Ein umjubelter Beethoven Zyklus? - Beethovens Sinfonien unter Christian Thielemann

  • Endlich ist es soweit - die ersten Exemplare von Thielemanns neuem Beethoven-Sinfonien-Zyklus wandern über den Ladentisch - und man kann seit gestern bei jpc zumindest in Tonschnippsel der ersten und zweiten Sinfonie hineinhören.
    Die restriktive Politik bei Soundsamples erschliesst sich mir nicht ganz - Sony wird aber wohl wissen was sie tut. (?)
    Ab 16. 12. 3011 - also eine Woche vor Weihnachten - soll dann das Album auch via jpc-Versand erhältlich sein.
    Der Threadtitel - Kenner und Bewunderer meiner Threadtitelpolitik werden es vermutlich schon bemerkt haben - ist ein Zwilling zum Chailly-Thread, weil ja beide Aufnahmen nahezu gleichzeitig ins Rennen gehen.


    Ansonst haben die beiden Aufnahmen wenig gemeinsames. Währen Chailly stolz ist, die Tempovorgaben Beethovens als erster mit einem großen, traditionellen Orchester realisiert zu haben, geht Thielemann andere Wege. Ich empfehle den Hörvergleich des 2. Satzes der Sinfonie Nr 1. Keine Schlüsselstelle - zugegebenermaßen - aber dennoch ist der Unterschied klar hörbar. (und vor allem ist diese Stelle jedem via jpc-Link zugänglich - auch wenn er die Aufnahme noch nicht besitzt. Dieser Zyklus weckt in jedem Fall nostalgische Gefühle und lässt Raum und Zeit für schwelgerischen Klang - ein Beethoven wie ihn sich viele wünschen - und das in bester Tonqualität. Erhebt sich die Frage: Wer macht in diesem Weihnachtsgeschäft das Rennen ? Järvi, Chailly oder Thielemann ???
    Herbert von Karajan natürlich - Universal (DGG) hat ihm eine gesamte Seite Werbung im Fonoforum spendiert - noch dazu die letzte - sie ist üblicherweise auch die teuerste ..........


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Thielemann über sein Beethoven-Dirigat:


    „Ich werde weder in München und später auch nicht in Dresden so schnell wieder Beethoven dirigieren. Wenn man 20 Tage hintereinander Schnitzel gegessen hat, sagt man auch 'Jetzt reicht´s'.“


    (Gefunden auf http://www.focus.de)


    Was meint Ihr dazu?


    Noch ein Thielemann-Zitat, diesmal zu historischer Aufführungspraxis und kleiner Besetzung mit schlankem Klang:


    „Das ist auch eine Modesache, so wie Coco Chanel das 'Kleine Schwarze' erfunden hat.“


    Ich meine eher, Modesache wäre vor allem Wagners Erfindung des spätromantischen Orchesterklanges und dessen Anwendung auf Beethoven, aber ok ... solange er nicht behauptet, Bach hätte sich bei seinen Kantatenaufführungen lediglich willenlos den gängigen Moden unterworfen ...


    ... das "kleine Schwarze" wurde 1926 erfunden und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Das klingt doch hoffnungsvoll für HIP! Wenn es so gemeint war, kann ich es freilich akzeptieren. Eine sehr seltsame, aber irgendwo auch charmante Art, etwas zu HIP zu sagen.

  • Bei "ZEIT online" findet man unter dem Titel "Heldengeschichten aus dem Wiener Wald" eine recht ausgewogen klingende Kritik, die folgendes Fazit in ihren letzten beiden Absätzen zieht:


    Dass sich am Ende eines solchen Zyklus’ Erschöpfung breitmacht, dass Hörner kieksen oder ein Streichereinsatz mal schlierig klingt – geschenkt. Doch was ihre geistige Grundhaltung betrifft, müssen die Wiener Philharmoniker höllisch aufpassen, nicht ins Museale abzugleiten. In Berlin gibt es mindestens drei Orchester, die derzeit spannender klingen: Das DSO ist in seinen besten Momenten präziser im Zusammenspiel, die Staatskapelle im Tutti ausgewogener, und Simon Rattles Orchester deutlich wendiger, wacher, stilistisch flexibler.


