HÄNDEL, Georg Friedrich: SEMELE


  • Georg Friedrich Händel (1685-1759):


    SEMELE
    Oratorium in drei Teilen für Soli (SSSAATTBB), Chor (SATB) und Orchester, HWV 58
    Originaltext von William Congreve nach Ovids „Matamorphosen“ bearbeitet von Newburgh Hamilton (?)


    Uraufführung am 10. Februar 1744 im Theatre Royal Covent Garden



    DRAMATIS PERSONAE


    Zeus (Jupiter), Tenor
    Apollon, Tenor
    Hera (Juno), Gemahlin des Zeus, Alt
    Athamas, böotischer Prinz, Alt
    Kadmos, thebanischer König, Baß
    Semele, seine Tochter, Sopran
    Ino, Schwester Semeles, Sopran
    Iris, Götterbotin, Sopran
    Somnus (Hypnos), Gott des Schlafes, Baß
    Der Hohepriester, Baß


    Die Handlung spielt in griechisch-mythischer Zeit.



    INHALTSANGABE


    Die dreiteilige Overtura besteht aus einem majestätischen, in tragische Mollklänge gewandeten Anfangsteil, einem fugierten Allegro, das ebenfalls keine klangliche Aufhellung bringt und wird mit einer graziösen Gavotte abgeschlossen, die eindeutig auf die erste Szene des Oratoriums hindeutet.


    Erster Teil: Im Tempel der Hera.


    In Heras Tempel sollen die thebanische Prinzessin Semele und der böotische Prinz Athamas miteinander vermählt werden. Semele aber sträubt sich gegen die Verbindung. Die Opferhandlung des Hera-Priesters wird mit dem Accompagnato (eine musikalische Form, die Händel in diesem Oratorium bevorzugt verwendet) „Doch seht! die heil'ge Glut flammt auf!“ und einem von Streichern und Harfen begleiteten Chor („Heil und Segen spendet euch Heras Macht“) mit dem Lob auf die Göttin abgeschlossen.


    Semeles Vater Kadmos versucht noch einmal, seine widerstrebende Tochter zu dieser Ehe zu überreden und der Prinz bittet Semele flehentlich, seinem Werben nachzugeben. Doch Semele lehnt erneut des Vaters Wunsch in einem leidenschaftlich-dissonanzenreichen Accompagnato ab und ruft den obersten Olympier um Hilfe an. Aus einem Nebensatz wird der Grund ihrer Ablehnung klar: Sie hat sich in Zeus verliebt und, wen wundert es, ist auf heftige Gegenliebe gestoßen. Was soll sie unter diesen Umständen mit dem gewöhnlichen Prinzen? In der unmittelbar anschließenden Arie „Die Lerche weckt den Gram mir im Gemüt“ sind jegliche Dissonanzen verschwunden, singt Semele im Wettstreit mit den Vogelstimmen nachahmenden Violinen anmutige Kantilenen.


    Athamas ist nicht zu beruhigen; er wendet sich enttäuscht um Hilfe an den Gott der Ehe, Hymenaios (Hymen), bleibt aber ohne Antwort. Dafür meldet sich Semeles Schwester Ino zu Wort; sie ist in Athamas verliebt, und klagt ihn schmachtend an, weil er sie nicht beachtet. Ein Quartett verbindet die unterschiedlich motivierten Klagen der beiden Schwestern mit dem Flehen Athamas' und der Bitte um Semeles Sinnesänderung bei Vater Kadmos.


    Der stürmisch einsetzende d-Moll-Chorsatz („Wend ab dies Zeichen, ew'ge Macht“) zeigt einen Stimmungswechsel an: aus dem Tag wird Nacht, und mit Donnergrollen und rauschendem Regen wird Heras Opferflamme gelöscht. Für die Tempelbesucher steht fest, daß Zeus grollt. Während Kadmos sieht, daß die Flamme wieder auflodert (was für ihn Heras Eingreifen bedeutet), Zeus sie aber umgehend wieder löscht, fleht Athamas Hera um Segen zum Ehebund mit Semele an, die sich ihrerseits an Zeus mit dem gegenteiligen Wunsch wendet. Der Chorsatz „Fort! fort! laßt ab, das Opfer zu begehen“ imponiert durch ein polyphones Stimmengeflecht ebenso wie durch phantasievolle Tonmalereien - beispielsweise wenn Händel den Streichern Sechzehntelpassagen in die Noten schreibt und dem Paukisten viel Arbeit gibt, die wilde Flucht der Gläubigen symbolisierend.


