestossen ? - Wir wissen es nicht.
    In meiner Jugend bedauerte ich, daß Mozart nur so kurz gelebt hatte - und ich begab mich auf die Suche nach Komponisten, die ähnlich komponiert hatten. So stieß ich vorerst auf Johann Christian Bach. Andere Komponisten waren mir bald auch dem Namen nach geläufig - aber es gab wenig bis keine Aufnahmen von ihnen. Erst allmählich - vermutlich durch die "Klassikkrise" angespornt - brachten Independient-Labels Werke von Vanhal, Vranicky, Cannabich, Kozeluch und anderen heraus. Allein Vivaldi war eine Entdeckung, angeblich sind bis heute noch nicht all seine Werke gesichtet und aufgenommen - vieles schlummert noch in den Archiven
    Heute bietet sich uns eine riesige Palette zur Auswahl an - Wenn auch noch manches fehlt
    Bis vor etwa einem Jahr jagte ich nach "Raritäten" - Derzeit sitze ich auf einem Stapel von etwa 300 oder 400 ungehörter CDs - von denen mich manche im Augenblick gar nicht interessieren.
    Ich mache mir daraus kein Problem. Ich höre worauf ich Luste habe - entspannt und ohne Druck
    in der Gewissheit VIEL mehr zu hören, als all die Kaiser, Könige und Fürsten für die diese Musik geschrieben wurde....




    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nun, auch ich denke, eine gewisse Gelassenheit tut not.


    Für mich würde ich den Thread-Titel so umformulieren wollen: Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik und schelchte Interpretationen! Das gilt übrigens in gleichem Maße für Wein, Kaffee, Essen und Filme! ;-)


    Da ich schon früh für ein Leben für die Musik entschieden habe (hm, das klingt viel zu pathestisch), habe ich immerhin vielliecht mehr als die meisten von uns die Chance, mich voll und ganz meinm Lebensinhalt zu widmen. Vielleicht habe ich als Interpret auch einen direkteren und intensiveren Zugang. Jedenfalls konnte ich mich schon sehr früh von dem Gedanken freimachen, nicht alles an guter Musik hören zu können, was in irgendwelchen Noten oder auf irgendwelchen Musikkonserven verborgen ist. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was mir zugänglich ist und freue mich auf jede weitere neue Entdeckung.


    Insofern: Ja, das Leben ist kurz, aber nicht zu kurz um musikalisch unerfüllt von dieser Welt zu scheiden!

  • Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik und schelchte Interpretationen! Das gilt übrigens in gleichem Maße für Wein, Kaffee, Essen und Filme! ;-)


    Bücher nicht zu vergessen! - Allein, das Problem bleibt die "a priori"-Unkenntnis, ob es denn gut oder schlecht sein wird ... und die Frage stellt sich, ob man mangels Zeit nicht auch dazu verführt wird, das Schlechte oder zumindest das Nicht-(ganz sooooo)-Gute trotzdem gut zu finden. Schließlich müssten man sonst auch zugeben können, Zeit "verplempert" zu haben.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Das Leben ist zu kurz? Na ja, an der Länge können wir nicht viel ändern - wobei ich Ausdauersportarten wie Laufen, Radfahren, Schwimmen, Rudern, Walking empfehlen würde, um Herz und Kreislauf zu stärken, das Immunsystem fit zu halten, den Stoffwechsel immer wieder anzuregen usw. usw.


    Ärgerlicher ist, dass von der täglichen verfügbaren Zeit nur so wenig für Musik bleibt.

  • Zitat

    Ärgerlicher ist, dass von der täglichen verfügbaren Zeit nur so wenig für Musik bleibt.


    Kein Wunder - Wenn du die ganze Zeit mit diesen unsäglichen Sportarten verplemperst........ :hahahaha:


    Beste Grüße


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Wenn ich bedenke, wieviele Aufnahmen an CD, DVD, Vinyl und Schellacks einige Mitglieder hier besitzen, (ich zähle mich auch dazu), dann komme ich ins grübeln. Wie lange braucht man wohl dazu, vorausgesetzt man verzichtet nicht auf den notwendigen Schlaf und andere unverzichtbare Verrichtungen, um all diese Aufnahmen mal hintereinander zu hören. Und meine Video-Aufnahmen, die auch viele Konzerte und Opern beinhalten. Da dürften wohl einige Jahre zusammenkommen. Darauf kann ich mich nur diesem Titel anschließen:


    Ein Grundproblem eines jeden echten Musikliebhabers, das da schlicht lautet: das Leben ist zu kurz.