    Die Wiener musizieren, wie sich ihre Heimatstadt anfühlt: im Gestern gefangen. Nun ist es ja nicht so, dass die kollektive K.u.k-Nostalgie keinen Charme hätte. Vier Konzerte lang lässt sich ein Klang aus fernen Zeiten durchaus mal genießen in der Philharmonie – mit der Gewissheit, dass ab Donnerstag hier wieder die Heim-Mannschaft aufspielt. Nach allen Regeln der new school.

  • Doch was ihre geistige Grundhaltung betrifft, müssen die Wiener Philharmoniker höllisch aufpassen, nicht ins Museale abzugleiten.

    Der gute Berliner Kritiker scheint eben nicht auf die Idee zu kommen, dass dies eine kalkulierte Attitüde der Wiener Philharmoniker ist.



    Zitat

    In Berlin gibt es mindestens drei Orchester, die derzeit spannender klingen: ...

    Geschenkt. Das Wiener Publikum will zuerst klangschönes Musizieren, und wenn das gegeben ist, dann darf es auch spannend sein. Und genau das bieten die Philharmoniker, dafür haben sie eine weltweite Fangemeinde. Die Berliner, die es vor allem gerne spannend haben, können sie verschmerzen...



    Die Wiener musizieren, wie sich ihre Heimatstadt anfühlt: im Gestern gefangen. ... Nach allen Regeln der new school.

    In allen internationalen Statistiken wird Wien als lebenswertere Stadt geführt als Berlin. Wien fühlt sich also ziemlich gut an, man kann den Berlinern die "new school" bedenkenlos überlassen...


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Herbert von Karajan natürlich - Universal (DGG) hat ihm eine gesamte Seite Werbung im Fonoforum spendiert - noch dazu die letzte - sie ist üblicherweise auch die teuerste ..........

    Die ihm die Rückseite spendiert haben, haben auch am meisten an ihm verdient. Über die Qualität der Aufnahmen sagt dies nichts aus. Der Käufer greift zum Namen "Herbert von Karajan", ein Markenartikel egal welchen Inhalts, weil er glaubt, wenn er Karajan im Regal hat, kann er mitreden. Warum sollte der Käufer klüger sein als ein durchschnittliches Opernpublikum und bei der Vielzahl der von Karajan hinterlassenen Tonträger können wohl nur taminos noch unterscheiden, welche davon den Kauf wert sind.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat

    In Berlin gibt es mindestens drei Orchester, die derzeit spannender klingen...


    Das hat man in Berlin immer schon behauptet - nur die Welt hat nichts davon gewusst :hahahaha:


    Ich erinnere mich gut, daß mir vor etwa 40 Jahren ein Wiener Philharmoniker maliziös lächelnd die technischen Vorzüge und die Überlegenheit in Sachen Präzision diverser ausländischer (damals vorzugsweise amerikanischer Orchester) aufzählte - umd dann grinsend zu schliessen : "Aber bei uns klingts halt besser".......... :hahahaha:


    Subjektiv empfinde ich die Kritik der Zeit eher unterschwellig destruktiv, das was gut ist - und nicht zu überhören ist, wird gelobt - gelegentlich mit ironischem Unterton - für den man jedoch ein feines Gespür braucht.


    Zitat

    Die Wiener musizieren, wie sich ihre Heimatstadt anfühlt: im Gestern gefangen.


    Wir sind nicht gefangen - wir fühlen uns - zumindesten die meisten von uns - im gestern sehr wohl.
    Und wir vermarkten dieses "gestern" touristisch - und leben recht gut davon.


    Man muß heutzutage leider feststellen, daß neutrale Kritik gar nicht mehr stattfindet - sie ist immer ein wenig weltanschaulich mitgefärbt.
    Die Presse-Wien - nicht linksliberal sondern konservativ - schreibt:

    Zitat

    "Aus großteils verwechselbarem Angebot ragt Thielemanns Deutung der Beethoven Sinfonien turmhoch hervor"


    Wie einige bereits wissen habe ich die Box heute erworben - und ich habe traditionsgmäß die "Fünfte" abgehört.
    In der Tat hat die "Zeit" einiges geschrieben, das sich mit meine ersten Eindrücken deckt.
    So, daß nicht etwa generell ein langsames Tempo gewählt wird, sondern daß Thieleman sich raffiniert den Gegebenheiten anpasst, Tempo und Ausdruck variert, vom zartesten Schmelz zum Furioso, was durchaus beeindruckend ist. Ich würde ihn durachaus als "Klangmagier" bezeichnen, der die "Farbe" dr sinfonie andauernd changieren lässt - und so die Hörer quasi hypnotisiert - so sie dafür prädestinert sind. Was für ihn zählt ist der grandiose positive Gesamteindruck.


