Verismo/Verismus hörbar?

  • Die Definition von Werken des Verismo scheint in den meisten Fällen eher auf den Inhalt (Text, Handlung) eines Werkes bezogen zu werden. Eine musikalische "wilde, exzessive Attitüde" (C. Höslinger) kann ich mit heutigem Ohr nicht so wahrnehmen, dass es ein stilbildendes Erkennungszeichen wäre.


    Der Naturalismus also schwerpunktmäßig im Libretto? Höslinger spricht in seiner Puccini-Biografie auch davon, dass durch die betont "krasse, gewalttätige und blutrünstige" Überzeichnung der "Realität" eben dieser Realismus wiederum ad absurdum geführt wurde.

  • Den Bereich der Oper verlassend wäre die Frage, wie z. B. eine Atombombenexplosion musikalisch umzusetzen wäre und ob es sich dabei noch um Musik handeln könnte. Die psyische Wirkung auf Menschen, die nicht sofort tot sind, wäre m. E. schon musikalisch ausdrückbar.
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Demnach was ich gelesen habe geht es im Verismo hauptsächlich darum, die Gefühle der einfachen Menschen auf der Bühne darzustellen. In Cavalleria Rusticana und im Bajazzo sind es ja ganz einfache Leute die im Vordergrund stehen . Und um die Gefühle dieser Menschen soll es hauptsächlich gehen.

  • Meine Kenntnisse dieser Epoche sind sehr begrenzt. Aber man hört doch stilistische Unterschiede zwischen, sagen wir mittlerem Verdi und Puccini oder Wagner und d'Albert auch ohne ein großer Experte zu sein, oder? (Ich kenne mich allerdings nicht gut genug aus, um die stilistischen Merkmale genauer zu benennen; mir reicht, dass ich merke, dass ich es noch weniger mag als ältere ital. Oper...)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • In einem anderen (wesentlich älteren) Tamino-Beitrag sind im Zusammenhang mit Verismo als hörbare Attribute "Heulen, Schluchzen, Zähneklappern" genannt. Nichts dergleichen habe ich bisher wahrnehmbar in den mir bekannten Werken dieser Gattung vorgefunden.
    Sollten solcherart Gefühlsausdrücke in der Art des Gesanges dermaßen untergehen, dass ich sie als (für´s laienhafte Ohr) normale "italienische Aussprache" wähnte und mir daher nicht gewahr wurde?

  • Geheule und geschluchze findet man zum Beispiel zur genüge in den späteren Aufnahmen von Beniamino Gigli.
    Auch die Aufnahmen von José Carreras bilden hierfür Paradebeispiele was Verismo als Ausdruckselement anrichten kann.

  • Letztendlich ist der musikalische Verismo nur eine Antwort auf die entsprechende literarische Strömung (man vergleiche Giovanni Verga usw), und das deutlichste Kennzeichen sind meiner Ansicht nach eben die Inhalte, d.h. Tragödien des "einfachen Volkes", oftmals auch Erzählungen nach wahren Begebenheiten, wie z.B. im Fall "I Pagliacci".
    Auf der Bühne sind außermusikalische Ausdrucksformen wie Schluchzen, Schreien usw. innerhalb bestimmter Grenzen erlaubt, und das unterscheidet die Veristen von ihren Vorgängern. Wir nehmen das heute wahrscheinlich nur weniger intensiv wahr, weil ja die Auswüchse des Regisseurtheaters sich bei vielen Werken in unangemessenem bzw. unästhetischem Realismus zeigen. Ich denke aber, dass ein schluchzender Canio zu Zeiten der Uraufführung sehr wohl etwas Besonderes war, und mir ist keine Aufnahme bekannt, in der Canio nach seiner Arie nicht in mehr oder weniger starkes Schluchzen ausbrechen würde.
    Was die Sprache betrifft, unterscheidet sich diese ebenfalls stark von den Libretti Verdis und der Belcantisten, da deren Librettisten eine italienische Hochsprache pflegten, die sich durchaus an den großen Klassikern des Mittelalters wie z.B. Dante und Boccaccio orientierte. Diese Sprache war aber schon zur Zeit der Opernentstehung längst keine gängige italienische Sprache mehr, was man gut beobachten kann, wenn man Verdis Briefe und die seiner Zeitgenossen liest. Die Sprache der Veristen hingegen könnte man als damalige italienische Umgangssprache betrachten, wenngleich sicherlich auch die Wahl mancher Wörter eher poetisch anmutet.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Zitat von Strano Sognator: und mir ist keine Aufnahme bekannt , in der Canio nach seiner Arie nicht in mehr oder weniger starkes Schluchzen ausbrechen würde.


