Bedeutende Werke geistlicher Musik

  • Hallo Taminos,


    hier ein Thema, das mir schon länger am Herzen liegt:
    Wie haltet ihr es mit geistlicher Musik oder mit dem Anspruch, spirituelle/geistliche Inhalte zu vertonen.
    Ich hatte ja schon im „Heute gekauft-Thread“ kurz Golijovs Passion erwähnt (auch wenn noch keine Passionszeit ist).
    Im Jahre 2000 wurde anlässlich des Bach-Jahres von der Stuugarter Bach-Akademie ein Kompositionsauftrag an vier Komponisten aus unterschiedlichen Kulturkreisen vergeben. Zu Erhren kamen Sofia Gubaidulina, Tan Dun, Osvaldo Golijov und Wolfgang Rihm, die alle den Auftrag bekamen, die Passionsgeschichten Matthäus, Markus, Johannes und Lukas zu vertonen. Heraus kamen sehr unterschiedliche Werke: am besten gefällt mir die Johannes-Passion von Gubaidulina (die mittlerweile um einen 2.Teil: Johannes-Ostern erweitert wurde).



    Tan Duns Water-Passion nach St.Matthäus plätschert etwas vor sich hin, Wolfgang Rihms Lukas-Passion wirkt etwas karg und spannungsarm und Golijov (Markus-Passion) gefällt mir mit seinem folkloristischen Stilmix überhaupt nicht.



    Aber es gibt nicht nur diese: im allgemeinen ist zu erkennen, dass sich viele Künstler, auch gerade viele aus dem östlichen Kulturkreis wie Pärt, Schnittke, Gubaidulina, Penderecki, Gorecki (und wie sie noch alle heißen mögen…) rückbesinnen auf religiöse/spirituelle Aspekte und dies in ihrer Musik ausdrücken.
    Aber es geht nicht nur um zeitgenössisches, sondern auch um das gesamte Spektrum geistlicher Musik in allen Facetten. Was ist empfehlenswert? Welche Schätze liegen noch im Verborgenen? Hier geht es mir in erster Linie darum, Werke kennenzulenen. Für unterschiedliche Interpretationen kann ja später (oder früher, wie BBB's Thread über Mozart c-moll Messe) ein eigener Thread erfolgen.


    Gruß aus Hamburg
    Uwe

  • Hallo Uwe,


    Die Zeichen sind günstig:


    Durch die "Klassikkrise" bei den "Großen" haben viele der sogenannten "Kleinlabels" (viele davon sind alles andere als "klein", sie sind halt keine Dinosaurier vom Typ Tytannosaurus Rex :D ) an Terrain gewonnen und widmen sich interessantem "Nischen repertoire"


    Dabei waren die eingespielten Werke zu ihrer Zeit oft sehr bekannt und beliebt, ihre Komponisten hochberühmt und geschätzt.


    Eines jener Werke, von denen ich spreche ist das Oratorium


    "Moses in Ägypten"


    von Leopold Kozeluch.
    Kozeluch (Es gibt etliche Schreibweisen) war ein Zeitgenosse Mozarts (1747-1818, die beiden Herren kannten sich persönlich, mochten einander aber dem Vernehmen nach nicht besonders. Kozeluch war sehr selbstsicher und von sich überzeugt, wußte aber, daß Mozart "der Bessere" war. Das geht eindeutig aus einem Brief hervor, der uns überliefert ist.




    Mozart jedoch sah in Kozeluch zu Recht einen ernstzunehmenden Konkurrenten, etwas womit er nicht umgehen konnte.


    Hört man Kozeluchs Werke genauer, so wird man feststellen, daß seine Tonsprache eine eigenene ist, nicht eine Imitation jener Mozarts.
    Wer sich näher informieren möchte, jpc bietet wie gewohnt Hörproben.
    (Mediaplayer verwender, er hat die bessere Tonqualität !!)
    Mich haben die Hörproben jedenfalls überzeugt, und so besitzte ich seit einigen Monaten dieses Oratorium. Es sei dahingestellt, ob es ein "unverzichtbares Meisterwerk" ist (ich hab mir die Frage gar nicht erst gestellt), hörenswert ist es IMO für die Liebhaber dieses Genre, allemal.