    Ich habe mich heute beim Händler wo ich die CD in der Wiener Innenstadt gekauft habe (sie war in einigen Geschäften nicht vorrätig) erkundigt, welche der beiden Neueinspielungen auf größere Resonanz stösst. Man erklärte mir, daß die Thielemann- Box vermutlich bis Weihnachten mehr Kaufwillige anlocken würde als Lieferkapazitäten vorhanden sind....


    Vielleicht noch eine Aussage zur Wiener Kritik: Ich halte die Aufnahmen (bisher habe ich nur die 5 durchgehört) für eine sehr gute - und in gewisser Weise auch heraussragende - weil sie gegen den Strom der Zeit schwimmt.
    Aber natürlich gibt es auch andere vorzügliche Beethoven Zyklen.




    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • In Berlin gibt es mindestens drei Orchester, die derzeit spannender klingen...[/qutote]


    Das hat man in Berlin immer schon behauptet - nur die Welt hat nichts davon gewusst

    Nun ja. Über die spieltechnischen Kompetenzen der Wiener Philharmoniker sagt ja bereits die Kritik aus Berlin Unwiderlegbares. Auch zu Alfreds Beherrschung der [/quote] und [/jpc]-Kommandos des Editors des eigenen Forums könnte man ja etwas sagen, wenn man wollte. Aber vielleicht wirkte der gemeinsame genius loci bei beiden Phänomen in segensreicher Weise.



    Ich erinnere mich gut, daß mir vor etwa 40 Jahren ein Wiener Philharmoniker maliziös lächelnd die technischen Vorzüge und die Überlegenheit in Sachen Präzision diverser ausländischer (damals vorzugsweise amerikanischer Orchester) aufzählte - umd dann grinsend zu schliessen : "Aber bei uns klingts halt besser"..........

    Solche kaum beweisbaren Sätze sind kleine geistige Münze, aber der billige Lokalchauvinismus sei erlaubt. Die Engländer sind ja auch der Meinung, sie hätten eine hervorragende Küche und untermauern dies mit Aussagen von Engländern. Es ist halt beides mit Vorsicht zu genießen, vor allem, wenn man nicht in England bzw. Wien geboren wurde.



    Zitat Die Wiener musizieren, wie sich ihre Heimatstadt anfühlt: im Gestern gefangen.


    Wir sind nicht gefangen - wir fühlen uns - zumindesten die meisten von uns - im gestern sehr wohl.
    Und wir vermarkten dieses "gestern" touristisch - und leben recht gut davon.

    Dass Ihr Euch im Gestern wohlfühlt, glaube ich sofort! Vor allem: Es klingt so authentisch!



    Man muß heutzutage leider feststellen, daß neutrale Kritik gar nicht mehr stattfindet - sie ist immer ein wenig weltanschaulich mitgefärbt.

    Ja. Dasselbe hatte ich jüngst auch bemängelt, worauf mir wie folgt geantwortet wurde:



    Aber natürlich kommt in meinen Beiträgen meine Persönliche Weltsicht zum Tragen - das ist unvermeidlich.

    Ja meine Güte, es ist doch normal, dass die Wiener ihre Philharmoniker loben - warum auch nicht? Was auch sonst? Rapid und Austria Wien sind ja nicht der Rede wert ... Oder wie man in Mainz sagt: Jedem Narr gefällt sei' Kapp'. :hahahaha:

  • Ich habe es mir doch gedacht, auch in diesem Thread geht's wider um "Wien gegen Berlin", wobei wenigstens im Forum die Wiener wegen der beiden Wiener Großadministratoren klar im Vorteil sind. Wäre doch spannend, wenn einer der Beiden aus Berlin wäre.
    Am besten in den bisherigen Beiträgen gefällt mir aus dem letzten Beitrag (von Wolfram) der letzte Satz:


    Zitat

    Wolfram: ..Oder wie man in Mainz sagt: Jedem Narr gefällt sei' Kapp'.


    - Narhallamarsch!


