Jewgenij Alexandrowitsch Mrawinskij, geboren am 22. Mai (jul.)/4. Juni (greg.) 1903 in St. Petersburg (Russisches Reich), gestorben am 19. Januar 1988 ebd. (damals Leningrad, UdSSR), war einer der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts.
Seine Eltern gehörten dem russischen Adel an und waren große Kunstliebhaber. Eine Aufführung des "Siegfried" von Wagner unter Emil Cooper weckte seinen Wunsch, selbst Dirigent zu werden. Es folgte ein Studium bei Malko und Gauk, bevor Mrawinskij zwischen 1932 und 1938 als Dirigent des Leningrader Balletts tätig wurde. Sein Durchbruch glückte ihm mit der Uraufführung von Schostakowitschs 5. Symphonie im Jahre 1937. Der engen künstlerischen Beziehung zu diesem Komponisten war es geschuldet, daß Mrawinskij fünf weitere Schostakowitsch-Symphonien uraufführte (er selbst ist Widmungsträger von dessen 8. Symphonie).
1938 wurde er zum Chefdirigenten der Leningrader Philharmoniker berufen, ein Posten, den er geschlagene 50 Jahre, bis zu seinem Tode im Jahre 1988, innehaben sollte. Unter seiner Führung entwickelten sich die Leningrader zu einem international anerkannten Spitzenorchester. Daneben dirigierte Mrawinskij lediglich ein einziges ausländisches Orchester, die Tschechische Philharmonie (1946–1955), arbeitete aber mit allen großen sowjetischen Orchestern.
Mrawinskij ist ein legendärer Interpret der Werke von Schostakowitsch, Prokofjew und Tschaikowskij, widmete sich aber auch der deutsch-österreichischem Schule (Mozart, Haydn, Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner, Wagner, Strauss) und betonte so die engen kulturellen Beziehungen zwischen St. Petersburg und Wien. Er war der erste russische Dirigent, der Bruckner im eigenen Land aufführte. Daneben dirigierte er u. a. Komponisten wie Sibelius, Strawinskij, Ravel, Bartók und Honegger.
Persönlich ein zurückgezogener Mensch, wählte er nach der Machtergreifung der Kommunisten die Musik als Möglichkeit des Widerstandes. Sein Dirigierstil war streng und unerbitterlich, er beharrte auf absoluter Disziplin und Unterordnung des Orchesters und haßte Improvisationen. Lampenfieber plagte ihn bis ins hohe Alter, doch wirkte sich dies nie auf das stets herausragende Ergebnis seiner Konzerte aus. Er genoß bei den Musikern allergrößte Hochachtung.
Mrawinskij war eine aristokratische, elegante und ehrfurchtgebietende Erscheinung aus dem Russischen Kaiserreich, die innerhalb und auch außerhalb der Sowjetunion hohes Ansehen genoß. Eine sehr erfolgreiche Konzerttournee nach Westeuropa brachte ihm 1980 in Wien den respektvollen Beinamen "Herr Bruckner" ein.
Nach 1961 lehnte Mrawinskij Studioaufnahmen ab. Seine letzte Aufnahme überhaupt entstand im Jahre 1984 (Schostakowitschs 12. Symphonie). Er starb kurz vor dem Zusammenbruch der UdSSR im Alter von 84 Jahren Anfang 1988 in seiner Heimatstadt, deren Wiederumbenennung in "St. Petersburg" er nicht mehr erlebte.
Aufnahmen (Auswahl):