    Noch nie etwas von Jussi Björling und Jon Vickers gehört?
    Unbedingt nachholen.


  • Unbedingt nachholen.

    Auf solche wahnsinnig höflichen Einladungen pflege ich im allgemeinen nicht zu reagieren, aber um der Vollständigkeit halber äußere ich mich mal dazu. Ich kenne sowohl Vickers' (1968 ) als auch Björlings Aufnahme (1954, auf schwedisch) und muss dazu feststellen, dass man bei beiden zwar kein hörbares Schluchzen nach der Arie wahrnimmt, aber der Ausdruck in der Stimme besonders bei Björling sehr schmerzlich ist, was ja auch rollengemäß ist. Die Regieanweisung nach der Arie ist: Entra commosso sotto la tenda, mentre la tela cade lentamente. Dieses "commosso", also "bewegt, gerührt, ergriffen" kann man nun vielfältig ausdrücken, aber das Weinen scheint mir für einen impulsiven und übermäßig gefühlsbetonten Menschen wie Canio die angemessenste Reaktion zu sein.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Dann war diese Lüge also mit Vorsatz geschrieben worden?
    Das ist ja noch schlimmer.


    Sie sind einer der Gründe warum ich angefangen habe über Musik zu schreiben.
    Unzulässige Verallgemeinerungen als ultimative Wahrheit niederzuschreiben.
    Richtig hätte es heißen müßen:
    Es gibt nur sehr wenige Aufnahmen in denen zum Ende der von ihnen erwähnte Canio Arie nicht bis zum Exess in den muskalischen Nachspann hineingeschluchst wird.


    Was sicherlich so auch nicht vom Komponisten gewollt worden ist.
    Zwei kleine Schluchzer, die man interpretatorisch durchgehen lassen kann, haben sich in diesem Zusammenhang Carlo Bergonzi ( in einem Livemitschnitt neben Raina Kabaivanska ) und Ramon Vinay ( ebenfalls in einem Livemitschnitt )geleistet.


    Bei Helge Rossvange und Giovanni Martinelli wird es dann schon ein klein wenig Grenzwertig um dieses diesen Sängern durchgehen zu lassen muß man beide schon sehr schätzen.

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  • Dann war diese Lüge also mit Vorsatz geschrieben worden?
    Das ist ja noch schlimmer.


    Zur Kenntnisnahme: Zwischen nicht erwähnen und lügen besteht ein himmelweiter Unterschied!
    Aus Strano Sognators Beiträgen gibt es überhaupt keinen Ansatzpunkt, sie der bewußten Unwahrheit = Lüge zu bezichtigen. In sofern ist dieser persönliche Angriff nicht nur unhöflich, sondern auch unangebracht.