    In der nächsten Szene wirbt Ino wieder einmal um den geliebten Athamas, wird jedoch erneut abgewiesen. Ein Duett („Weh mir Armen/Nimm zur Sühne meinen Tod“) schildert beider Seelen-Verwirrung. Kadmos verschlimmert die Situation, weil er Athamas bedauert, wie auch er sein eigenes Schicksal beweint, was sie beide seiner Meinung nach zusammenschweißen müßte. Dann aber berichtet er von einem wundersames Ereignis: Er sah, daß Semeles „geliebtes Haupt“ von einem merkwürdigen Feuerglanz umhüllt wurde, aber kaum, daß er es bemerkt hatte, kam, einem Blitz gleich, vom Himmel ein Adler, der Semele ergriff und stürmend sich mit ihr in den Himmel schwang. Auch in diesem Accompagnato kommt phantasievolle Tonmalerei zum Einsatz: das Schwingen der Adlerflügel ist in den Violinen deutlich auskomponiert.


    Während Athamas die Entrückung seiner Semele als Verderben ansieht, glaubt Ino darin für sich und ihre Liebe zu dem Jüngling Hoffnungsschimmer zu erkennen. Plötzlich nahen Zeus-Priester in einem „heil'gen Zug“ und feiern Kadmos „und sein göttlich erhoben Haus“ mit einem festlich-tänzerischen Satz. Die in den Olymp entrückte Semele darf vor dem Schlußchor in einer Arie („Endlos selig lebt nun, allbeglückt, Semele, der Welt entrückt“) im Stil einer Gavotte ihr himmlisches Glück preisen, dessen Melodie vom Chor aufgenommen wird und mit Hörner-Klang festlich-fröhlich den ersten Teil des Oratoriums zu Ende bringt.


    Zweiter Teil: Eine liebliche Landschaft im Olymp.


    Hera ist wieder einmal eifersüchtig auf Zeus und hat der Gottheit des Regenbogens und der Winde, Iris, den Auftrag erteilt, nach der neuen Gespielin ihres Gemahls zu forschen. Die den zweiten Teil einleitende kurze Sinfonia soll Iris' eilig verlaufende Suche schildern.


    Und die hier als Götterbotin der Hera fungierende Iris hat tatsächlich herausgefunden, welches weibliche Wesen Zeus momentan fesselt: Nachdem sie „See und Land dreimal“ durchmaß, fand sie auf Kithärons Höhen eine Burg, die, wie sie erfuhr, Hephästos auf Zeus' Befehl errichten mußte. Dort halte sich eine gewisse Semele auf, von Zeus versteckt, und dem höchsten Olympier „zu holdem Dienst“ bereit. Diese Nachricht bringt Hera dermaßen in Wallung, daß sie nichts mehr hören will. Sie ruft stattdessen die Rachegöttin Saturnia in einem Accompagnato aus „tiefem Todesschlaf“ zur Rache an Semele und dem ganzen Stamm des Agenor auf.


    Iris läßt sich aber auch durch Heras Wutausbruch nicht bremsen und berichtet weiter, vom Orchester tonmalerisch unterstützt, von schweren Eisentoren und einem fürchterlichen Drachenpaar, das feuerspeiend den Eintgang der Burg bewacht. Das kann Hera nicht abschrecken, sie weiß sich zu helfen: Sie verlangt von Iris, ihr zum Mäotischen Strand zu folgen, dort will sie Hypnos (auch Somnus genannt), den Schlafgott, um Unterstützung zu bitten; er muß Zeus einschläfern und helfen, die beiden Drachen unschädlich zu machen und ihr so den Zugang zu Semele verschaffen.


    Die nächste Szene gehört Semele und Zeus: Die thebanische Schönheit wünscht sich ihren Liebhaber herbei. Kaum hat sie ihren Wunsch vorgetragen, kommt Herr Zeus in Menschengestalt, geriert sich als einschmeichelnder Liebhaber, der seine Geliebte mit den Worten beruhigt, daß er ihr, die Ruhe brauche, immer nahe war. Und Semele läßt in ihrer Arie durch Unisono-Begleitung der Streicher eine gewisse Verzagtheit erkennen: „In Qual verlangen, in Wonne bangen“, die der Chor der Liebesgötter mit der Übernahme der melodischen Linie noch verstärkt.


