Ludwig van Beethoven - grösster gemeinsamer Nenner ???

  • Liebe Forianer


    Soeben durchläuft das Forum eine "Beethoven-Welle" - viele Threads zum Thema Beethoven laufen derzeit parallell.
    Eigentlich hatte ich geglaubt, dass Beethoven ein Komponist sei, über den zu diskutieren man nie müde werden könne, aber vereinzelt wurde diese Auffassung auch schon hinterfragt.
    Legt man im Forum den Focus auf EINEN Dirigenten (z.B. Gustav Mahler) so kommt es - nach anfänglicher Begeisterung - rasch zum Abflauen derselben. Es tritt dann gelegentlich eine gewisse Übersättigung ein. Im Falle Beethovens wäre dies jedoch - nicht der Fall. So glaube ich wenigstens.
    Beethoven ist überhaupt ein Ausnahmefall. Einerseits gehört er zu den "großen Vier" der "Wiener Klassik", andrerseits ist der bereits der Romantik verbunden, ohne aber deren typische Stilmerkmale zu übernehmen. In gewisser Hinsicht ist er "modern"- oder aber auch (beinahe) "zeitlos. Er wird von den Liebhabern Mahlers ebenso geschätzt, wie jenen Haydns.
    Er bietet sich für ein Forum und seine Themen als idealer "Kompromisskandidat" an, als einer den (fast) alle mögen.
    Warum ist das eigentlich so ? Dennoch wurde vor kurzem im Forum die Vermutung geäußert, nicht alle mögen mit dem (momentanen) "Themenschwerpunkt Beethoven" glücklich sein.....??


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    wir hatten es ja weidlich besprochen: Jeder findet in Beethovens Musik, was er sucht.


    Diejenigen, die von vergangenem Glanz und Gloria träumen und das Heldische, Wahre, Gute, Schöne suchen, das sie in der heutigen Welt nicht mehr finden (eine Wahrnehmungsschwäche, wie ich meine), hören die triumphalen Teile der Dritten, Fünften, Siebten und Neunten und finden auch im Rest genug, um ihr (nicht nur musikalisches) Weltbild vollauf zu bestätigen.


    Diejenigen, die noch die Energie haben, etwas zu verändern, und denen, die bereit sind, sich dafür die Hände schmutzig zu machen, zumindest Glück wünschen oder sogar selbst mit anpacken, hören das Revolutionäre - und zwar nicht erst in der Kühnheit der Dritten, in der Agitationsmusik der Fünften, in welcher die Musik der Französischen Revolution (Gossec, Méhul u. a.) mehr als deutlich anklingt, im Klassenschranken überschreitenden Ruf "Seid umschlungen, Millionen" usw. usw.


    Fast jeder findet sich mit seinem Weltbild wieder. In der Pastorale (die ich gerade ich mich aufsauge, mehr dazu in einigen Tagen) findet sich der Biobauer in den Naturschilderungen genauso wieder wie der Produzent der Lebensmittelindustrie in denjenigen Passagen des Kopfsatzes, die der Minimal Music schon sehr nahe stehen.


    Einerseits gehört er zu den "großen Vier" der "Wiener Klassik", andrerseits ist der bereits der Romantik verbunden, ohne aber deren typische Stilmerkmale zu übernehmen.


    Na ja, damit (Du weißt es genau!) kann ich nicht so viel anfangen - meinst Du die Stilmerkmale der Romantik Schumanns, Verdis oder Wagners, die Beethoven nicht übernommen hast? Und woher sollte er sie denn übernommen haben - wenn die Wiener Geschichtsschreibung in diesem Falle nicht irrt, dann starb Beethoven im Jahre 1827. In diesem Jahre wurde Schumann 17 Jahre alt, Verdi und Wagner erreichten das zarte Alter von 14 Jahren.


    Bevor wir darüber reden, ob Beethoven ein "Klassiker" war oder ein "Romantiker" oder beides (und mit welchen Anteilen), müsste man - wenn man es ganz streng und ernst sehen wollte - ja erst einmal definieren, was man damit meint.


    Aber ich will nicht mehr beckmessern als unbedingt nötig und verspüre stattdessen Lust, dem von Dir begonnenen Lied eine Strophe hinzuzufügen: Die Einleitung zu Haydns Schöpfung ist romantischer als der ganze Beethoven bis zur Appassionata!

  • Der Fehler hier ist, "romantisch" mit Stimmungen zu verbinden, die wir heute vage als "romantisch" beschreiben. Was man emotional oder von Stimmungen her unter "romantisch" versteht findet man selbstverständlich nicht nur in der Stilepoche der Romantik. Mozarts d-moll-Konzert oder die c-moll-Fantasie oder sicher auch etliches bei CPE Bach oder selbst im Barock oder vorher ist dann auch romantisch (Dowlands Lautenlieder, was weiß ich noch alles). Oder ein Klavierstück von Debussy.


    Dennoch ist vermutlich klar, was Alfred meint, nur hätte er besser "vorwegnehmen" als "übernehmen" geschrieben, obwohl im Prinzip Beethoven auch Stilmerkmale von jüngeren Komponisten wie Spohr oder Weber hätte "übernehmen" können.


    Ob nun die Ursache für die Beliebtheit Beethovens ist, dass jeder alles mögliche hineinlesen kann, weiß ich nicht. Das wäre ja bei vielen anderen Komponisten in ähnlicher Weise möglich, oder?


