Aus einem Totenhaus - Wiener Staatsoper, 27.12.2011

  • Es hat schon lange keine Neuproduktion mehr gegeben, die mich nach Ende der Vorstellung so lange noch beschäftigt und so lange nachgewirkt hat wie das „Totenhaus“ in der Regie von Peter Konwitschny. Da der Regisseur während der Vorbereitung nicht zugegen sein konnte, übernahm Alexander Edtbauer die szenische Einstudierung. Dies hätte bei einer „richtigen“ Premiere zu großen Problemen führen können, allerdings handelte es sich ja um eine Co-Produktion mit dem Opernhaus Zürich und somit wurde kein szenisches Neuland betreten.


    Der Eindruck, den der sehr kurze Opernabend (90 Minuten ohne Pause) hinterlässt, ist sehr zwiespältig. Die musikalische Seite lässt keine Wünsche übrig. Es ist Franz Welser-Möst ein Anliegen, dem Wiener Publikum die Werke des Leos Janácek näher zu bringen – eine Tatsache, für die man ihn gar nicht genug loben kann, da der tschechische Komponist fähig war, beeindruckende Melodien und Klangfarben zu zaubern. Im Staatsopernorchester hat Welser-Möst „Mittäter“ gefunden, die dem musikalischen Chef des Hauses gerne folgen, was man besonders beim Vorspiel und während des musikalischen Intermezzos / der Don Juan – Parodie hören konnte.


    Konwitschny versuchte wieder einmal Ort und Zeit der Handlung zu verlegen – und er ist auf hohem Niveau dabei gescheitert. Ich habe das Programmheft nicht gelesen, um möglichst unvoreingenommen die Geschehnisse auf der Bühne schildern zu können. Diese selbst ergeben in sich eine absolut stimmige Handlung, die sich sogar noch zumeist dem Libretto entlang hantelt, doch geht man aus der Vorstellung mit der Erkenntnis raus, dass man zwar das „Totenhaus“ gehört, aber nicht gesehen hat (zumindest nicht so, wie es einst von Dostojewski und Janacek angedacht war). Man sollte es tunlichst vermeiden, verschiedene Produktionen miteinander zu vergleichen, aber in diesem Fall ist es geradezu notwendig. Vor einigen Jahren wurde das selten gespielte Werk im Theater an der Wien gezeigt – unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez und in der Inszenierung von Patrice Chereau. Eine phantastische, aufwühlende Produktion, die Rezeptionsgeschichte geschrieben hat. Leider hat man sich entschieden, diese Produktion ans Haus am Ring zu holen (und wahrscheinlich war es auch nicht möglich), daher griff man auf Konwitschny zurück. Er, der Altmeister der Verstörung, zeigte aber auch, dass er immer wieder die gleichen „Gags“ einbringt und ihm nicht wirklich mehr was Neues einfällt.


    Ein wirklich ärgerlicher (und für das Haus sehr teurer) Gag ist das junge Paar, das nach einigen Minuten in gespielter Empörung seine Sitzplätze im Parkett verlässt und nicht wieder zurückkehrt. Alleine in der ersten Serie entgehen der Staatsoper dadurch Einnahmen aus Kartenverkäufen in der Höhe von fast EUR 1.500,-! Na vielleicht wurde die Gage des Regisseurs um diesen Betrag gekürzt, anderenfalls wäre es vom kaufmännischen Standpunkt aus nicht zu vertreten – da diese Einlage einerseits im Libretto nirgends zu finden und absolut unnötig ist. Vor 30 Jahren hätte sich das Publikum frei nach Thomas Bernhard wahrscheinlich eine „Erregung gestattet“, doch jetzt nimmt man so was mit Schulterzucken zur Kenntnis und ärgert sich höchstens, dass der Ablauf der Oper gestört wird. Nicht mehr als Gags sind auch die Kurzauftritte von Sängern, die aus Logen singen, pseudo-empörte Rufe aus dem Hintergrund („Er lügt!“) und dann noch die Ankündigung der Don Juan-Szene auf Deutsch. Das waren absolut unnötige Einlagen, die man schon lange kennt (und wer ein Asterix-Leser ist, der weiß, dass schon im alten Rom Publikumsschmähungen und sonstige Auflockerungen im Theater verwendet wurden! ;-) ).


