Robert Schumann / Frauenliebe und -Leben Op. 42

  • Soweit ich das überblicken kann, ist dieser Schumann-Zyklus im Forum noch nicht ausreichend beschrieben; eigentlich kein Wunder, wenn die meisten Forenmitglieder dem „starken Geschlecht“ zuzuordnen sind.
    Wie kommt Mann nun zu diesem Thema? Als Zuhörer konnte ich an einem Meisterkurs von Brigitte Fassbaender teilnehmen, und da wurden einige Lieder aus diesem Zyklus einstudiert. Natürlich eine ganz wunderbare und eingängige Musik, die einen nicht mehr los lässt.
    Wenn die mir zugänglichen Daten stimmen, sind diese Lieder am 11. und 12. Juni 1840 komponiert worden, also ein Anlass, sie gerade heute hier einzustellen.


    Robert Schumann komponierte diesen aus acht Liedern bestehenden Zyklus im Juni 1840 (mitunter wird auch 1841 angegeben). Es war im Jahr der Eheschließung, endlich durften Robert Schumann und Clara Wieck heiraten.

    Dieser Zyklus beschreibt ein Frauenleben in der Zeit der Romantik. Es ist ein vom Dichter geplanter Zyklus, der das Leben einer Frau vom verliebten Mädchen, der Hochzeit, dem Mutterglück und schließlich den Tod des Gatten schildert.
    Der Textdichter ist Adelbert von Chamisso (1781-1838), der diese Gedichte bereits 1830 geschrieben hat. 1819 heiratete er seine um 20 Jahre jüngere Frau. Es ist nachvollziehbar, dass sie so fühlte; das dürfte es wohl auch heute noch geben, aber die junge Frau wird sich im Jahre 2012 anders ausdrücken …


    Die beiden Männer (Chamisso und Schumann) legen einer jungen Frau diese Lieder in den Mund und in heutigen Besprechungen von Liederabenden mit diesem Zyklus, taucht dann oft das Wort „Emanzipation“ auf. „Biedermeierliches, auf Haus und Herd ausgerichtetes Frauenbild“, kann man dann lesen …
    Wie berichtet wird, soll Mörike schon gesagt haben, dass ihm das zuwider sei und Dietrich Fischer-Dieskau spricht in seinem Buch „Wort und Gedicht“ von der Schwäche dieser Gedichte.

    Der Musikwissenschaftler Peter Gülke hat das dieser Tage in einem Vortrag relativiert und darauf hingewiesen, dass insbesondere wenn das Mutterglück besungen wird, auch Defizite der Männer aufgezeigt werden.


    Schumann ist der dritte Komponist, der sich des Chamisso-Textes angenommen hat; bereits 1836 hatte Carl Loewe diesen Zyklus komponiert – und zwar alle neun Strophen, während Schumann nur acht vertont hat. Der allererste Komponist von Frauenliebe und- Leben war Franz Kugler (1808-1858), ein enger Freund Chamissos. 1831 vertonte Franz Lachner das erste Lied des Zyklus „Seit ich ihn gesehen“.

    Diese erste Lied ist im Folgenden zu lesen, über den musikalischen Eindruck und andere Dinge – zum Beispiel dass Matthias Goerne diese Lieder singt - kann dann in den nächsten Beiträgen etwas gesagt werden.


    1. Seit ich ihn gesehen

    Seit ich ihn gesehen,
    Glaub' ich blind zu sein;
    Wo ich hin nur blicke,
    Seh' ich ihn allein;
    Wie im wachen Traume
    Schwebt sein Bild mir vor,
    Taucht aus tiefstem Dunkel
    Heller nur empor.


    Sonst ist licht- und farblos
    Alles um mich her,
    Nach der Schwestern Spiele
    Nicht begehr' ich mehr,
    Möchte lieber weinen
    Still im Kämmerlein;
    Seit ich ihn gesehen,
    Glaub' ich blind zu sein.