    Eine banalere Ursache ist vermutlich die "musikalische Sozialisation", die die allermeisten Klassikhörer durchlaufen haben. Das Standardrepertoire beginnt, von einer Handvoll barocker Werke abgesehen, nun mal mit den späteren Werken Haydns und Mozarts und reicht dann bis ungefähr Mahler, Debussy, frühen Stravinsky usw. Und zu den typischen Einsteigerwerken gehören neben solchen, die von Beethoven selbst stammen, welche aus dem späten 18. oder dem 19. Jhd., die formal ähnlich uns stilistisch (ganz grob) nicht allzuweit entfernt sind.
    Dass Beethovens Musik relative thematische Eingängigkeit, packenden Ausdruck, Klarheit und Schlüssigkeit miteinander verbindet, ist auch nichts neues (obwohl das natürlich nicht nur für Beethovens gilt). Selbst wenn man den Eindruck nicht teilt, ist nachvollziehbar, dass oberflächlich betrachtet, verglichen mit Beethoven, Bach trocken, Mozart belanglos, Schumann sentimental, Mahler formlos und Bruckner langweilig scheinen mögen.


    Man kann im Forum tatsächlich beobachten, dass Hörer mit einem Schwerpunkt auf (Spät)romantik und klass. Moderne (oder "orchestral spectacular) mitunter Beethoven als den historisch ersten für sie wirklich interessanten Komponisten hören. Ähnliches mag (ungeachtet Bach, Scarlatti und Mozart) für manchen "Pianophilen" gelten. Umgekehrt habe ich zwar den Eindruck, dass "Alte-Musik-Hörer" den Schnitt meistens vor Beethoven ziehen, aber es mag welche geben, die ihn noch mitnehmen. (Der notorische Romantikverächter Gould zog, obwohl er über Mozart und Beethoven hergezogen hat, die Grenze anscheinend doch eher nach Beethoven.)


    Schließlich ist in einem Forum, das den Fokus beinahe obsessiv auf "Vergleiche" von Werken den Standardrepertoires legt, Beethoven natürlich ein Idealfall. Denn nur von wenigen Einzelwerken anderer Komponisten gibt es aus 90 oder mehr Jahren Schallplattengeschichte eine solche Fülle von Material wie bei Beethoven (besonders natürlich den Sinfonien).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ob nun die Ursache für die Beliebtheit Beethovens ist, dass jeder alles mögliche hineinlesen kann, weiß ich nicht. Das wäre ja bei vielen anderen Komponisten in ähnlicher Weise möglich, oder?


    Vielleicht hatte es Alfred ja eher politisch gemeint. Die Progressiven mögen Beethoven (und legen Norrington und Järvi auf) und die Konservativen mögen ihn auch (und halten es eher mit Karajan und Furtwängler).


    Jedenfalls kommen beide Seiten damit zurecht.


    Wagners Meistersinger oder Parsifal sind schon nicht jedermanns/fraus Sache, Bruckner schon gar nicht. Das ist schon sehr systemstabilisierend, dem de-facto-Umsturz durch Walters Preislied oder durch die Inthronisation des Schwanentöters zum Trotz. Ganz zu schweigen von der unerhörten Modernität des Adagios aus Bruckners 9. Sinfonie. - Wohingegen auch Schönberg, Berg und Webern ihre besondere Klientel haben - von Henze und Stockhausen mal ganz zu schweigen. Das ist nichts für diejenigen, für die ein Abonnement bei den Wiener Philharmonikern einfach zum guten Ton gehört. ( " ... und spielen ohne Gage mit" heißt es im "Vorspiel auf dem Theater").


    Barockfans sind derzeit in der Minderzahl, auch Haydn und Mozart habe ich nie so richtig "en vogue" erlebt. Regietheater dominierte wohl im letzten Jahr, wir hatten heftige Diskussionen über Karl Böhm, dann kam Beethoven in allen Schattierungen, insbes. durch die Thielemann-Einspielungen, jetzt gab es mal kurz Sibelius.


    Wann waren das letzte Mal Schumann oder Brahms dran? Oder Mahler? Eine kleine Tschaikowsky-6-Welle gab es auch.


    Also ich meine, Alfred hat zunächst mal Recht: Beethoven ist derzeit hier angesagt, und das hat Gründe. Einer davon ist, dass Progressive wie Konservative dazu etwas sagen können.

  • Hatten wir nicht unlängst bestritten, dass es Unsinn ist, politische Einstellungen mit der Bevorzugung bestimmter Musik zu verbinden?
    Und hast Du nicht gerade angeführt, inwiefern Wagner ähnlich ambivalent ist? Musikalisch (damals) progressiv, politisch (damals) teilweise ebenfalls, vorübergehend und vielleicht heute noch reaktionär vereinnahmt, inzwischen ambivalent.
    Dass sich Hörer ihre Musik und Komponisten entsprechend zurechtbiegen können, ist natürlich richtig. Nach dem, was ich zB von Alfred in den letzten 6 Jahren gelesen habe, kommt mir seine Wahrnehmung? etwa der Musik Schuberts oder Mozarts noch eigenartiger vor als bei Beethoven. (Nicht persönlich gemeint, es gibt andere Schreiber, mit denen es mir ähnlich geht, nur ist Alfred eben besonders gut dokumentiert.) Und dies bei Musik, die wir beide schätzen, nicht wie etwa bei Bartoks "Musik für Saiteninstrumente" etc., die anscheinend für ihn an der Grenze zur "Unmusik" residiert, die ich jedoch ebenso packend und beeindruckend finde wie Beethoven.


    Ich vermag übrigens auch nicht zu erkennen, dass Beethovens Lieder oder Cellosonaten "derzeit angesagt" wären oder einen Themenschwerpunkt bilden würden. Was getan wird, ist Einspielungen der Sinfonien zu vergleichen, mit einem gewissen Anteil Schlammschlacht...


    Freilich bezog ich mich auch nicht in erster Linie darauf, was hier im Forum gerade der Fall ist (bei der geringen Anzahl aktiver Teilnehmer hat das jegliche Repräsentativität verloren), sondern auf eine etwas breitere Tendenz unter Klassikhörern, da ich die Frage allgemeiner verstanden hatte. Da hat Alfred schon recht, dass Beethoven in vielen Interessenschnittmengen enthalten ist und das ist auch nicht allzuschwer zu erklären.


