Das Organum – früheste Form der Mehrstimmigkeit

  • Richtigerweise muss man sagen: die früheste Form, soweit dies durch schriftliche Überlieferung nachweisbar ist.


    Keiner weiß, wann und wie die Mehrstimmigkeit ihren Anfang nahm. Natürlich ist davon auszugehen, dass einstimmige Gesänge schon lange vor dem Organum mit einfachen improvisatorischen Mitteln mehrstimmig bereichert wurden, sei es durch Bordunklänge, sei es durch Oktavieren oder gar Quintieren, sei es durch Auffächern einer einstimmigen Linie in eine Mehrstimmigkeit am Ende einer Melodie oder Melodieabschnitts, sei es durch echoartige Wiederholungen kurzer Teile usw. Aber dies ist alles spekulativ.


    Eine solche spekulative Mehrstimmigkeit ist beim ersten und beim dritten Stück dieser CD zu hören: Unter einer reich gestalteten einstimmigen Linie erklingen Bordunklänge. (Die vergriffene Einzel-CD ist in einer Doppel-CD – rechts – wieder aufgelegt worden.)



    Der älteste überlieferte schriftliche Bericht über Mehrstimmigkeit ist die „Musica enchiriadis“ ( = Handbuch zur Musik) eines anonymen Autors und stammt aus dem 9. Jahrhundert. Dort wird beschrieben, wie eine Hauptstimme (Vox Principalis oder Cantus) einen Gregorianischen Choral singt und von einer Unterstimme (Vox Organalis) begleitet wird, die parallel zur Hauptstimme im Quint- oder Quartabstand gesetzt ist. Es erklingen also stets parallele Quinten oder Quarten. Hauptstimme und/oder Unterstimme können zusätzlich noch oktaviert werden.


    Damit ist das Parallelorganum im Wesentlichen beschrieben: Es ist eine Choralbearbeitung, d. h. eine musikalische Ausgestaltung eines vorgegebenen Gregorianischen Chorals. Man spricht je nachdem auch genauer vom Quartorganum oder Quintorganum. Diese Praxis wird schon in der „Musica enchiriadis“ als alt bezeichnet.


    Nur am Anfang und am Schluss des Chorals wurde beim Quartorganum anders verfahren: Die Vox Principalis und die Vox Organalis beginnen im Einklang, d. h. auf demselben Ton, und laufen nach und nach auseinander, bis der gewünschte Abstand (Quarte) erreicht ist. Dann wird dieser Abstand beibehalten bis kurz vor Schluss, wo die Stimmen wieder aufeinander zulaufen und im Einklang enden. An den Rändern des Quartorganums gibt es also gewisse künstlerische Entscheidungen.

  • Das, was wir heute Organum nennen, wurde damals als Sinfonia = Zusammenklang bezeichnet. Die Gattung hat sich zunächst improvisatorisch entwickelt und wurde in solistischer Besetzung ausgeführt, erst später wurden Organa schriftlich aufgezeichnet. Im Vordergrund stand gar nicht mal die Mehrstimmigkeit, sondern eher die Verstärkung des Klangs, die Erhöhung der Tragfähigkeit des Gesangs in den Kathedralen jener Zeit. –


    Somit konnten Gregorianische Choräle verschieden ausgeführt werden: chorisch-einstimmig oder in Form des Organums zweistimmig mit solistischer Besetzung. Innerhalb eines längeren Chorals konnten die einzelnen Abschnitte im Wechsel zwischen chorischer Einstimmigkeit und solistisch besetztem Organum gesungen werden; solches berichtet bereits die „Musica enchiriadis“.


    Das Phänomen der Klangverstärkung durch Parallelführung weiterer Stimmen kennt jeder Organist: Ziehe ich zu einem 8‘-Register (8‘ heißt: Drücke ich die Taste „c1“, so erklingt ein „c1“) ein oder zwei weitere gleichartige 8‘-Register hinzu, so wird der Klang kaum lauter. Füge ich einem 8‘-Register allerdings ein 4‘-Register (d. h.: Taste „c1“ lässt Ton „c2“ erklingen – obere Oktave) hinzu oder noch eines zu 2 2/3‘ (Ton „g2“ - Oktave plus Quinte), so ist der Klang nicht nur heller, sondern auch lauter.