    Norbert als Moderator

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,
    danke für die schnelle Reaktion. Ich möchte mich jeder weiteren Reaktion über eine solche Unangemessenheit seitens Herrn Godenrath enthalten, denn sie entspricht nicht meinem Niveau.
    Sachlich feststellen möchte ich, dass ich davon gesprochen habe, dass im Canio-Nachspiel "mehr oder weniger stark geschluchzt" wird, und zwar bei den meisten Tenören. Bei Björling und Vickers kann man nicht im eigentlichen Sinne von "Schluchzen" sprechen, aber ich erwähnte auch, dass ich einen sehr schmerzlichen Ausdruck, der in diesem Fall für mich eine künstlerische Entsprechung des In-Tränen-erstickt-Seins bedeutet, wahrnehme. Und auch dieser Ausdruck kann in meinen Augen als "veristisch" gewertet werden. Hinzu kommt bei den vorliegenden Live-Mitschnitten ja auch noch die für uns nicht sichtbare szenische Umsetzung - selbst, wenn man nicht laut schluchzt, kann man dies auch szenisch darstellen. Ein Beispiel übertriebenden Verismos sehe ich in diesem Mitschnitt. Giulietta Simionato ist eine meiner absoluten Lieblingssängerinnen, aber was sie hier bei "A te la mala Pasqua" ihrer Stimme antut, ist weder notwendig noch wird es erwartet, auch wenn es sich um eine veristische
    Oper handelt. Dass sie dann bei der 64-er Aufnahme des "Trovatore" unter Thomas Schippers leider schon mit 3 Stimmen singt, ist vielleicht nicht zuletzt solchen Exzessen geschuldet.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • dass im Canio-Nachspiel "mehr oder weniger stark geschluchzt" wird, und zwar bei den meisten Tenören. Bei Björling und Vickers kann man nicht im eigentlichen Sinne von "Schluchzen" sprechen, aber ich erwähnte auch, dass ich einen sehr schmerzlichen Ausdruck, der in diesem Fall für mich eine künstlerische Entsprechung des In-Tränen-erstickt-Seins bedeutet, wahrnehme. Und auch dieser Ausdruck kann in meinen Augen als "veristisch" gewertet werden. Hinzu kommt bei den vorliegenden Live-Mitschnitten ja auch noch die für uns nicht sichtbare szenische Umsetzung - selbst, wenn man nicht laut schluchzt, kann man dies auch szenisch darstellen.


    Meine vollste Zustimmung, liebe Sognatrice. Jeder Interpret wird solche Szenen, solche Gefühlsausbrüche individuell mehr oder weniger intensiv und unterschiedlich zum Ausdruck bringen.
    Bei mehrmaligen Opern- Live- Abenden habe ich bei derselben Oper, mit demselben Tenor unterschiedliche "Gefühlsausbrüche" erlebt.
    Beispiel Tosca. Im Finale der Arie "E lucevan le stelle .... tanto la vita..." Manchmal war ein heftiges Schluchzen, manchmal weniger und manchmal wurden nur stark emotional die Noten gesungen.
    Ich könnte auch ein Beispiel aus dem Rigoletto anführen, auch wenn dieser nicht unbedingt zum Verismo gehört. In der Ballade des Herzogs "Questa o quella", an der Stelle " degli amanti le smanie (ha, ha, ha) derido..." Manchmal wurde gefühlsmäßig gelacht, manchmal nur ganz kurz und ein ander mal gar nicht.


    Bei der Gelegenheit danke für Dein reingestelltes Video mit dem Duett aus Cavalleria. Da bin ich aber froh, daß ich dieses Duett mit Tarres/Orofino habe. Für meinen Geschmack ein großer Unterschied. Schade, daß ich nicht die technischen Möglichkeiten habe, dieses mal ins Forum zu stellen.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Bei der Gelegenheit danke für Dein reingestelltes Video mit dem Duett aus Cavalleria. Da bin ich aber froh, daß ich dieses Duett mit Tarres/Orofino habe. Für meinen Geschmack ein großer Unterschied. Schade, daß ich nicht die technischen Möglichkeiten habe, dieses mal ins Forum zu stellen.


    Herzliche Grüße


    CHRISSY

    Hallo Chrissy,
    naja, sängerisch finde ich das von mir eingestellte Beispiel schon hervorragend, und zwar sowohl von Simionato als auch von Corelli, meine Kritik gilt einzig und allein dem, was die Simionato völlig ungerechtferigt zum Schluss ihrer Stimme antut. Das müsste nicht sein, auch nicht im Verismo.


