HÄNDEL, Georg Friedrich: DEBORAH


  • Georg Friedrich Händel (1685-1759):


    DEBORAH
    Oratorium in drei Teilen für Soli (SATB), Chor (SATB) und Orchester, HWV 51
    Libretto von Samuel Humphreys


    Uraufführung am 17. März 1733 im King's Theatre am Haymarket, London


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Deborah, israelitische Prophetin und Richterin (Sopran)
    Jael, Frau des Keniters Heber (Sopran)
    Barak, Führer der Israeliten (Alt)
    Abinoam, sein Vater (Baß)
    Sisera, Heerführer des Königs Jabin von Kanaan (Alt)
    Ein Herold (Tenor)
    Ein Kanaaniter (Tenor)
    Ein Priester (Baß)



    INHALTSANGABE


    Vorbemerkung zur Ouvertüre


    Wir wissen nicht, ob Händel das Oratorium zunächst ohne eine einleitende Sinfonia aufgeführt hat, wir wissen dagegen, daß für einige Aufführungen von DEBORAH im Jahre 1754 Händels Faktotum Johann Christoph Schmidt mit seinem Sohn wahllos vier Sätze zu einer Ouvertüre zusammenstoppelte. Mit dieser „Overtura“ ist das Oratorium noch bis ins 20. Jahrhundert aufgeführt worden. Nachdem ein Basso-continuo-Part der Sinfonia in der Direktionspartitur gefunden wurde, identifizierte der Händel-Experte Anthony Hicks die zwei Teile Grave und Allegro als dem „Occasional Oratorio“ zugehörig und das Menuett als jenes aus der „Feuerwerksmusik“. Hicks vermutete, daß Händel diese dreiteilige Sinfonia für die Aufführungsserie von 1744 komponierte, zwei Jahre später die ersten beiden Sätze als Anfang des „Gelegenheits-Oratoriums“ und 1749 das Menuett in der „Feuerwerksmusik“ wiederverwendete.


    Erster Teil


    Erste Szene: Auf dem Berge Ephraim.


    Vor der Richterin Deborah auf dem Berge Ephraim haben sich die Kinder Israels versammelt. Sie bringen Jehovah Opfergaben und bitten um einen Führer im Kampf gegen die kanaanitischen Unterdrücker. Der einleitende gewaltige vierundzwanzigstimmige Chorsatz „Immortal Lord of Earth and Skies“ (Unsterblicher Herr über Erde und Himmel) ist eine Bearbeitung des Chandos-Anthems „O praise the Lord with one consent“, greift aber bei der Phrase „O grant a leader to our host“ (Gewähre einen Führer unsrer Schar) auf Musik aus der Ode zum Geburtstag von Königin Anne und die Brockes-Passion zurück. In den folgenden Sätzen werden die handelnden Personen Deborah und Barak eingeführt.


    Barak wird von Deborah als Sohn Abinoams vorgestellt, der von Gott auserwählt wurde, das israelitische Heer gegen den kanaanitischen Feind zu führen. Barak aber zögert und muß durch die Richterin in einem Duett („Where do thy ardours raise me“ - Wohin erhebt dein Eifern mich?) förmlich angestachelt werden, seine Aufgabe zu erfüllen. Und das Volk macht Barak in einem kurzen Chorsatz klar, daß er Gott Jehovah zu gehorchen habe. Immer noch zögernd bittet Barak die Richterin, in einem Gebet Gottes Beistand für ihn zu erbitten, vom Volk mit dem ergreifenden Chor „For ever to the voice of prayer“ (Denn immer leiht der Stimme des Gebets Jehovah sein Gehör) unterstützt (aufgebaut auf Musik aus der Brockes-Passion und dem Chandos-Anthem „In the Lord I put my trust“).


    Danach prophezeit Deborah ihren Zuhörern, daß der Befehlshaber der Kanaaniter, Sisera, Israel zwar in den Abgrund stürzen will, aber durch die Hand einer Frau umkommen wird. Mit dem Chorsatz „O blast with thy tremendous brow“ (Zerschmettere mit deinem furchtbarn Zorn), den Händel der Brockes-Passion entnahm, wird der von Deborah angestimmte kriegerische Tonfall von Volkes Stimme übernommen, und das Orchester ahmt mit zornigen Läufen Kampfgeschrei nach. Barak aber äußert in seiner Arie „How lovely is the blooming fair“ (Entzückend ist knospende Lieblichkeit), daß die Frau, die eine solche Tat begeht, ehrenhaften Ruhm verdient habe.