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Um es mal deutlich zu sagen: Thielemanns Beethoven-Zyklus ist m. E. nicht wegen der Wiener Philharmoniker nicht Spitzenklasse, sondern trotz der Wiener Philharmoniker. Überhaupt ist eine Kritik an Thielemann doch eher gegen Berlin, wo er doch selber Berliner ist. :D


    Aber die Wiener Philharmoniker haben bessere Aufnahmen in der Vergangenheit gemacht. Vergleicht doch nur mal die "Eroica" von Bernstein mit der von Thielemann. Oder die Vierte von Klemperer (1968 live) mit der von Thielemann. Oder die Neunte von Böhm (1980) mit der von Thielemann. Oder die Fünfte von C. Kleiber mit der von Thielemann (und ich bin nicht mal ein besonderer Kleiber-Fan). Wenn man da keinen Unterschied merkt, muß ich mich schon fragen ... Dagegen ist Thielemann mittelmäßig, sagen wir es doch offen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Erstens ist einer der beiden Administratoren (Theophilus) kein Wiener, sondern Grazer, deshab führt er auch das Grazer Wappen als Avatar. Zweitens ist es kein Vorteil in einer Auseinandersetzung wenn man Admin ist. Da man möglichst viele Forenmitglieder ans Forum binden will kann man nicht so beleidigend formulieren wie die Gegenseite dies oft tut -selbst wenn man privat ein Meister in diesem Fach ist.


    Aber es geht in Sachen Thielemann gar nicht Wien gegen Berlin - es geht darum wie das Publikum - die Käufer auf die Thielemann Aufnahme mit den Wienern reagieren. Der Aufnahme wird vermutlich eine Schlüsselposition zukommen.
    Die (IMO gar nicht so schlechte) Einspielung mit Rattle - die Wiener wollten probieren ob sie auch mit "zeitgemässeren Aufnahmen beim Publikum ankommen at die kommerziellen Erwartungen nicht erfüllt.
    Thielemann und die Wiener passen jedoch von der Mentalität -bei aller Verschiedenheit- offensichtlich gut zusammen - und die angepeilte Zielgruppe ist offensichtlich auch vorhanden. Ein neues Zeitalter der Rückbesinnung auf ein traditionelles Beethoben Bild hat begonnen -Zumindest medial - denn absolut betrachtet sind die Gemaiesamkeiten mit Furtwängler eher marginal -Thielemann hat eigen Vorstellungen von Beethoven. Wahr ist allerdings, daß sich die weitgehend vom derzeit gepushten Beethovenbild unterscheiden...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Thielemann und die Wiener Philharmoniker passen wegen ihrer erzreaktionären Mentalität wirklich zusammen. Insofern hat sich ein Traumpaar gefunden wie seit Böhm nicht mehr. :D


    Aber: Bei Böhm überzeugten mich die Ergebnisse deutlich mehr. Und auch beim "linken" Bernstein und Abbado klang es für meinen Geschmack stimmiger. Insofern sollte man dem wohl nicht zuviel Bedeutung beimessen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Thielemann und die Wiener passen jedoch von der Mentalität -bei aller Verschiedenheit- offensichtlich gut zusammen - und die angepeilte Zielgruppe ist offensichtlich auch vorhanden.


    Nehmen wir mal an, es stimmt, dass Thielemann und die Wiener Philharmoniker mental gut zusammen passen. Nehmen wir weiterhin an, dass wegen dieser Affinität zueinander ein künstlerisch bedeutendes Resultat entstanden wäre. Ich sage nicht, dass dies meine Meinung wäre - ich sage nur: nehmen wir es einmal an, um des Gedankenexperimentes willen.


    Wie ist dann zu erklären, dass der mental sicher völlig andere gestrickte Leonard Bernstein einen Beethoven-Zyklus mit den Wienern geschaffen hat, der zu den zehn besten jemals produzierten gehört? - Im Übrigen sind auch die Klavierkonzerte 3-5 (mit Krystian Zimerman) mit Bernstein und den Wienern nicht gerade von schlechten Eltern.


    Danke an Joseph II. für den Hinweis!

  • Zitat

    Aber es geht in Sachen Thielemann gar nicht Wien gegen Berlin - es geht darum wie das Publikum - die Käufer auf die Thielemann Aufnahme mit den Wienern reagieren. Der Aufnahme wird vermutlich eine Schlüsselposition zukommen.


    Na, in Wien vielleicht?! Ansonsten ist der Zyklus höchst mittelmäßig und damit überflüssig. Dabei Spieltrieb Frage nach der Qualität des Orchesters keine Rolle, der Zyklus wäre auch mit den Berliner Philharmonikern oder dem Concertgebouw, um nur zwei Orchester zu nennen, die ich dieses Jahr live immer besser als die Wiener gehört habe, mittelmäßig.