    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Meine Devise ist es, keine neuen CDs von Werken zu kaufen, von denen ich eine Referenzaufnahme habe. Beispiel: Janaceks Opern. Hier gibt es bei den verschiedenen Aufnahmen immer wieder sehr gute Sänger, aber bessere als die Mackerras-Aufnahmen (außer Kubeliks "Jenufa") habe ich noch nicht gefunden. Den Fehler habe ich einmal gemacht und mir alle CDs von Pfitzners "Palestrina" gekauft; aber auch hier erwies sich die Kubelik-Aufnahme als unübertroffen, ebenso wie die von "Mathis der Maler". Ich glaube, wenn man sich beschränkt, kann man mehr Werke hören. Daher staune ich immer wieder, wenn hier einige Taminos von 10 oder gar 20 Lohengrins, Carmens oder Rigolettos erzählen, die sie besitzen. Aber bitte: ich staune und kritisiere nicht!
    Seltsam berührt viele Leute auch mein Umgang mit Büchern. Als Sohn eines Bibliothekars, der 5000 hatte, besitze ich keine 100: das sind die, die ich noch mal lesen will. Dabei lese ich viel, fast 100 Bücher im Jahr. Die meisten gebe ich wieder weg, und wenn sie keiner haben will, wandern sie sogar in den Papierkorb. Bücher sind nichts "Heiliges", es sei denn, man sammelt bibliophile Bücher oder Erstausgaben.
    Die Grundlage dafür hat Luhmann beschrieben und das Prinzip "Reduktion von Komplexität" genannt. Für den Alltag heißt das, nichts zu besitzen, was man nicht in Gebrauch hat. Glaubt mir, es funktioniert und man genießt es. Aber missionieren will ich hier nicht!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Na ja, an der Länge können wir nicht viel ändern - wobei ich Ausdauersportarten wie Laufen, Radfahren, Schwimmen, Rudern, Walking empfehlen würde, um Herz und Kreislauf zu stärken, das Immunsystem fit zu halten, den Stoffwechsel immer wieder anzuregen usw. usw.


    Tatsächlich scheint mir auch die (aktive) Beschäftigung mit der klassischen Musik ein wenig lebensverlängernd zu wirken: Man denke z.B. an all die Dirigenten, die hochbetagt gestorben sind (Karajan, Toscanini, Wand, Celibidache, Klemperer etc.), Instrumentalvirtuosen (Horowitz, Menuhin, Casals, ...) und auch bei Sängern scheint dies zu funktionieren. Sobald es jedoch ans komponieren selber geht, klappt das mit dem Lebenselixier nicht mehr so gut, wie etwa Mozart, Schubert oder Mendelssohn "bewiesen" haben. - Und ganz anders sieht es wiederum in der Rock- und Pop-Musik aus; immer nach dem Motto "Only the good die young!".


    Vielleicht lohnt sich hier ja eine epidemiologische Studie.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo dr.pingel,

    Die meisten gebe ich wieder weg, und wenn sie keiner haben will, wandern sie sogar in den Papierkorb.

    bitte nicht! - Ich habe es mir z.B. zur Gewohnheit gemacht, von mir nicht mehr gebrauchte Bücher einfach in die Stadtbibliothek zu tragen (für ebay oder amazon-marketplace bin ich einfach zu faul), die verkaufen das "Zeug" (jedenfalls hier in Hamburg) auf regelmäßigen Bücherflohmärkten.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Zitat

    Bücher nicht zu vergessen!


    Wohl wahr, die hatte ich noch vergessen! Und die verschlingen noch viel mehr Zeit :cursing:


    Tja, da hilft nur Schlaf reduzieren!

  • Tja, da hilft nur Schlaf reduzieren!


    Und das soll ja mit zunehmendem Alter immer leichter fallen ... Ich versuche mich aktuell unter der Woche auf etwa sechs Stunden Schlaf zu beschränken; allerdings weniger der Musik zuliebe, sondern der Familie zum Zwecke :sleeping: Aber heute Nacht wird mir ja eine Stunde (zurück)geschenkt - eine Stunde mehr, um Musik zu hören :jubel:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Werte Leser,


    wieder mal ein Aufruf über sein Leben nachzudenken. Selbstrelflektion kommt in dieser Gesellschaft immer zu kurz. Erst wenn die Menschen krank werden, beginnen sie, ihr Tun zu erforschen.


    Meist kommen sie dann zu dem Schluss, das zuviel Stress und Hektik den Alltag bestimmt. Übrigens hasse ich dieses Wort "Alltag". Viele lassen sich von Dingen fremdbestimmen, die zu gar nichts nütze sind, außer das sie Zeit verplempern. Und hierzu ist das Leben wirklich zu kurz.


    Viele Grüße Thomas

  • Meine Devise ist es, keine neuen CDs von Werken zu kaufen, von denen ich eine Referenzaufnahme habe.


    Lieber Dr. Pingel,


    tja, wenn das so einfach wäre ... was ist denn eine Referenzaufnahme füe den Tristan? C. Kleiber? Böhm? Furtwängler? Oder nein, waren nicht Melchior und Flagstad einfach das beste Paar, vielleicht am besten in den Mitschnitten aus den Jahren 1935 und 1937? Aber was ist dann mit der Klangqualität - das Orchester hat ja nicht gerade eine Nebenrolle? Und hat nicht erst Pappano nochmal die Partitur auf völlig neue Art entfaltet ... ?