  • Danke für diesen interessanten Thread. Hatte schon mehrfach überlegt, ihn selber zu eröffnen. Was die Texte betrifft, so würde ich auch meinen, dass es sicherlich Brillianteres gibt, andererseits finde ich nicht, dass es "hausbacken" wirkt. Bei diesem ersten Lied "Seit ich ihn gesehen", taucht in meinem Kopf immer unweigerlich das Bild der verliebten Tatjana auf, die Onegin nicht vergessen kann und kaum in einem Brief die passenden Worte findet.
    Ich jedenfalls versuche die Texte aus ihrer Zeit heraus zu begreifen und empfinde es als falsch, sie in die heutige Emanziaptionsdebatte miteinzubeziehen. Dann müsste man auch fragen, welcher Mann sich heute noch so wie der Dichter aus der "Dichterliebe" ausdrückt, der als "trauriger, blasser Mann" mit den Blumen in seinem Garten kommuniziert.


    Allerdings finde ich nicht, dass ein Mann diesen Zyklus singen sollte. Meine bevorzugte Aufnahme ist diese hier:


    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Endlich auch mal ein Thread zu diesem Zyklus. Auch Dank an dich, dass du erwähnt hast, dass auch Carl Loewe ihn bearbeitet hat, das wusste ich gar nicht und muss da gleich mal nachsuchen :)
    Ich kenne den von Schumann in zwei Aufnhamen, einmal mit Lucia Popp und zum anderen mit Jessye Norman. Demzufolge bin ich eindeutig dafür, dass er von einer Frau gesungen werden sollte (sowie ich z.B. "Winterreise" von einem Mann gesungen haben möchte). Das Thema ist einfach "zu weiblich" als könnte ich es einem Mann ernsthaft abnehmen (außer vielleicht die Verliebtheitsphase).
    Was, die Texte angeht...ist es nicht grundsätzlich ein Problem so vieler Liedetexte, dass sie gemünzt auf unsere Zeit oft ein wenig altbacken wirken? Letztlich habe ich damit kein so großes Problem. Wie Strano es sagte, man sollte die Texte aus ihrer Zeit heraus betrachten (viele Operntexte wirken heute doch ebenso weltfern). Gleiches gilt für den Inhalt. Diese Lieder stellen ja kein politisches Statement dar, weswegen der Emazipationsaspekt hier auch völlig daneben läuft. Die Lieder propagieren ja kein Frauenbild, sie stellen es dar wie es zur Zeit des Dichters meist gewesen ist, und viel mehr sind es doch ganz einfach Träger von Emotionen und Lebensstadien, die im Leben vieler Frauen auch heute noch Gewicht haben (Ehe, Kinder, Tod), nur, wie hart es schon meinte, dass sie sich heute eben anders ausdrücken würden. Der Kern der Emotion ist aber doch ein sehr ähnlicher.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Ich habe eine sehr schöne Aufnahme aus dem Radio mit Anne-Sofie von Otter. Ich meine auch, dass man diese Werke aus ihrer Zeit heraus verstehen sollte und nicht immer alles von heute aus messen. Ich erinnere mich an eine Diskussion in meinem Chor über die Liebesliederwalzer von Brahms, die so wunderbar zu singen sind. Auch die Texte gefallen mir gut, auch wenn sie wie die der Winterreise nicht ganz große Literatur sind, aber im Zusammenhang mit der Musik doch echte Gefühle auslösen. Mein Lieblingslied dort ist "Die grüne Hopfenranke", und deswegen wurde ich verspottet. Es ist ja wie immer: wir können die fremde Vergangenheit verstehen, aber wir müssen sie doch nicht ändern wollen!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Es ist ja wie immer: wir können die fremde Vergangenheit verstehen, aber wir müssen sie doch nicht ändern wollen!




    Lieber dr.Pingel,


    wenn Du mir Bieitos Adresse verschaffst, werde ich diesen Appell an den guten Geschmack dem berüchtigten Bilderstürmer ins Gästebuch schreiben.


    Thema verfehlt? Mag sein. Doch der Krieg ist nun an allen Fronten ausgebrochen.