    Zitat

    Thielemann hat eigen Vorstellungen von Beethoven.


    Genau das ist eben nicht der Fall! Jedenfalls höre ich keinen interpretatorischen Ansatz der eine rote Linie erkennen ließe, auch erhält nicht jede Sinfonie eine ihr gebührende interpretatorische Linie. Munteres aber eher konzeptionsloses Drauflos-Musizieren, "Klangschönheit", was auch immer das sei, reicht niemals als interpretatorisches Konzept, schon gar nicht bei Beethoven
    Vielleicht noch zur Klarstellung: meine Beurteilung erschließt sich aus den Mitschnitten bzw. Youtube-Videos.


    Was übrigens die Kritiken betrifft, das Wort "Klangmagier" wird ebenso gerne benutzt wie "Frischzellenkur" und hat die gleiche Aussagekraft: keine!

  • Wie ist dann zu erklären, dass der mental sicher völlig andere gestrickte Leonard Bernstein einen Beethoven-Zyklus mit den Wienern geschaffen hat, der zu den zehn besten jemals produzierten gehört?


    Ganz einfach: weil du offenbar nicht weißt, dass es zwischen Bernstein und den Philharmonikern ein geradezu herzliches Verhältnis gegeben hat. Bernsteins mediale Liebeserklärungen an das Orchester sind legendär. Dirigenten halten sich da ansonsten meist sehr zurück, um ihre anderen Arbeitsplätze nicht zu belasten.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ganz einfach: weil du offenbar nicht weißt, dass es zwischen Bernstein und den Philharmonikern ein geradezu herzliches Verhältnis gegeben hat.


    Nun, der Wert des künstlerischen Ergebnisses von Leonard Bernstein und den Wienern hängt vermutlich nicht von meinem angeblichen Unwissen ab. :hello:


    Das Verhältnis zwischen Lenny und den Wienern ist mir bekannt. Nicht nur der Beethoven-Zyklus geriet ja spektakulär, sondern auch die Einspielungen der letzten sechs Mozart-Sinfonien, der drei letzten Klavierkonzerte Beethovens, die Schumann-Sinfonien nebst Cellokonzert mit Maisky (das Klavierkonzert mit Justus Franz ist something else ...) und auch die Brahms-Konzerte mit Krystian Zimerman, Gidon Kremer und Misha Maisky.


    Ich wollte ja lediglich hinterfragen, in wie weit mentale Affinität ein guter Indikator für künstlerische Ergebnisse ist.

  • Ich wollte ja lediglich hinterfragen, in wie weit mentale Affinität ein guter Indikator für künstlerische Ergebnisse ist.

    Und warum hast du dann Bernstein der bekannt guten Affinität zwischen Thielemann und dem WPO gegenübergestellt? Wenn du es ohnehin weißt, wozu dann die rhetorische Frage?


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Wolfram: Nehmen wir mal an, es stimmt, dass Thielemann und die Wiener mental gut zusammenpassen.......Wie ist dann zu erklären, dass der mental sicherlich völlig anders gestrickte Leonard Bernstein einen Beethoven-Zyklus mit den Wienern geschaffen hat, der zu den zehn besten jemals produzierten gehört?


    Wenn, lieber Wolfram, die Wiener Philharmoniker wirklich so gut sind (oder waren), wie immer gesagt wird, dann werden sie zweifellos in der Lage sein, gut mit Dirigenten zusammen zu arbeiten, die mental völlig gegensätzlich sind. Was nun Leonard Bernstein betrifft, so wage ich mal in meiner grenzenlosen Inkomptenz zu behaupten, der gehörte sicherlich zu einem kleinen Kreis der besten Dirigenten aller Zeiten. Und diese Kaliber können sich auf jedes Orchester einstellen. Wenn dann das Orchester auch noch in der Lage ist, sich gut auf verschieden "gestrickte" Dirigenten einzustellen, dann muss ja eigentlich etwas Gutes dabei herauskommen.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    ich gebe Dir recht - aber Alfred hatte das künstlerische Ergbenis ja nicht auf die Fähigkeit des Orchesters, sich auf verschiedene Dirigenten einzustellen, zurückgeführt, sondern auf eine gewisse mentale Affinität.


    Von der Fähigkeit des Orchesters, sich auf verschiedene Dirigenten einzustellen, sagte er m. E. nichts.