    Was ist nun zu sehen? Eine große Wohnung / ein großer Raum (Bühnenbild Johannes Leiacker), zu Beginn des Stückes regnet es draußen, gegen Ende schneit es leicht drinnen. Gut, statt in einem sibirischen Straflager zur Zeit des Zaren sind wir wahrscheinlich bei einer Party der „Diebe des Gesetzes“ im heutigen Russland gelandet. Sämtliche Anwesende dürften vorbestraft sein – allerdings haben sie ihre Strafe schon abgesessen und einige erzählen ihre Geschichte. Es gibt den Kommandanten, der von Alexandru Moisiuc glaubwürdig dargestellt wird.


    Und da unterbreche ich kurz, um meiner Verärgerung über die deutschen Untertitel Ausdruck zu verleihen (die englischen Untertitel habe ich nicht verfolgt) – es ist meiner Meinung nach eine Frechheit, was die Person bei der Übersetzung geleistet hat. Da werden Bezeichnungen beinhart umgeändert, damit sie dem, was auf der Bühne passiert, halbwegs einen Sinn geben. Ich kann mich nicht erinnern, dass im Originaltext eine „Patin“ vorkommt. Den „Kommandanten“ mit „Capo“ zu übersetzen, damit kann ich noch leben. Aber dann noch einen pseudo-modernen „Prolo-Neusprech“ mit ordinären Wörtern zu erfinden, die es so wirklich nicht gibt, geht meiner Meinung doch viel zu weit!Zurück zum Geschehen auf der Bühne. Man muss dem Regisseur zu Gute halten, dass er wirklich bemüht war, jedem einzelnen Darsteller eine Persönlichkeit zu geben, was ja gar nicht so leicht ist, da bis auf ein paar wenige Sänger jeder nur eine Art Stichwortgeber ist.


    Im Original-Totenhaus wird eine geschlossene Männergesellschaft beschrieben, die sich in einem russischen Straflager herangebildet hat, das Konwitschny-Stück handelt von der Russen-Mafia, und das hat er gut umgesetzt. Lesern, die sich noch nicht mit dieser unehrenwerten Gesellschaft beschäftigt haben, sei zum besseren Verständnis der Inszenierung eine Dokumentation ans Herz gelegt, die man auf Youtube anschauen kann - http://www.youtube.com/watch?v=GX72evnav2c – es zahlt sich wirklich aus!


    In dieser Gesellschaft ist Alexander Gorjantschikow (Sorin Coliban) ein Außenseiter, der überhaupt nicht zu den anderen passt, da er kein Mörder ist, sondern als politischer Gefangener in Haft war. Während im Original die Ankunft und dann die Entlassung dieser Figur de facto der Rahmen ist, in dem die Geschichte spielt, wird in dieser Inszenierung Gorjantschikow zum Schluss erschossen. Na ja. Schön rausgearbeitet, aber bezogen auf die zeitliche Veränderung ziemlich sinnentleert sind die Szenen, in denen der Obgenannte dem Aljeja (Gergely Németi) Lesen und Schreiben lehrt.


    Ihre Sekunden des Ruhmes haben im Laufe der 90 Minuten auch Carlos Osuna (Großer Sträfling), Hans Peter Kammerer (Kleiner Sträfling), Benedikt Kobel (Tscherewin), ein an den Ohren lang gezogener Michael Roider (Schapkin – seine Rolle ist etwas länger), Tae-Joong Yang (Junger Sträfling), Jaroslav Pehal (Schmied), Michael Wilder (Koch), ein wie immer alles aus einer Rolle herausholender Clemens Unterreiner (Betrunkener Sträfling), Janusz Monarcha (Tschekunow), Franz Gruber und Florian Tomaschitz (1. und 2.Wache). Der Phantasie jedes Regisseurs bleibt vorenthalten, wie die „Theatervorstellung“ dargestellt wird – und da kam mir in den Sinn, dass es für Regisseure doch sehr nett ist, dass man seine persönlichen Probleme auf der Bühne darstellen lassen kann, sich de facto selbst zu therapieren versucht – und noch dafür gut bezahlt bekommt! Markus Eiche (Don Juan), Peter Jelosits (Kedril) und Donna Ellen (Dirne) fanden sich in einer kleinen Orgie wieder (die – und das möchte ich betonen – allerdings perfekt zu dem Theaterstück von Konwitschny passte), ein bisserl Sado-Maso, ein bisserl angedeuteter Geschlechtsverkehr, ein bisserl Fellatio trug zur guten Laune der Mafia-Gesellschaft und zu einem verhaltenen Gähnen des Publikums bei. Ja, obwohl das Stück doch kurz ist, ertappte ich mich dabei, des Öfteren auf die Uhr zu sehen – das ist mir im Theater an der Wien nie passiert!