    :hello:

  • Hallo,


    ich will mich weder zur Interpretation noch zum Text äußern, auch nicht zu den Liedern selbst. Mir geht es nur um die zu den Liedern für mich passende Stimme der Sängerin. Und für mich gilt, dass die im Kunstlied - anders als in Oper, Oratorium usw. - enthaltene Emotion nicht noch durch besondere Emotionen der Interpreten überinterpretiert wird. Das bedeutet, dass ich die Stimmen von Sängerin, die überwiegend im Opernfach tätig sind, für Kunstlieder singen weniger geeignet halte, es sei denn den Sängerinnen gelingt das Kunststück, ihre "Opernstimme" auf Stimme für Kunstlied umzustellen.


    Ich habe mir eine ganze Reihe vom Stimmen der Sängerinnen auf den JPC-Schnipseln angehört und ohne Namen zu nennen, der Stimmklang der Sängerinnen der JPC-Schnipsel Nr. 1, 2, 3, 6, 12, 13 ist für mich zutreffend.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich habe mir eine ganze Reihe vom Stimmen der Sängerinnen auf den JPC-Schnipseln angehört und ohne Namen zu nennen, der Stimmklang der Sängerinnen der JPC-Schnipsel Nr. 1, 2, 3, 6, 12, 13 ist für mich zutreffend.


    Wie soll ich diese Schnipsel finden? Ich irre durch die Angebote. JPC listet viele Aufnahmen auf, in die man hineinhören kann. Gern würde ich aber nachhören, was Dich, Zweiterbass, interessiert und anspricht. Ich teile nämlich voll und ganz Deine Auffassung, dass im Liedgesang "Emotion nicht noch durch besondere Emotionen der Interpreten überinterpretiert wird". Bei Frauenliebe und -leben schätze ich die Schlichtheit der Jurinac und der Seefried, die Popp mit einbezogen. Sie kommen meinem Ideal nahe. Die Vorstellung, dass Männer diesen Zyklus singen, schüttelt mich. Gleichberechtigung muss auch Grenzen haben. Schließlich hat auch Dieskau darauf verzichtet, Gretchen am Spinnrad zu singen, obwohl das immer zu befürchten stand. Mit den Texten kann ich sehr gut leben. Obwohl ich sie gut kenne, habe ich bei hart gern noch einmal Wort für Wort mitgelesen. Danke für Deine Mühe!


    "Seit ich ihn gesehen... " In diesen und den folgenden Worten geschieht genau das, was Menschen in solchen Ausnahmesituationen umtreibt. Sie sind außer Rand und Band, nicht empfänglich für Sachlichkeit, verlassen vorgegebene Bahnen, retten sich gar in das, was gemeinhin als Kitsch gilt. Sie sind besessen von Gefühl, in einer Ausnahmesituation gefangen. Sie sind gefährdet. Erinnern wir uns und seien wir gnädig. Die Musik steuert ja gegen. Sie ist viel weniger ausufernd als das Wort. Sie ist wie ein Rettungsanker. Ich bin jedes Mal fassungslos und hin und weg, wenn ich diese Lieder höre.


    Wie schön ist die Liebe, wie schön ist die Musik.


    Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wie soll ich diese Schnipsel finden? Ich irre durch die Angebote


    Hallo Rheingold1876,


    meine Angaben waren sehr oberflächlich, sorry; die fehlenden Namen sollten eine denkbare Voreingenommenheit verhindern.


    Wenn Du in der Zeile "suchen" in der Rubrik "Classic"bei JPC "Frauenliebe" eingibst, kommen auf der dann angezeigten 1. Seite die Aufnahmen, deren Nr. ich in der Reihenfolge angab - Nr. 1 ist die Sängerin Bernarda Fink.


    Sollte die Anzeige auf Deinem PC anders erscheinen - bitte kurze Antwort - dann nenne ich alle Namen.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Mir geht es nur um die zu den Liedern für mich passende Stimme der Sängerin. Und für mich gilt, dass die im Kunstlied - anders als in Oper, Oratorium usw. - enthaltene Emotion nicht noch durch besondere Emotionen der Interpreten überinterpretiert wird. Das bedeutet, dass ich die Stimmen von Sängerin, die überwiegend im Opernfach tätig sind, für Kunstlieder singen weniger geeignet halte, es sei denn den Sängerinnen gelingt das Kunststück, ihre "Opernstimme" auf Stimme für Kunstlied umzustellen.