  • Zitat

    Ich wollte ja lediglich hinterfragen, in wie weit mentale Affinität ein guter Indikator für künstlerische Ergebnisse ist.


    Es ist nicht unbedingt erforderlich - zahlreiche Beispiele belegen dies. Die Münchner mochten Celibidache nicht unbedingt - aber sie brauchten ihn. Mravinsky war wohl bei den Leningradern auch nicht beliebt, und Böhm war auch nicht immer angenehm (aber ich glaube, daß die Wiener Philharmoniker ihn mehrheitlich mochten). Die Ergebnisse sind über jeden Zweifel erhaben.


    Im Falle von Thielemann und den Wiener Philharmonikern stellt sich die Sache ein wenig anders dar. Hier wird ein Dirigent von einer gewissen Gesellschaft permanent angegriffen und schlecht gemacht und einflußreiche Kreise sägen am Image dieses Dirigenten - ohne sich auch nur im entferntesten vorstellen zu können, daß sie mit ihren Aussagen über ihn genau das Gegenteil erreichen , von dem was sie bezwecken - eine klassische Fehleinschätzung der momentanen Stimmung. Und dann kommt das quasi "weltbeste" Orchester (da mögen gewisse Zeitungskritiker noch so hoch springen vor Ärger - in der Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit sind sie das) und stellt sich nicht nur schützend vor ihn - sondern bezeichnet ihn als Idealfall eines Dirigenten. Dann entsteht gerade mit diesem Dirgenten eine neuer Zyklus eines der Schlüsselwerke der "Wiener Klassik" - nicht etwa eine Aufnahme von Werken Stockhausens, Ligetis, oder Henze.
    Und diese Aufnahme wird von der Wiener Presse, geradezu euphorisch gelobt (egal ob zu Recht oder zu Unrecht) .
    Das hat Symbolcharakter. Dazu noch die wertige Verpackung (man sollte das nicht unterschätzen und sich dummerweise darüber lustig machen). Seit Karajans Zyklus (1962) habe kann ich mich nie wieder an eine Verpackung in goldgeprägte Leinenkassete erinnern. War das alles ? Nein. Deutschlands Klassikpapst Joachim Kaiser führt lange fachliche Gespräche mit Thielemann und sein Beethovenbild (wenngleich nur auf Video-Disk zu haben) - eine weitere Ikone, welche Thielemann ernst nimmt und sich mit ihem nicht nur auseinandersetzt - sondern sich - im Gegenteil - sogar mit ihm zusammensetzt...


    Aber da gibt es doch immer wieder Leute im rennomierten Tamino Klassikforum, die meinen die Wiener Philharmoniker und Thielemann wären gar nicht so spannend (Etwas was man dieser Aufnahme - ich war selbst überrascht - beim besten Willen nicht nachsagen kann !!) - Was empfehlen denn die ? Und da kommt man dann auf eine alte Readers Digest Aufnahme, oder auf ein relativ unbekanntes deutsches Kammerorchester, oder eines aus der skandinavischen Provinz unter einem Dirigenten den nur wenige kennen. :hahahaha:


    Aber nun genug der Sticheleien - zurück zum Thema - und Asche auf mein Haupt :stumm:


    Beste Grüße aus dem "reaktionären" Wien :D
    wünscht Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Zitat

    Und dann kommt das quasi "weltbeste" Orchester (da mögen gewisse Zeitungskritiker noch so hoch springen vor Ärger - in der Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit sind sie das)


    Ja, ja, die "Welt"öffentlichkeit in unserem Nachbarland, die ich für ihre Café-Spezialitäten und ihre Mehlspeisen sehr Schätze, deren bester musikalischer Export momentan aber nicht die Philharmoniker sind. Jedenfalls werden die Wiener zu recht im für manchen wohl unerheblichen Teil der Rest der Welt zu recht unter die besten Orchester gerechnet aber eben nicht als bestes angesehen, auch nicht unter der Mehrzahl meiner Musikerkollegen.
    Wenn es paßt sind dann die Kritiker wieder recht, die dann bei anderen Fragen wie Inszenierungsfragen wüst beschimpft werden. Es ist schon praktisch, wenn man sich seine Welt passend zusammenlügen kann.