    Was ich sagen will: "Die" Referenzaufnahme gibt es sowieso meistens nicht - dass es bei Janacek anders ist, liegt daran, dass diese Meisterwerke der Musik noch längst nicht so "populär" sind, wie sie es verdient hätten!


    In verschiedenen ausgezeichneten Aufnahmen sind den Werken oft immer noch andere Aspekte zu entlocken ... darin liegt die Crux. Ich will ja gar nicht entscheiden müssen, ob Kna, Wand, Celi oder Horenstein die "beste" Bruckner 8 dirigiert haben - ich will sie nur alle hören können ... :hello:

  • Lieber Wolfram,


    du hast natürlich Recht. Und so ist meine minimalistische Position, die aber nicht für alle Musikstücke gilt, ein Kompromiss. Denn das Gegenteil zur Reduktion der Komplexität ist leider der Optionsstress. Wenn ich zuviel Auswahl habe und bei jedem Stück immer auf dem letzten Stand sein muss, sterbe ich wie Buridans Esel zwischen zwei Heuhaufen. Und da entscheide ich mich oft, jetzt nicht die neueste Version von Bruckners 8. zu hören, sondern eine neue Cavalli - Oper, die ich noch nicht kenne. Es gibt hier aber keine allgemeinen Regeln.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Optionsstress

    Der oben zitierte Begriff des "Optionsstresses" scheint mir die wahre und schwerste Crux des modernen Musikliebhabers zu sein, der sich im Spannungsfeld zwischen Lebensdauer und ausuferndern Hörmöglichkeiten bewegt. Die vielfältigen Möglichkeiten, die uns als Hörern die technische Entwicklung spätestens seit den 1950er Jahren bescherten, sind ja in dem uns hier interessierenden Zusammenhang bereits thematisiert worden.


    Ich selbst leide bisweilen tatsächlich unter diesem Stress. In dunklen Sekunden fabuliere ich mir eine persönliche 'Musikwelt', die aus maximal 200 Aufnahmen aller Gattungen und Epochen besteht, die ich dann dafür dauerhaft und mit tieferem Erkenntnisgewinn und dem Gefühl großer Zufriedenheit - ich werde dann ja nicht mehr von Tausenden anderen Aufnahmen mental ge- oder auch verstört - immer wieder hören kann.


    Aber wieviel schöner Musik müsste ich auf immer abschwören? Letztlich ist eine solche Radikalreduzierung für mich eine Horrorvorstellung und daher undurchführbar. Es ginge schlicht nicht!


    Aus genau gleicher Begründung heraus unmöglich wäre eine Fixierung und Konzentration auf eine Epoche oder etwa eine Gattung. Diese Musikliebhaber gibt es ja auch. In den 90ern ging es mir für einige Jahre so. Ohne irgendeine Form des inneren Zwangs konzentrierte ich für etwa fünf bis sechs Jahre nahezu ausschließlich auf Barockmusik - ich hörte jahrelang so gut wie keine Dvorak-Sinfonie und kein Brahms-Konzert. Dann begann sich mein musikalisches Sinnen und Trachten wieder zu öffnen, und die erneute Hinwendung zu Dvorak, Brahms, Bruckner oder Mahler glich einer Offenbarung.


    Derzeit wäre eine solche Selbstbeschränkung nach Aufnahmeanzahl, Epoche oder Gattung für mich - wie bereits verdeutlicht - kein Weg.


    Will man aber in dem Spannungsfeld, das aus den Polen "allgemeine Lebensanforderungen" und "Musikhören" besteht - wobei für viele von uns ja sicherlich das Musikhören auch zu den allgemeinen Lebensanforderungen gehört - zu einer selbstverträglichen Lösung kommen, dann bleiben aber nur zwei Lösungen: Entweder den Weg der Reduzierung und der Konzentration zu gehen, oder den der Akzeptanz des Unabänderlichen zu beschreiten. Akzeptiere, dass du vieles von dem, was du dir anschaffst nur ungenügend wirst hören können und höre immer wonach dir ist. Ich versuche danach zu handeln, doch dann werde ich wieder von diesen Zweifeln geplagt - ein Kreislauf zum Verrücktwerden.


    Grüße,


    Garaguly

  • Irgendwo meinte mal ein Hörer, dass er sich zunehmend auf immer weniger Stücke konzentrieren würde, die ihm besonders wichtig wären, und das wären letztlich gar nicht so viele, auch wenn er natürlich nach wie vor auch anderes und neues hört.


    Das ist mir nicht so ergangen; ich habe mein Spektrum stetig (oder schubweise) erweitert. Dennoch habe ich inzwischen schon den Eindruck, dass ich nach fast 25 Jahren Klassikhörens einigermaßen weiß, was mir gefällt und was, egal ob ich noch 20 oder noch 50 Jahre lebe (nach durchschnittlicher Erwartung vermutlich noch etwa 40), den Kernbestand bilden wird. Nun könne man das als naiv bezeichnen, da sich dieser Kernbestand in den letzten 15 Jahren ja erheblich erweitert hat. Hat er, aber alles, was damals Kern war, ist immer noch Kern. Insbesondere ist Klassik, ungeachtet einiger dutzende (alles zusammen vielleicht 100) aus anderen Bereichen, absolut dominierend.


    Natürlich bin ich auf Überraschungen gefasst und ich will nichts kategorisch ausschließen. Ich rechne aber nicht damit, jemals alle Opern von Rossini oder Donizetti gehört haben zu wollen (momentan je eine und Neigung zur Erweiterung besteht nicht, ungefähr 3-4 pro Komponist sollte man wohl wenigstens mal gehört haben...). Ebensowenig erwarte ich, mich intensiv mit dem Fassungsproblem bei Bruckner zu befassen, seltenen Live-Aufnahmen Richters oder Michelangelis mit Standardrepertoire hinterherzuspüren oder 10 Aufnahmen von Lohengrin oder La Traviata zu besitzen.


    Ungeachtet erheblicher Lücken, besonders bei der ital. u. franz. Oper und im 20./21 Jhd. rechne ich ehrlich gesagt, auch nicht mit einer größeren Zahl von Entdeckungen, die mir so wichtig werden werden wie es seit je die Eroica oder Schuberts Streichquintett u.v.a sind. Jedenfalls nicht in einem Bereich, der mir bisher noch völlig unbekannt ist. Vielleicht werden einige Opern von Verdi, die ich bislang nur flüchtig kenne, wichtiger werden, oder einiges von Berg, Prokofieff u.a. Ich rechne damit, dass mich bislang un- oder kaum bekannte Stücke von Komponisten, die mir sonst gefallen, interessieren. So einiges in Bachs Orgelwerken, viele seiner Kantaten oder Monteverdi, ebenso kenne ich keine einzige der Opern von Janacek, schätze aber die Handvoll anderer Werke, die ich kenne. (Werke wie die beiden Klavierquartette Dvoraks, die ich vor 3 Wochen gekauft habe, hatte ich mehr oder weniger übersehen, ich hatte sie wohl für Frühwerke gehalten bzw. evtl. auch das später op.87 mit dem Klavierquintett "verwechselt".)


    Durch die Klassikforen bin ich immer wieder auf zu Recht oder Unrecht weniger beachtete Komponisten aufmerksam geworden (so habe ich die Rott-Sinfonie schon vor gut 15 Jahren in der damals einzigen Einspielung gekauft (Hyperion)). Sicher waren da lohnende Entdeckungen dabei. Aber oft reicht mir ein Querschnitt oder ausgewählte Werke. Ich habe vorhin eine CD mit konzertanten Sinfonien von Joh. Chr. Bach gehört. Schöne, unterhaltsame Musik, aber ich brauche wohl nicht die Komplettbox von cpo. Ebenso Boccherinis Kammermusik oder CPE Bachs Klavierwerke usw.
    Scarlatti-Sonaten schätze ich sehr und habe wohl 10 CDs oder so von Horowitz bis Staier, aber ich glaube mit dem Risiko leben zu können, nicht alle 500 gehört zu haben (obwohl ich den Ross-Klotz durchaus schonmal in Erwägung gezogen hatte). Und bei vielen Sachen bereue ich zwar nicht die Anschaffung, aber allzuvviel verpasst hätte ich auch nicht, wenn ich nun diese Sinfonie von Onslow oder jenes Quartett von Dittersdorf oder was auch immer nie gehört hätte. Daher bin ich inzwischen auch etwas zögerlicher mit der Anschaffung bei den hunderten von kaum bekannten Namen zwischen Barock und Moderne, um die sich cpo erfreulicherweise kümmert, bzw. beschränke mich auf Stichproben.


    Bleiben noch die anerkannten "Großmeister" aus Mittelalter, Renaissance und ab der zweiten Hälfte des 20. Jhds., wo ich zwar einiges schon gehört habe, vieles aber nur flüchtig oder gar nicht kenne. Ich weiß nicht, ob davon mehr als Einzelnes von Interesse und vagem Beeindrucktsein zu inniger Liebe avancieren wird. Da ich jedoch zu denen gehöre, die "Autoritäten" nicht grundsätzlich gegenüber dem eigenen Bauch verwerfen, werde ich hier immer mal wieder Versuche starten, bis es funkt oder die Einsicht kommt, dass es doch eher ein Randgebiet für mich bleiben wird.


    Schließlich das Sammeln von Interpretationen: Hier habe ich keine "Angst, was zu verpassen". So interessant neue Aspekte durch eine Vielfalt sein mögen, halte ich das nicht für so essentiell. Ich sammle bei keinem Werk bewusst möglichst viele Aufnahmen oder möglichst alle Aufnahmen bestimmter Interpreten (und allein aus Platz- und Zeitgründen werde ich das auch nicht anfangen). Dennoch habe ich natürlich von vielen Werken einige, teils gar 10-20 Aufnahmen, die sich eben angesammelt haben. Hier ist nicht auszuschließen, sogar wahrscheinlich, dass sich, wenn ein Werk mal besonders im Mittelpunkt des Interesses steht, von dem es dazu auch noch sehr viele bedeutende Einspielungen gibt, das teilweise "verschlimmern" wird. (Mein Bestand an Schubert-Streichquintetten hat sich seit Frühjahr beinahe verdreifacht (von 3 auf 8), dabei waren allerdings zwei nicht-intendierte, zuletzt das in der Heimbach-Box.) Aber ich kaufe nicht Hogwoods Beethovensinfonien nur um mitreden zu können, oder weil sie billig sind. Und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass einige CDs des Quintetts wieder aussortiert werden.


    Der langen Rede kurzer Sinn: Ich habe nicht den Eindruck oder die Erwartung, dass sich hinter jedem Horizont, neue noch weitere öffnen, so dass es unübersehbar wird, die Restriktion auf einen überschaubaren Kernbestand wie die genannten 100 oder 200 Werke (oder CDs) erlebe ich aber auch nicht. Eher logarithmisches Wachstum (also wachsend, aber mit sinkender Rate), jedenfalls was Musikstücke betrifft und hoffentlich auch CDs. Top 100 wären vielleicht die Werke, wo man eine Vielzahl von Einspielungen ansammelt.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Der oben zitierte Begriff des "Optionsstresses" scheint mir die wahre und schwerste Crux des modernen Musikliebhabers zu sein, der sich im Spannungsfeld zwischen Lebensdauer und ausuferndern Hörmöglichkeiten bewegt. Die vielfältigen Möglichkeiten, die uns als Hörern die technische Entwicklung spätestens seit den 1950er Jahren bescherten, sind ja in dem uns hier interessierenden Zusammenhang bereits thematisiert worden.


    Lieber Garaguly,


    ich stimme Dir darin zu - aber eigentlich ist das ein Luxusproblem. Es ist wie bei einem Weinliebhaber mit 5.000 Flaschen im Keller, der sich heute abend nicht zwischen Le Pin, Fritz Haag und Château d'Yquem entscheiden kann.


    Ich versuche das Problem der Entscheidung vor dem CD-Regal dadurch zu beherrschen, dass ich mir Themen zum Hören aussuche. Das waren mal alle Opern Verdis ab dem Rigoletto plus einige frühe, das waren mal die späten Streichquartette Beethoven, das waren mal die bekanntesten Liedzyklen, das war mal der Parsifal gefolgt vom Holländer und ist jetzt der Ring, das ist derzeit auch Kammermusik, die zwischen 1882 (Brahms Streichquintett Nr. 1) und 1908 (Schönberg Streichquartett Nr. 2) entstanden ist - bis 1897 bin ich auf meiner Liste gekommen ...


    Das heißt ja nicht, dass ich nicht auch mal eine Bach-Kantate, einen Tristan, eine Sibelius-Sinfonie, einen Dusapin zwischendurch höre. Aber so im Großen und Ganzen ist das Hören strukturiert und ich freue mich auf das nächste Werk der Liste.


    Achtung, der Oberlehrer spricht (aber anders kann ich es nicht sagen): Freiheit ist auch und vor allem die Freiheit, eine selbstgewählte Ordnung anzunehmen und zu leben, selbst Herr im eigenen Haus zu sein und sich nicht von Stimmungen und Trieben regieren zu lassen. :hello:

  • ... alles, was damals Kern war, ist immer noch Kern.


    Das ist natürlich sehr wahr. Auch, wenn man sich im "Was hört ihr gerade?"-Thread ansieht, welche Werke hier von vielen Forianern wirklich regelmäßig gehört werden, dann läuft's doch - etwas verkürzt - auf die vier großen 'B's der Instrumentalmusik und dann noch auf Opern von Verdi (auch da nur die bekannten) und Wagner hinaus.


    Mir geht es ja oft ähnlich - klar kann ich Beethovens Sinfonien immer wieder hören, oder Brahms, oder Bruckner ... doch dann schlägt wieder das Gewissen zu. Ich ärgere mich dann, statt der Siebten von Beethoven nicht wenigstens einmal wieder eine Stanford-Sinfonie, ein Scharwenka-Klavierkonzert oder ein Elgar-Oratorium gehört zu haben (alles gute Musik, zu der man sich aber mehr auf"raff"en muss). Bleiben wir manchmal bei unseren geliebten Säulenheiligen nicht auch aus Bequemlichkeit hängen, greifen wir nach Brahms, weil wir wissen, was er uns bietet? (Er bietet natürlich äußerst viel). Und dabei grasen die meisten selbst bei Brahms immer auf der selben 'Sinfonien-Weide' und lassen einen Großteil seines Werkes außen vor.