    Zweite Szene


    Es tritt nun die gottesfürchtige Jael, Gemahlin des Keniters Heber, dessen Stamm mit den Kanaanitern Frieden geschlossen hat, vor Deborah und beklagt sich bei der Richterin über die kriegerischen Zeiten; sie wünscht sich sehnlichst Frieden. Deborah aber blickt erneut in die Zukunft und prophezeit Jael mit „Choirs of angels, all around thee“ (Engelschöre rings um dich harren), eine ebenfalls aus der Brockes-Passion abgeleitete Phrase, daß sie unter himmlischem Schutz stehe und noch vor Tagesende der Stolz ihres Geschlechts sein werde. Jael dankt freudig mit den Worten „To joy he brightens my despair“ (Meine Verzweiflung hellt er auf zum Frohsinn).


    Dritte Szene


    Diese Szene gehört Abinoam und Barak, gehört Vater und Sohn. Abinoam stimmt eine Arie an („Awake the ardour of thy breast“ - Erwecke das Feuer in deiner Brust), dessen Musik Händel der Geburtstagsode von Queen Anne entnahm, und in der er seine Hoffnung zum Ausdruck bringt, daß der Sohn ihm in der bevorstehenden Auseinandersetzung Ehre machen werde. Und Barak zeigt sich jetzt endlich überzeugt, daß er Verantwortung übernehmen muß und es nur die Wahl zwischen Sieg oder Untergang geben wird. In seiner koloraturenreichen Arie „All danger disdaining“ (Mißachtend die Gefahr fiebre ich dem Kampfe entgegen) läßt er aber keine Zweifel am Sieg aufkommen. Daraufhin jubelt auch der Chor „Let thy deeds be glorious“ (Deine Taten seien glorreich) zur Musik aus dem Krönungsanthem „Let thy hand be strengthened“.


    Vierte Szene


    Vor Deborah, Barak und Abinoam tritt ein Herold des feindlichen Heerführers Sisera und fordert in Auftrag seines Herrn eine Unterredung: „My charge is to declare“ (Mein Auftrag lautet, zu erklären). Es solle geprüft werden, ob der Waffengang noch vermeidbar sei. Die Richterin und Barak sind sich einig und jagen selbstbewußt den hochmütig auftretenden Boten mit der Erklärung, daß ihre Soldaten niemanden fürchten, davon. Der Herold aber schwört im Abgang Rache.


    Fünfte Szene


    Deborah bekräftigt ihre Haltung, daß man dem Feind um der Freiheit willen selbstbewußt entgegentreten werde und prophezeit ein Ende der Sorgen Judas. Das Volk begrüßt diese Siegeszuversicht mit dem Chor „Despair all around them“ (Von Verzweiflung getrieben), den Händel abermals aus dem Krönungsanthem „Let thy hand be strengthened“ extrahierte. Ein Halleluja beendet sehr wirkungsvoll den ersten Teil des Oratoriums.


    Zweiter Teil


    Erste Szene: Auf dem Berge Tabor.


    Die Israeliten sehen das feindliche Heer mit ihrem Anführer Sisera herankommen. Beide Seiten sind kampfbereit. Für den kraftvollen Eingangschor „See, the proud chief advances now“ (Seht, nun tritt vor der stolze Feldherr) griff Händel auf den Einleitungschor seines „Dixit Dominus“ (HWV 232) zurück. Der Cantus firmus, von einer Stimme zur nächsten weitergegeben, setzt dabei zu den Worten „mit unheilvollem Schritt und finsterer Miene“ gewichtige Akzente.


    Zweite Szene


    Sisera tritt triumphierend vor Deborah und bietet ihr bei völliger Unterwerfung an, den Waffengang zu vermeiden: „At my feet extended low“ (Zu meinen Füßen liegend ausgestreckt). Warnend fügt Sisera noch hinzu, daß sein Erbarmen auch schnell in Wut umschlagen kann. Natürlich weist Deborah dieses „Friedensangebot“ entschieden zurück. Sie setzt in ihrer Antwort sogar noch eins drauf: Sisera werde bald erfahren, was es heiße, den Gott Israels zum Feind zu haben, denn Tyrannen, die nur auf ihren Stolz vertrauen, sind für Jahwe kleine Staubkörner, die dem Wind nicht standhalten können. Ihre Arie „In Jehova’s awful sight“ (Aus Jehovas ehrfurchtgebietender Sicht), die Händel seiner Brockes-Passion entnahm, ist ein bemerkenswertes Stück, in dem Streicher und zwei Fagotte mit den Soli von Deborah und einer einzelnen Oboe korrespondieren.