    Nach Fertigstellung dieses Postings habe ich noch das Zitat einer Kritik der Neuen Württembergischen Zeitung vom November 2003 gefunden, das ich euch nicht vorenthalten will:


    Zitat

    "Eine mitreißende Wiedergabe dieses italienischen Oratoriums, das wohl eher eine effektvolle biblische Oper ist, die allerdings mit einer großen, Gott preisenden Fuge endet."



    Gruß aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • in diesem Thema steckt so unendlich viel, daß man garnicht weiss, wo anfangen und aufhören:
    Eine wahre Großtat im Bereich Geistliche Musik ist die sich langsam dem Abschluss zuneigende Aufnahme sämtlicher geistlicher Kompositionen von William Bryd unterAndrew Carwood, auch interpretatorisch auf höchstem Niveau.
    Weltweit entfernt von mainstream, Mode und spirituuellem "Zeitgeist",
    ohne "Tintinnabuli" a la Pärt, ohne intellektuelle Bauchhöhlen-Schwangerschaft a la Rihm eine Musik, die gleichzeitig neu und uralt, einmal fremd und ein anderes mal tief vertraut ist:
    Reinhören und es wird einem anschliessend leichter fallen, die Spreu vom Weizen zu trennen:


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Die geistlichen Werke von Jean Baptiste Lully 1632-1687 (eher bekannt als Komponist pompöser Ballette und Opern) und seinem Nachfolger Michel Richard Delalande 1657-1726 gehören meiner Meinung nach zu den schönsten Werken geistlicher Musik.


    Lullys wichtigste große Motetten sind mit dem Concert Spirituel / Hervé Niquet bei Naxos auf 3 CD'S erschienen.
    Das Te Deum, das Miserere und das Dies Irae gibt es aber noch in anderen Interpretationen.


    Delalandes schönste Motetten wie z.B. das Dies Irae und das Miserere hat Philippe Herrewghe eingespielt.
    Das Te Deum, confitebor tibi Domine und Super flumina Babilonis hat Christie der Vergessenheit entrissen.
    Von Delalandes Grands Motets existieren mittlerweile auch einige Einspielungen.


    Komponiert wurden diese Motetten für die tägliche Messe am Hof Louis XIV. Sie stellen damit den Typus der "Versailler Motette" dar und unterscheiden sich dadurch ganz deutlich von der Kirchenmusik eines Marc Antoine Charpentier.


    Ein weiterer großer Komponist in dieser Tradition war Jean Joseph Cassanea de Mondonville 1711-1772.
    Besonders die Werke Dominus Regnavit, In exitu Israel und Venite Exultemus sind fantastisch.
    Einige der Grands Motets wurden von William Christie sowie Christophe Coin eingespielt.

  • Der Lullist schrieb:


    Zitat

    Lullys wichtigste große Motetten sind mit dem Concert Spirituel / Hervé Niquet bei Naxos auf 3 CD'S erschienen


    Obwohl ich geistliche Werke eher sparsam geniesse, weil sie mich immer an das allzuvergängliche diese Dasens erinnern ohne mir Trost spenden zu können, (ich bin Agnostiker) habe ich mich in diesem Falle aufgerafft und mal die erste CD davon gekauft.



    Sicher ist, daß die beiden weiteren folgen werden.
    Naxos machst es einem schon sehr leicht, auch "Nischenrepertoite" in die Sammlung einzubinden.


    Lullys Te Deum (das erste Stück auf der CD) steht IMO voll gleichberechtigt neben jenem von Charpentier, hat aber noch den Vorteil, daß man die Anfangsfanfare offensichtlich bei den Fernsehverantwortlichen noch nicht kennt, weil sonst hätte man sicher auch für sie Verwendung gefunden. ich weiß nicht, vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber immer wieder erinnert mich Lullys Musik an gewissen Stellen ein wenig an Monteverdi. (?)