    Zitat

    Aber da gibt es doch immer wieder Leute im rennomierten Tamino Klassikforum, die meinen die Wiener Philharmoniker und Thielemann wären gar nicht so spannend (Etwas was man dieser Aufnahme - ich war selbst überrascht - beim besten Willen nicht nachsagen kann !!) - Was empfehlen denn die ? Und da kommt man dann auf eine allte Readers digest Aufnahme, oder auf ein relativ unbekanntes deutsches Kammerorchester, oder eines aus der skandinavischen Provinz unter einem Dirigenten den nur wenige kennen


    Berliner Philharmoniker
    Cleveland Orchestra
    Chamber Orchestra of Europe
    Orchestre revolutionaire et romantique
    Orchestra of the Eighteenth Century


    Dr. Wilhelm Furtwängler
    Georg Szell
    Nikolaus Harnoncourt
    John Eliot Gardiner
    (die alle so unbekannt sind, daß auch sie Aufnahmen mit den Wienern gemacht haben)
    Frans Brüggen


    Wenn aber nur die wirklich bekannten Namen gute Aufnaen machen, dann sollten wir auf den Zyklus von André Rieu warten, der vermutlich wenigstens wirklich neue Einsichten liefern würde. Bis dahin werde ich mir meine Beethovenzeit aber sicher nicht mit dem mittelmäßigen und langweiligen Thielemann vertreiben!

  • War das alles ? Nein.

    Leider nicht. Es kam noch schlimmer:


    Deutschlands Klassiklpapst Joachim Kaiser führt lange fachliche Gespräche mit Thielemann und sein Beethovenbild... - eine weitere Ikone welche Thielemann ernst nimmt und sich mit ihem nicht nur auseinandersetzt - sondern sich - im Gegenteil - sogar mit ihm zusammensetzt...

    Ich hatte für Kaiser lange Zeit etwas übrig, hielt ihn wirklich für einen zu Recht angesehenen Fachmann. Die wenigen Ausschnitte dieser Zweigespräche zwischen Thielemann und Kaiser Joachim, die ich anzuschauen ausgehalten habe, waren für mich die reinste Farce! Ein weichgespültes Marketinggelaber auf Klassikradio-Niveau. Ich höre einen Wiener Freund mit herzlicher Abneigung in breitem Akzent rufen: "Ent-setz-lich". Das bringt es auf den Punkt.


    In diesem Sinne frohes Diskutieren und beste Grüße
    Accuphan
    :hello:


    PS: Was machen eigentlich die Gerüchte?? Ach ja, anderer Thread... ;)

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Dr. Wilhelm Furtwängler

    Der Titel ist wichtig? Ist mir noch nie begegnet...


    Wenn abernte die wirklich bekannten Namen gute Aufnaen machen, dann sollten wir auf den Zyklus von André Rieu warten, der vermutlich wenigstens wirklich neue Einsichten liefern würde.

    Das ist ganz bestimmt sogar richtig. Dessen Einsichten wären fast spannend... ;)

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Ich bekomme hier allmählich den Eindruck, daß hier versucht wird den Thread zu zerschiessen - was ich auf den Tod hasse.


    Hier ein Artikel der konservativen Tageszeitung "Die Presse" - wie sie die Kampagnen gegen Thielemann einschätzt.
    Er trägt den Bezeichnenden Titel "Warum ist Christian Thielemann so gut ?!


    http://diepresse.com/home/kult…ristian-Thielemann-so-gut


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe den Artikel mit Interesse gelesen, lieber Alfred, und manches von dem, was ich da gelesen habe, kam mir bekannt vor. Ich werde mich jetzt nicht aktiv in das Pro und Contra einmischen, ich urteile nur von dem her, was ich bisher live erlebt habe (2003 Schöpfung in Berlin, dieses Jahr Bruckners Achte in Essen), und das hat mir sehr gut gefallen. Die Beethoven-Konzerte habe ich allesamt auf Classica gesehen, und als jemand, für den es gerade bei Beethoven nicht nur eine Wahrheit gibt, hat mir auch das gefallen. Genauer werde ich mich damit befassen, wenn ich die Aufnahmen irgendwann in nächster zeit anschaffen und intensiv hören (und sehen) werde, denn ich werde die DVD's anschaffen. Die haben mich bei Järvi auch überzeugt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Hier ein Artikel der konservativen Tageszeitung "Die Presse" - wie sie die Kampagnen gegen Thielemann einschätzt.
    Er trägt den Bezeichnenden Titel "Warum ist Christian Thielemann so gut ?!