    Herwig Pecoraro war ein sehr jugendlicher „ganz alter Sträfling“, der sich vor der Theaterstellung am Pole-Dancing versuchte. Leider verzichtete Konwitschny total darauf, zum Schluss der Oper das besungene Motiv des Adlers, des Symbols der Freiheit, szenisch umzusetzen. Was im Original doch wie ein letzter Hoffnungsschimmer besteht, wird hier auf der Bühne ignoriert, ein Erschossener in der Matrjoschka-Puppe sagt doch etwas komplett anderes aus….


    Drei Sträflinge / Diebe im Gesetz haben längere Monologe. Misha Didyk, den das Wiener Publikum schon in der Lady Macbeth of Mzensk kennengelernt hat, war ein etwas zu verhaltener Luka Kusmitsch, Herbert Lippert fühlte sich als Skuratow sicht- und hörbar wohl, was meinen Sitznachbarn beim Schlussapplaus enthusiasmierte. Sängerisches Highlight war aber der Auftritt des Christopher Maltman, der als Schischkow in Wien endlich sein Debüt gab. Ein volltönender Bariton, der auch mit der Sprache keine Probleme zu haben schien (dankenswerter Weise sind die Janácek-Neuproduktionen in der Originalsprache gehalten) und auch eine große Ausstrahlungskraft besitzt.


    Trotz vieler Vorbehalte empfehle ich den Besuch dieser Produktion, besonders, wenn man die Originalgeschichte nicht kennt. Der Abend ist großartig musiziert, die Gesangsdarbietungen, auch die des Staatsopernchors unter der Leitung von Martin Schebesta, sind fehlerfrei und von hohem Niveau. Das zu dieser Musik auf der Bühne gezeigte und teilweise an Text des Totenhauses angelegte Stimmungsbild der Russland-Mafia ist auch überzeugend umgesetzt, ein paar alte Gags können einem schlussendlich das Ganze auch nicht madig machen.

    Hear Me Roar!

  • . Vor einigen Jahren wurde das selten gespielte Werk im Theater an der Wien gezeigt – unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez und in der Inszenierung von Patrice Chereau. Eine phantastische, aufwühlende Produktion, die Rezeptionsgeschichte geschrieben hat. Leider hat man sich entschieden, diese Produktion ans Haus am Ring zu holen (und wahrscheinlich war es auch nicht möglich), daher griff man auf Konwitschny zurück. Er, der Altmeister der Verstörung, zeigte aber auch, dass er immer wieder die gleichen „Gags“ einbringt und ihm nicht wirklich mehr was Neues einfällt.


    Lieber Dreamhunter, ich habe deinen Bericht über diese Oper mit großem Interesse gelesen. Man sieht, wie genau du das Stück kennst. Ich möchte hier auf zwei Artikel verweisen, die diese Vorstellung ergänzen.


    1. Im Satire-Forum mein Artikel "Wie marthaleriisere ich eine Oper" über die "Sache Makropulos". Konwitschny scheint hier mit dem Totenhaus das gleiche Schindluder getrieben zu haben.


    2. Im Opernführer "Totenhaus" von musikwanderer habe ich die einschlägigen CDs und vor allem auch die beiden DVDs eingehend besprochen. Dabei habe ausführlich Inszenierung, Sänger, Orchester und Dirigent der beiden Aufnahmen Chéreau/Boulez und Grüber/Abbado verglichen. Das von dir oben zitierte Werturteil über die Chéreau/Boulez - Aufnahme konnte ich dabei nicht teilen, wobei ich allerdings zugeben muss, dass ich nur die DVD kenne, nicht die Originalinszenierung. Mein Fazit (etwas böse, aber ich halte daran fest):


    Chéreau/Boulez: das ist ein Chéreau - Film über ein sibirisches Straflager mit dem soundtrack eines gewissen Janacek


    Grüber/Abbado: hier wird die Oper "Aus einem Totenhaus" von Janacek vorgestellt

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Lieber Dr.Pingel,


    danke für das Feedback. Ich kenne nur die Chereau-Inszenierung, die ich bei der Premiere im TadW miterlebt habe (und ergriffen rausgekommen bin). War für mich eine der emotionell stärksten Opernerlebnisse, die ich jemals hatte..


    Ich werde mir aber die Produktion von Grüber/Abbado zulegen, damit ich einen Vergleich habe!


    LG

    Hear Me Roar!

  • Weil ich aus deiner Kenntnis des Totenhauses annehmen muss, dass dein Urteil über die damalige Chéreau/Boulez - Produktion die eines Kenners und nicht leichtfertig ist, nehme ich mal an, dass es nicht gelungen ist, diese Wucht auf DVD zu bannen. Nur über die DVDs habe ich geschrieben; und da stand leider bei dieser Produktion die Regie zu gewichtig im Vordergrund und das Orchester war nicht präsent. Übrigens fand ich auch die Chéreau - Regie kein Regietheater, daran lag es nicht. Hier wäre der TV-Regisseur der Sünder!

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Das kommt leider bei DVDs oder Fernsehübertragungen sehr oft vor, dass das, was sich tatsächlich - ich sage jetzt einmal auf der "Metaebene" - abspielt, überhaupt nicht rüberkommt. Die Totenhaus-DVD wurde ja in Aix aufgenommen, da gab es teilweise auch Unterschiede zur Besetzung in Wien. Und die Ausstrahlung, die Heinz Zednik als ganz alter Sträfling live hatte, die kann man gar nicht auf Zelluloid bannen. Ich bin damals im TadW relativ nahe beim Orchester gesessen (Reihe 9 im Parkett) und war von der Musik wie erschlagen. Ich denke auch, dass das Stück in einem kleinen Opernhaus wie im TadW viel dichter auf den Besucher wirkt als wie z.B. in Aix (Open Air) oder in der großen Wiener Staatsoper.


    Ich glaube, dass das kleine Opernhaus für die Enge der Chereau-Inszenierung genau die richtige Größe hatte, dass da die Beklemmung körperlich spürbar war. Und ich gebe auch zu, dass ich viele Produktionen von Chereau sehr gerne mag (z.B. auch seine Cosi).


    Die für mich stärkste Verfälschung einer Aufführung, die ich selbst miterlebt habe, war übrigens die "L'Elisir"-DVD mit Netrebko und Villazon. Im ersten Akt war für das Publikum AN kaum vertreten, so sehr stand sie darstellerisch und von der Bühnenpräsenz her im Schatten von Villazon und Nucci. Aber das ist OT, wäre allerdings für einen eigenen, neuen Thread geeignet - "Wie sehr kann eine Bildregie die tatsächliche Leistung verändern" (oder so ähnlich)

    Hear Me Roar!

  • Das kommt leider bei DVDs oder Fernsehübertragungen sehr oft vor, dass das, was sich tatsächlich - ich sage jetzt einmal auf der "Metaebene" - abspielt, überhaupt nicht rüberkommt. Die Totenhaus-DVD wurde ja in Aix aufgenommen, da gab es teilweise auch Unterschiede zur Besetzung in Wien. Und die Ausstrahlung, die Heinz Zednik als ganz alter Sträfling live hatte, die kann man gar nicht auf Zelluloid bannen. Ich bin damals im TadW relativ nahe beim Orchester gesessen (Reihe 9 im Parkett) und war von der Musik wie erschlagen. Ich denke auch, dass das Stück in einem kleinen Opernhaus wie im TadW viel dichter auf den Besucher wirkt als wie z.B. in Aix (Open Air) oder in der großen Wiener Staatsoper.


    Ich glaube, dass das kleine Opernhaus für die Enge der Chereau-Inszenierung genau die richtige Größe hatte, dass da die Beklemmung körperlich spürbar war. Und ich gebe auch zu, dass ich viele Produktionen von Chereau sehr gerne mag (z.B. auch seine Cosi).


    Ich habe mir das schon so ähnlich gedacht; es liegt also an der DVD. Aber trotzdem lohnt sich dann diese DVD nicht, vor allem, wenn man es live nicht gesehen hat. Was du schreibst, zeigt ja auch, dass das Orchester in guter Form war. Der Regisseur und der Tonmeister der DVD müssen musikalische Analphabeten sein. Dennoch frage ich mich, wie Boulez sowas hat durchgehen lassen. Wahrscheinlich aber haben sie ihn gar nicht gefragt.


    Du schreibst: "Ich war von der Musik wie erschlagen...": ich habe das "Totenhaus" bestimmt schon 50 mal oder mehr gehört, aber ich bin immer wieder erschlagen von der Musik. Deshalb sage ich (auch hier) immer wieder: man nenne mir eine kühnere Oper der Moderne. Ich kenne keine.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Hallo Dreamhunter,


    vielen dank für diesen informativen und vor allem, Angesichts der in anderen Thread teils doch recht hitzig geführten Diskussionen zum Thema "Regiethater", erfrischend unaufgeregten Bericht.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Michael,


    danke für das Kompliment! Ja, ich versuche immer beide Seiten zu sehen und zu verstehen und nach dem "warum" zu fragen. Und ich denk' mir halt - alles, was "zu" ist, kann nicht gut sein. Zu modern, zu konservativ, zu groß, zu klein....