    Wobei ich auch nach Jahren immer noch etwas überrascht bin, wie viele Hörer zB Mozart oder Brahms nicht besonders mögen, für mich waren das früher ebenso Standards, bei denen ich davon ausging, dass deren Musik von allen "Klassikhörern" hoch geschätzt würde.
    (Es gibt ja schon eine Reihe threads der Art "Kann man Musik von x eigentlich nicht mögen?". Für alles findet sich irgendwer, dem's nicht gefällt, obwohl man eigentlich denken würde, das müsste ihm (oder gar jedermann) gefallen...)

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  • Beethoven ist gerade für uns Deutsche/Österreicher vielleicht schlichtweg "der" Symphoniker schlechthin. Ein Skandinavier oder Russe mag das vielleicht anders sehen. Beethoven ist zeitlich gerade in der Übergangsperiode von der Klassik zur Romantik zu verorten, die beiden beliebtesten musikalischen Epochen, glaube ich. Er ist für die "Klassiker" als letzter und vielleicht größter Vertreter interessant, für die "Romantiker" als Vorläufer und Prototyp ebenso. Ich würde Beethoven persönlich viel eher als Wiener Klassiker bezeichnen denn als Romantiker. Gewiß, es gibt romantische Anklänge, aber die Klassizität überwiegt m. E. doch erdrückend (die 1., 2., 3., 5., 7. und 8. sind doch kaum romantisch). Genau anders herum sehe ich übrigens Schubert, der m. M. n. zu unrecht oft als Vertreter der Wiener Klassik bezeichnet wird. Seine Hauptwerke haben doch gar nichts Klassisches an sich.


    Beethoven erfreut sich sehr hoher Beliebtheit, doch scheint sich das doch primär auf seine neun Symphonien und in geringerem Maße seine Klavierkonzerte zu beziehen. Ich kenne kaum richtige "Fidelio"-Fans. Seine Kammermusik ist sicherlich interessant, aber doch eher im Hintergrund. Gerade die 3., 5., 7. und 9., teilweise auch die 4., ließen sich pathetisch aufblähen und zu wuchtigen Werken uminterpretieren. Beethovens 5. ist für viele Laien "die" Symphonie schlechthin. Die 9. schaffte es auszugsweise zur Europa-Hymne.


    Jeder, vom Revoluzzer bis zum Erzreaktionären, wird irgendwas bei Beethoven finden, wie bereits angedeutet wurde. Beethoven ist "in", und das zurecht. Gab es seit seinem Tod überhaupt eine Zeit, wo Beethoven mal "out" war?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Beethoven ist gerade für uns Deutsche/Österreicher vielleicht schlichtweg "der" Symphoniker schlechthin. Ein Skandinavier oder Russe mag das vielleicht anders sehen. .


    Glaube ich nicht. Beethoven ist der Sinfoniker schlechthin, Punkt.
    Ich bin übrigens ein Fidelio-Fan (und das Stück ist, selbst wenn nicht ganz so populär wie einige andere, zumindest im deutschsprachigen Raum meines Wissens noch unter den top 20 der meistgegebenen Opern).
    Und wenn man die etwas geringere Popularität von Kammermusik einrechnet, bleibt dennoch Beethoven auf diesem Gebiet vermutlich auch der meistgespielte Komponist.
    Und bei Klavier solo vermutlich gemeinsam mit oder kurz nach Chopin der meistgespielte.
    Aber das Beethoven (oder viele seiner Werke) extrem populär ist, ist kaum ein Geheimnis :D


    Zitat


    Gab es seit seinem Tod überhaupt eine Zeit, wo Beethoven mal "out" war?


    Nein, sicher nicht.
    Aber Chopin, Brahms, Wagner u.a. waren auch nie "out" und zumindest einzelne Werke von Haydn, Mozart, Schubert und Schumann sind auch beinahe seit ihrem Entstehen durchweg im Repertoire gewesen

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  • Glaube ich nicht. Beethoven ist der Sinfoniker schlechthin, Punkt.


    Das ist die eine Seite des Hauptpunkts, oder? Beethoven hat (um-)definiert, was Symphonik heißt. Alles, was vorher war, passt (mit einigen Ausnahmen bei Mozart) nicht so richtig in dieses Schema, während alles nach Beethoven dem Schema mehr oder weniger folgt (oder sich ostentativ dagegenstellt, wie z.B. Schostakowitsch 9, aber ein Ignorieren gibt es nicht). Das führt dazu, dass die Liebhaber von symphonischer Musik zwischen Mendelssohn und Schostakowitsch meist auch etwas mit Beethoven anfangen können.


    Andererseits ist Beethoven noch nicht allzuweit von Haydn und Mozart weg. Nicht nur auf theoretischer Ebene, sondern auch rein intuitiv kann man das spüren. Mindestens die frühen Werke dürften den meisten Mozart- und Haydn-Liebhabern darum gefallen, und wenn man die kennt und mag, dann "erobert" man sich auch die späteren Werke.



    Viele Grüße,
    Frank.