    Ich habe mir eine ganze Reihe vom Stimmen der Sängerinnen auf den JPC-Schnipseln angehört und ohne Namen zu nennen, der Stimmklang der Sängerinnen der JPC-Schnipsel Nr. 1, 2, 3, 6, 12, 13 ist für mich zutreffend.

    Da hast du auf jeden Fall nicht Unrecht, Operngesang und Liedgesang verlangen nach verschiedenen Zugängen des Singens, das glaube ich auch. Opernstimmen sind häufig zu schwer und "exaltiert" in ihrem Ausdruck. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum gerade die Aufnahme von Jessye Norman, die ich besitze, mir nie so ganz zusagte.
    Ich habe die von dir erwähnten Schnipsel bei jpc einmal angehört und muss sagen, auch für mich waren da wirklich sehr passende Stimmen dabei.
    Meine Favoriten sind 2, 12, 13 bzw. Elly Ameling, Arleen Auger und Caroline Melzer

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Danke, für die Einstellung der „Frauenliebe-CD“ von Kathleen Ferrier. Selbstverständlich hätte ich diese grandiose Aufnahme auch noch vorgestellt, weil man den Zyklus mit dieser Stimme einfach kennen muss, wenn man sich mit „Frauenliebe und- Leben“ befasst. Kathleen Ferrier hatte kaum etwas mit der Oper zu tun und sang fast nur Lieder und Oratorien.


    Zitat

    Da hast du auf jeden Fall nicht Unrecht, Operngesang und Liedgesang verlangen nach verschiedenen Zugängen des Singens

    Sie starb 1953 im Alter von nur 41 Jahren.
    Bruno Walter sagte nach ihrem Tod: „Ich weiß, dass sie es vorziehen würde, wenn man sich in einer lichten Dur-Tonart an sie erinnerte.“ Am 22. April dieses Jahres wäre sie 100 Jahre alt geworden – ein besonderer Grund, ihrer zu gedenken.

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  • Nachdem die Aufnahme von Kathleen Ferrier hier schon zwei Mal gelobt wurde, muss ich mir die wohl auch einmal zu Gemüte führen...und werde gegebenenfalls meine Eindrücke schildern.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Opernstimmen sind häufig zu schwer und "exaltiert" in ihrem Ausdruck.

    exaltiert - verstehe ich in diesem Zusammenhang als anderes Wort für überinterpretieren.



    Kathleen Ferrier hatte kaum etwas mit der Oper zu tun und sang fast nur Lieder und Oratorien

    Ich hatte sie wegen ihrer für mich mangelhaften nicht so guten Textverständlichkeit (was für mich zum Stimmklang gehört) nicht genannt.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Eine solche Bemerkung (Zit. zweiterbass): "ich will mich weder zur Interpretation noch zum Text äußern, auch nicht zu den Liedern selbst. Mir geht es nur um die zu den Liedern für mich passende Stimme der Sängerin. "...


    ...genügt, - und schon ist man von diesem musikalischen Werk wieder einmal weit weg und bei seiner Lieblingsbeschäftigung hier im Forum: Bei den Sängern und Sängerinnen. (Es ist zum Heulen!)


    Dabei hätte dieser Liederzyklus eine intensive Beschäftigung mit seiner spezifischen kompositorischen Eigenart und seiner künsterischen Aussage wirklich verdient. Er wirft nämlich einige Fragen auf. Ich nenne sie mal:


    - Ist er in seiner liedkompositorischen Substanz und in seiner künstlerischen Aussage wirklich ein bedeutendes Werk Robert Schumanns?


    - Ist seine künstlerische Aussage wirklich noch zeitgemäß?


    - Musikalische Werke können veralten, - dann nämlich, wenn sie sich im Akt ihrer Entstehung nicht von ihrer zeitgemäßen Bedingtheit zu lösen vermögen. Liegt bei diesem Zyklus ein solcher Fall vor?


    Mitsuko Shirai und Hartmut Höll haben dieses Werk mehrfach aufgeführt. Hartmut Höll merkt dazu an - und das war beiden ein Problem:


    "Denn immer wieder saßen einige junge Mädchen im Publikum, die zeigten, dass dieses Schwärmen von ihm, dem Herrlichsten, so nicht mehr in unsere Zeit passt."