    Kommt vielleicht daher, dass ich mich viel mit Buddhismus beschäftigt habe - der Weg der Mitte...


    lg
    Kurt

    Hear Me Roar!


  • Ich habe mir das schon so ähnlich gedacht; es liegt also an der DVD. Aber trotzdem lohnt sich dann diese DVD nicht, vor allem, wenn man es live nicht gesehen hat. Was du schreibst, zeigt ja auch, dass das Orchester in guter Form war. Der Regisseur und der Tonmeister der DVD müssen musikalische Analphabeten sein. Dennoch frage ich mich, wie Boulez sowas hat durchgehen lassen. Wahrscheinlich aber haben sie ihn gar nicht gefragt.


    Du schreibst: "Ich war von der Musik wie erschlagen...": ich habe das "Totenhaus" bestimmt schon 50 mal oder mehr gehört, aber ich bin immer wieder erschlagen von der Musik. Deshalb sage ich (auch hier) immer wieder: man nenne mir eine kühnere Oper der Moderne. Ich kenne keine.

    Ich habe die DVD zu Hause, da ich ja - trotz der nicht gerade perfekten DVD-Regie - dadurch mir immer wieder meine Eindrücke rückrufen kann!


    Was die Kühnheit der Musik betrifft - ja, die ist ganz gewaltig. Ein Stück des 20.Jahrhunderts, das auf mich einen ähnlichen Eindruck macht ist Billy Budd von Britten. Ein anderer Musikstil, ganz klar. Aber auch auf eine Art unglaublich intensiv. Interessant ist dabe, dass es sich bei beiden Werken um Männeropern handelt (die Rolle der "Dirne" ist ja wirklich ignorierbar...)!


    Kurt

    Hear Me Roar!

  • Was die Kühnheit der Musik betrifft - ja, die ist ganz gewaltig. Ein Stück des 20.Jahrhunderts, das auf mich einen ähnlichen Eindruck macht ist Billy Budd von Britten. Ein anderer Musikstil, ganz klar. Aber auch auf eine Art unglaublich intensiv. Interessant ist dabe, dass es sich bei beiden Werken um Männeropern handelt (die Rolle der "Dirne" ist ja wirklich ignorierbar...)!


    Kurt


    Mir geht es ganz genauso: Billy Budd lief in Düsseldorf in einer modernen Inszenierung, aber es war kein Regietheater. Es war mustergültig, wie da Regie, Libretto, Bühnenbild und Musik miteinander verschmolzen. Es geht also durchaus, ohne dass sich da ein Dilettant verrückte Sachen ausdenkt. Eine Besonderheit gab es doch: der Regisseur hatte sich eine stumme Frauenrolle dazu ausgedacht, eine Nurse, die sowohl im Alter Cptn. Vere pflegt (die Oper ist ja eine Rückblende) als auch während der Szenen auf der "Indomitable" die Schiffsnurse darstellt. Eine gute Erfindung als Kontrast zur Männerwelt, die auch sehr zurückhaltend verwendet wurde und nicht störte. Deine Beobachtung mit den Männerwelten ist zutreffend, ein Teil der Radikalität rührt sicher daher. Es gibt übrigens auch eine solche herzzerreißende radikale Oper, in der nur Frauen auftreten: "Suor Angelica" von Puccini, meiner Ansicht nach Puccinis bestes Werk (diese Ansicht teilt der Komponist mit mir).


    Was mir noch nachträglich zum Totenhaus einfällt: diese Oper ist so radikal, dass sie an Gewicht verliert, wenn der Regisseur sie zu auschweifend, exzentrisch und mit eigenen Ideen überlastet spielen läßt. Diesen Vorwurf würde ich Patrice Chéreau machen, aber ich kann mich dabei nur auf die DVD beziehen und möchte deine lebendigen Erfahrungen, lieber dreamhunter, damit nicht entwerten.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

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  • Aus einem müden Kopf kam dann doch noch die Erinnerung an eine Rezension in der FAZ. Das Archiv gibt es her, vielleicht ist es hier von Interesse:
    Rezension FAZ
    Beste Grüße
    Accuphan

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Danke, Accuphan, für diesen Hinweis. Ich bin erstaunt, wie vernichtend der Kritiker diese Inszenierung bewertet ("Untat"). Und es ist die alte Leier: die Musik Janaceks, besonders das Orchester, ist in dieser Oper die Hauptsache. Dieser Musik aber trauen die Herren nicht. Das Gute: gegen Janaceks Musik bleiben sie zweiter Sieger. Auch diese kritik macht deutlich, was ich dem Regietheater immer vorwerfe: Infantilisierung, Banalisierung, Pädagogisierung.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)