Andrea Chénier - Wiener Staatsoper, 6.2.2012

  • „Jetzt weiß ich, warum ich mir diese Oper schon lange nicht mehr angeschaut habe.“ Dieses Zitat stammt nicht vom Rezensenten, sondern dies hörte ich von einigen Besuchern nach der Vorstellung. Die wohl bekannteste Oper von Umberto Giordano ist ehrlich gesagt im Vergleich mit anderen Werken nicht unbedingt in die allererste Reihe zu stellen. Was bewegt nun Opern-Aficionados sich im Schneesturm in die Oper zu begeben? In meinem Fall war es der Sänger der Titelrolle, Johan Botha.


    Die Produktion hat schon etliche Jährchen auf dem Buckel – und dass am Abendzettel „nach einer Regie von Otto Schenk“ steht, hat wohl seine Berechtigung. Von Personenregie kann man wohl nicht mehr reden, es ist zum Großteil Rampentheater, das da geboten wurde. Das Bühnenbild stammte von Rolf Glittenberg und führte die Besucher in das revolutionäre Frankreich, auch die Kostüme von Milena Canonero passten in diese Zeit. Insofern war die Szene durchaus angenehm anzuschauen – vielleicht einen Deut zu beschaulich!


    Um wieder auf Johan Botha zurückzukommen – war es das Wetter, das es mit sich brachte, dass er ein einigen Phasen angestrengt klang? Gerade von Botha ist man doch gewohnt, dass er mühelos seine Partien singen kann. Doch an diesem Abend gab es einige Phrasen, wo eine gewisse Anstrengung hörbar war. Er war höhensicher wie immer, und – was man von ihm auch gewohnt ist – es ging auch ein wenig das ab, was zwischen den Noten geschrieben steht. Allerdings wiegt sine vibratoarme und strahlende Stimme das mehr als auf. Er sang wunderbar die Arie im 4.Akt, allerdings war seine Erzählung im 1.Akt nicht ganz perfekt gesungen – und zum Schluss der Oper hatte er eine für seine Klasse ziemlich desaströse halbe Minute, als er gleich drei Mal ziemlich daneben sang. Ob es eine Konditionsfrage war oder doch äußere Umstände kann man nicht beantworten – hoffen wir auf das Letztere.


    Den besten Eindruck des ganzen Abends hinterließ Franco Vassallo, der nach seiner Arie im dritten Akt den größten und längst andauernden Zwischenapplaus des gesamten Abends erhielt. Er hat eine fundierte Tiefe, ein männlich-samtenes Timbre und war auch sehr höhensicher. Glaubwürdig gestaltete er den Gérard und gab ihm ein zutiefst menschliches Profil mit allen Stärken und Schwächen dieser Figur.


    Norma Fantini ist sicherlich kein absoluter Topstar, allerdings habe ich von ihr in Wien noch nie einen Abend gehört, an dem sie enttäuscht hat. Auch dieses Mal sang sie ihren Part mehr als solide, ihr leichtes Vibrato ist Geschmackssache.Die restlichen Partien wurden durch das Ensemble abgedeckt, wobei sich die Sängerinnen und Sänger unterschiedlich präsentierten.


    Zoryana Kushpler hat im letzten Jahr an der Staatsoper für wirklich beeindruckende Auftritte gesorgt (Cavalleria, Ring), insofern muss man an sie schon hohe Ansprüche stellen, da man weiß, dass sie es ja kann. Unter dieser Prämisse hat ihre Bersi doch noch Potential, dass sie vielleicht in einer kommenden Serie komplett ausschöpfen kann.


    Überhaupt nicht glücklich war ich mit Aura Twarowska (Gräfin de Coigny) und Benedikt Kobel (Abbé). Nach der wirklich guten Leistung von Herrn Kobel in der Nozze-Serie war die gesangliche Leistung doch eine herbe Enttäuschung.