    (Bitte, nicht ganz ernst nehmen: Erfahrene Chorleiter ahnen, wie das Organum entstanden ist. Wahrscheinlich hat irgendein Sänger einer Schola Cantorum, z. B. ein Tenor, in der Probe bei der Tonangabe nicht aufgepasst und den zu singenden Gregorianischen Choral auf dem falschen Ton begonnen. Wie üblich hat der fragliche Sänger dies nach einigen Tönen immer noch nicht bemerkt, sondern tapfer seine falsche Linie durchgehalten. Etliche Meter entfernt stand zufällig ein Abt oder Prior oder sonstiger hoher geistlicher Würdenträger, der über den neuartigen Klang staunte und den Leiter der Schola dafür lobte …


    Tatsächlich erlebt habe ich jedoch folgendes:


    Ein renommierter Mainzer Chor, der sich insbesondere um die Pflege der großen Bachschen Vokalwerke auf semiprofessionellem Niveau verdient gemacht hat, führte die h-moll-Messe auf. Vor dem Credo, das die Tenöre alleine auf dem Ton e‘ beginnen, entfleuchte dem ersten Cellisten wie zufällig ein gezupftes „a“ auf der leeren Saite. Es war – so vermute ich - abgesprochen, dass den Sängern auf diese Weise die Grundtonart A-Dur des Stückes angezeigt werden sollte, damit sie richtig einsetzen können. Dumm, wie Tenöre nun mal überwiegend sind, begann eine Mehrzahl allerdings auf „a“ zu singen statt auf dem richtigen „e“, so dass der Anfang des Credo im Quintorganum erklang. Da die falsch singenden Tenöre mit Inbrunst auf ihrer Version beharrten, musste nach wenigen Takten abgeklopft werden … )


    Ich habe keine CDs gefunden, die sich explizit mit dem Parallelorganum beschäftigen. Das mag daran liegen, dass kaum schriftliche Zeugnisse konkreter „Werke“ überliefert sind – die Aufführungen wurden ja improvisiert. Auf den nachstehend abgebildeten CDs (beide sind inhaltlich identisch) ist aber das Kyrie neunfach gesungen: 3 x Kyrie, 3 x Christe, 3 x Kyrie. (Wer das weitverbreitete Buch „Chor aktuell“ hat: Seite 11 oben, Kyrie „in festis duplicibus“). Der jeweils erste Durchgang jeder Dreiergruppe wird einstimmig, der zweite über einem Bordun, der dritte im Parallelorganum gesungen.



    Wer die Verfilmung von „Der Name der Rose“ durch Jean-Jacques Anneau nach dem Roman von Umberto Eco sieht, kann darin ein Parallelorganum hören, und zwar in der Szene, in der die durch den Inquisitor Bernardo Gui Verurteilten zum Scheiterhaufen geführt werden. Historisch ist das aus zwei Gründen für diesen Roman, der im 14. Jhd. spielt, nicht ganz korrekt: Zum einen war das Organum in jener Zeit schon aus der Mode gekommen, zum anderen wird es im Film chorisch, d. h. nicht solistisch ausgeführt.


    Zu guter Letzt habe ich doch noch eine CD erwischt, auf der das Parallelorganum mit seinen vielfältigen Möglichkeiten vorgeführt wird, leider jedoch in chorischer Besetzung. Immerhin. Es ist diese ansonsten wunderbare Naxos-CD, Track 30:



    Die ersten Kombinationsmöglichkeiten will ich mal zu beschreiben versuchen. Intervallangaben nach bestem Wissen und Gewissen, da nach Gehör:


    0:00 – 0:15 Parallelorganum in Oktaven
    0:16 – 0:34 Quintorganum
    0:35 – 0:49 Quintorganum mit Oktavverdoppelung der Unterstimme (also Grundton, Quint und Oktave)
    0:50 – 1:07 Dasselbe eine Oktave höher
    1:08 – 1:23 Grundton plus Duodezim ( = Oktav und Quinte)
    1:24 – 1:39 Quintorganum mit Oktavverdoppelung der Oberstimme
    1:40 – 2:01 Quintorganum mit Oktavverdoppelung von Unter- und Oberstimme
    2:02 – 2:19 Unterstimme singt in Quintlage, Oberstimme in Doppeloktave (also ein Undezimorganum)
    2:20 – 2:38 Quartorganum, man hört, wie die beiden Stimmen im Einklang enden
    2:39 – 2:57 Quartorganum mit Oktavverdoppelung der Unterstimme, ebenfalls endend im Einklang
    2:58 – 3:16 kann man als Quintorganum mit nach oben oktavverdoppelter Unterstimme auffassen. Man endet aber auch hier im Einklang.

  • Warum Quarten und Quinten? Warum nicht Terzen und Sexten, die für unser Ohr doch viel angenehmer klingen? Das geht zurück auf Augustinus. Grundlage ist zum einen der biblische Satz "Alles hast Du geordnet nach Maß, Zahl und Gewicht" (Weisheit Salomonis 11,21), zum anderen die Schönheitslehre von Platon, in der einfache Verhältnisse ganzer Zahlen eine große Rolle spielen.


    In diesem geistigen Kontext formulierte Augustinus Sätze wie: "Ordnung ist das Mittel, durch das alles bestimmt wird, was Gott festgelegt hat.", "Nichts steht außerhalb der göttlichen Ordnung", "Nichts ist geordnet, was nicht schön wäre."


    Für Augustinus liegt Schönheit in der Zahl als Grundlage der Form. Die Zahl ist für ihn die vereinheitlichende Formkraft von Maß und Ordnung, die Quelle ästhetischer Vollkommenheit, das Höchste und Machtvollste im Bereich der Vernunft, ja die Vernunft selbst. Schönheit kann folglich nicht ohne Zahl entstehen. Unter den Künsten schätzt Augustinus deshalb die Musik und die Architektur am höchsten ein, weil sie auf Zahlengesetzlichkeiten beruhen.


    Bei Quinte und Quarte sind die Schwingungsverhältnisse von Unter- zu Oberton wie 2:3 bzw. 3:4, also einfache Verhältnisse kleiner Zahlen. Dies war schon vom Monochord der Pythagoräer her bekannt. Schönheit wurde rational definiert: Die Zahlenverhältnisse sind einfach, also ist der Zusammenklang schön. Überspitzt formuliert: Die Zahlen entscheiden, was das Ohr schön finden soll.


    Auch die frühesten Kirchenorgeln berücksichtigten dies: Sie hatten nur ein einziges Register (wenn man es so nennen will), welches Pfeifenreihen auf dem Grundton, in der Oktave, der Duodezim (=Oktave + Quinte) usw. enthielt, also genau denselben Quint-Oktavklang produzierte, wie er im Organum zu hören war. Diese Kirchenorgeln kamen zur selben Zeit auf wie das Parallelorganum: 9. bis 11. Jhd.

  • Verwendet man bei der Parallelführung von Vox Principalis und Vox Organalis nur skaleneigene Töne, so tritt bei größeren Tonumfängen unvermeidlich der Tritonus auf. Dieser widerspricht nicht nur der geforderten Einfachheit der Proportionen (2:3 oder 3:4), sondern wird im Quart- bzw. Quint-Kontext sofort als „anderer“ Klang gehört. Zur Vermeidung des Tritonus wurden darum schon sehr früh abweichende Intervalle eingeschoben.


    Der theoretische Unterbau zur Verwendung dieser Intervalle wurde durch Guido von Arezzo im „Micrologus“ gegeben (ca. 1020 n. Chr., der vollständige Micrologus ist im Internet übersetzt verfügbar).


    Nach und nach wurde die strenge Parallelführung der Stimmen gelockert. Es gab gerade Bewegung (beide Stimmen gleiche Richtung, aber um ein unterschiedliches Intervall), Seitenbewegung (eine der Stimmen bleibt auf dem Ton, bewegt sich nicht) und sogar Gegenbewegung. Werke aus der Mitte des 11. Jhds. dokumentieren, wie die Vox Organalis immer freier geführt wurde, zum Beispiel das das Winchester Tropar (um 1050). Damit ist das sogenannte schweifende Organum erreicht. – Leider sind die Aufzeichnungen im Winchester Tropar noch immer nicht eindeutig entschlüsselbar.


    Gegen Ende des 11. Jhds. sind Beispiele nachweisbar, in denen sogar mehrere Noten der Begleitstimme auf eine Note der Hauptstimme kommen. Damit wird nicht nur die Freiheit der Tonhöhe, sondern (in Grenzen) eine Freiheit des Rhythmus gegeben. Leider habe ich dazu keine Hörbeispiele.

  • Im 12. Jahrhundert erreicht das Organum seinen Höhepunkt. Immer mehr wird schriftlich fixiert, der Freiraum zur Improvisation schwindet. Der Mailänder Traktat „Ad organum faciendum“ (um 1100) beschreibt, wie die Vox principalis zur Unterstimme wird. Dadurch gewinnt die nun als Oberstimme deutlicher hörbare Vox organalis an Bedeutung. Die Unterstimme mit dem Choral heißt fortan „Tenor“ (von tenere = halten – die Stimme, die die Choralstimme in langen Noten hält), die Oberstimme „Discantus“ (von „dis“ = auseinander, entzwei und „cantus“ = Gesang). Andere Quellen beschreiben ausdrücklich die Stimmkreuzung.


    Hand in Hand mit diesen größeren Freiheiten der Komposition gehen immer bessere Möglichkeit der Notation. War das Winchester Tropar noch in Neumen notiert, die bis heute bei der Entzifferung Probleme bereiten, so tauchen zu Beginn des 12. Jahrhunderts die ersten Notationen auf, bei denen absolute Tonhöhen identifiziert werden können.


    Zwei Arten des Organums sind zu erkennen: Discantus-Stil bzw. Discantus-Faktur und Halteton-Stil bzw. Halteton-Faktur. Bei den Organa im Discantus-Stil wird je ein Ton der Unterstimme von einem Ton der Oberstimme begleitet, es ist also ein Satz „Note gegen Note“. Bei den Organa im Halteton-Stil wird die Choralnote in der Unterstimme lange gedehnt und von mehreren Noten in der Oberstimme begleitet.


    „Discantus“, französisch „déchant“, bedeutet wörtlich „Auseinander-Gesang“. Die Bedeutung „Oberstimme“ hat das Wort „Discantus“ bzw. „Diskant“ erst später erhalten. Natürlich war der Discantus bei diesen Organa eine Oberstimme.


    Beide Stilarten, Discantus-Stil und Halteton-Stil, lassen sich in der sogenannte „St.-Martial-Schule“ finden, einer Komponistenschule um die Abtei St. Martial in Limoges, in der vom 9. bis zum frühen 13. Jahrhundert Tropen, Sequenzen und auch Organa komponiert wurden. In St. Martial wird die Organum-Technik auch auf andere Gesänge angewendet, nicht nur auf den Gregorianischen Choral. Noch bleiben die Komponisten anonym.


    Einige wenige Hörbeispiele zur St.-Martial-Schule finden sich auf dieser CD, die als Doppel-CD in neuem Gewand neu aufgelegt wurde (rechts):



    Track 7 „Benedicamus Domine“ ist in Halteton-Faktur geschrieben, Track 11 „Orienti oriens“ in Discantus-Faktur.

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  • Noch großartiger sind die Organa der Notre-Dame-Schule in Paris (1160/80 – 1230/50). Es entstehen nicht nur zweistimmige, sondern auch drei- und vierstimmige Organa, die als Höhepunkt der Gattung gelten; dies gilt insbesondere für die vierstimmigen Organa „Viderunt omnes“ und „Sederunt principes“. Deren Sonderstellung ist auch daran abzulesen, dass diese beiden Organa am Anfang des „Magnus liber organi“ standen.


    Nunmehr werden die Komponisten auch mit ihren Werken genannt: Die Namen Leonin und Perotin sind uns überliefert.


    Einen guten Überblick über die Organa der Notre-Dame-Schule gibt diese bereits oben erwähnte CD:



    Siehe dazu auch den Thread zur Notre-Dame-Epoche, aber vor allem den Thread zu Leonin und Perotin.

  • In der ars antiqua (ca. 1240 – 1320) werden noch Organa gesungen, doch die Komposition neuer Organa geht stark zurück. Im Wesentlichen wird das bestehende Repertoire weiter gepflegt.


    (Vorsicht: Als ars antiqua wird manchmal nicht nur die Zeit zwischen Notre-Dame-Epoche und der ars nova bezeichnet, sondern alles, was zeitlich vor der ars nova lag.)


    In der ars nova (ca. 1320 – 1380) verliert die Gattung „Organum“ völlig an Bedeutung.

  • Warum Quarten und Quinten? Warum nicht Terzen und Sexten, die für unser Ohr doch viel angenehmer klingen? Das geht zurück auf Augustinus. [...]
    Bei Quinte und Quarte sind die Schwingungsverhältnisse von Unter- zu Oberton wie 2:3 bzw. 3:4, also einfache Verhältnisse kleiner Zahlen. Dies war schon vom Monochord der Pythagoräer her bekannt. Schönheit wurde rational definiert: Die Zahlenverhältnisse sind einfach, also ist der Zusammenklang schön. Überspitzt formuliert: Die Zahlen entscheiden, was das Ohr schön finden soll.


    Auch die frühesten Kirchenorgeln berücksichtigten dies: Sie hatten nur ein einziges Register (wenn man es so nennen will), welches Pfeifenreihen auf dem Grundton, in der Oktave, der Duodezim (=Oktave + Quinte) usw. enthielt, also genau denselben Quint-Oktavklang produzierte, wie er im Organum zu hören war. Diese Kirchenorgeln kamen zur selben Zeit auf wie das Parallelorganum: 9. bis 11. Jhd.


    Könnte ja auch andersherum sein: Bei einem Klang Grundton+Oktave+Duodezim hört das Ohr wegen der Frequenzverhältnisse bzw. der besonders vielen gleichen Obertöne eher nur "einen Ton" also "Zusammenklang", als wenn eine Terz dazukommt (dissonantes Teufelswerk ...). Als man das entdeckte und mathematisch untersuchte, kam dann die Theorie heraus, die somit auch Folge der Praxis sein könnte und nicht Ursache. Dann ginge nicht die Bevorzugung von Oktaven und Quinten auf Augustinus zurück sondern die Überlegungen des Augustinus gingen auf die Bevorzugung von Oktaven und Quinten zurück.
    :hello:

  • Hand in Hand mit diesen größeren Freiheiten der Komposition gehen immer bessere Möglichkeit der Notation. War das Winchester Tropar noch in Neumen notiert, die bis heute bei der Entzifferung Probleme bereiten, so tauchen zu Beginn des 12. Jahrhunderts die ersten Notationen auf, bei denen absolute Tonhöhen identifiziert werden können.


    Die Frage ist natürlich, ob durch die Ersetzung der Neumen nicht auch etwas verlorengegangen ist, Hinweise auf die Art, wie das zu singen ist, bestimmte Eigenheiten, von denen wir heute nichts mehr wissen. Die neuere Notation war "besser" für die mehrstimmige Musik, aber wahrscheinlich "schlechter" für die einstimmige.

  • Könnte ja auch andersherum sein: Bei einem Klang Grundton+Oktave+Duodezim hört das Ohr wegen der Frequenzverhältnisse bzw. der besonders vielen gleichen Obertöne eher nur "einen Ton" also "Zusammenklang", als wenn eine Terz dazukommt (dissonantes Teufelswerk ...). Als man das entdeckte und mathematisch untersuchte, kam dann die Theorie heraus, die somit auch Folge der Praxis sein könnte und nicht Ursache. Dann ginge nicht die Bevorzugung von Oktaven und Quinten auf Augustinus zurück sondern die Überlegungen des Augustinus gingen auf die Bevorzugung von Oktaven und Quinten zurück.


    Lieber KSM,


    ich habe die Schriften der Pythagoräer nicht im Original gelesen.


    Aber alle Zitate, die ich gesehen habe, argumentieren in der Richtung: "Die Zahlenverhältnisse sind einfach, darum klingt es schön."


    Es war wohl ein Skandal, als die Pythagoräer entdeckten, dass die Diagonale im Quadrat nicht kommensurabel mit den Seitenlängen ist - das war "wider die Vernunft" = "irrational". Das brachte ein ganzes Weltbild zum Einsturz, das Universum war plötzlich eben doch nicht durch Verhältnisse einfacher Zahlen erklärbar. Es gab daraufhin wohl eine Spaltung der Pythagoräer.


    Tja. Aber ob Theorie oder Praxis zuerst da waren, ist in der Tat eine spannende Frage.


    :hello:

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