    Hat Semele vielleicht noch etwas auf dem Herzen? Aus dem folgenden rezitativischen Gespräch wird ihr viel weitergehender Wunsch deutlich: sie will nicht nur Geliebte sein, sie will den Göttern gleichgestellt werden und ebenfalls die Unsterblichkeit besitzen. Zeus lehnt das (beiseite gesungen) ab, denn das würde Semele nicht überleben! Aber er verspricht ihr (nun laut singend), ihre Schwester Ino als Gespielin „auf Zephyrschwingen“ herbeizurufen.


    Die letzte Szene des zweiten Teils ist eine Idylle, die Händel auch musikalisch kongenial dem Text anzupassen wußte: Inos liebliche A-Dur Arie „Doch horch! des Himmels Sphäre rauscht“, das zauberhafte Duett der Schwestern „Erhebe dich, du Götterchor“, der fugierte Schlußchor „Freuet die Erd' durch Göttergesang“- das ganze Szenario läßt durch die Musik unweigerlich den Gedanken an einen Komponisten aufkommen, der später in seinen griechischen Tragödien-Opern ähnliche Bilder musikalisch erzeugen wird: Christoph Willibald Gluck.


    Dritter Teil: In der Höhle des Hypnos.


    Die den dritten Teil einleitende Symphony (Larghetto e piano per tutto) zeichnet nicht nur durch träge Achtelbewegungen, sondern auch durch den Einsatz der Celli und Fagotte in idealer Weise das Reich des Schlafgottes nach. Das Stück verklingt stockend, man könnte auch sagen: einschlafend.


    Hera und Iris treiben nun die (mythologischen) Ereignisse weiter voran: Hera hat, durchaus hinterhältig, Hypnos mit dem Namen der Grazie Pasithea aus dem Schlaf gerissen, weil sie weiß, wie sehr er diese liebt. So gelingt es ihr mit der Zusage, Pasithea sei sein, ihn für sich zu gewinnen. Sie ringt ihm das Versprechen ab, Zeus in einen tiefen Schlaf zu versetzen, wobei Morpheus, der Gott des Traumes, den Göttervater zusätzlich noch mit einem Traum quälen soll. Aber sie benötigt noch Hypnos' Zauberstab, um die gefährlichen Drachen, die Wächter der Burg, zu überwinden. Ein Duett zwischen Hera und Hypnos („An mich gib den Zauberstab/Was du begehrst, sei dir gewährt“), in magischen Mollklang gewandet, besiegelt das Übereinkommen.


    Wir werden nun gedanklich in die Burg versetzt. Hier grämt sich Semele, allein gelassen von ihrem geliebten Zeus, über unruhige Tage und Nächte. Hera aber ist mit der Hilfe des Zauberstabes in die Burg eingedrungen und nähert sich Semele in der Gestalt der Ino, während die richtige Ino von Hypnos ebenfalls in Tiefschlaf versetzt wurde. Ohne weiteren Aufschub führt Hera ihren Racheplan aus. Sie bringt Semele dazu, sich an der Schönheit eines (präparierten) Spiegelbildes zu berauschen und in einer reizenden Arie („Wie von mir selbst verzückt“) zeigt sich Semele überzeugt, daß auf keine andere Frau dieser Welt „so viel Reiz verschwendet“ wurde.


    Als Hera fragt, ob diese Schönheit vielleicht ihren Ursprung in der von Zeus verliehenen Unsterblichkeit habe, verneint Semele. Nach wie vor ist sie sterblich und sie weiß auch nicht, auf welchem Wege sie den so sehr erwünschten Zustand der Göttergleichheit erreichen könnte. Hera/Ino weiß die Problemlösung: Sie solle sich Zeus verweigern, bis er ihren Wunsch erfüllt. Noch besser wäre es, wenn sie verlangen würde, daß sich der „mächtige Donnerer“ ihr in seiner göttlichen Gestalt zeige. Schon dadurch allein hätte sie die Schwelle zur Unsterblichkeit überschritten. Semele ist entzückt und bringt ihre Freude und Dankbarkeit für diesen „schwesterlichen“ Ratschlag in einem Siciliano zum Ausdruck: „O aller Dank sei dein“. Auch Hera ist sehr zufrieden über Semeles Reaktion und verschwindet.