  • Beethoven ist auch m.E. der Sinfoniker. Sosehr, dass ich eine ganze Weile einen Bogen um ihn machte. WEil, das hört jeder..
    Ich kenne auch Musiker, die ihn einfach nicht spielen wollen, weil man das einfach zu gut kennt.
    Ich glaube, Bernstein hat mal gut auf den Punkt gebracht, was das ganz Besondere an Beethoven ist. Er kämpfte um jeden einhzelnen Ton und wenn er ihn gefunden hat, dann klingt es so, als könne gar nichts anderes kommen.
    Ich denke auch, dass keine vor und nach ihm so zwingend in seiner Konstruktion war. Es sind ganz oft ewige Wahrheiten, die er in Musik verkündet.
    Ich versuche gerade, weiter darüber nachzudenken, aber mich überfällt eine Sprachlosigkeit, die für mich aber schlüssig ist.
    Also höre ich hier auf
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Ich freue mich, daß dieser Thread bisher so gut angekommen ist. habe aber EINEN Einwand.
    Beethoven ist nicht nur ein großer Sinfoniker (oder meinetwegen DER Sinfoniker schlechthin) , sondern auch seine Klavierkonzerte und (vielleicht noch ausgeprägter) seine Klaviersonaten sind im andauernden Focus des Interesses. Man beachte nur, wie viele Aufnahmen es von diesen Werken gibt.
    Über Lieder und Kammermusik möchte ich mich zu einem späteren Zeitpunkt äussern, desgleichen zu "Fidelio"....


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Beethoven ist der Sinfoniker schlechthin, Punkt.


    Tja. Kommt drauf an, wie man "Sinfonie" definiert. Wenn man Beethoven zum Modellfall erklärt, ist Beethoven natürlich der Sinfoniker schlechthin.


    Bruckner hat die Gattung Sinfonie anders verstanden. Wenn man das Brucknersche Modell nimmt, dann ist Bruckner der Sinfoniker schlechthin (und Schuberts große C-Dur-Sinfonie wohl der wichtigste Vorläufer).


    Mahler hat sie nochmal anders verstanden ("Eine Sinfonie schreiben, dass heißt für mich: Eine ganze Welt schaffen " - oder so ähnlich). Wenn man diesen Anspruch hat, dann sind vielleicht die 6. und die 9. Sinfonie Beethovens diejenigen, die am besten Mahlers Ansprüchen genügen.


    Sagen wir so: Wir haben gelernt, das als Normalfall von Sinfonie zu verstehen, was Beethoven unter diesem Gattungsbegriff komponiert hat. Vielleicht wird es so herum am ehesten schlüssig.


    Bernstein hat mal gut auf den Punkt gebracht, was das ganz Besondere an Beethoven ist. Er kämpfte um jeden einhzelnen Ton und wenn er ihn gefunden hat, dann klingt es so, als könne gar nichts anderes kommen.


    Das gilt aber auch für die Klaviersonaten und Streichquartette ... es ist schon richtig: es wirkt vieles folgerichtg und absolut zwingend. Nach einer Brucknerschen Generalpause könnte es hingegen manchmal so oder anders weitergehen.


  • Wir haben es nicht bloß so gelernt und Beethoven willkürlich als Modell genommen, sondern das gesamte 19. Jhd. inklusive der von Dir als Pseudo-Alternativen genannten Bruckner und Mahler haben Beethoven als Modell genommen. Denn deren Sinfonien sind beide ohne Beethoven völlig undenkbar und zudem an vielen Stellen (Bruckner allenthalben und Mahler explizit in der 2.) Beethovens 9. massiv verpflichtet. Schuberts 9. ist vielleicht ein anderer Fall, aber zum einen ebenfalls Beethoven verpflichtet (besonders seiner 7.) und zum anderen historisch erst mit erheblicher Verzögerung wirksam. Man kann nicht so tun, als ob man ebensogut Schubert, Mahler oder Bruckner als Modelle setzen könnte, wenn die alle als notwendige Bedingung Beethovens Modell haben. Hatten sie aber. Deswegen ist das keine einseitige oder willkürliche Setzung, sondern m.E. eine der deutlichsten Abhängigkeiten in der Musikgeschichte. Ich würde allerdings eher vom Setzen eines Vorbilds und Rahmens sprechen. Zwar sehe ich auch eine Kontinuität von Haydn und Mozart (die ihrerseits ebenfalls "neu definierten", was eine Sinfonie sei) zu Beethoven, aber ich meine, dass Bruckner und Mahler im wesentlichen der Vorgabe Beethovens folgen und keineswegs eine vergleichbare "Neubestimmung" der Gattung vornehmen. (Nachträglich natürlich leichter zu sehen, da es sich um (hypertrophe, nachklappernde?) Endpunkte einer Entwicklung handelt.) Ich verstehe nicht, inwiefern Bruckner und Mahler "Sinfonie" anders verstanden haben sollten als Beethoven.


    Interessanterweise besteht ein Unterschied bei den Klaviersonaten insofern, dass da, anders als bei den Sinfonien, sehr wenig nachkam, was sich auf Beethoven bezogen hat bzw. in dem von ihm gesteckten Rahmen operierte. Schuberts Sonaten sind etwa gleichzeitig und musikhistorische Sackgasse bzw. ohne maßgebliche Wirkung (sein mit Abstand wirkmächtigstes Klavierstück ist die "Wandererfantasie"). Schumanns Sonaten gehören nicht zu seinen besten Werken und sind in meinen Ohren nicht so deutlich von Beethovens Vorbild geprägt. Chopins sind ziemlich unabhängig, ebenso Liszts Unikum (hier dürfte eher die Wandererfantasie für die einsätzig/mehrsätzige Form Pate gestanden haben), Brahms' sind Frühwerke, die C-Dur-Sonate enthält eine offensichtliche Hommage an die "Hammerklaviersonate" (ähnlich bei Mendelssohn), die anderen weniger. Die Gattung scheint durch Beethoven so ausgeschöpft, dass die wichtigsten Klavierkomponisten vor Skrjabin sich eher auf andere Stücke als Sonaten zu legen scheinen.


    Beim Streichquartett ist es lange nicht so deutlich, obwohl es vermutlich auch kein reiner Zufall ist, dass uns als zentrale Kammermusikwerke von Schumann und Brahms eher die Werke mit Klavier als die Streichquartette einfallen. Aber Mendelssohns, Schumanns, Dvoraks und Brahms' Quartette sind wohl doch wichtigere Werke als ihre Klaviersonaten (sofern vorhanden, ich weiß nicht, ob Dvorak welche komponiert hat).