    Es wäre doch interessant, sich einmal diesen, wirklich gegenstandsbezogenen, Fragen zuzuwenden, anstatt solche Feststellungen für bemerkenswert und thematisch relevant zu halten:


    "Opernstimmen sind häufig zu schwer und "exaltiert" in ihrem Ausdruck." Oder: "Ich hatte sie wegen ihrer für mich mangelhaften nicht so guten Textverständlichkeit (was für mich zum Stimmklang gehört) nicht genannt."

  • Eine solche Bemerkung (Zit. zweiterbass): "ich will mich weder zur Interpretation noch zum Text äußern, auch nicht zu den Liedern selbst. Mir geht es nur um die zu den Liedern für mich passende Stimme der Sängerin. "......genügt, - und schon ist man von diesem musikalischen Werk wieder einmal weit weg und bei seiner Lieblingsbeschäftigung hier im Forum: Bei den Sängern und Sängerinnen. (Es ist zum Heulen!)Dabei hätte dieser Liederzyklus eine intensive Beschäftigung mit seiner spezifischen kompositorischen Eigenart und seiner künsterischen Aussage wirklich verdient. Er wirft nämlich einige Fragen auf. Ich nenne sie mal:- Ist er in seiner liedkompositorischen Substanz und in seiner künstlerischen Aussage wirklich ein bedeutendes Werk Robert Schumanns?- Ist seine künstlerische Aussage wirklich noch zeitgemäß?- Musikalische Werke können veralten, - dann nämlich, wenn sie sich im Akt ihrer Entstehung nicht von ihrer zeitgemäßen Bedingtheit zu lösen vermögen. Liegt bei diesem Zyklus ein solcher Fall vor?Mitsuko Shirai und Hartmut Höll haben dieses Werk mehrfach aufgeführt. Hartmut Höll merkt dazu an - und das war beiden ein Problem:"Denn immer wieder saßen einige junge Mädchen im Publikum, die zeigten, dass dieses Schwärmen von ihm, dem Herrlichsten, so nicht mehr in unsere Zeit passt."


    Ich hatte mich durchaus schon zur Frage, ob die künstlerische Aussage (welche wäre das deiner Meinung genau?) noch zeitgemäß sei, geäußert. In gewissen Aspekten ist die Aussage "zeitlos".
    Ob es wirklich ein bdeutendes Werk Schumanns ist, kann ich dagegen leider nicht benatworten, da ich nur zwei Werke von Schumann besitze und deshalb wohl kaum eine solide Meinung dazu habe.
    Es tut mir leid, wenn ich dich damit verärgert habe, dass ich hier auch auf die Interpreten einging.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Du hast mich nicht "verärgert", lieber Schallundwahn. In gar keiner Weise. Ich hätte nur gerne, dass man sich erst einmal jenen Fragen zuwendet, die unmittelbar mit dem musikalischen Werk und seiner Aussage zu tun haben.


    Ich habe sie aufgeworfen, weil sie nicht nur meine sind, sondern auch von anderen an dieses Werk gestellt wurden. Sie sind sozusagen "sachbedingt".


    Die Frage der Interpretation dieses Liederzyklus ist sicher auch eine interessante. Aber ist sie eine sekundäre.

  • Eine solche Bemerkung (Zit. zweiterbass): "ich will mich weder zur Interpretation noch zum Text äußern, auch nicht zu den Liedern selbst. Mir geht es nur um die zu den Liedern für mich passende Stimme der Sängerin. "...


    ...genügt, - und schon ist man von diesem musikalischen Werk wieder einmal weit weg und bei seiner Lieblingsbeschäftigung hier im Forum: Bei den Sängern und Sängerinnen. (Es ist zum Heulen!)


    Dieser Teil des Beitrages ist tatsächlich zum Heulen!


    Ich wollte mich nur zu einem Teil-, Randaspekt äußern, weil mir die Zeit fehlt (ich bin mit 2 anderen Threads beschäftigt), intensiv zu dem Gesamtwerk Stellung zu nehmen - es wird kritisiert


    Nahm ich insgesamt Stellung (Winterreise) und es entspricht nicht der erwünschten Meinung - es wird kritisiert


    Sachlich begründete Kritik - kein Einwand, warum auch - aber diese Art w. o.?


    Zu "Die Kluge" von Orff habe ich sehr ausführlich gepostet und zur "Carmina Burana" nur die für mich passende Sopranstimme gesucht - da kamen keine Einwände.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zitat

    ...genügt, - und schon ist man von diesem musikalischen Werk wieder einmal weit weg und bei seiner Lieblingsbeschäftigung hier im Forum: Bei den Sängern und Sängerinnen. (Es ist zum Heulen!)

    Man muss da nicht gleich heulen. Rheingold ist doch auf eine Deiner Fragen ganz wunderbar eingegangen und hat dargestellt (siehe Zitat unten), dass hier eine menschliche Ausnahmesituation geschildert wird, die im Prinzip auch in unserer Zeit noch Bestand hat. Wie ich eingangs sagte, wird das junge Mädchen heute andere Worte benutzen - sie wird den Typen einfach geil finden.


    Dieses Verhalten scheint mir zeitlos zu sein; das müsste man den jungen Mädchen im Publikum in geeigneter Weise erklären - und man sollte auch nicht vergessen, dass dies ja keineswegs nur für das weibliche Geschlecht zutrifft, es ließen sich zum Beweis prominente Beispiele anführen, aber das führt dann weit ab ...


    Und was die musikalische Substanz betrifft - Frau Kammersängerin Brigitte Fassbaender hätte sich wohl nicht damit befasst, wenn dieser Zyklus keine Substanz hätte, aber Helmut Hofmann kann das ja nachprüfen und untersuchen, dann wissen wir es ganz genau.

    Zitat

    In diesen und den folgenden Worten geschieht genau das, was Menschen in solchen Ausnahmesituationen umtreibt. Sie sind außer Rand und Band, nicht empfänglich für Sachlichkeit, verlassen vorgegebene Bahnen, retten sich gar in das, was gemeinhin als Kitsch gilt.

  • Du hast mich nicht "verärgert", lieber Schallundwahn. In gar keiner Weise. Ich hätte nur gerne, dass man sich erst einmal jenen Fragen zuwendet, die unmittelbar mit dem musikalischen Werk und seiner Aussage zu tun haben.


    Ich habe sie aufgeworfen, weil sie nicht nur meine sind, sondern auch von anderen an dieses Werk gestellt wurden. Sie sind sozusagen "sachbedingt".


    Die Frage der Interpretation dieses Liederzyklus ist sicher auch eine interessante. Aber ist sie eine sekundäre.


    Lieber HH,


    ich sehe es so, dass Komponist und Textdichter ein Werk geschaffen haben, wo man sich, wie Du richtig schreibst, "erst einmal jenen Fragen zuwendet, die unmittelbar mit dem musikalischen Werk und seinen Aussagen zu tun haben". Damit jedoch ist bei seiner Realisierung, heißt durch Aufführung zum Leben zu erwecken, ebenso essentiell, der Interpretation zumindest die gleiche Akribie angedeihen zu lassen. Denn was haben wir von einer stringenten Aussage, wenn die interpretatorischen Mitteln ihr nicht gerecht werden?


    Oft genug, und bitte glaub' es mir, habe ich schon großartige Werke erleben müssen, die vor allem wegen mangelhafter Interpretation den Bach runtergingen. Daher mein Credo: Sowohl - als auch! Denn eins bedingt das andere, und keins der beiden darf sekundär sein.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Eine solche Bemerkung (Zit. zweiterbass): "ich will mich weder zur Interpretation noch zum Text äußern, auch nicht zu den Liedern selbst. Mir geht es nur um die zu den Liedern für mich passende Stimme der Sängerin. "...


    ...genügt, - und schon ist man von diesem musikalischen Werk wieder einmal weit weg und bei seiner Lieblingsbeschäftigung hier im Forum: Bei den Sängern und Sängerinnen. (Es ist zum Heulen!)

    Was, geschätzter Helmut, sollte daran zum Heulen sein? Auch für mich kann nur die "passende Stimme" den Zugang zu Liedern eröffnen. Bevor ich Lieder höre, arbeite ich doch nicht einen ganzen Katalog von theoretischer Fragen ab.