    Sisera bleibt unerschütterlich hochmütig und erwidert höhnisch, daß die Wundertaten Jehovahs durch „eure Knechtschaft“ eindeutig erwiesen seien. Alles, woran das Volk glaubt, ist doch „nur Illusion, alle Hoffnung ist vergebens“. Händel läßt, dramaturgisch durchaus folgerichtig, auf Siseras Arie sofort Barak mit der eindrucksvollen Arie „Impious mortal, cease to brave us“ (Gottloser Mensch, hör auf, uns so zu reizen) antworten. Auch diese Musik stammt aus der Brockes-Passion, wo sie ein Gebet des Petrus untermalt, hier jedoch Baraks unerschütterlichem Glauben an Gott ausdrückt.


    Nun kommt der oberste Baalspriester zu Wort; er verkündet großspurig, daß es kein Gott mit Baal aufnehmen kann, und die versammelten Baalspriester stimmen in dieses Lob mit einem prachtvollen Chor („O Baal, Monarch of the skies“- O Baal, Monarch des Himmels) anbetend ein. Diese Äußerungen sind dem Hohen Priester der Israeliten zuviel. Er nennt Gott Baal einen „viehischen Götzen“, dem nur so „elende Wichte wie ihr“ huldigen können. Das daran anschließende Gebet der Israeliten „Lord of eternity“ (Herr der Ewigkeit) ist durch seine über vier Oktaven verteilten sechzehn Stimmen eine der beeindruckendsten Lobpreisungen für einen Gott, die man sich vorstellen kann, und ein Beweis für Händels geniale Charakterisierungskunst. Der folgende Chorsatz „Plead thy just cause“ (Dein Anliegen vertrete, deine Übermacht offenbare), aus der Einleitung von „Dixit Dominus“ geformt, ist die Bitte der Israeliten an Jehovah, die Feinde zu vernichten.


    Der fast schon theologisch zu nennende Streit, Deborah hat das ebenso erkannt wie Sisera, hat jede friedliche Lösung zunichte gemacht. Sie fordert Sisera mit den Worten „By His great name“ (Mit dem erhabenen Namen) zum Verschwinden auf und droht ihm sogar mit Bestrafung. Sisera aber, von seiner Machtfülle ebenso überzeugt wie von der Unterlegenheit der Israeliten, kündigt hochmütig seine baldige Rückkehr an, und dann werde Israel „blutige Tränen“ weinen.


    Mit dem sehr komplexen Chor („All our boast will end in woe“- All eure Prahlerei wird elend enden), an dem sich nicht nur Deborah, Sisera und Barak, sondern auch die Priester der Israeliten und des Baal beteiligen, endet die zweite Szene äußerst wirkungsvoll.


    Dritte Szene


    Barak brennt darauf, in den Kampf zu ziehen und verspricht der „Great Prophetess“ mit den Worten „In the battle, fame pursuing“ (In der Schlacht, im Streben nach Ruhm) die Kanaaniter unter der Führung Siseras anzugreifen. Der gesungene Text läßt eigentlich den Einsatz von Trompeten und Pauken erwarten, aber Händel wählte überraschenderweise zwei Flöten als Begleitung einer solistisch eingesetzten Orgel.


    Baraks Vater Abinoam fühlt sich durch das Engagement seines Sohnes ermutigt und bestärkt ihn mit der Arie „Swift inundation of desolation“ (Mit tosender Flut verlorenen Muts), dessen Musik aus „Aci, Galatea e Polifemo“ stammt, den Gegner zu vertreiben und dem Elend in Israel endlich ein Ende zu bereiten.


    Nun kommt erneut Jael ins Spiel: sie trägt ein Gebet vor, in dem sie mit den Worten „No more disconsolate I’ll mourn“ (Nie mehr will ich untröstlich klagen) um die Befreiung des Volkes Israel aus kanaanitischer Knechtschaft bittet. Mit rätselhaften Worten wendet sich Deborah an Jael und empfiehlt ihr, sich in ihr Zelt zurückzuziehen - dort soll ihr in der Einsamkeit „ewig währender Ruhm, der nie vergeht“ zuteil werden. Jael äußert sich glücklich über die Aussicht, unsterblich zu werden, mit der Arie „Oh the pleasure my soul is possessing“ (O welche Freude herrscht in meiner Seele), die Händel seinem frühen Oratorium „La Bellezza ravveduta nel Trionfo del Tempo e del Disinganno“ (Rom 1707) entnahm.


    Barak und Deborah sind sich einig, daß jetzt die kriegerischen Auseinandersetzungen nicht mehr aufzuhalten sind und singen ein Duett zum Lob der Freiheit: „Smiling freedom, lovely guest“ (Lachende Freiheit, lieblicher Gast) meint Deborah und Barak sekundiert „Thy dear presence to obtain“ (Um deiner kostbaren Gegenwart willen). Das Volk stimmt, von Pauken und Trompeten gestützt, einen sechsstimmigen Jubelgesang an, den Händel aus dem Krönungsanthem „The King shall rejoice“ generierte und jetzt auf die Worte „The great King of Kings“ (Der König der Könige wird uns heut zur Seite stehn) gesungen wird und beendet mit strahlender Pracht den zweiten Teildes Oratoriums.


    Dritter Teil


    Erste Szene


    Nach einer den dritten Teil des Oratoriums einleitenden „Grand Military Symphony“, für die Händel Oboen und Hörner vorschreibt, und die aus dem Oratorium „Belshazzar“ stammt, wird durch den Chor der Israeliten bekannt gegeben, daß die Kanaaniter besiegt wurden und „nicht einer übrigblieb“, wie es in der Bibel heißt.


    Eine Israelitin freut sich nicht nur, daß der „hochmütige Feind“ am Boden liegt, sondern bejubelt gleichzeitig die Rückkehr des Friedens mit den Worten „Now sweetly smiling“ (Die Friedensgöttin schwebt herab).


    Zweite Szene


    Daß Barak den Feind besiegt hat, ist für seinen Vater Abinoam Grund zur Freude; trotzdem denkt er in der Es-Dur-Arie „Tears such as tender fathers shed“ (Tränen, wie sie vergießen liebevolle Väter) über seinen eigenen Tod und über die Unsterblichkeit nach, die der Sieg für seinen Sohn bedeutet.


    Dritte Szene


    Unerwartet kommt Jael hinzu und überbringt die Nachricht von Siseras Tod. Trauernd äußern sich die Baalspriester in dem schwermütigen Chorsatz „Doleful tidings“ (Leidvolle Kunde), den Händel langsam-pochend komponiert hat und damit äußere Trostlosigkeit ausdrückt. Der Satz endet ebenso merkwürdig wie erschütternd: plötzlich schweigt das Orchester und der zunächst noch unbegleitete Chor endet mit Orgelklängen.


    Mit „Our fears are now for ever fled“ (Dahin sind nun für immer unsre Ängste) äußert die Israelitin erneut ihr Entzücken über den Tod Siseras, denn damit hat sich Deborahs Prophetie erfüllt, eine „schnelle Rache“ hat das Haupt des „anmaßenden Feindes gefällt.


    Aber erst das folgende Rezitativ des Barak („I saw the tyrant breathless in her tent“- Ich sah ihn, den Tyrannen, atemlos gehen in ihr Zelt) enthüllt den Doppelsinn der Aussage der Israelitin und von Deborah aus der zweiten Szene des ersten Teils, in der sie Jael aufforderte, in ihr Zelt zu gehen: Barak, der Sisera nächtens in Jaels Zelt verschwinden sah, veranlaßt sie jetzt, in allen Einzelheiten über die Ereignisse im Zelt zu berichten. Und so erzählt Jael die grausame Geschichte: Sisera war auf der Flucht und wollte sich in ihrem Zelt verbergen. Anstatt dem feindlichen Heerführer Wasser aus dem nahen Bach zu holen, war Jael einen Schritt weiter gegangen und hatte ihm „einen Milchtopf aufgetan“- eine verschwommene Aussage, die die Frage aufwirft, ob hier vielleicht eine biblische Allegorie für erotische Dienste gemeint ist? Sisera aber, der sicherlich von der Schlacht erschöpft war (oder auch von seiner Gastgeberin?), hatte sich zum Schlafen niedergelegt, und Jael nutzte sofort die Gelegenheit, um ihm mit einem Hammer einem Nagel durch den Kopf zu treiben. „Tyrant, now no more we dread thee“ (Tyrann, wir fürchten dich nicht mehr) ist eine Triumpharie, die zwei vollständige Oktaven abdeckt.


    Nun weist Deborah mit den Worten „The glorious sun shall cease to shed“ (Die herrliche Sonne soll nimmer senden) Jael lebhaft auf ihre gewonnene Unsterblichkeit hin, während Barak in „Low at her feet“ (Tief zu ihren Füßen neigte er sich) mit einem Abstieg über drei Oktaven Siseras Sturz recht anschaulich darstellt. Die Moral zieht Deborah in einem ihrer wenigen Accompagnati: sie erklärt, daß die zugrunde gehen werden, die sich Jehovah widersetzen, während alle Gottgläubigen wie „die Sonne erstrahlen“ werden.


    Vor das Finale setzt Händel eine Symphony, bei deren Musik es sich um „La Rejouissance“ aus der „Feuerwerksmusik“ handelt. Der Schlußchor ist für zwölf Instrumentalstimmen und Doppelchor geschrieben, in dem Händel sorgsam Diminuendi bei dem Wort „ascend“ notiert und bei „For Judah’s God is Judah’s friend“ (Denn Judas Gott ist Judas Freund) zu weitgespannten Akkorden übergeht. Danach wählt Händel zum Text „O celebrate his sacred name“(Lobpreiset seinen heil’gen Namen) Musik aus dem Krönungsanthem „The King shall rejoice“. Imponierend wirkt der Aufbau dieses Schlußsatzes von den imitativen Choreinsätzen am Anfang bis zu den Trompetenklängen und den massiven Chorakkorden am Schluß. Eine ebenfalls aus dem genannten Krönungsanthem gewonnene Musik setzt mit dem „Alleluja“-Chor dem Oratorium einen würdigen Schlußpunkt.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Samuel Humphreys wählte als Quelle für das Libretto zu DEBORAH das vierte Kapitel des Buchs der Richter aus dem Alten Testament. Die Geschichte ist, wie aus der Inhaltsangabe hoffentlich deutlich geworden ist, mehr als grausig. Es verwundert nicht, daß es Humphreys nicht gelang, eine derartig gewalttätige Geschichte (nicht der einzigen übrigens aus dem Alten Testament) mit der Vorstellung des „gütigen Gottes“ zu verbinden. Er wird also auch gar nicht erst versucht haben, dem Handlungsablauf menschliche Züge zu verleihen. Davon einmal abgesehen, daß der Text in großer Eile entstanden ist, war Humphrey wohl auch nicht der Dichter, den es bedurft hätte, um der Geschichte diese menschliche Komponente einzuhauchen. Aber er hat Händel immerhin eine Folge von Szenen geliefert, die der Komponist mit einer, wenn auch zum Teil aus älteren Werken stammenden wunderbaren Musik versehen hat. Wer sich als Musikdetektiv versuchen möchte, kann sich hier wirklich profilieren. In obiger Inhaltsangabe wurde versucht, dem Musikliebhaber diese Detektivarbeit abzunehmen, indem Händels Anleihen bei sich selber angegeben sind.


    Aus Berichten von der Uraufführung wissen wir, daß sich unter den hundert Ausführenden „etwa fünfundzwanzig Sänger“ befanden - eine uns befremdlich vorkommende Unausgewogenheit zwischen Chor und Orchester. Mit Doppelchor, großer Streichergruppe und sechs Blechbläsern müssen die Chorsätze, in bis zu vierundzwanzig Stimmen aufgegliedert, für das Publikum eine Offenbarung gewesen sein. Eine Lady Irwin schrieb allerdings einem ihrer Bekannten, Lord Carlisle, für sie seien die Chöre in DEBORAH „das musikalische Gegenstück zu dem, wie ich mir das Stimmengewirr in einer französischen Wirtsstube vorstelle“. Völlig anderer Meinung, die aber sicher nicht als objektiv einzustufen ist, war Mrs. Delaney, eine überaus leidenschaftliche Anhängerin Händels; sie offenbarte einem Bekannten, sie sei von diesem Werk jedesmal so hingerissen, weil es für sie kein anderes Werk gebe, das den Jubel einer Nation so klar ausdrücken könne.


    Im Juli 1733, Händel hielt sich auf Einladung des Vizekanzler der Universität in Oxford auf, wo das eigens für die Universitätsstadt komponierte Oratorium „Athalia“ uraufgeführt wurde, kam DEBORAH im dortigen Sheldonian Theatre mit großem Beifall auf die Bühne. Die große Beliebtheit von DEBORAH sicherte dem Werk von 1734 bis 1756 weitere fünf Spielzeiten.


    DEBORAH ist bemerkenswerterweise Händels einziges Oratorium, für das kein Autograph existiert. Dafür läßt sich aus dem Manuskript, das heute im British Museum aufbewahrt wird, ersehen, daß sich Händel mit seinem Notenschreiber in der Arbeit abgewechselt hat, manchmal sogar inmitten einer Phrase. Außerdem hat Händel die Musik aus den älteren Werken nicht ausgeschrieben (oder ausschreiben lassen), sondern den Kopisten auf die jeweilige Dirigierpartitur verwiesen, in die er den neuen Text über dem Originaltext eintrug. Für den unvollständig erhaltenen ersten Teil kann als Ersatz das Barrett-Lennard-Manuskript aus dem Fitzwilliam Museum in Cambridge herangezogen werden.


    Friedrich Chrysander, der DEBORAH 1869 als Band 29 seiner Händel-Ausgabe herausgab, kannte diese Quelle offenbar nicht, seine Ausgabe ist insofern sehr ungenau geraten. So hat er beispielsweise die Partie der Jael vollständig eliminiert, stellt dem Werke eine Ouvertüre in B-Dur voran, die sich weder in der Kompositions- noch in der Direktionspartitur findet und die sich auch tonal nicht dem Eingangschor (in D-Dur) fügen will.


    © Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Partitur der Chrysander-Ausgabe (Online)
    Robert King über seine Fassung von DEBORAH

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    MUSIKWANDERER

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  • Der Blick in die Vergangenheit zeigt mehrere Aufnahmen dieses Oratoriums, die nicht als CD erschienen sind:


    1967 leitete Günther Weissenborn das Orchester des NDR Hannover, es sang der Chor der St. Jacobi-Kantorei; die Solisten waren
    Albinoam: Lothar Ostenburg
    Barak: Friedrich Melzer
    Deborah: Gertraud Stoklassa
    Herald: Victor Martens
    High preist of Baal: Horst Schwarzer
    High priest of the Israelits: Lothar Ostenburg
    Jael: Christel Patzschke
    Sisera: Georg Jelden


    1970 hat sich Riccardo Muti Händels Werk angenommen; es spielt das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, und es sang der Prague Philharmonic Chorus. Als Solisten waren dabei
    Albinoam: L. Anderko
    Barak: Margarita Lilowa
    Deborah: Jessye Norman
    Jael: Ileana Cotrubas
    Sisera: Hermann Winkler


    Die noch erhältlichen Einspielungen sind folgende:



    mit Yvonne Kenny, Susan Gritton, Catherine Denley, James Bowman, Michael George; Choir of the New Colle Oxford; Choristers of Salisbury Cathedrale; The King's Consort; Leitung Robert King (1993)

    mit Elisabeth Scholl, Natacha Ducret, Lawrence Zazzo, Ewa Wolak, Knut Schoch und Jelle S. Draijer; Junge Kantorei Frankfurt; Frankfurter Barockorchester; Leitung Joachim Carlos Martini (1999). Für diese Aufnahme hat Martini die Chrysander-Ausgabe unter Berücksichtigung der Arbeiten von Bernd Baselt und Robert King sowie erhaltene Manuskripte, zeitgenössische Abschriften und den Libretti von 1733 (London) und 1749 (Dublin) herangezogen. Er schreibt u.a. in seinem Vorwort: Der akribisch-wissenschaftlichen Arbeit von Bernd Baselt verdanken wir die beiden Arien in Teil I, Szene 4, Abinoams „Hateful man“ und „My vengeance awakes me“ des Herolds, erstere eine Parodie von „Piangi pur, ma non sperare“ aus der Oper „Tolomeo“, die sich in der Partitur der letzten Aufführung von 1756 fand, während die Arie des Herolds aus „Athalia“ stammt, und zwar ohne Änderungen. Ein besonderer Dank geht auch an Annette Landgraf und Dr. Michael Pacholke für die Arie „Cease, O Judah, cease thy mourning“ aus der neuen Ausgabe des Oratoriums „Israel in Egypt“.


    Die bei Hyperion erschienene Aufnahme unter Robert King verwendet natürlich seine eigene Fassung, wobei die von Martini erwähnten Solo-Arien von Abinoam, dem Herold und Deborahs „Cease, O Judah, cease thy mourning“, die vor dem Schlußchor des ersten Teils steht, bei ihm fehlen.

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    MUSIKWANDERER

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