    Vergleichende Interpretationsbeschreibung kann ich diesmal keine bieten, es gibt kaum Aufnahmen, allerdings haben Hervvé Niquet und sein "Le Concert Spiriituel " sich schon seit einiger Zeit einen guten Namen gemacht, auch wenn die nicht für die "Majors" aufnehemen...


    Trotzdem weise ich auf eine weiter Einspielung einzelner Motetten hin, nicht als Empfehlung, ich kenne die CD nicht, sondern lediglich als Information, die CD ist erst vor ca 3 Monaten erschienen.



    Grosse Motetten
    Jubilate Deo;Miserere mei Deus;Quare fremuerunt gentes;
    Domine salvum fac Regem
    Brahim-Djelloul, Guillon, Crook, Lamy, Musica Florea de Prague,
    Schneebeli


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Cd besitze ich (natürlich) auch, theoretisch würde ich sie auch empfehlen, aber die beiden großen Motetten "Miserere" und "Quare fremuerunt" wurden bereits von Hervé Niquet eingespielt und das in ziemlich ähnlicher Qualität, also lohnt sich diese Aufnahme nur dann wenn man an dem "Jubilate Deo" und dem "Domine salvum fac Regem" Interessiert ist. (Erstgenannte Motette wurde zu den Hochzeitsfeierlichkeiten Louis XIV komponiert daher auch "Motet de la Paix" - Das "Domine salvum fac Regem" wurde immer zum Schluß der königlichen Messe gesungen). Dennoch eine absolut schöne Einspielung!


    Das Miserere ist zusammen mit dem Dies Irae auch schon von Philippe Herrewghe eingespielt worde, allerdings lassen die beiden Motette hier etwas an der Rhytmik fehlen und schleppen sich etwas hin.


    Der Eindruck, dass es Anklänge an Monteverdi gibt ist völlig richtig, :yes:soweit liegen die Komponisten nicht auseinander und man kann davon ausgehen, dass Lully Monteverdis Werke kannte - Kardinal Mazarin war ja ein großer Verehrer der italienischen Komponisten Monteverdi, Cavalli und Rossi und einige Opern wurden am Hof auch aufgeführt. Die geistlichen Werke werden wohl ebenfalls ihren Weg in das Repetoire gefunden haben.

  • Mir ist noch eine CD in die Hände gefallen.


    Joseph Hector Fiocco 1703 - 1741
    der Sohn des etwas bekannteren Pietro Antonio Fiocco 1654-1714



    Missa Solemnis / Ave Maria / Homo Quidam
    Collegium Instrumentale Brugense / Capella Brugensis / Patrick Peire
    Erschienen bei Naxos


    Wenn man mich fragen sollte wie sich geistliche Musik des Barock anhört - dann würde ich diese CD einlegen.
    Es mag sein dass es nicht die tolltse Interpretation ist aber durchaus annehmbar, das Werk ist hier entscheidend.


    Mich wundert nur warum es von dieser Komponisten Familie bisher kaum Aufnahmen gibt ?(


    Man findet sowohl Anklänge an Bach, Händel, Lully und Vivaldi, seinen Vater kenne ich nur weil er in Brüssel einige Opern von Lully aufgeführt hatte und den Prolog bei den meisten Werken gegen einen unpolitischen ersetzt hatte.


    (Übrigens hier handelt es sich eher um ein fröhliches Werk ;) )

  • Hallo!


    ooh, da gibt es so viel Schönes, aber ich will meine Empfehlungen mal auf den deutschen Barock beschränken (und auch hier nur auszugsweise :D ). Das Label cpo ist da eine riesige Fundgrube (nein, ich bekomme nichts dafür 8o )


    Sehr hörenswert sind die vergangenes Jahr erschienenen Osterkantaten von Pachelbel. Prachtvoll z.B. Halleluja! Lobet den Herrn, wenn bei der Textstelle Lobet ihn mit Pauken und Trompeten der Solist in edlen Wettstreit mit diesen Instrumenten tritt:




    Kurios diese CD mit Kantaten von Telemann. Hier gebraucht Telemann ein zu dieser Zeit schon längst überkommenes Bläserconsort von Zinken und Posauen. Mal behandelt er diese im alten Stil, und mal darf ein Zink mit konzertieren:



    Sehr interessant ist auch ein Passionslibretto von Carl Wilhelm Ramler, welches sehr beliebt gewesen sein muß, denn es gibt etliche Vertonungen davon, u.a. von Telemann, C.H. Graun & J.M. Kraus. Graun´s Version hat sich fast 100 Jahre lang auf dem Spielplan der Berliner Singakademie gehalten, und wurde zwischen 1798 bis 1884 jedes Jahr aufgeführt.




    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Salut,


    Merci für den Kraus-Tip (bin gerade dabei, Kraus' Violinkonzert C-Dur aus der Photokopie der Originalpartitur, die mir von der "Universitetsbibliotek" Uppsala zur Verfügung gestellt wurde, via capella umzusetzen für unser Sommerkonzert).


    Absolut bedeutend finde ich die Werke geistlicher Musik von Jan Dismas Zelenka (diverse Schreibweisen). Eine Fülle von Messen, Psalmen und dergleichen stammen aus seiner Feder, die - obwohl er Bach's Zeitgenosse ist - tendenziös sehr stark die Klassik andeuten!


    Empfehlen möchte ich sein "Magnificat" und einige Arien aus Litaneien der nachfolgenden Aufnahme:



    Viele Grüße, Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Uwe,


    eine Neueinspielung und Neuentdeckung dann klick mal hier




    Herzliche Grüsse
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo,


    passend zur Passionszeit noch eine Passions-Empfehlung.


    Der 1712 gedichteten Text hat den Titel: Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus. Das Libretto von Barthold Heinrich Brockes (1680-1747) hat es, ebenso wie vorgenanntes " Der Tod Jesu" etlichen Komponisten angetan. Unter der Liste, die dieses Libretto vertont haben sind so illustre Namen wie Georg Friedrich Händel, wiederum Telemann, Gottfried Heinrich Stölzel, Johann Friedrich Fasch, der hauptsächlich als Musikkritiker in Erscheinung getretene Johann Mattheson und der Hamburger Opern-Spezialist Reinhard Keiser. Selbst der große Johann Sebastian Bach hat für seine Johannespassion einige Passagen aus diesem Libretto übernommen.


    Die Brockes-Passion ist eine freie Dichtung, die stärkeres Augenmerk auf die Personen am Rande des Geschehen wirft, wie z.B. Petrus und Judas. Mit etwa 100 Einzelnummern hat der Text eine beachtliche Länge, weshalb nicht alle Komponisten den kompletten Text vertonten, sondern eine Auswahl trafen.


    Hier noch einige der verfügbaren Aufnahmen:


    Händel: Klietmann, Gati, Zadori, Farkas, Mey, Bandi, Capella Savaria, McGegan auf Hungaroton


    nochmal Händel: Stader, Moser, Sommer, Scheidegger, Esswood, Haefliger, Jennings, Adam, Stämpfli, Regensburger Domchor, Schola Cantorum Basiliensis, Wenzinger auf DG


    Telemann: Zadori, Klietmann, Gati, Mey, Markert, Capella Savaria, McGegan auf Hungaroton


    Stölzel: Backes, Mields, Voß,Schoch, Post, Mertens, Mehltretter, Kammerchor Michaelstein,
    Telemann-Kammerorchester Michaelstein, Ludger Remy auf cpo


    Mattheson: Bach, Wolgemuth, Wessel, Jochens, Türk, Abele, Motettenchor Speyer, Accademia Filarmonica Köln, Brand auf Cavalli Records


    Wie man hört gab es auch von Keisers Version eine Aufnahme, die aber aufgund irgendwelcher rechtlicher Streitereien nicht veröffentlicht werden durfte und eingestampft wurde. Schade!


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -