Libretto: Richard Wagner
Parsifal – Poul ELMING
Gurnemanz – John TOMLINSON
Kundry – Waltraud MEIER
Amfortas – Falk STRUCKMANN
Klingsor – Günter VON KANNEN
Titurel – Fritz HÜBNER
Chor der Deutschen Staatsoper
Chorleiter: Ernst STOY
Staatskapelle Berlin
Musikalische Leitung: Daniel BARENBOIM
Regie: Harry KUPFER
Bühne: Hans SCHAVERNOCH
Kostüme: Christine STROMBERG
Spieldauer: 245 Min. (3 DVDs)
Gesamturteil: Sehens- und hörenswerte Interpretation mit inszenatorischen Schwächen.
Düster und futuristisch anmutend präsentiert sich Kupfers Interpretation des „PARSIFAL“, als ob es die Gralsritter in eine nicht näher
definierte Zukunft verschlagen hätte. (Auch sein „Ring“ in Bayreuth war ja in einer zukünftigen postatomaren Welt angesiedelt.)
Der erste Aufzug zeigt eine Art dunkles, mit gewelltem Metall ausgeschlagenes Areal, durch das von links helles Licht einbricht,
welches durch die Öffnung einer riesigen runden, an eine Tresortür erinnernden Öffnung flutet. Es ist ein kaltes, weißes Licht, welches lediglich
Nebelschwaden zeigt, die draußen vorbeitreiben. Von dort kommen auch die „Waldhüter“, die Gurnemanz zu sich ruft und auch der See, in dem Amfortas sein
Bad nimmt, liegt jenseits dieser Tür. Das kalte Licht und der Nebel deuten jedoch an, dass es um die Natur da draußen nicht zum Besten bestellt ist. Weiß
ist ebenfalls die Farbe, in der die Bewohner der Gralswelt gekleidet sind und deren Kleidung (z.B. bei Gurnemanz) entfernt an mittelalterlich-ritterliche
Gewänder aber auch an die Jedi-Ritter aus den Star-Wars-Filmen erinnern. Kundry trägt einen langen Mantel unter dem sie mit einem schwarzen Oberteil und einer Hose bekleidet ist, während Parsifal in langen schmucklosen – an Jesusdarstellungen erinnernden - Leinenkleidern auftritt.
Gurnemanz wird hier als stattlicher, aktiver Mann gezeigt, der z.B. die Gralsritter, die Kundry mit Fußtritten traktieren, zur Raison
bringt und Parsifal mehrfach zum Niederknien in der Gralsburg anhält. (Parsifal, mit dem Ritus nicht vertraut nimmt aber eine eher geduckte,
eingeschüchterte Haltung an.) Auch scheint Gurnemanz schon recht früh bei dem Gespräch mit Parsifal zu ahnen, wen er da vor sich haben könnte. Als er den
jungen Toren dann aber aus der Gralswelt weist und nochmals das „Durch Mitleid wissend…“ ertönt, ist es aber Kundry, die, aus dem Dunkel hervorkriechend, die
Bedeutung Parsifals zu erkennen scheint.
Gralskönig Amfortas trägt man auf einem Stuhl herein, der eher an ein Krankenhausutensil, als an eine Sänfte oder einen Thron denken
lässt. Groß und deutlich sieht man das Blut der Wunde auf seinem Gewand. Bei der Enthüllung des Grals leidet er wie ein Hund, während die Ritterschaft wie
in einem kollektiven Taumel zu Boden sinkt. Er selbst wird, auf einer großen Stahlnadel (dem verlorenen Speer nachgebildet?) liegend, den Gral hochhaltend,
in die Höhe gefahren. Sein Vater, Titurel, sitzt derweil auf einem erhöhten „Krankenhausthron“, unfähig, sich noch von der Stelle zu bewegen. Nach dem
Zeremoniell blicken alle, auch der erschöpfte Amfortas, erwartungsvoll auf Parsifal. Der weiß natürlich nicht, was man von ihm erwartet – wie soll er
auch? – und zuckt später nur ratlos mit den Schultern, als Gurnemanz ihn fragt, ob er wisse, was er gesehen habe. Hilfesuchend wie ein Kind fällt Parsifal
daraufhin Gurnemanz zu Füßen – und wird seines Weges gewiesen.
Auch der zweite Aufzug zeigt einen großen dunklen Raum, in den sich (diesmal rechts) eine große, runde Stahltür öffnet (durch die Klingsor
später Parsifals Kampf mit seinen Rittern beobachtet). Klingsor wird mit dem heiligen Speer (aus Plexiglas?!?) auf einem großen beleuchteten Stahldorn
liegend von links auf die Bühne gefahren. Die Bühne zeigt also einen spiegelverkehrten / umgekehrten Aufbau der Gralsburg
aus dem ersten Aufzug, wobei Amfortas und der Gral durch Klingsor und den Speer ersetzt wurden. Beide besetzen also ein Ende der von der einen in die andere
Welt ragende Stahlnadel. Allerdings nimmt die verführerische Kundry später deren Platz ein, wenn sie Parsifal zu verführen trachtet. (Die Glaubenswelt des
Grals, Klingsors alles in Frage stellende Welt und die durch Kundry verkörperte Erotik bilden also ein Dreieck, in dem sich Parsifal befindet. Eine nicht
uninteressante Konstellation, die aber kaum aufzulösen ist.)
Zuvor sieht sich aber der reine Tor noch mit den Blumenmädchen konfrontiert, die hier lediglich ausschnittweise auf Bildschirmen auftauchen,
die sich wiederum auf einem rot leuchtenden „Lichtnetz“ befinden. Verführerisch ist das nicht, gemahnt aber an modernen Cybersex, was wohl auch beabsichtigt
ist. Aber leider ist es recht uninteressant Parsifal zwischen den Monitoren herumirren zu sehen. Ein Zusammenspiel in irgendeiner Form findet hier nicht statt. Bei der Begegnung mit Kundry sieht das schon anders aus, da das Verhalten und die Ansichten Parsifals sie mitunter aus der Fassung bringen. Hier zeigt sich Kupfers Stärke, ganz nah am Text zu inszenieren. Der Untergang von Klingsors Reich ist da allerdings eher enttäuschend: Klingsor bricht unter einem Funkenregen (einem Kurzschluss?) zusammen, während im Hintergrund die durchgebrannten Monitore der Blumenmädchen sichtbar werden.
Der dritte Aufzug zeigt wieder eine linksseitige Stahl-/Tresor-Tür, durch die Licht auf eine dominierende Stahlwand der Gralswelt fällt, vor der sich einige niedrige Sitzgelegenheiten(?) befinden. Ein Wartesaal der futuristischen Gralsburg?
Kundrys Figur hat eine Wandlung durchgemacht, da sie nun mit einer an eine Nonne oder Mariengestalt erinnernden Kopfbedeckung zu sehen ist.
Wie betäubt irrt sie umher und kann nur noch stammelnd die Worte „Dienen..dienen…“ hervorbringen. Ihre Verwandlung scheint nicht zu ihrem Vorteil erfolgt zu sein.
Parsifal erscheint in einem bodenlangen schwarzen Gewand mit hochgeschlagenem Kragen, während Gurnemanz´ Kleidung eher nachlässig angelegt wirkt.
Der Karfreitagszauber wirft überraschend eine Projektion von Wolken, die über einen blauen Himmel ziehen, auf die große Stahlwand.
Beeindruckend – aber was soll dieses Bild? Repräsentiert es die Erinnerung an eine im Text immer wieder beschworene Natur, die es hier doch schon gar nicht
mehr gibt? Ein „Märchen aus uralten Zeiten“?
In der Gralsburg (mit Titurels schmucklosem Sarg) begehrt Amfortas mit nacktem Oberkörper und somit gut sichtbarer Wunde gegen seine
Ritterschaft auf. Parsifal – noch immer schwarz gewandet – berührt ihn mit dem Speer, ohne dass sich die Wunde nun irgendwie verändern oder schließen würde.
Gurnemanz hilft Amfortas von der Stahlnadel, während der Gral und der Speer darauf vereint über die Ritterschaft emporgehoben werden. Ein Teil der
Ritterschaft sinkt oder fällt zu Boden, ohne dass sie weiter auf Parsifal oder Amfortas achten, der sich nun dem neuen Gralskönig mit einer hilfesuchenden
Geste entgegenwendet – und stirbt. Kundry, nun mit offenem Haar, will Parsifal mit sich aus der Gralsgesellschaft führen, dieser aber bleibt mit verzweifelt
vors Gesicht geschlagenen Händen stehen. Gurnemanz berührt in sanft und Parsifal lässt die Hände wieder sinken. Der Vorhang schließt sich und sichtbar
bleiben vor ihm Kundry, Parsifal und Gurnemanz (frontal zum Publikum gewandt) stehen.
Alles in allem eine Inszenierung, die viele Fragen aufwirft und sie nicht alle beantworten kann oder will. Die merkwürdige Stahlnadel (Speerspitze? Kompassnadel?)
bleibt ebenso ein Rätsel, wie die im Text immer wieder beschworene Natur, die auf der Bühne (außer im Karfreitagszauber) nicht sichtbar wird.
Am stärksten wirkt hier der erste Aufzug, da Kupfer hier das Leiden Amfortas´ regelrecht spürbar macht und mit der runden
Tresortür/Stahltür/Luftschleuse ein starkes Bild für die (weltfremde?) hermetische Abgeschiedenheit der Gralswelt findet. Auch das Verhalten der
Ritter, regelrechten Gralsjunkies, ist beeindruckend in Szene gesetzt. (Selbst wenn die merkwürdigen, sich gegenseitig umklammernden kleinen Gruppen, in denen
sich die Ritter anfangs bewegen, recht seltsam anmuten.) Der zweite und dritte Aufzug fallen gegen diese Geschlossenheit ab.
Das Ende der Inszenierung bietet reichhaltigen Stoff zur Interpretation und Spekulation: Kundry, Parsifal und Gurnemanz blicken ratlos
ins Publikum – für sie gibt es nichts mehr zu tun: Der Speer ist wieder an seinem Ort (auch wenn man an seiner Wunderkraft zweifeln kann), die
Ritterschaft hat ihre Gralsenthüllung und scheint sich für nichts weiter zu interessieren. Was bleibt ihnen also zu tun? Die Beibehaltung des neuen staus quo scheint den Dreien jedenfalls nicht zu behagen. (In einer früheren Inszenierung hat Kupfer Parsifal mit dem Gral abgehen lassen, woraufhin ihm Kundry, Gurnemanz und einige Ritter folgten. Die Gralsgesellschaft brach auseinander, hatte aber immerhin auch die Chance zu einem Neuanfang, der hier nicht in Aussicht gestellt wird.)
Musikalisch und sängerisch überzeugt diese Produktion jedoch durchaus. Struckmanns ruppiges Timbre ist zwar Geschmackssache, aber ansonsten ist jede Rolle gut (Parsifal, Klingsor) bis sehr gut (Kundry, Gurnemanz) besetzt und Daniel Barenboim dirigiert das Werk ohne jegliche Extravaganzen in der Tempiwahl, die er sich
sonst bei Wagner gerne gönnt. Leider scheinen die Sänger jedoch im dritten Aufzug alle etwas nachzulassen. Ich verstehe nicht ganz, warum das so ist, da
es sich meines Wissens nach nicht um einen „am Stück“ aufgezeichneten Livemitschnitt handeln dürfte, wo das natürlich vorkommen kann.
Ein kurzes Wort noch zum Booklet der DVDs: Hier hätte man sich mehr Mühe geben müssen! Neben der Auflistung der Besetzung und der Tracks
der einzelnen DVDs findet man lediglich einen kurzen Begleittext und eine dürftige Inhaltsangabe von einem gewissen David Patmore. Beides auf niedrigem
Schülerniveau und noch dazu grottenschlecht aus dem Englischen von Stephanie Wollny übersetzt. Das ist peinlich.
Fazit: Mehr Fragen als Antworten in einer musikalisch ansprechenden Produktion.