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    (Bob Dylan)

  • Ludwig van Beethoven passt sicherlich am besten unter diese Fragestellung, weil er, mal abgesehen von Bach und Mozart in ihrer Gesamtbedeutung, auf etlichen Gebieten der (Wiener) Klassik (mit) der Größte war.
    Das betrifft:
    - die Sinfonien,
    - die Klavierkonzerte,
    - die Klaviersonaten,
    - die Violinsonaten,
    - die Streichquartette,
    - die Cellosonaten;


    dazu hat er:
    - über 600 Lieder komponiert (bzw. bearbeitet),
    - mit die größte Messe komponiert (Missa Solemnis),
    - mit die größte Oper komponiert (Fidelio);
    - mit das größte Violinkonzert komponiert;


    Mir fällt keiner aus der Klassik und Romantik ein (vielleicht bis auf Mozart, der aber auf einem ganz anderen Blatt steht), der in derartig vielen Segmenten der klassischen Musik "die erste Geige" spielt..


    Von dem, was Wolfram (Posting Nr. 11) sagt, kann ich ohne Weiteres unterstreichen, dass Beethoven nicht auf Bruckner, sonder auf Mahler hinausweist, ebenso, wie ich (im Gegensatz zu Wolfram) Schubert also Protagonisten Mahlers ansehe, während mir Bruckner eine ganz eigene romantische Linie einzuschlagen scheint, ganz ohne Vorläufer (auch nicht Wagner), sonder selber Protagonist, unf zwar für das 20. Jahrhundert. Bruckner schien auch nicht viel mit der für viele von uns größten Sinfonie, der Neunten von Beethoven im Sinn zu haben, wie wir von seiner Meinung über das Choralfinale wissen.


    Außerdem spielen Bruckner und Wagner für mich eine Sonderrolle, weil sie zwar Großes geschaffen haben, aber relativ Weniges, ganz im Gegensatz zu Bach und Schubert, die über 1000 Werke geschaffen haben, und Mozart und Beethoven, die an die 1000 Werke geschaffen haben.


    Wenn man die Zeit nimmt, die ihnen zur Verfügung stand, dann müssten Mozart und Schubert in den Focus rücken.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Denn deren Sinfonien sind beide ohne Beethoven völlig undenkbar


    Die Kraft dieses Argument wird m. E. entscheidend geschwächt, wenn man bedenkt, dass Beethovens Sinfonien ohne Haydn völlig undenkbar wären ... warum also nicht Haydn als Modell?


    Deswegen ist das keine einseitige oder willkürliche Setzung, sondern m.E. eine der deutlichsten Abhängigkeiten in der Musikgeschichte.


    Siehe oben - "Willkür" wäre mir auch zu stark, aber Beethoven hat bei allen besser ins Vorbild-Denken, in die Suche nach einem Ideal gepasst, als dies bei Haydn der Fall war. Er hatte mehr Eigenschaften, die en vogue waren, das Titanenhafte, die Taubheit, die Misanthropie, ...


    Ich verstehe nicht, inwiefern Bruckner und Mahler "Sinfonie" anders verstanden haben sollten als Beethoven.


    Dagegen hift Hören! :hello:


    Nein - Spaß beiseite. Du willst mich wohl zur Diskussion verlocken?!


    Statt des Beethovenschen Gegeneinanders haben wir ein Nebeneinander von Themen und Motiven. Bruckners Finalapotheosen von Kopfsatzthemen sucht man bei Beethoven wohl vergebens. Beethovens prozessualen Zeitverständnis steht bei Bruckner ein eher statisches Zeitverständnis gegenüber.


  • Die Kraft dieses Argument wird m. E. entscheidend geschwächt, wenn man bedenkt, dass Beethovens Sinfonien ohne Haydn völlig undenkbar wären ... warum also nicht Haydn als Modell?


    Kein Widerspruch. Haydn und Mozart waren Beethovens "Modelle". Seit ihren späten Sinfonien steht diese Gattung im Mittelpunkt der Instrumentalmusik und des öffentlichen Konzerts, selbst wenn auch zu Beethovens Zeiten noch beinahe jedes Konzert Gesangs- oder mindestens solistische Beiträge enthielt.
    Beethoven hat dann mit der Eroica und noch mehr mit der 9. (ggf. auch mit der 5. und 6.) die Dimension des "Ideenkunstwerks" hinzugefügt.
    Damit konnte er sowohl für Berlioz u.a. "Programmusiker" und Wagner, der die Sinfonie als nunmehr obsolet und durch das theatralische Gesamtkunstwerk zu ersetzen ansah, als Vorbild dienen, wie auch für den eher "klassizistischen" Strang von Mendelssohn bis Brahms. Letztere hätten im Prinzip auch an Haydn anknüpfen können (und Mendelssohn hat das in den "Streichersinfonien", Brahms in der 1. Serenade auch getan). Aber de facto scheint in der Sinfonik Beethoven Haydns und Mozarts Beiträge "abzuschirmen". Das ist für mich auch nachvollziehbar, weil er bei mindestens gleichbleibender Stringenz die Ausdrucksdimension erweitert hat.


    Zitat


    Siehe oben - "Willkür" wäre mir auch zu stark, aber Beethoven hat bei allen besser ins Vorbild-Denken, in die Suche nach einem Ideal gepasst, als dies bei Haydn der Fall war. Er hatte mehr Eigenschaften, die en vogue waren, das Titanenhafte, die Taubheit, die Misanthropie, ...


    Ich glaube nicht, dass sich Musiker wie Schumann oder Brahms (der Haydn verehrte) von Anekdötchen, Taubheit und Geniegebaren mehr beeindrucken ließen als von der Musik. Soweit ich sehe hat sich keiner den Menschen Beethoven zum Vorbild genommen (jedenfalls keiner der ernstzunehmenden Musiker, um die es hier geht).