    Nun stürmt Zeus, von heftigem Verlangen erfüllt, auf die Geliebte zu, Semele aber weist ihn in einem wehmütigen d-Moll-Larghetto ab. Ratlos und verzweifelt schwört er beim Styx, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, und ein Paukensolo, wie Donnergrollen, grundiert seinen Schwur. Ebenso siegessicher wie verblendet spricht Semele ihren Wunsch in einer Koloraturarie aus, nicht anhnend, daß der ihr den Tod bringen wird. Verzweifelt bittet Zeus, ihr genau diesen Wunsch nicht erfüllen zu müssen, doch Semele beharrt darauf, stürzt davon und läßt Zeus allein zurück. Ein h-Moll-Accompagnato drückt seine tiefe Niedergeschlagenheit aus; er weiß, daß er, Knecht seines Eides, diesen halten muß und sieht in einer Vision, daß die Geliebte stirbt, denn kein Mensch kann die Strahlen seiner Blitze, seine lichtumflutete Aura, ertragen, alles Irdische verwandelt sich umgehend in Asche.


    Hera ist von ihrem Triumph begeistert: „Unaussprechlich sind die Wonnen, die die Rache mir erwirbt“. Semele darf noch in einem Accompagnato mit verlöschenden, aus stockenden Seufzern und abwärts gleitenden Melodielinien ihr Sterben mitteilen. Ein Klagechor („O furchtbar schreckliches Geschick“), der immer wieder ins Stocken gerät, dann in einem verklingenden Fugato die Vergänglichkeit des Lebens aufzeigt, beendet diese Szene.


    Nun kommt ein abermaliger, imaginärer Szenenwechsel, der Semeles Schwester Ino auf der Erde erwachen läßt. Sie berichtet Kadmos und Athamas von dem schrecklichen Geschehen, das sie in einem Traum erlebte. Dann fügt sie noch hinzu, daß ihr der Götterbote Hermes in einer Vision erschienen sei und mitgeteilt habe, sie solle auf Geheiß von Zeus mit Athamas den Bund der Ehe schließen. Athamas zeigt sich tief bewegt durch diese Treue und willigt ein, Kadmos legt daraufhin beider Hände zusammen und gibt dem Paar seinen väterlichen Segen.


    Die letzte Szene gehört dem Gott der Weissagung, des Lichts, der sittlichen Reinigung und des Frühlings, Apollon. Er wird von einer kleinen, majestätischen „Symfony“ angekündigt (schwebt sozusagen in einer Wolke herab), und prophezeit, daß aus Semeles Schoß ein Sproß gerettet werden konnte, ein „Löser der Sorgen, ein Schöpfer der Lust“, um die Menschen und die Götter zu beglücken: Dionysos oder auch Bacchus. Ein jubilierender, polyphon geformter Schlußchor („Selig, selig, laßt uns ruh'n“) beendet das Oratorium heiter und fröhlich - wie es der Barockmensch liebte.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Händel begann die Komposition von SEMELE am 3. Juni 1743 und beendete den ersten Teil am 13. Juni; den zweiten am 20. Juni, den dritten, und damit das gesamte Werk, am 4. Juli. Die Uraufführung im Londoner Covent Garden Theatre am 10. Februar 1744 glänzte mit einer hochkarätigen Besetzung: Elisabeth Duparc sang die Titelpartie und der Tenor John Beard übernahm zwei Rollen, die des Zeus/Jupiter und des Apollon. Für den als Athamas eingesetzten Altus Daniel Sullivan schrieb Händel die ursprüngliche Tenor-Partie in die Altlage um. Wenngleich sich diese Zweitfassung in heutigen SEMELE-Aufführungen durchgesetzt hat, findet auch die originale Erstfassung wieder Interesse (so in Zürich, 2009), sich dabei an Händels ursprünglicher Intention orientierend.


    Der Text zu SEMELE geht auf das 3. Buch der „Metamorphosen“ von Ovid zurück, das der englische Lustspieldichter William Congreve 1705/06 zu einem Opernlibretto umgeformt hatte. Es war ursprünglich für John Eccles bestimmt, der es 1707 vertonte. Allerdings gibt es keine Belege für eine Aufführung dieser Oper. Wer das Original für Händel bearbeitet hat, ist bis heute nicht geklärt, in Publikationen wird immer wieder auf Newburgh Hamilton hingewiesen. Winton Dean würdigte jedenfalls diese Arbeit „als eine der reinsten Neuschöpfungen griechischen Geistes in der europäischen Kunst“.


    Obwohl Händels Anhänger begeistert von SEMELE berichten, waren die Aufführungen kein Erfolg. Nach nur vier Vorstellungen wurde das Werk zurückgezogen, und auch der Versuch einer Wiederaufnahme im Dezember 1744 schlug fehl. Vor allem die Londoner Opernliebhaber ärgerten sich, daß Händel, um Kosten für teure Szenerie und ebenso teure italienische Solisten einzusparen, eine Oper unter dem Deckmäntelchen des Oratoriums aufführte. Es wird sogar kolportiert, daß gedungene Raufbolde die Besucher der Aufführungen überfielen, schlugen und ausraubten, nur um Händel in Verruf zu bringen und ihm zu schaden.


    Stellt man die Frage nach der Geringschätzung von SEMELE, kann man nur feststellen, daß es nicht an der Musik liegen kann, die ist nämlich ungemein farbig. Wohl aber könnte die ablehnende Haltung des Publikums in der Stoffwahl zu suchen sein. Das bekannt prüde Londoner Publikum mochte es wohl nicht goutieren, daß in der Fastenzeit eine frivol- mythologische Liebesgeschichte aus dem alten Griechenland anstelle eines biblischen Themas zur Aufführung kam.


    Was nun die Musik betrifft, gilt es festzuhalten, daß in ihr wegen der fehlenden optischen Wiedergabe alle dramatischen Effekte, szenische Wandlungen und Stimmungskontraste auskomponiert werden mußten. Und in dieser Beziehung bietet der Komponist in der Tat alle seine Kunst auf: Die virtuose Partie der Titelfigur, ihre Schlafszenen oder auch die des Hypnos/Somnus, die rasende Wut der Hera, die tiefe Verzweiflung der Ino, alles gehört einerseits zum Besten in Händels Werk, wie es andererseits auch je in kaum einer seiner italienischen Opern übertroffen wurde (O.E.Deutsch, Hans Joachim Marx a.a.O).


    Die aus der Händel-Biographie als eine glühende Anhängerin bekannte Schriftstellerin Mrs. Delany hat sich auch zu SEMELE in einem Schreiben an eine Freundin geäußert (gefunden bei Otto Erich Deutsch):


    Semele ist bezaubernd, je öfter ich sie höre, desto besser gefällt sie mir, und da ich zu den Subscribenten gehöre, werde ich keinen Abend versäumen. Da die Handlung weltlich ist, hält es D. D.* nicht für angemessen, das Theater zu besuchen, aber wenn Joseph** oder Samson aufgeführt werden, werde ich ihn überreden mitzukommen - Du weißt ja, wie sehr er Musik liebt. Es heißt, daß Samson am kommenden Freitag*** aufgeführt werden soll, denn Semele hat eine große Schar von Gegnern, als da sind: die feinen Damen, die Kleingeister und die Ignoranten. Alle Opernbesucher sind auf Händel wütend…


    * D.D. ist als der Ehemann von Mrs. Delany identifiziert worden, er war Geistlicher;
    ** Joseph and his Brethren;
    *** offensichtlich gab es Proteste gegen SEMELE, weshalb „Samson“ angesetzt wurde.



    © Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Libretto
    Oratorienführer von Scheibler/Evdokimova, Oehlmann, Leopold
    Hans Joachim Marx: Händels Oratorien, Oden und Serenaten. Vandenhoeck & Ruprecht
    Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG)

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    MUSIKWANDERER

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  • Einige diskographische Hinweise zu Angeboten beim Werbepartner jpc:































    (in deutscher Sprache)
    Künstler: Eberhard Büchner, Siegfried Lorenz, Gisela Pohl, Renate Hoff, Rundfunkchor Berlin, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Helmut Koch


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    MUSIKWANDERER

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  • Ich habe diese Semele in meiner Sammlung, lieber Musikwanderer, allerdings in der Ausgabe von Brilliant Classics.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Bei mir steht die alte DDR-Aufnahme unter Koch im Schrank. Eigentlich braucht man keine andere, wenn man deutsch akzeptiert. Nelson (engl.) ist allerdings auch exquisit und spektakulär.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • diese DVD zeigt Cecilia Bartoli in der Rolle der SEMELE aus Zürich; außerdem Liliana Nikiteanu, Birgit Remmert, Isabel Rey, Charles Workman, Anton Scharinger; La Scintilla Orchestra, William Christie. Der Werbetext nennt die moderne Inszenierung von Robert Carsens „witzig-satirisch“.


