Hallo, liebe Musikfreunde,
mit Pärt möchte ich die Reihe von außergewöhnlichen Musikstücken aus dem 20. Jahrhundert fortsetzen. Ruhig, erhaben, in sich hineinhorchend ist die Vortragsanweisung von „Für Alina“.
Kaum ein Werk zeigt wie dieses, dass auch heute noch Musik möglich ist, die unmittelbar die Gefühle anzusprechen vermag („die meine Seele vollends umgarnt“, wie Ulli so schön geschrieben hatte), und doch unverkennbar aus dem 20. Jahrhundert stammt.
1935 in Estland geboren hatte Pärt im Baltikum alle Schrecken des Stalinismus miterlebt. Nach verschiedenen Versuchen, an die westliche Moderne anzuknüpfen, musste er einsehen, dass das alles nicht geeignet war, um seine Gefühle auszudrücken. So gab er 1968 das Komponieren für 8 Jahre auf und vertiefte sich in die mittelalterliche Musik. Er fand zu einem neuen religiösen Verständnis und war sich natürlich klar, wie weit ihn das innerhalb der UdSSR der Breshnjew-Ära isolieren musste.
„1976 erhebt sich aus dem Schweigen Musik – das kleine Klavierstück Für Alina. Es ist offenkundig, dass Pärt mit diesem Stück zu sich gefunden hat und dass das neue kompositorische Prinzip, das er darin erstmals anwendet, sein Werk bis heute inspiriert. Das Verfahren, das Pärt Tintinnabuli (lat. Glöckchen) nannte, wird nicht durch eine progressiv anwachsende Komplexität erreicht, sondern durch äußerste Reduktion des Klangmaterials und Beschränkung auf das Notwendigste.“ (Quelle)
Es sollte gemeinsam mit „Spiegel im Spiegel“ (1978 ) gehört werden, einem Stück für Klavier und Violine (bzw. Violincello).
Daher gibt es in diesem Fall eindeutig eine Referenzaufnahme mit Malter, Spivakov, Bezrodny und Schwalke bei ECM, siehe die Besprechung bei KlassikAkzente – Link (manchmal wird vergessen, dass KlassikAkzente einfach die Website von Universal Music ist, und ECM ist ein Label von Universal Music).
Dort wird „Spiegel im Spiegel“ dreimal und „Für Alina“ zweimal gespielt, wodurch eine ganz ungewöhnliche Wirkung entsteht. Um den rechten Zugang zu dieser Musik finden zu können, höre ich meist erst ein oder zwei andere Stücke (z.B. die Leonoren-Ouvertüre von Beethoven oder Ouvertüren von Bach), damit die Seele frei wird, sich ganz darauf konzentrieren zu können.
Ich konnte „Spiegel im Spiegel“ 2002 auf Usedom in einer kleinen Dorfkirche mit Spivakov und Bezrodny hören, eins der beeindruckendsten Konzerte, das ich je erlebt habe. In der Kirche ein merkwürdiges Kruzifix, von dem ich dann erfuhr, dass es aus dem Meer angestrandet war und mit viel Phantasie als Erbmasse aus der versunkenen Stadt Vineta angesehen wurde. Wahrscheinlich war es ein Stück aus Schweden, das in einem untergegangenen Schiff für eine Kirche unterwegs war. Ich kann es nicht mehr von dieser Musik trennen.
Viele Grüße,
Walter