    Zitat

    Ich könnte auch ein Beispiel aus dem Rigoletto anführen, auch wenn
    dieser nicht unbedingt zum Verismo gehört. In der Ballade des Herzogs
    "Questa o quella", an der Stelle " degli amanti le smanie (ha, ha, ha) derido..." Manchmal wurde gefühlsmäßig gelacht, manchmal nur ganz kurz und ein ander mal gar nicht.

    Ja, diese Stelle ist interessant. Da das Lachen ja nun aber ausdrücklich im Text erwähnt wird, ist es sicherlich auch hier erlaubt, sofern es nicht übertrieben wird.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • sängerisch finde ich das von mir eingestellte Beispiel schon hervorragend, und zwar sowohl von Simionato als auch von Corelli,


    Liebe Sognatrice
    Da ja jeder seinen eigenen Geschmack haben darf und auch soll, muß ich allerdings sagen, da empfinde ich auch sängerisch große Unterschiede. Ich möchte beide nicht tauschen, ganz sicher nicht.
    Aber wie wir uns ja beide schon sagten, der Geschmack und das Gefühl für Sänger ist von vielen Faktoren abhängig und immer individuell und das darf und soll jeder für sich entscheiden. Schau und höre Dir bei Gelegenheit das von mir favorisierte Gesangspaar wieder mal an. Du hast ja die Aufnahme.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Zitat von Strano Sognator: und mir ist keine Aufnahme bekannt, in der Canio nach seiner Arie nicht in mehr oder weniger starkes Schluchzen ausbrechen würde.



    Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang noch einen weiteren Hinweis
    Weder Franz Völker, noch Vilhelm Herold, Joseph Schmidt, Johan Botha oder Alfie Boe ( letzteren muß man nicht unbedingt kennen ) haben alle eines gemeinsam, sie schluchzen weder mehr noch weniger heftig in den musikalischen Nachspann hinein, oh welch wunder, sie schluchzen nämlich gar nicht.


    Einige haben teilweise einen Stimmklang des Schmerzes in der Stimme, zum Beispiel Joseph Schmidt oder der von mir bereits in einem anderen Kommentar hierzu erwähnte Jon Vickers.
    Diesen Klang, wie wir ihn beispieslweise bei Jon Vickers wiederbegegnen ist ähnlich, um jetzt nur wenige Beispiele zum veranschaunlichen des gemeinten herauszugreifen, auch bei Kathleen Ferrier zu finden wenn sie Remenber me ( Dido und Aeneas von Purcell) singt oder aber bei Che faro senza Euridice ( Orfeo et Euridice von Gluck ) , wo ich neben Kathleen Ferrier auch Afje Heynis als Interpretin jetzt nicht unerwähnt lassen will.
    Dieses hat aber meines Erachtens beim besten Willen nichts mit den Ausuferungen des Verismo zu tun.
    Auch in der Arie Allmächtige Jungfrau gesungen von Gré Brouwentstijn ( in einem Livemitschnitt unter Keilberth ) treffen wir wiederum auf den Ausdruck des Schmerzen in der Stimme und das obwohl der Tannhäuser nun ja auch nicht gerade als Verismoreißer gilt.
    Jon Vickers hat sich seines Stilelementes Schmerz darzustellen auch in anderen Rollen, wie dem Otello, dem Florestan ( Fidelio ist keine Verismooper ), Parsifal oder als Siegmund in der Walküre ( diese beiden Wagner Opern haben ebenfalls nichts mit Verismo zu tun ) ausgedrückt ohne dem Verismounarten zu verfallen.
    Einen Ausdrucks des Schmerzes in der Stimme mit dem Schluchzen des Verismo gleichzusetzen sehe ich daher als völlig haltlos an.


    [...] Da wir hier nicht in einem akademischen Seminar sind bitte ich darum, von Maßregelungen einzelner Mitglieder untereinander abzusehen. Jeder schreibt hier nach bestem Wissen und Gewissen; Ergänzungen und Hinweise sind ausdrücklich erwünscht. Das Abkanzeln von Forunmskollegen hingegen nicht. TP


    Der Zuhörer wird somit in die unangenehme Rolle eines Voyeurs versetzt ( bestens Beispiel hierfür bietet uns José Carreras in einer Gesamtaufnahme der Boheme wo das Geheule des Tenors zum Ende des 4 Aktes ins unerträglich ausgewalst wurde ).