    Die Entgegnung kann natürlich lauten: Ich weiß auch, was Scharwenka oder Stanford mir bieten - und das ist eben nicht genug. Zumal zum Beispiel die Genannten ja keine wirklich neuen Klangwelten eröffnen, sondern sich in den Bahnen der Zeit bewegen, die von größeren Meistern (z. B. Brahms) vorgezeichnet wurden.


    Das Ziel muss (wenigstens für mich) aber auch sein, die mir hienieden verbleibende Zeit dazu zu nutzen, auch anderen Komponisten Chancen einzuräumen.


    Grüße,


    Garaguly

  • Wohl wahr, die hatte ich noch vergessen! Und die verschlingen noch viel mehr Zeit :cursing:


    Tja, da hilft nur Schlaf reduzieren!


    Wobei das für mich sehr gut parallel geht. Kopfhörer auf, aufs Sofa und ein Buch. Perfekt.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Achtung, der Oberlehrer spricht (aber anders kann ich es nicht sagen): Freiheit ist auch und vor allem die Freiheit, eine selbstgewählte Ordnung anzunehmen und zu leben, selbst Herr im eigenen Haus zu sein und sich nicht von Stimmungen und Trieben regieren zu lassen.


    Lieber Wolfram,


    weise Worte. Von Berufs wegen predige ich dies mehrfach wöchentlich, doch jeder weiß wie das ist: Wasser predigen und Wein trinken.


    Dein 'Hörverhalten' lässt sich hier ja gut nachvollziehen und ich verhehle nicht eine gewisse Bewunderung für die Konsequenz, mit der Du an bestimmten Stellen verweilst und Dich über längere Phasen auf ganz bestimmte Werke konzentrierst. Ich bin leider viel zu häufig von oben erwähnten Stimmungen regiert; und das wird dann auch zum Problem - siehe Optionsstress.


    Grüße,


    Garaguly

  • Ein Problem scheint mir da vergessen zu sein: Da ich einfach zu wenig Zeit habe, in Ruhe Musik zu hören, schiebe es oft ein. Und höre dann "ganz schnell" mal eine Brucknersynphonie. Und das muss ja schon fast in die Hose gehen. Da schaut man dann eine 1/4 Std. vor dem Ende auf die Uhr, ob man es denn bis zum ende schaffen wird. So kann ich mir so manchen Musikgenuss versauen.
    Ganz schlimm ist es mir mit Silvestrov gegangen. Zweimal "schnell" gehört und nichts empfunden. Dann irgendwann noch mal hervorgekramt und wirklich in Ruhe gehört und es entfaltete sich ein großer Zauber und eine herrliche Ruhe. Also hatte ich vorher die Zeit einfach verplempert.
    Ich versuche nun, dies zu vermeiden. Verfalle aber immer wieder in diesen Fehler.
    Gruß aus der Euregio
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Das ist natürlich sehr wahr. Auch, wenn man sich im "Was hört ihr gerade?"-Thread ansieht, welche Werke hier von vielen Forianern wirklich regelmäßig gehört werden, dann läuft's doch - etwas verkürzt - auf die vier großen 'B's der Instrumentalmusik und dann noch auf Opern von Verdi (auch da nur die bekannten) und Wagner hinaus.

    Ich poste ja fast nie in diesem Thread. (Und ich wünschte, Du und einige andere, würden ihre relativ umfangreichen Kommentare nicht nur dort posten, sondern mehr auch in den Sachthreads; da ich in diesem Thread nur selten reinschaue verpasse ich das meistens und dann es auch nicht kopieren und verschieben.)


    Opern höre ich z. Zt. wie angedeutet so gut wie nie, auch Sinfonien von Bruckner, Mahler oder Brahms eher selten.
    Und ich habe mich auch etwas ungenau ausgedrückt. Vor 15-16 Jahren hörte ich seit etwa 8-9 Jahren Klassik: Mein "Kern" waren damals wohl hauptsächlich Beethoven, Schubert, Brahms, Mozart mit einem Schwerpunkt auf Orchesterwerken. Ich weiß noch einiges, was ich in dieser Zeit (weil ich ein Jahr in den USA studierte kann ich das zeitlich recht genau festlegen) gekauft habe, d.h. vorher nicht oder kaum kannte, was seitdem aber zum großen Teil Kern geworden ist: die letzten drei Schubert-Quartette z.B. Cello- und Violinsonaten von Beethoven jenseits der "Kreuzter", von seinen Klaviersonaten kann ich auch höchstens die Hälfte, Händels Messiah, Mahlers Dritte. Meine erste CD mit Haydn-Quartetten habe ich in dieser Zeit gekauft, der stand damals noch sehr am Rande und ist inzwischen einer meiner Lieblingskomponisten. Ebenso Bachs WTK, das ich noch einige Zeit relativ dröge fand. Schumann und Chopin habe ich noch später jenseits einer Handvoll bekanntester Werke kennenlernt. Mit "Kern" meinte ich nicht, dass ich noch heute notwendigerweise mehr Beethoven oder Brahm höre als Haydn oder Schumann, sondern nur, dass ich nicht aufgehört habe, die zu hören. (Kaum noch höre ich etliche meiner absoluten Einstiegswerke als Teenager wie Tschaikowsky 5. oder gar Capriccio italienne oder "1812".) Und das weitgehend Musik hinzugekommen ist, die in den damaligen Rahmen passt, also zB kaum Belcanto-Opern, Renaissancemessen oder minimal music.



    Zitat

    Die Entgegnung kann natürlich lauten: Ich weiß auch, was Scharwenka oder Stanford mir bieten - und das ist eben nicht genug. Zumal zum Beispiel die Genannten ja keine wirklich neuen Klangwelten eröffnen, sondern sich in den Bahnen der Zeit bewegen, die von größeren Meistern (z. B. Brahms) vorgezeichnet wurden.


    Das Ziel muss (wenigstens für mich) aber auch sein, die mir hienieden verbleibende Zeit dazu zu nutzen, auch anderen Komponisten Chancen einzuräumen.

    Das ist nicht mein Ziel und eine moralische Verpflichtung gibt es hier ganz sicher nicht. Ich wollte mit meinem überlangen Posting u.a. auch darauf hinaus, dass ich eben keine unüberschaubare Unendlichkeit sehe, weil ich mit den Chancen für Stanford (ich glaube, noch nie bewusst ein Stück gehört) oder Scharwenka (ein Konzert in der hyperion-Reihe gekauft, das habe ich zwar nicht bereut, aber für eine zweite CD hat es bisher noch nicht gereicht...) zunehmend geizig bin.


    Ich sehe das Feld einigermaßen übersichtlich abgesteckt, einschließlich der Flecken, die für mich noch beinahe weiß sind, bei denen ich aber davon ausgehe, dass ich diese Musik irgendwann hören und schätzen werde und der Bereiche, die "offiziell" als lohnend gelten, wo ich aber gewisse Zweifel habe, ob es für mich das Richtige ist.


    Um beim konkreten Beispiel zu bleiben: Ich habe eher ein schlechtes Gewissen, Dvoraks Klavierquartette so lange übersehen zu haben und stattdessen cpo-CDs mit mehr oder minder lohnender Kammermusik von Onslow, Farrenc oder Raff angeschafft zu haben... ;)
    Oder wie im Falle von Bach-Kantaten oder einigen Verdi-Opern: Ich habe noch so viele Lücken (keine oder recht oberflächliche Kenntnis) bei anerkannten Klassikern, dass ich gegenüber Bononcini oder Boito keine Skrupel haben muss, wenn ich die erst recht vernachlässige. Von den Stücken, die ich zwar ganz gut kenne, von denen ich aber nicht erwarte, jemals mit ihnen "fertig" zu werden, ganz abgesehen.

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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Noch ein Gedanke: Ohne brutal klingen zu wollen, denn der frühe Tod, obgleich damals keine Seltenheit, ist immer schrecklich, ich bedauere musikalisch ehrlich gesagt kaum, dass es von Mozart nicht mehr Werke gibt. Ich kann ja kaum alle die hören, die er hinterlassen hat. Konkret finde ich zwar bedauerlich, dass er das Requiem nicht zu Ende bringen konnte (und vorher auch die c-moll-Messe als Fragment hinterlassen hat) und es wäre sicher hochinteressant gewesen, wenn er als Domkapellmeister eine Reihe von reifen Kirchenmusikwerken geschaffen hätte. Und ohne Frage hätte ein Mozart, der noch 10 oder 20 Jahre länger gelebt hätte, sehr wahrscheinlich eine Fülle herausragender Musik komponiert. Nur gibt es eben auf allen Gebieten schon so viel Außerordentliches von ihm, dass, zumindest ich, hier nur sehr spekulativ-theoretisch etwas "vermissen" kann.


    Ähnlich bei Beethoven (der zwar nicht jung gestorben, aber auch nicht sehr alt geworden ist). Natürlich hätte man gerne eine Zehnte Sinfonie und vielleicht wäre ja auch etwas aus den ehrgeizigen Plänen für Opern oder Oratorien zu Faust, Macbeth, was auch immer, evtl. eine Kooperation mit Grillparzer geworden. (Oder noch fünf späte Quartette, das ist irgendwie unvorstellbar.)


    Schubert ist ein anderer Fall. Der hatte in der Instrumentalmusik gerade erst richtig zu sich selbst gefunden (die Große C-Dur stammt wohl von 1825, die D Nummer ist damit irreführend) und ist etwa drei Jahre später gestorben. Wenn wenigstens die "10." vollendet worden wäre, vielleicht hätte er auch die "Unvollendete" sich nochmal vorgenommen, aber jedenfalls noch einige Werke in seinem reifen Stil komponiert.
    Aber es ist ohnehin Spekulation. Mozart und besonders Schubert waren kommerziell nicht ausreichend erfolgreich, aber der Rossini-Effekt ist eben auch nicht immer auszuschließen; man kann künstlerisch ausgebrannt sein, auch wenn man es sich wirtschaftlich nicht leisten kann. Insofern sind auch Szenarien zumindest denkbar, die noch deprimierender als ein vorzeitiger Tod sind: kaputt, syphilitisch, opiumsüchtig, alkoholabhängig was auch immer, noch 10 Jahre leben, ohne was Maßgebliches zu komponieren.


    Gehört nicht unbedingt zum Thema, fiel mir aber im Kontext der "Überfülle" der klassischen Musik ein.

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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Und da entscheide ich mich oft, jetzt nicht die neueste Version von Bruckners 8. zu hören, sondern eine neue Cavalli - Oper, die ich noch nicht kenne.


    zum Beispiel:

    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Beethoven .... Natürlich hätte man gerne eine Zehnte Sinfonie und vielleicht wäre ja auch etwas aus den ehrgeizigen Plänen für Opern oder Oratorien zu Faust, Macbeth, was auch immer, evtl. eine Kooperation mit Grillparzer geworden. (Oder noch fünf späte Quartette, das ist irgendwie unvorstellbar.)


    Ebenso Off Topic: Solche Gedankenspiele gehen mir auch gelegentlich durch den Kopf: Gäbe es doch bloß ein 3. Klavierkonzert von Brahms, ein 6. Klavierkonzert von Beethoven, oder realistischer: hätte Sibelius nur nicht seine 8. ins Feuer geworfen (wie ich mal gelesen hatte) und dann noch 'ne 9. drangehängt. hätte Mahler nicht noch ein paar Jährchen vergönnt gewesen sein können (so bis zur 13. Sinfonie vielleicht)??? usw. usw. usw.


    Grüße,


    Garaguly

  • Gäbe es doch bloß ein 3. Klavierkonzert von Brahms, ein 6. Klavierkonzert von Beethoven,


    Gibt es doch:



    Bei Beethoven steht auch hier ausdrücklich No 6, habe es jedoch auch auf anderen Cover’s gesehen … :thumbsup:

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Bei Beethoven steht auch hier ausdrücklich No 6, habe es jedoch auch auf anderen Cover’s gesehen …


    Dabei handelt es sich um Op.61, die Klavierfassung des Violinkonzerts.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Wie gesagt, ich vermisse eigentlich kein 3. Klavierkonzert von Brahms. Weil es kein Fragment gibt und weil ich nicht den Eindruck habe, dass Brahms irgendetwas nicht umgesetzt hat, was er wirklich umsetzen wollte. Tatsächlich hat er ja die Klarinettenwerke und die späten Klavierstücke geschrieben, nachdem er eigentlich schon beschlossen hatte, sich zur Ruhe zu setzen! Das wäre natürlich ein großer Verlust gewesen und zeigt, dass sich Komponisten anscheinend manchmal selbst nicht klar darüber sind, was noch in ihnen steckt.
    Dagegen aber eben ein Fall wie Sibelius, der in den letzten 30 Lebensjahren kaum mehr etwas komponierte.


    Man weiß natürlich nicht genau, um wieviele Werke es sich handelt und wie weit sie fortgeschritten waren, aber Brahms hat vermutlich dutzende Werke vernichtet, nicht nur Skizzen und Fragmente. Manches mag eine seltsame Art von Koketterie gewesen sein, aber die komplexe Enstehung von der 1. Sinfonie, auch des 1. Klavierkonzerts oder des Klavierquintetts sind belegt. Von diesem Stück, das wohl zuallererst eine Sinfonie werden sollte, existierte eine Urfassung als Streichquintett mit zwei Celli, die Joachim vorlag, der sie zu kühn fand. Anscheinend auf dieses Urteil hin, erstellte Brahms die heutigen Fassungen für 2 Klaviere bzw. Klavier und Streichquartett und vernichtete vermutlich die Urversion. Von einem Trio, das er gleichzeitig mit dem späteren C-Dur op.87 komponierte, war mindestens ein Satz fertig, der Claras und Joachims Beifall fand, dennoch wurde das Werk nicht beendet bzw. vernichtet! Es geht hier also nicht bloß um Werke aus der Anfangszeit.
    Andererseits hat Brahms immer noch viel mehr Musik hinterlassen als Bruckner, bei dem sich Selbstkritik oder Unsicherheit eben in zigfachen Umarbeitungen einer Sinfonie zeigte.


    Es gibt von Beethoven Entwürfe für ein echtes 6. Konzert. Irgendwo hat jemand sogar mal diese Skizzen bearbeitet und mp3s davon gepostet. Beethoven hat das Projekt wahrscheinlich auch deswegen abgebrochen, weil er selbst wegen der fortschreitenden Taubheit es nicht mehr selbst hätte öffentlich spielen können. Ich weiß die Daten nicht genau, aber das müsste zeitlich auch kurz vor oder in der "Krise" von ca. 1814-18 gewesen sein, in der Taubheit, Neffe Karl, diverse andere Lebenskrisen auftraten und in der Beethoven nur wenig komponierte.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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