Johann Strauß Sohn: Fürstin Ninetta

  • Premiere heute vor 119 Jahren:


    Fürstin Ninetta
    Operette in drei Akten
    von Johann Strauß jr.,
    Uraufführung am 10.1.1893 Theater an der Wien Wien
    mit Ilka von Palmay • Alexander Girardi • Jose Josephy • Karl Streitmann • Therese Biedermann • Lili Lejo.
    76 mal wurde die Operette nach der Premiere mit Erfiolg aufgeführt. Dann geriet sie in Vergessenheit.
    Überlebt hatte das Walzer-Lied des Cassim über die Vielweiberei ‘Einst träumte mir‘ , interpretiert in schelmischem Tonfall durch den unvergessenen Hermann Prey, sowie die "Neue Pizzicato-Polka".


    Diese ‘Fürstin Ninetta’ erlebte im Oktober 2007 in Stockholm ihre erste Aufführung seit 1905!
    Erstmalig auch auf CD als Gesamtaufnahme erhältlich:



    Johann Strauss II (1825–1899)
    Fürstin Ninetta

    (Operette in 3 Akten)
    Künstler: Aberg, Rombo, Gröndahl, Taube, Strid, Eliasson, Jarrick,
    Ninetta Chorus,
    Stockholm Strauss Orchestra,
    Dirigentin: Valéria Csanyi
    2 CDs (ohne Dialoge)


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Nun bekommt dieser von Harald begonnene Thread nach so langer Zeit doch noch eine Fortsetzung. In meinem Bemühen, von möglichst allen Operetten des Johann Strauß , sofern vorhanden, eine Gesamtaufnahme meiner Sammlung einzuverleiben, habe ich mir nun diese von Harald vorgestellte CD zugelegt.


    Die Handlung dieser Operette ist mir nicht so recht verständlich geworden, zumal ständig neue Personen auftreten, die über irgendetwas singen, das nicht unmittelbar mit dem Geschehen zusammen hängt. Erschwert wird das Verständnis dadurch, dass die CD keine Dialoge enthält und dass auch die Beschreibung des Inhalts im Booklet schwerpunktmäßig darauf abzielt, wer zu welchem Musiktitel gerade auftritt und worüber er oder sie singt. Ich versuche mal trotzdem, das wiederzugeben, was ich verstanden habe.


    Im Foyer eines vornehmen Hotels am Strande von Sorrent sitzen an einem Tisch Adelheid mit ihrem Verlobten Ferdinand, an einem anderen Tisch sitzt der Baron Mörsburg. Die Kellner klären den Baron darüber auf, dass das junge Paar heute Abend im Hotel heiraten will. Der Baron erhält ein Telegramm von seiner Freundin, der Fürstin Ninetta Campocasso, die ihn bittet, ein Zimmer in dem Hotel für sie zu reservieren. Ninetta ist die Witwe eines italienischen Fürsten, stammt aber eigentlich aus Russland. Als sie eintrifft, trägt sie Männerkleidung, nennt sich Carlino und gibt sich als Fremdenführer aus. Als „Jüngling“ gut aussehend, erweckt sie sofort das Interesse der weiblichen Gäste, nur der Baron erkennt sie natürlich.


    Nun erscheinen auch die Eltern von Adelheid und Ferdinand. Ferdinands Mutter Anastasia Knapp ist verwitwet, ebenso wie Ferdinands Vater Prosper Möbius, der in Österreich eine Seifenfabrik besitzt. Die beiden waren in ihrer Jugend ein Liebespaar gewesen, durften aber seinerzeit nicht heiraten.


    Und nun kommen noch Cassim Pascha und sein Diener Rustan. Sie waren mit einem italienischen Wanderzirkus unterwegs, in dem Cassim als Hypnotiseur auftrat und noch dazu mit seinem starken Gebiss das Seil einer Trapezkünstlerin halten musste. Davor war er ägyptischer Finanzminister (!). Baron Mörsburg erkennt in ihm einen alten Freund, in Wahrheit den russischen Adligen Tatischeff, der auf dem Weg nach St. Petersburg ist, um seine Besitztümer zu kontrollieren. Da er zur Zeit Kaftan und Fez trägt, nennen ihn die Hotelgäste den „Türken“, er besingt aber lieber seine wirkliche Heimat, in der Blut und Wodka fließen und bezeichnet sich selbst als undurchschaubaren Diplomaten.


    Erst im Finale I bekommt die Operette so etwas wie eine Handlung…. Zunächst kommt aber erst nochmal eine weitere Person ins Spiel. Herr von Rübke, der deutsche Konsul von Neapel (wieso der?) soll am Abend die Trauung des jungen Paares vornehmen. Er macht dies nur ungern, da er vor einem Jahr der Adelheid selbst einen, allerdings vergeblichen, Antrag gemacht hatte. Bei Durchsicht der erforderlichen Dokumente stellt er fest, dass Ferdinands Mutter nicht mehr als Knapp sondern als Möbius eingetragen ist. Prosper erklärt, man habe sich am Vortage in Nizza verehelicht, um das Brautpaar mit diesem Geschenk zu überraschen. (Zu erklären wäre hier, wie man 1893 die Strecke von Torrent bei Neapel bis Nizza, hin und zurück ca. 1860 km, an einem Tag bewältigen konnte.) Von Rübke nimmt diese Eheschließung zum Anlass, Adelheid und Ferdinand als Stiefgeschwister und somit eine Trauung der Beiden als unmöglich zu erklären, es sei denn, die Eltern ließen sich wieder scheiden. Doch für eine rechtskräftige Scheidung kämen als Gründe nur Untreue oder körperliche Gewalt in Frage. Da die Eheleute keine falschen Tatsachen vorspiegeln wollen, kommt es an diesem Abend nicht zu der vorgesehenen Trauung.


    Am nächst en Morgen sitzt Ferdinand auf der Dachterrasse des Hotels und zeichnet. Ein junges Mädchen, das gerade vorbeikommt, erkennt in dem Portrait das Gesicht der Fürstin Ninetta, was Ferdinand peinlich ist. Ein Kellner berichtet über einen geheimnisvollen Mann, der Touristen auf dem Weg zum Vesuv ausgeraubt und umgebracht habe. Ebenso auf der Terrasse sitzen Baron Mörsburg, Konsul von Rübke und der englische Lord Plato. Sie bemerken die Fürstin Ninetta, die nun als junge Dame auf der Terrasse erscheint. Als der Lord von Ninettas Verkleidungskünsten erfährt, kann er nur Hum machen, weil er aufgrund einer Wette nicht sprechen darf. Erst als Cassim Pascha hinzukommt, kommt wieder etwas mehr Handlung ins Spiel. Zunächst aber noch eine weitere Nebensächlichkeit. Er bringt zuerst noch Ninetta das Hypnotisieren bei, bevor er sie bittet, mit ihm eine Wanderung auf den Vulkan zu unternehmen. Dies führt beim Kellner zu dem Verdacht, er sei der Räuber Fra Diavolo. Kurze Zeit später kehrt Ninetta zwar zurück, aber wiederum als Jüngling verkleidet und erweckt Anastasias Bewunderung. Auch Cassim kehrt zurück, beginnt aber gleich darauf, Ninetta am Strand zu suchen. Als er ohne sie, aber mit ihrem Spazierstöckchen zurückkehrt, wird er beschuldigt, der Räuber zu sein. Man verlangt von ihm, das Hotel zu verlassen. Er erwidert, er habe das Hotel erworben, sei jetzt dessen Besitzer und bietet Carlino (der als Jüngling verkleideten Ninetta) den Posten des Direktors an. Man ruft nach einem Richter und der Polizei und beschuldigt Cassim, Ninetta, Carlino und die Fürstin Campocasso (also in Wirklichkeit drei in einer Person) ermordet zu haben.


    Im dritten Akt klärt sich dann, nicht wie sonst in Operetten, alles sondern eigentlich gar nichts auf (zumindest nicht nach den Angaben im Booklet). Cassim ist trotz der Anschuldigungen noch auf freiem Fuße und lässt sich während eines Balles im Banketsaal des Hotels über die Vielweiberei aus. Baron Mörsburg erklärt allen anwesenden Gästen, dass die zauberhafte Ninetta in Wirklichkeit ein Mann während der hübsche Jüngling in Wirklichkeit eine Frau sei. Anastasia gibt ihrem Mann eine Ohrfeige (warum wird nicht klar) und dieser ruft aus, das wäre endlich ein Grund zur Scheidung, worauf Ferdinand und Adelheid endlich heiraten können. Casssim und Ninetta finden nebenbei noch heraus, dass sie Cousin und Cousine sind und streiten sich um den Besitz. – Alles klar? Na, dann ist ja gut.


    Musikalisch zählt für mich diese Operette zu den schwächsten Strauß Operetten, allerdings nicht ganz so schwach als seine letzte Operette „Die Göttin der Vernunft“, obwohl im dortigen Booklet angepriesen war, sie würde „gegenüber ihren unmittelbaren Vorgängerinnen eine bemerkenswerte künstlerische Entwicklung erkennen [lassen]“. Leider ist in der Musik von dem in der „Handlung“ aneinandergereihtem vielfältig exotischem Personal fast nichts zu spüren. Dass die Operette in Italien spielt, merkt man nur ganz selten. So besingen z. B. Anastasia und Prosper Möbius die Vorzüge Italiens, aber von Italianita keine Spur. Die tritt allenfalls in der Introduktion einmal ganz kurz und dann nochmal zu Beginn des dritten Aktes in einer sehr kurzen Tarantella zutage, deren Anleihe an die Introduktion des Boccaccio aber doch sehr deutlich herauszuhören ist. Typisch hierzu auch das von Harald erwähnte Lied des Cassim über die Vielweiberei. Inhaltlich geht es dabei um muslimische Gepflogenheiten; aber statt in orientalischem Exotismus kommt das Liedchen in einer Walzerkette nach Wiener Art daher und ist zudem noch recht durchschnittlicher Natur. Und die "Neue Pizzicato-Polka" ist nur noch ein schwacher Abglanz der alten. Wohltuend heben sich Entr’acte und Lied des Ferdinand „Der Künstler auch ein Träumer ist“ aus dem zweiten Akt und ein Lied des Cassim „Ein Gretchen mit lächelndem Munde“ ab. Dagegen ist das Hypnotisier-Duett „Schlaf ein, mein liebes Medium“ tatsächlich zum Einschlafen.


    Die beiden großen Finale I und II, jedes ca. 15 Minuten lang, zählen zu den schlechtesten Operettenfinali, die ich gehört habe, zumindest jeweils in den ersten zwei Dritteln. Im ersten Finale wird 10 Minuten lang fast alles in Rezitativen, mehr gesprochen als gesungen, abgehandelt. „Gerettet“ wird dieses Finale in den letzen fünf Minuten durch einen typischen Strauß Walzer, dessen dramatische Einbettung in das Geschehen dann aber wieder recht kläglich ausfällt. Im zweiten Finale herrscht 10 Minuten lang ein heilloses Durcheinander - kein Wunder, es geht ja auch um drei Morde – aber dieses Durcheinander schlägt sich leider auch auf die Musik nieder; man wähnt sich teilweise in einer modernen Oper. Dann folgt allerdings, für mich nicht ganz nachvollziehbar warum, eine wunderschöne Romanze der Ninetta mit Chorbegleitung. Diese Romanze lässt nochmals kurz die große Meisterschaft des Johann Strauß aufblitzen.


    Beim Vergleich mit einer „modernen“ Oper und der von mir nicht so recht gewürdigten „künstlerischen Entwicklung“ fällt mir eine Anmerkung ein, die H.D. Roser in seiner Suppé Biographie gemacht hat:


    Zitat

    Johann Strauß Sohn blieb nie im sicher beherrschten konventionellen harmonischen Bereich stehen, er versuchte stets Neues.


    Wenn das Ergebnis dieses Neuen sich so anhörte, wie in den geschilderten Finali, dann bin ich froh, dass Suppé sich davon nicht beeinflussen lies (denn darauf war dieses Zitat gemünzt).


    :( Uwe