    Die einzige Oper, die mir uneingeschränkt gefällt. Atemberaubend: die Arie der Semele, nachdem ihr Jupiter eröffnet hat, Unsterblichkeit käme für sie nicht in Frage.


    Gute Beleuchtung, gute Regie (die moderne Inszenierung stört m. E. nicht), gutes Orchester, guter Chor, gute Tontechnik, gute Solisten - und eine absolut umwerfende Bartoli.

  • Sagitt meint:


    Nachdem ich Frau Battle als Semele hören durfte, war das für mich Erfüllung. Sie war einfach herrlich, und Frau Horne ist eine grossartige Gegenspielerin; wegen der Sängerinnen diese Aufnahme. :jubel:

  • Um es nochmal klar zu machen: Semele ist eine Oper, kein Oratorium.


    Es geht um Liebe, Eifersucht, Leidenschaft und Verrat, also das, worum es normalerweise bei Opern geht, und religiöse Bezüge sind allenfalls vordergründig. Das Stück wurde zum Oratorium deklariert, um es in der Fastenzeit aufführen zu können.


    Zitat von Musikwanderer

    Vor allem die Londoner Opernliebhaber ärgerten sich, daß Händel, um Kosten für teure Szenerie und ebenso teure italienische Solisten einzusparen, eine Oper unter dem Deckmäntelchen des Oratoriums aufführte.


    kein Grund für ein "honi soit...", lieber Joseph

  • Lieber m-mueller,


    die Textpassage, die Du mir zuschreibst, ist eine Zusammenfassung von verschiedenen erhalten gebliebenen zeitgenössischen Publikumsäußerungen. Ich erwähnte sie, sie entsprechen aber nicht meiner Auffassung. Ich kann demnach auch Deiner Meinung nicht zustimmen.


    Richtig ist, daß Händel bei diesem Werk bewußt die Bezeichnung Oratorium vermied, genau genommen dem Werk überhaupt keine Titulierung beigab, sondern den Titel in voller Länge angab: "Die Geschichte von Semele". Richtig ist auch, daß einige Szenen wirklich zur szenischen Darstellung reizen können. Trotzdem wird der Textvorlage Handlungsarmut bescheinigt, weshalb es als Oratorium erst seine Wirkung entfalten kann.


    Ich bin für diesen Oratorienführerder allgemein üblichen Einordnung gefolgt, weil sie auch meinen Vorstellungen entspricht. Ich gebe allerdings zu, daß SEMELE (wie noch einige andere Oratorien Händel) eine Art Zwitterstellung einnimmt, die eine andere Auffassung gelten lassen können. Die unterschiedlichen Bezeichnungen auf den Platten-Covern unterstreicht die heute noch bestehenden Zweifel bei vielen Musikfreunden.


    Aber wie gesagt, ich hege da keine...

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    MUSIKWANDERER

  • Es scheint mir weniger Handlungsarmut zu sein, die Handlung ist ja wohl doch recht bunt, als eher Ausstattungsarmut, was dann einer eher modernen Form der Oper entsprechen würde (nein, ich will hier nicht noch ein Regietheater-Faß aufmachen).


    Aus Wikipedia zum Stichwort Oratorium:
    Abgrenzung zur Oper

    Das Oratorium wird im Gegensatz zur Oper ausschließlich konzertant aufgeführt, die Handlung findet also nur in den Texten und in der Musik statt. Ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen Oper und Oratorium besteht darin, dass die Oper zum großen Teil weltliche Stoffe zum Inhalt hat, während sich das Oratorium mehr auf die geistlichen Geschichten konzentriert. Oratorien werden traditionell in kirchlicher Umgebung aufgeführt. In der kirchlichen Fastenzeit wurden in der Regel keine Opern gegeben; in dieser Zeit fand das Oratorium verstärktes öffentliches Interesse.


    Soweit Wikipedia.


    Der Stoff ist klar weltlich, Semele wird nicht in kirchlicher Umgebung aufgeführt, ausschließlich konzertant ist sie auch nicht.


    Ich bin aber mit "unentschieden" zufrieden, auch ohne anschließendes Elfmeterschießen.


    :hello: