Triumph der Garanca: La Clemenza di Tito - Wiener Staatsoper, 24. Mai 2012

  • In einem Interview vor der Premiere sagte Regisseur Jürgen Flimm, dass er den Tito so inszenieren werde, dass das Publikum von heute die Geschichte nachvollziehen kann. Bislang konnte das diese Oper, die Mozart als Auftragswerk anläßlich der Krönung Kaiser Leopold’s II. zum König von Böhmen komponiert hat, eigentlich ganz gut, ohne dass man dabei gezwungen war, das Werk irgendwie „modern“ zu deuten. Nun, Herr Flimm hat ganz offensichtlich sein Ziel nicht erreicht, da zu viele Fragen aufkommen, die seine Inszenierung nicht beantworten kann.


    Modern soll er sein, dieser Tito. In der Gegenwart spielend. Man fragt sich, in welcher Gegenwart?
    Gut, da wären die Wände mit den an das alte Rom erinnernden Fresken, die gerne mal von einer Seite auf die andere geschoben werden. Tito tritt einmal in einer feschen Gardeuniform auf wie man sie aus dem 19. Jahrhundert kennt, um im nächsten Moment im legeren Freizeitlook von heute aufzutreten. Sehr auffällig, die fast ständig auf der Bühne herumlungernden Damen in Miniröcken und High Heels. Konnte er sich nicht entscheiden, welche Zeit es denn nun sein soll?
    Wenn der Chor auftritt, tut er das immer mit Notenständern.
    Titus wird uns als ziemlich aggressiver und brutaler Mensch vorgeführt, der gerne auch schon mal Sessel durch die Gegend wirft und hektisch über die Bühne flitzt, als müsse man Angst haben, gleich eine gescheuert zu bekommen. Fast cholerisch und wie ein Despot wirkt dieser Tito. Paßt das zu einem Menschen, der Attentätern verzeiht und seine Braut so einfach einem anderen überläßt?
    Beinahe schon komisch mutet die Szene an, als nach dem Brand des Kapitols wieder mal kurzberockte, stöckelschuhbewaffnete, in müllabfuhrorangenen Jacken gekleidete Damen den Putztrupp spielen und die Stadt blitzschnell wieder sauber machen. Warum eigentlich immer diese Obsession mit den leichtbekleideten Mädchen???
    Aber all diese Merkwürdigkeiten regen gar nicht auf. Dafür wirkt das alles wieder viel zu einfallslos und erscheint belanglos.


    Die musikalische Seite hingegen überzeugt dafür umso mehr. Auch wenn das Dirigat von Louis Langrée etwas zu zahm erscheint. Er läßt Spannung vermissen, setzt kaum Akzente. Das Drama spielt sich weniger im Orchestergraben ab, dafür umso mehr auf der Bühne.
    Denn dort sorgen die Sänger für wahre Emotionen.


    Auch wenn Tito der Titelheld ist, so ist natürlich Sesto die geheime Hauptfigur der Oper. Und wenn dann dieser Sesto Elina Garanca heißt, dann ist die Opernwelt in Ordnung, egal welche Langeweile und Sinnlosigkeit sich auf der Bühne breit macht.
    Die Garanca singt einfach perfekt und macht damit diesen Sesto zum umjubelten Mittelpunkt der Aufführung. Ihr voller, edeltimbrierter Mezzo scheint keine Grenzen zu kennen. Eine satte Mittellage wird von einer Höhe ergänzt, die immer makellos und rein klingt. Da gibt es keinen schrillen Ton, egal wie hoch dieser ist. Mit den Farben ihrer Stimme schafft sie es, jede Gefühlslage, die dieser Sesto durchlebt, dem Zuhörer zu vermitteln. Erstaunlich mit welcher Sicherheit sie die schwierigsten Verzierungen singt. Sei es bei Parto, ma tu ben mio oder bei Deh, per questo istante solo – die absoluten Höhepunkte des Abends. Bei letzter muß sie während eines lang gehaltenen Tones mehrere 360 Grad-Drehungen machen, sich von Tito mit Zetteln auf denen „Traditore“, „Infedele“ und „Nemico“ stehen, aufkleben und muß sich sogar eine Zwangsjacke anziehen lassen.
    Derzeit gibt es für die großen Hosenrollen ihres Repertoires keine Konkurrentin für die Garanca. Ob als Octavian, Cherubino oder Romeo. Ich habe sie in allen drei Partien gehört und jedesmal war sie nicht nur umwerfend sondern auch absolut glaubhaft.
    Es ist bemerkenswert wie sie diese jungen Männer auch darstellerisch überzeugend spielen kann. Da scheint jedes mal wirklich ein junger Mann auf der Bühne zu stehen.
    Das trifft auch auf ihren Sesto zu. Wer soll ihr das in dieser Qualität nachmachen? Es ist herrlich von ihr Mozart zu hören, und sie sollte noch viel mehr Mozart singen.


    Da haben es natürlich alle anderen Sänger rund um sie herum schwer. Doch zum Glück bieten auch diese größtenteils gesanglich hohes Mozartniveau.
    Wobei die Titelfigur bei Michael Schade nicht ganz unproblematisch ist. Er bietet eine etwas unausgeglichene Leistung. Wenn er auch im Piano nach wie vor sehr gut ist und für schöne Momente sorgt, klingt er im nächsten Moment beim Forte sehr angestrengt. Die Arie im zweiten Akt gelingt ihm recht gut, doch weist die Stimme manchmal schon über Mozart hinaus. Vielleicht ist das aber auch zum Teil der Regie geschuldet, die Tito ständig als wilden und groben Herrscher zeigt und der Sänger sich dieser Darstellung auch vokal anpassen muß.


    Juliane Banse hat sich zwar gegenüber der Premiere sehr gesteigert und ihre Höhenschwierigkeiten überwunden, doch trotzdem ist ihr Sopran mit der dramatischen Partie der Vitellia etwas überfordert. Die dramatischen Ausbrüche kommen nur mit Anstrengung und verfärben ihr Timbre zu manch unschönen Tönen. Trotzdem kann sie über viele Strecken überzeugen und auch darstellerisch kann sie sich – wenn auch von der Regie etwas überzeichnet – gut einbringen.


    Die Entdeckung dieser Tito-Produktion ist die 27jährige Italienerin Serena Malfi in der zweiten Hosenrolle dieser Oper, dem Annio. Ihr schöner, heller und flexibler Mezzo ist ideal für Mozart. Im Gegensatz zu Garanca kann man zwar nie vergessen, dass hier eine Frau einen Mann darstellt, aber ihr gelungener Auftritt beschert ihr letztendlich den zweitgrößten Jubel des Abends.


    Die positive Entwicklung von Chen Reiss macht sich in der Rolle der Servilia bemerkbar. Ihr überbordendes Vibrato hat sie gut in den Griff bekommen. Ihr glasklarer Sopran meistert auch die Spitzentöne der Partie ohne jegliches Problem.


    Adam Plachetka singt einen soliden Publio, auch wenn er diesen mit etwas unbeweglichem Bass vorträgt.


    Am Ende gibt es für die Sänger großen Jubel bei dem Elina Garanca im Mittelpunkt des Publikumszuspruches steht. Auch Malfi und Schade werden heftig akklamiert.


    Nochmal zur Inszenierung: Nach der Vorstellung hörte ich eine Besucherin sagen, dass es gar nicht so arg war und man schon viel Schlimmeres gesehen hat. Das ist sicher richtig, aber es zeigt auch wie weit wir unsere Erwartungen inzwischen schon heruntergeschraubt haben.


    Gregor

  • Lieber Gregor,


    ich bin erst jetzt dazugekommen Deine Rezension zu lesen. Ich selbst war nur in der Premiere und hatte danach keine Zeit was zu verfassen - doch ich kann Deinen Ausführungen absolut zustimmen!!! Für mich ist Elina Garance bei Mozart perfekt aufgehoben, ihre Leistung war bei weitem besser als in der Anna Bolena, wo ich sie zum letzten Mal hörte.


    Absolute Übereinstimmung auf bei Serena Malfi - ein wirklcih guter Zugang für unser Ensemble!!!


    k

    Hear Me Roar!