    Ich hatte Maria José Montiel noch nie zuvor gehört und war sehr angetan. Sie konnte aus der Rolle der Madelon das Bestmögliche rausholen und wurde beim Schlussvorhang auch mit einem Blumenstrauß bedacht. Ebenfalls von sehr hoher Qualität war die Interpretation des Mathieu durch Wolfgang Bankl. Großartige Leistung! In die Reihe der erfreulichen Leistungen des Abends gehört auch Marco Caria (Roucher), auf dessen Entwicklung ich sehr gespannt bin.


    Janusz Monarcha (Schmidt), Dan Paul Dumitrescu (Dumas), Marcus Pelz (Pietro Fléville) und James Roser (Haushofmeister; Stipendiat der Opera Foundation Australia) waren im positiven Sinne solide. Alexandru Moisiuc ist immer dann gut, wenn er fiese Charaktere interpretiert, wie in diesem Fall den Fouquier Tinville. Von Michael Roider als Incroyable habe ich mir mehr erwartet.


    Pinchas Steinberg leitete das Staatsopernorchester gewissenhaft, doch lag es nach meiner Meinung an ihm und seiner Tempovorstellung, dass der Abend musikalisch nie so richtig in Schwung kam. Besonders der (doch kurze) erste Akt war gefühlt doppelt so lang wie tatsächlich. Thomas Lang hat den Staatsopernchor gut einstudiert.


    Es war keine Sternstunde, doch Johan Botha konnte stimmliche Highlights setzen und Franco Vassallo bestach durch eine durchgehend gute Leistung. Es war ein guter Repertoireabend einer Oper, die man nicht alltäglich am Spielplan findet – und wo es sich nur auszahlt, diese anzusetzen, wenn man einen Weltklasse - Andrea Chénier aufbieten kann.

    Hear Me Roar!

  • Zitat

    Es war ein guter Repertoireabend einer Oper, die man nicht alltäglich am Spielplan findet –


    Hallo, Dreamhunter!


    Ich kann dich nur beneiden, diese Oper in dieser Besetzung und Inszenierung gesehen und gehört zu haben. Das war mir nicht vergönnt. Andrea Chenier gehört zu meinen Lieblingsopern, konnte sie aber noch nie auf einer Bühne erleben. Na ja, vielleicht wird es doch noch einmal Wirklichkeit.



    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Es war ein guter Repertoireabend einer Oper, die man nicht alltäglich am Spielplan findet – und wo es sich nur auszahlt, diese anzusetzen, wenn man einen Weltklasse - Andrea Chénier aufbieten kann.


    Ich höre diese Oper immer gerne (insbesondere auch auf die Details im Orchester). Aber gute Sänger können natürlich nie schaden.


    Eine Inszenierung über die man sich sehr freuen kann ... was ist beschaulich?

  • Unter "beschaulich" meine ich, dass auf der Bühne quasi "Standgemälde" gezeigt werden, es fehlt da eine gewisse Energie. Der Chor steht mehr oder weniger teilnahmslos herum, ebenso die Sänger, die gerade nicht an der Reihe sind. Es geht wirklich eher gemütlich zu - was in Anbetracht der Tatsache, dass Menschen zum Tode verurteilt werden, doch eher unglaubwürdig ist.

    Hear Me Roar!

  • Ich war in der Vorstellung am 3. Ähnlich nüchtern fällt auch mein Gesamteindruck aus - abgesehen davon, dass ich diese Oper heiss liebe!! Ich bin also wegen der Oper und Botha hingegangen.