  • Die ganze Diskussion läuft so typisch unter deutscher Maßgabe, dass ich mir ein Grinsen nicht verkneifen kann...è vero!!!


    Schonmal einen italienischen Mann in der Realität wegen eines verlorenen Fußballspiels seiner Lieblingsmannschaft oder ähnlich "wichtigen" Anlässe schluchzen, weinen, jammern gehört? Ich schon...und wenn Verismo ein Abbild der Gefühlswelt sein soll...dann MUSS geschluchzt werden, dass die Bühne bebt...auch allem deutschen Gemeckere zum Trotz!!!!


    LG
    Fides :hello:

    La vita è bella!

  • Einen Ausdrucks des Schmerzes in der Stimme mit dem Schluchzen des Verismo gleichzusetzen sehe ich daher als völlig haltlos an.


    Hallo, Sven
    Eine Pflicht oder ein Verbot einen gefühlsmäßigen Schmerz darzustellen in Form von "Schluchzen, Heulen oder Jammern" wird es auch im Verismo nicht geben.
    Lies Dir vielleicht nochmal meinen Beitrag Nr. 13 durch. Auch Strano sognator hat das sehr richtig dargestellt. Der sängerische Ausdruck wird von Interpret zu Interpret immer etwas unterschiedlich sein. Wie ich schon mehrmals feststellen konnte, ändert sich die Interpretation desselben Sängers in derselben Oper mitunter (s. m. B. 13).

    ( bestens Beispiel hierfür bietet uns José Carreras in einer Gesamtaufnahme der Boheme wo das Geheule des Tenors zum Ende des 4 Aktes ins unerträglich ausgewalst wurde ).

    Das was Du hier als "unerträgliches Geheule" empfindest, wird vielleicht manchem anderen gefallen, vor allem Carreras- Fans. Ich kann diese Aufnahme nicht beurteilen, kenne sie auch nicht. Carreras ist nicht so mein Ding.
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Zitat

    [...] Da wir hier nicht in einem akademischen Seminar sind bitte ich darum, von Maßregelungen einzelner Mitglieder untereinander abzusehen. Jeder schreibt hier nach bestem Wissen und Gewissen; Ergänzungen und Hinweise sind ausdrücklich erwünscht. Das Abkanzeln von Forunmskollegen hingegen nicht. TP


    Ja, Norbert, das stimmt schon, nur kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass Maßregelungen und Abkanzeln anderer auch und gerade in akademischen Seminaren als sehr schlechter Stil gewertet werden und keinesfalls als Ausdruck von Wissen und Können.



    Zitat

    Schonmal einen italienischen Mann in der Realität wegen eines verlorenen Fußballspiels seiner Lieblingsmannschaft oder ähnlich "wichtigen" Anlässe schluchzen, weinen, jammern gehört? Ich schon...und wenn Verismo ein Abbild der Gefühlswelt sein soll...dann MUSS geschluchzt werden, dass die Bühne bebt...auch allem deutschen Gemeckere zum Trotz!!!!


    So ist es, Fides! Schluchzen ist sehr wohl auch veristisch, denn diese Opern sind nun mal ein Abbild der Gefühlswelt.
    Bei einem schluchzenden Florestan oder oder Tannhäuser wäre ich allerdings schon befremdet.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Damit nicht Norbert in die falsche Schusslinie kommt: mit TP kürze ich mich ab.

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Ah, ok, das hatte ich übersehen. Entschuldigung! Hatte aber sowieso an deinem Einwand nichts zu kritisieren, nur zu ergänzen. :)

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Ein Glück, daß wir nicht alle denselben Geschmack haben. Sonst würden alle beim Canio schluchzen oder keiner. So schluchzt das Publikum, oder es schluchzt nicht. Ist doch jedem selbst überlassen.


    Mir würde es nur nicht einfallen, jemanden positiv oder negativ zu beurteilen, nur weil ihm ein Schluchzer oder eine Phrasierung gefällt oder nicht. Laßt also doch jeden nach seiner Fasson selig sein. Nur darüber diskutieren und seine Meinung kundtun, das sollte man hier. Aber niemals versuchen, seine Meinung als allein richtige auszuweisen.


    Also - mir gefällt der Schluchzer von Rosvaenge oder Corelli im "Lache Bajazzo", und ich mag auch die Stimme z.B. von Anton de Ridder oder auch Hermann Prey, die mit dem Schluchzer geboren wurden.


    Viele Grüße von La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Die Definition von Werken des Verismo scheint in den meisten Fällen eher auf den Inhalt (Text, Handlung) eines Werkes bezogen zu werden. Eine musikalische "wilde, exzessive Attitüde" (C. Höslinger) kann ich mit heutigem Ohr nicht so wahrnehmen, dass es ein stilbildendes Erkennungszeichen wäre.


    Liebe Freunde,


    das war die ursprüngliche Frage. Kann jemand mit gutem Gewissen behaupten, dass er den Verismo ohne Dazutun der Sänger erkennt?


  • Liebe Freunde,


    das war die ursprüngliche Frage. Kann jemand mit gutem Gewissen behaupten, dass er den Verismo ohne Dazutun der Sänger erkennt?


    Das würde ich für meinen Teil nicht in jedem Fall behaupten, aber grundsätzlich gibt es da schon ein paar Anhaltspunkte:
    - die Sprache, die sich sehr von der Sprache der älteren Librettisten unterscheidet und eher "modern" wirkt
    - Instrumetation
    - Arienformen
    - Harmonien


    Vor einigen Jahren hörte ich im Radio mal folgende Arie. Hatte zuvor noch nie was von der Oper gehört und wusste demzufolge auch nicht, dass sie von Mascagni war. Für mich war aber klar, dass es z.B. Verdi auf keinen Fall sein konnte, und da ich Puccinis Werke gut kenne, konnte ich die ausschließen. Ausdruck, Harmonien, Orchestrierung sprechen da meines Erachtens eine ziemlich veristische Sprache.


    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Hallo Strano Sognator,


    bei dieser Mascagni-Arie hätte ich auf Umberto Giordano gesetzt.


    Leider sind mir auf Grund meiner musiktheoretischen Ignoranz tiefere Analysen nicht zugänglich, ich muß mich leider gänzlich auf die verräterische Intuition verlassen.


    Da ich weiß, dass Du Dich mit Partiturlesen befasst, würde es mich interessieren (vorausgestzt, du hast das entsprechende Notenmaterial), ob es bemerkbare Unterschiede zwischen den Harmonien des Giordano und des Mascagni gibt.


    Zu den Veristen werden ja hauptsächlich Mascagni und Leoncavallo (ist das eine Art Fabeltier?) gerechnet, doch mit gewissen Vorbehalten wird dann auch unter anderen Puccini genannt, hier vor allem seine Tosca und La Tabarro.


    Der Gedanke ist wohl, die expressive Musik gehe unter die Haut und berühre mehr als Verdis eher abstrakte, oder sagen wir sublime Vertonung menschlicher Schicksale.
    Es stirbt sich ja bei ihm hauptsächlich in lichtem Dur.


    Warum aber wird Madame Butterfly vom Verismus ausgeschlossen? Mich persönlich berührt diese Oper mehr als erwünscht, vor allem nach Ponnelles realistischer Filmversion.


    Die Szene in der Butterfly ihren Sohn für die Abreise ins ferne Amerika vorbereitet, ist für mich schlichtweg unerträglich. Möglicherweise spielen hier eigene Erfahrungen mit, mein vierjähriger und letztlich doch erfolgreicher Kampf gegen das Jugendamt um meinen jetzt 7-jährigen Enkel hat sicher seine Spuren hinterlassen, doch auch ohne diese Erfahrungen ist der Gedanke, einer liebevollen Mutter ihr Kind weg zu nehmen, ungeheuerlich.


    Dazu hat es als ethisches Problem für mich einen höheren Stellenwert als Mascagnis und Leoncavallos Eifersuchtsdramen.


    Was ich Dich noch fragen wollte, sprichst Du italienisch?


    MfG
    hami1799

  • Hallo, Hami 1799
    da hast du eine ganze Menge sehr interessanter Punkte angesprochen. Ich fange aber mal mit deiner letzten Frage an. Ja, ich spreche und unterrichte Italienisch, und der Grund dafür war und ist vor allem die italienische Oper, die ich schlicht und einfach verstehen und selbst übersetzen wollte. Aus diesem Grund ist neben der Musik auch der Text für mich immer von großer Bedeutung.
    Tja, was heißt "Ignoranz". Oftmals ist gerade die Intuition eines musikbegeisterten Opernfreunds mit gutem Ohr mehr wert als sogenanntes Fachwissen, das ganz schnell zur Falle werden kann, wenn man die Dinge zu sehr mit Tunnelblick betrachtet. Als ich vor Jahren zum ersten Mal diese Arie aus "Lodoletta" hörte, kannte ich Giordano nur vom Hörensagen, mit seinen Opern hatte ich mich zu jenem Zeitpunkt noch nicht beschäftigt. Also fiel mir nur Puccini als Vergleich ein. Harmonisch kann ich keine gravierenden Unterschiede zwischen Mascagni und Giordano sehen, aber die Tonsprache Mascagnis (in den Werken, die ich von ihm kenne) ist lyrischer als bei Giordano, der vieles drastischer angeht, was man im Chénier ganz besonders gut beobachten kann. Im Nachspiel des 2.Aktes zitiert er z.B. über etwa 2 oder 3 Takte ziemlich eindeutig aus der "Götterdämmerung".


    Welche Opern nun zum Verismo gehören und welche nicht, darüber hat jeder Fachmann zwei Meinungen, so scheint es mir manchmal. Puccini und Giordano werden sicherlich wegen des Variantenreichtums ihrer Sujets nicht unbedingt zu den "lupenreinen" Veristen gezählt, denn die Schicksale französischer Gräfinnen, römischer Sängerinnen und stolzer Dichter, Maler und anderer Helden, selbst wenn es sich um verarmte Bohèmiens handelt, haben eher wenig mit den blutrünstigen Eifersuchtsdramen des einfachen Volkes gemein, und auch die Dauer der Opern ist sicherlich ein Aspekt. "Il Tabarro" ist in meinen Augen in der Tat Verismo pur, ebenso "Suor Angelica", und Madame Butterfly als "tragedia giapponese" dürfte vom Sujet her und auch musikalisch ebenfalls gut in das veristische Bild passen, allerdings kann man den exotischen Handlungsschauplatz und die Länge der Oper wiederum als Gegenargumente betrachten, denn - wie ich oben erwähnte - ist der musikalische Verismo ja zuallererst die Antwort auf den literarischen Verismo von Autoren wie Verga etc, und die schrieben nun mal vor allem über das Leben der unteren Schichten. Aber da hast du natürlich vollkommen recht, die Verabschiedung des Söhnchens ist meiner Meinung nach mehr als veristisch, und zwar im besten Sinne.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Liebe Sognatrice,


    vielen Dank für die Einstellung der Arie aus "Lodoletta". Das war für mich die Anregung, mich mit dieser, mir bisher auch nur aus dem großen Opernbuch von Heinz Wagner bekannten Oper näher zu beschäftigen und sie, sobald es mir möglich ist, für unseren Tamino-Opernführer auszuarbeiten. Ich habe auch ein Libretto gefunden, das ich mir zum Lesen auf meinem Kindle umgewandelt habe, so dass ich gleichzeitig die Inhaltsangabe am Computer formulieren und das Buch vor mir auf dem Schreibtisch liegen haben kann. Es liest sich verhältnismäßig gut, da ja diese Libretti in der Alltagssprache geschrieben sind.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Bin gerade daran das Quintett vom ersten Akt ( I Lombardi) zu übersetzten: ´ T´assale un tremito ...´ Was wohl bedeutet, deine Vorderachse vibriert. Werd´s an Google verkaufen.


    Hallo Strano Sognator.


    jetzt bin ich doch froh, dass Dir mein obiger Übersetzungsversuch entgangen ist.


    Ist Dein Avatar Sognator die poetische Form von Sognatore? Nach meinen Beobachtungen wählt man diese Form vorzugsweise, wenn noch etwas folgt,
    wie z.B in Là ci darem la mano ... , oder ??


    Aus Leidenschaft für die Musik oder die Literatur eine Fremdsprache zu erlernen, führt wohl am ehesten zum Erfolg. Du hast sicher viel Freude an Deinen Kenntnissen.


    Bei mir war´s die Begeisterung für Pushkins Poesie, die mich zwei slavischen Sprachen näher gebracht hat, was aber bedauerlicherweise einschränkend auf die Musikwahl wirkt.
    Ein Boris Godunov ohne slavische Sänger und in einer anderen Sprache als russisch stimmt mich selten lyrisch.
    Italienische Oper auf deutsch ist eher erträglich, doch ist dies in den meisten Fällen den Sängern zuzuschreiben. Da schwingt eine gehörige Portion Nostalgie mit, wenn man den großen Namen aus
    der Jugenzeit wieder begegnet, Schlemm, Köth, Streich, Metternich, Cordes, Frick, Hotter, Greindl, Hopf, Fehenberger und noch einigen dazu.


    Übrigens, wäre ich Opernkomponist, würde ich Alessandro Manzonis ´I promessi sposi` vertonen. Die Frage ist nur wie, als Drama oder dramma gioccoso?
    Das letztere erscheint mir logischer.


    MfG
    hami1799

  • Zitat

    Bin gerade daran das Quintett vom ersten Akt ( I Lombardi) zu übersetzten: ´ T´assale un tremito ...´ Was wohl bedeutet, deine Vorderachse vibriert. Werd´s an Google verkaufen.


    Hallo Strano Sognator.
    jetzt bin ich doch froh, dass Dir mein obiger Übersetzungsversuch entgangen ist.


    Wieso? Diese zwar freie, aber sehr kreative Übersetzung finde ich klasse und bin dafür, sie in jedwede Neuauflage der deutschen Ausgabe des Librettos zu übernehmen. :D



    Zitat

    Ist Dein Avatar Sognator die poetische Form von Sognatore? Nach meinen Beobachtungen wählt man diese Form vorzugsweise, wenn noch etwas folgt,
    wie z.B in Là ci darem la mano ... , oder ??


    Ja, das ist richtig, es liegt aber auch an der Silben-bzw. Endvokalkürzung, um die Sprache der Musik anzugleichen. Der "Strano Sognator" ist die Bezeichnung des Marchese di Posa durch Filippo II, nachdem Posa ihn um Freiheit für Flandern gebeten hat. Ich liebe dieses Gespräch und natürlich den gesamten Don Carlo so, dass ich mich für diesen Nick entschieden habe.



    Zitat

    Übrigens, wäre ich Opernkomponist, würde ich Alessandro Manzonis ´I promessi sposi` vertonen. Die Frage ist nur wie, als Drama oder dramma gioccoso?
    Das letztere erscheint mir logischer.


    Ja, das ist ein sehr interessanter Vorschlag. Mich wundert sowieso, dass Verdi, der Manzoni ja bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden war und den Autor fast fanatisch verehrte, daraus keine Oper gemacht hat. Wahrscheinlich, weil sie ein Happyend hat. Für einen Verismo-Einakter wäre die Handlung viel zu verzwickt und vielschichtig, das müssen dann schon mindestens 3 Akte sein. Renzo wäre aber eine schöne Tenorpartie, und der fiese Möpp Rodrigo eine fantastische Baritonrolle :love: Dazu Volksaufstände, Pest und Hunger. Eigentlich alles dabei.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

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