    Zitat


    Dagegen hift Hören! :hello:


    Nein - Spaß beiseite. Du willst mich wohl zur Diskussion verlocken?!


    Statt des Beethovenschen Gegeneinanders haben wir ein Nebeneinander von Themen und Motiven. Bruckners Finalapotheosen von Kopfsatzthemen sucht man bei Beethoven wohl vergebens. Beethovens prozessualen Zeitverständnis steht bei Bruckner ein eher statisches Zeitverständnis gegenüber.


    Ich würde nie bestreiten, dass Bruckner einen sehr eigenen Stil entwickelt hat. Aber mal abgesehen von der in vielen Sinfonien offensichtlichen Übernahme des "Entstehen aus dem Nichts"-Beginns und teils auch anderer Details von Beethovens 9. (zB Aufgreifen von Themen/Motiven früherer Sätze im Finale), bleibt er m.E. in dem von Beethoven vorgesteckten Rahmen. Jedenfalls sehe ich keine solche Neuorientierung wie sie Beethoven mit der Eroica, erst recht mit der 9. geliefert hat. Die umfangreichen und "gewaltsamen", apotheotischen Finali sind ja ebenfalls in Beethovens 5. und 9. vorgeprägt, ebenso das Aufgreifen von Material aus vorhergehenden Sätzen.
    Zumindest in den späten Quartetten wie op.130/133 und 131 ist die "zyklische" Form, in der ein Leitmotiv sich durchs ganze Stück zieht bzw. im Finale wieder prominent aufgegriffen wird, auch schon explizit da. Freilich nicht so plakativ wie bei Berlioz, Tschaikowsky oder Bruckner, Beethoven war halt etwas subtiler...
    Bei allen Unterschieden kann man ein Finale wie das der 5. Bruckners vermutlich schon als einen Versuch sehen, die Exaltation und Erhabenheit von Beethovens 9. mit instrumentalen Mitteln zu erreichen.


    Die Nähe Mahler 2 und Beethoven 9 brauchen wir wohl nicht zu diskutieren. Natürlich hat auch Mahler nicht einfach klassizistisch Beethoven kopiert (das hat Brahms auch nicht getan). Mit der Sinfonie als "Ideenkunstwerk" knüpft er diesbezüglich aber noch deutlicher bei Beethoven an als Bruckner.
    Ich finde eben auch nicht unwichtig, dass Beethovens Instrumentalwerke einerseits Höhepunkt einer Entwicklung seit der Frühklassik sind, andererseits für ein Jahrhundert oder länger ein Paradigma bieten, während Mahler und Bruckner doch sehr deutlich als Endpunkte gelten müssen. Sicher kann man bei Berg u.a. Mahlers Einfluss hören. Aber der komponiert eben keine anderthalbstündigen Monstersinfonien.

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  • Vielleicht ist es ganz einfach: Wenn man mal einfach die "großen" Werke nimmt. Dann gibt es bei Mahler, bei Bruckner, bei was ich wem, immer eine ganze Menge Leute, denen das einfach nicht gefällt. Ich glaube, das ist bei Beethoven anders. Irgendwie mag das jeder. Und das ist vielleicht das ganz besondere.
    Zugegeben sehr einfach. Aber vielleicht auch wahr?
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Lieber Klaus, Du hast völlig Recht.


    Wer kennt Sie nicht, die Fünfte, die Dritte (Eroica), die Neunte mit Chor (Freude schöner Götterfunken wird ja schon von Schlagerinterpreten geträllert), Kinderfilm "Ein Hund namens Beethoven", das Violinkonzert (nur eines), Fidelio (nur eine Oper), die Sonaten Pathetique, Waldstein, Appassionata, Moonlight, Klavierkonzert Nr. 5 "Emporer". Die Verwendung seiner Musik für Werbezwecke und vieles andere mehr. Die meisten wissen sogar, dass er zum Schluss sein Gehör verloren hatte. Der Bekanntheitsgrad auf Tonträger ist gewaltig und es kommen immer wieder neue hinzu, auch wenn es von Mozart und Hayden möglicherweise mehr Aufnahmen gibt, das
    hängt natürlich auch mit der Gesamtzahl der Kompositionen zusammen. Er ist und bleibt deutscher Komponist, auch wenn er in Wien beigesetzt wurde.


    "Die Worte „Schade, schade, zu spät!“ sollen die letzten Worte gewesen sein, die der Musiker Ludwig von Beethoven vor seinem Dahinscheiden am 26. März 1827 in Wien geäußert hat."


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Er ist und bleibt deutscher Komponist, auch wenn er in Wien beigesetzt wurde.


    Selbstredend, lieber Bernward, war Österreich doch bis 1866 sogar die Präsidialmacht im Deutschen Bund, der wichtigste deutsche Staat. Jahrhunderte lang saßen die römisch-deutschen Kaiser in Wien, der Quasi-Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Von einer wirklich eigenständigen österreichischen Geschichte kann man erst nach 1866, vollumfänglich gar erst nach 1945 sprechen. Noch Kaiser Franz Joseph meinte stolz: "Ich bin ein deutscher Fürst."


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Eine Zustimmung macht mir Mut.
    Denn wenn das so ist, (und dass er in Werbung, Schlagern usw. verbraten wird, spricht nicht gegen ihn!), dann hat er vielleicht wirklich etwas getroffen, was die Welt musikalisch zusammenhält. Den Ton, der wahr ist. In ihm fand eine Suche ein Ende.
    Sicher, die Suche geht weiter und es wird immer wieder auch gefunden. Aber er fand essentielle Dinge in geballter Form. Jedes seiner Werke (na ja, sehr viele) haben in ihrer Art etwas Endgültiges, Abschließendes.
    Ich finde, dass seine 9. der Schlusspunkt einer Entwicklung über Jahrhunderte war.
    Nach dem Schlusspunkt ging es zwar weiter. Aber alles war nach Beethoven anders.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Noch Kaiser Franz Joseph meinte stolz: "Ich bin ein deutscher Fürst."

    Ja, natürlich. Habe heute per Zufall 2 Stunden mit meinem früheren Chef, der morgen nach Südtirol in Urlaub fährt, einem Österreicher "Nachhilfeunterricht" bekommen über Joseph II. Das war für mich hochinteressant. Dass mit Beethoven (deutsch oder Alpenrepublik) war eher spaßig gemeint. Der Grund, weshalb ich ihn über Joseph II gefragt habe, war übrigens dein Avatar.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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  • Ludwig van Beethoven passt sicherlich am besten unter diese Fragestellung, weil er, mal abgesehen von Bach und Mozart in ihrer Gesamtbedeutung, auf etlichen Gebieten der (Wiener) Klassik (mit) der Größte war.


    [...]


    Mir fällt keiner aus der Klassik und Romantik ein (vielleicht bis auf Mozart, der aber auf einem ganz anderen Blatt steht), der in derartig vielen Segmenten der klassischen Musik "die erste Geige" spielt..


    Das war aber nicht die Besonderheit, die Alfred festzustellen meinte. Es ging zum einen erstmal nur um die Sinfonien. Und wie Du zurecht andeutest, müsste für Bach, Mozart, in etwas geringerem Maße auch für Händel, Haydn, Schubert, Schumann, Brahms, Dvorak und etliche andere gelten, dass sie "größte gemeinsame Nenner" wären, wenn es dafür darauf ankäme in diversen Gattungen viele Meisterwerke komponiert zu haben.


    Zitat


    Bruckner schien auch nicht viel mit der für viele von uns größten Sinfonie, der Neunten von Beethoven im Sinn zu haben, wie wir von seiner Meinung über das Choralfinale wissen.


    Was hat Bruckner denn zum Chorfinale gemeint? Unüberhörbar ist doch, dass die typischen Sinfonieanfänge Bruckners (also zB nicht die 5., aber besonders 3, 4, 8 und 9) die Idee von Beethovens 9. einer Steigerung/Entstehung der Hauptthemen "aus dem Nichts". Oder der Anfang vom Finale der 5. ist ebenfalls abgekupfert, mit den Zitaten der vorhergehenden Sätze. Natürlich klingt Bruckner in vieler Hinsicht auch anders als Beethoven. Aber der Einfluss ist nicht zu leugnen und m.E. eindeutiger als der Schuberts, wenngleich ich den auch nicht bestreiten will. Da bin ich nämlich bei vielen Sachen gar nicht sicher, ob das nicht gemeinsames Erbe österreichischers Volks- und Populär- oder Tanzmusik ist.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich würde nie bestreiten, dass Bruckner einen sehr eigenen Stil entwickelt hat. Aber mal abgesehen von der in vielen Sinfonien offensichtlichen Übernahme des "Entstehen aus dem Nichts"-Beginns und teils auch anderer Details von Beethovens 9. (zB Aufgreifen von Themen/Motiven früherer Sätze im Finale), bleibt er m.E. in dem von Beethoven vorgesteckten Rahmen. Jedenfalls sehe ich keine solche Neuorientierung wie sie Beethoven mit der Eroica, erst recht mit der 9. geliefert hat. Die umfangreichen und "gewaltsamen", apotheotischen Finali sind ja ebenfalls in Beethovens 5. und 9. vorgeprägt, ebenso das Aufgreifen von Material aus vorhergehenden Sätzen.


    Lieber Johannes,


    dass man die bisweilen nebelartigen Sinfonieanfänge bei Bruckner auf Beethovens 9. beziehen kann oder nicht - ok. Wenn ich Beethovens 9. mit Furtwängler höre, dann ja, wenn ich sie mit Toscanini höre, bestimmt nicht.


    Die "Apotheosen" bei Beethoven sehe ich so nicht - was ersteht denn da wieder auf? Bei Bruckners 3., 4. und 7. erscheinen Themen aus dem Kopfsatz am Schluss des Finales in großer Steigerung - da wird etwas, was zuvor "menschlich" war, auf eine neue Stufe erhoben, wird vergöttlicht, wird apotheisiert.


    Beethovens 5. + 9. setzen den "per aspera ad astra"-Gedanken um. Brahms folgte ihm darin in der 1. Sinfonie. Aber Bruckner? Die Sache scheint mir doch eine ganz andere zu sein.


    Und wo wären Sinfonieanlagen wie in der Pastorale, wie in der fast suitenartigen 7. bei Bruckner zu finden? Nein. Es gibt punktuelle Übernahmen, meinetwegen die nebelartigen Anfänge (nur eine einzige Sinfonie Beethovens als Vorbild), meinetwegen der Beginn der Finales von Bruckners 5. mit Rekapitulation der Themen aus früheren Sätzen (dito). Ansonsten? Drei Themen statt zwei, Anlegen der Sätze, auch der langsamen, auf Höhepunkte, Nebeneinander von Kraftfeldern statt Ringen von Energien miteinander. Bruckner macht völlig Neues.


    Wenn überhaupt, dann würde ich das Scherzo der 9. Sinfonie Beethovens als einen Punkt sehen, wo Bruckner bei Beethoven anknüpft, ohne das genau in Worte fassen zu können.


  • Lieber Johannes,


    dass man die bisweilen nebelartigen Sinfonieanfänge bei Bruckner auf Beethovens 9. beziehen kann oder nicht - ok. Wenn ich Beethovens 9. mit Furtwängler höre, dann ja, wenn ich sie mit Toscanini höre, bestimmt nicht.


    Wie deutlich das wird, mag von der Interpretation abhängen. Aber der Einfluss ist völlig eindeutig, in der Literatur meines Wissens unstrittig und "für jeden Esel" naiv hörbar. Dass fallende Quinten u.ä. bei Bruckner häufig sind, mag der Gestalt seiner Themen geschuldet sein. Aber der Aufbau eines Themas nach einer Steigerung statt einer Themenvorstellung stammt ohne jeden Zweifel von Beethovens 9. und sonst nirgendwoher.



    Zitat

    Die "Apotheosen" bei Beethoven sehe ich so nicht - was ersteht denn da wieder auf? Bei Bruckners 3., 4. und 7. erscheinen Themen aus dem Kopfsatz am Schluss des Finales in großer Steigerung - da wird etwas, was zuvor "menschlich" war, auf eine neue Stufe erhoben, wird vergöttlicht, wird apotheisiert.


    Naja, ich meinte das etwas allgemeiner und unspezifischer. Erst einmal in dem Sinne, dass die Sinfonie auf das Finale als Höhepunkt zusteuert. Das hat Beethoven mit der 5. und 9. exemplarisch vorgeführt. Und dann die "zyklische" Form, also das Aufgreifen von Themen in späteren Sätzen oder eine Art "Leitmotiv"/Idee fixe für ein ganzes Werk. Das gibt es bei Beethovens 5. mit dem Klopfmotiv. Freilich wird dieses Motiv nicht zur Apotheose erhoben. In den beiden genannten Quartetten bestimmt jeweils ein aus einem vorher aufgetretenen Motto (dem berühmten "Viertonmotiv", das in op.132 ebenfalls im Kopfsatz auftaucht) gewonnenes Motiv das Finale. Bei op.131 erscheint dann die erstere Gestalt als cantus firmus im Finale. Und in der großen Fuge könnte man die Coda durchaus als "Apotheose" des etwas entschärften Fugenthemas verstehen.



    Zitat

    Und wo wären Sinfonieanlagen wie in der Pastorale, wie in der fast suitenartigen 7. bei Bruckner zu finden?


    Was an einem außerordentlich geschlossen wirkenden Werk wie de 7. "suitenartig" sein soll, weiß ich zwar nicht, aber ich habe auch nie behauptet, dass Bruckner Beethovens Sinfonien Stück für Stück kopiert oder sich von ihnen allen inspirieren lässt. Offensichtlich hatte Bruckner keine 9 so unterschiedliche Werke im Sinn.



    Zitat

    Es gibt punktuelle Übernahmen, meinetwegen die nebelartigen Anfänge (nur eine einzige Sinfonie Beethovens als Vorbild), meinetwegen der Beginn der Finales von Bruckners 5. mit Rekapitulation der Themen aus früheren Sätzen (dito).


    Dass es in erster Linie um die 9. als Vorbild ging, hatte ich als offensichtlich vorausgesetzt, sorry wenn das nicht klar wurde. Aber wie gesagt, halte ich das für etwas mehr als punktuell.
    Für meinen ursprünglichen Punkt ist nur wichtig, dass Bruckner in vielen Hinsichten wie Viersätzigkeit mit den üblichen Satztypen in der üblichen Reihenfolge, Sonatenform, ebenso ungefähr im Umfang (gemessen an Beethovens 9., über den nur seine 5., 8. und, falls sie vollendet worden wäre, 9. hinausgehen), sowie in einzelnen, nichtsdestoweniger sehr auffälligen Merkmalen wie den Satzanfängen von Beethoven beeinflusst ist bzw. in dessen Rahmen bleibt.
    Während ich das von Liszts Faustsinfonie oder von Mahlers 3. so nicht behaupten würde. Deswegen kann man nicht alternativ Bruckner als "Norm" rückprojizieren.
    Außerdem, und das ist sicher weniger strittig (da ja Deine und Willis Argumente genau in diese Richtung gehen) könnte man auch sagen, dass Bruckners Sinfonien zu eigenbrötlerisch sind, um in irgendeiner Form als Norm dienen zu können. Sein Einfluss auf Mahler ist m.E. tatsächlich nur punktuell und spätestens Mahler ist dann eben endgültig der Abschluss und kein Paradigma mehr für folgende Sinfoniker.



    Zitat

    Drei Themen statt zwei, Anlegen der Sätze, auch der langsamen, auf Höhepunkte, ...


    Was das besondere an "drei" Themen bei Bruckner sein soll, habe ich nie verstanden. Der Kopfsatz der Jupitersinfonie hat mindestens 3 (nämlich zu "Haupt-" und Seitenthema, das bekannte Zitat in der Schlussgruppe, der der Eroica hat mindestens 5, eher 7 (Anfangsthema, ein lyrisches und ein "zackiges" Überleitungsthema, eigentliches Seitenthema, evtl. noch ein weiteres Motiv aus der Schlussgruppe und schließlich das berühmte neue e-moll-Thema nach dem "Zusammenbruch" in der Durchführung).
    Dass Hauptsätze auf Höhepunkte hin ausgelegt sind, ist schon bei Mozart und Haydn die Regel und man fände sicher auch Beispiele in langsamen Sätzen. z.B. im Trauermarsch der Eroica das Fugato bzw. dessen Höhepunkt oder im adagio der 9. die Stelle mit den Fanfaren.
    Wiederum, dass Bruckner vieles neuartig und anderes macht als Beethoven habe ich nie bestreiten wollen.



    Zitat

    Nebeneinander von Kraftfeldern statt Ringen von Energien miteinander. Bruckner macht völlig Neues.


    Das ist Metaphorik. Wie gesagt, ich habe nie behauptet, dass Bruckner Beethoven kopiert oder in jeder Hinsicht ihm ähnlich komponiert. Nur dass er die Gattung nicht in dem Sinne wirkmächtig und einflussreich bestimmt wie Beethoven, sondern von diesem beeinflusst ist

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