    Botha war leider nicht optimal disponiert und/oder hat stimmlich merklich abgebaut. Die hohen Noten waren immer sicher, aber die Mittellage hat vor allem zu Beginn doch hörbar weniger fest und unsicher geklungen - hat viele wichtige Stellen verschenkt. Dass ihm stilistisch und als Darsteller alles fehlt, muss glaube ich nicht extra erwähnt werden. Ist aber gegen Ende hin besser geworden und hat die Partie zumindest voll ausgesungen und nirgendwo gespart. (Cura etwa hat gut und gerne ein Drittel jener Notenwerte, die ihm nicht so wichtig erschienen, nicht ausgesungen.) In der letzten Arie hatte er ein paar schöne mezze voci und Nuancen - was man von Vassallo leider nicht behaupten kann. Prachtvolles Material, aber kein besonders feiner Sänger und Interpret. - So eine Art Protti-Rauhbein. Von Norma Fantini hab ich mir mehr erwartet: eine schlecht fokussierte, scheppernde Stimme in allen Lagen mit etwas kurzer Höhe. Eine engagierte, stark gestikulierende Darstellerin, womit sie vielleicht einige stimmliche Mängel wettmachen kann, aber im Grunde beliebig auswechselbar gegen viele andere mittelmäßige Sängerinnen.
    Norbert Ernst als Incroyable nicht schlecht! Die Madelon hat mir viel zu viel auf die Bruststimme gedrückt. Die Bersi war über weite Strecken unhörbar.


    Gegen die Inszenierung habe ich nichts einzuwenden. Sie funktioniert und wirkt immer noch gut. Otto Schenk hat wenigstens einen Sinn für Praxis Bühnenwirkung - damit hat er vielen aktuellen Kollegen Einiges voraus. Die Sänger und der Chor stehen weniger herum als in so manch anderer Inszenierung.


    Hat jemand Botha kürzlich gehört - was ist mit ihm los?

  • Ich muß eine Lanze für Pinchas Steinberg brechen, der gestern (6.2.) einen spannenden, von einem herrlich disponierten Orchester geleiteten Abend gestaltete. Ansonsten bin ich mit meinen Vorrednern großteils d'accord. Da ich in der 3.Reihe Parkett saß, konnte ich vor allem die herrliche Orchesterleistung unter Konzertmeister Rainer Küchl, die überirdisch herrlichen Cellosoli, ja die gesamte Cellogruppe, die meisterhaft gespielten Harfenpassagen, die Holz- und Blechbläser, die sowohl dezente pp als auch auftrumpfende ff in den dramatischen Passagen boten, die ziseliert-irisierenden Streicherklänge der Violinen und Violen sowie die machtvollen Bässe und das pointierte Schlagwerk hautnah miterleben.


    Über die Gesangsleistungen kann man so unmittelbar hinter der schweren Artillerie sitzend nur unzureichend berichten. Botha war eine herbe Enttäuschung, auch wenn ihm einige spektakuläre Spitzentöne gerieten - peinlich war der Botha-Clan, oder waren es die ahnungslosen Touristen, die in eine Taktpause des Improvviso hemmungslos hineinapplaudierten. Was ich Botha ankreiden muß, war seine Unfähigeit, Ausdrucksnuancen, gar dramatische Akzente einzubringen. Kein Wunder, dass ihm deshalb besonders das Duett mit Madeleine im 2. Akt und das schon erwähnte "Come un bel dì di maggio" im Finale noch am besten gelangen.


    Norma Fantinis Vibrato war schon ein bißchen grenzwertig, die Höhe ist etwas scharf, aber ihre Legatopassagen waren doch recht einehmend.


    Franco Vassallo war als Figur kaum vorhanden, jedenfalls konnte er keinen Schrecken einjagen. Die Stimme ist recht gut, die Höhen ab Akt 2 kamen auch beeindruckend.


    Höhepunkt war für mich aber die blutjunge Maria J. Montiel als alte Madelon. Diese Debütantin gestaltete neben der stimmlich beeindruckenden Leistung auch eine großartige Charakterstudie. Alle Achtung!


    Die Comprimarii waren teils akzeptabel, teils aber doch grenzwertig. Da müßte ein Haus vom Range der Wiener Staatsoper doch bessere Qualität anbieten können.


    Abschließend erlaube ich mir die Feststellung, dass Giordanis "Chénier" für mich zweifellos den großen Meisterwerken der Opernliteratur zuzurechnen ist.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)