    Nun, der Presseartikel zecihnet sich neben seinen Aussagen über Thielemann durch eine sehr österreichische oder sollte ich besswer sagen eine auf die Salzburger Osterfestspiele und das Erbe Karajans zentrierte Sicht der Dinge aus. Das mag diesem Artikel auch unbenommen sein.
    Inhaltlich möchte ich dem Artikel da zustimmen, wo es um Wagner und Pfitzner geht. In diesem Repertoire hat Thielemann mich durchaus schon überzeugt. Ich erinnere mich an den Siegfrid in Bayreuth vor 3 od. 4 Jahren, in dem er ein feines, klanglich gut gestaffeltes, dramatisches Dirigat zeigte und als einziger Akteur neben dem Orchester zu überzeugen wußte.
    Nur, die vorliegenden Beethoven-Aufnahmen sind halt einfach nur biederer, unspannender Durchschnitt. Wer damit leben will und das als oberste Latte ansieht, dem sei das unbenommen. Mir reicht das nicht, Beethoven als Einschlafhilfe ist mir zu schade, um nun auch einmal plakativ und undifferenziert zu werden, wie die hier im Forum offensichtlich besonders geschätzt wird Zumindest, wenn das den bisher zugänglichen Videos und Mitschnitten entspricht. Wenn das nicht so ist, bitte ich meine Einschätzung als nicht vorhanden anzusehen.
    Zum Schluß noch bezüglich der Akzeptanz beim Orchester: ich kenne bei der Staatkapelle in Dresden und den Philharmonikern in Berlin und München auch genügend Musiker, die Thielemann sehr skeptisch gegenüber stehen. Das sagt nichts über die handwerklichen Fähigkeiten Thielemanns aus, zeigt aber sehr deutlich, daß er nicht der konservative, "romantische", rückwärtsgewandte Heilsbringer ist, auf den alle Musiker und Musikliebhaber gewartet hätten. Er hat Stärken und Schwächen wie jeder andere Musiker auch. Und Beethoven gehört eindeutig nicht zu seinen Stärken.

  • Der Kritiker in der Zeit Frederik Hanssen kommt am 6.12. inseinem Artikel "Heldengeschichten aus dem Wiener Wald" zu dem Schluss:


    "Doch was ihre geistige Grundhaltung betrifft, müssen die Wiener Philharmoniker höllisch aufpassen, nicht ins Museale abzugleiten. In Berlin gibt es mindestens drei Orchester, die derzeit spannender klingen: Das DSO ist in seinen besten Momenten präziser im Zusammenspiel, die Staatskapelle im Tutti ausgewogener, und Simon Rattles Orchester deutlich wendiger, wacher, stilistisch flexibler."


    Das ist nun mal so. Ich selbst bin für mich nach dem Anhören der ersten 3 Sinfonien aus den Abbado-Zyklen (zweimal mit den Berlinern und einmal mit den Wienern) zu einem völlig anderen Ergebnis gekommen, die Wiener klingen am besten. Von Thielemann habe ich nur die Neunte mitgeschnitten, die gefällt mir aber auch.


    LG, Bernward


    PS. Für Interessierte empfehle ich, den ganzen Artikel im Internet nachzulesen.


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat von »Accuphan« Zitat von »flutedevoix« Dr. Wilhelm Furtwängler
    Der Dr. ist wichtig? Ist mir noch nie begegnet...


    Für Österreicher und Speziell Wiener schon ..


    Der Vollständigkeit halber sollte man sagen, dass auch Herr Christian Thielemann seit diesem Jahre "Dr." genannt werden darf.


    Die "Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar" hat Herrn Christian Thielemann den Ehrendoktor verliehen. Das hat er gemeinsam mit Wilhelm Furtwängler, dem 1927 der Ehrendoktor der Karls-Ruprecht-Universität zu Heidelberg verliehen wurde.


    Der Vollständigkeit halber: Karl Böhm war "echter" doctor juris.


    Im Übrigen sehe ich es genauso: Für Österreicher und speziell Wiener mag das wichtig sein ... Ephraim Kishon hat mal eine lesenswerte Satire darüber geschrieben, in der er sich darüber ausließ, dass in Wien eigentlich jeder mit "Dr." oder "Prof." angeredet wird. Die Satire gipfelte darin, dass Kishon aus Versehen ein "echten" Wiener Professor "nur" mit "Professor" anredete, was natürlich eine tödliche Beleidigung darstellte ...

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