    - Ist er in seiner liedkompositorischen Substanz und in seiner künstlerischen Aussage wirklich ein bedeutendes Werk Robert Schumanns?


    - Ist seine künstlerische Aussage wirklich noch zeitgemäß?


    - Musikalische Werke können veralten, - dann nämlich, wenn sie sich im Akt ihrer Entstehung nicht von ihrer zeitgemäßen Bedingtheit zu lösen vermögen. Liegt bei diesem Zyklus ein solcher Fall vor?

    Ob Ferrier oder die von mir favorisierte junge Jurinac - sie lassen bei mir durch ihre Interpretation solcherlei Bedenken gar nicht erst aufkommen. Sie befreien diese Lieder aus ihrer zeitlichen Verortung und heben sie hinein ins Zeitlose. Das ist das Geheimnis - und darin liegt auch die Bedeutung der nachschaffenden Kunst.


    Was ist zeitgemäß? Diese Frage kann schnell zum Totschlag-Argument mutieren. Ist Tristan zeitgemäß? Cosi? Oder die die Vier letzten Lieder von Strauss? Sind die Gemälde Caravaggios in ihrer symbolischen Verschlüsselung noch zeitgemäß? Der Faust? Die Novellen und Romane von Stifter? Der von mir über alles geliebte Dickens? Die Lyrik von Mörike?



    "Denn immer wieder saßen einige junge Mädchen im Publikum, die zeigten, dass dieses Schwärmen von ihm, dem Herrlichsten, so nicht mehr in unsere Zeit passt."

    Das Problem hab diese nicht näher bezeichneten jungen Mädchen, nicht wir, die diese Lieder gern hören. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass die Facebook-Generation eine andere Sicht auf diese Dinge hat. Es ist ihr gutes Recht. Aber sie neigt auch zur sprachlichen und emotionalen Verarmung.


    Lieder - auch der Zyklus, um den es hier geht, überleben letztlich nur durch ihre Interpreten und nicht dadurch, dass die Noten im Archiv liegen oder die Originale in Panzerschränken vor sich hin dämmern.


    Es grüßt Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich versuche, in zusammengefasster Form auf die zu meinem Beitrag hier erfolgten Stellungnahmen einzugehen. Dabei muss ich mich, denke ich, nicht auf die Feststellung einlassen: "Bevor ich Lieder höre, arbeite ich doch nicht einen ganzen Katalog von theoretischer Fragen ab." Denn das ist unstrittig. Ich bitte nur zu bedenken: Her geht es nicht ums Liederhören, sondern ums Liederreflektieren, - ums mal salopp zu formulieren.


    Aber im einzelnen:
    Zunächst einmal ist es eine gut belegte Tatsache, dass die Rezeption von Schumanns Opus 42 unter der spezifischen Eigenart seiner Textgrundlage - eben ihrer stark ausgeprägten Historizität - gelitten hat. Es wäre also, wenn man sich dieses Werk Schumanns hier vornimmt, eine sachbedingte Notwendigkeit, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Die Frage ist: Was hat uns ein Werk zu sagen, dem ein Frauenbild und ein Ideal von liebevoller Zweisamkeit zwischen Mann und Frau zugrundeliegt, das heute nicht mehr - oder nur sehr begrenzt - nachvollziehbar ist.


    Man komme mir bitte nicht mit "Zeitlosigkeit". Wenn es diese in diesem Werk tatsächlich gibt, dann mögen doch bitte diejenigen, die diese These vertreten - nebenbei: Ich gehöre dazu! - , genau angeben, worin diese Zeitlosigkeit denn besteht. Es gibt zu diesem Fragekomplex eine Untersuchung von Matthias Walz. Er plädiert dafür, die Gedichte Chamissos gleichsam mit historischem Blick zu lesen, sie akls typische Biedermeier-Dichtung zu verstehen. Damit ist aber noch nicht die Frage nach der künstlerischen Aussage des Liederzyklus selbst beantwortet.


    Man fragt mich, warum mir beim Lesen der Auslassungen über diese oder jene Sängerin "zum Heulen" war. Nun deshalb:


    Ich lese bei Harmut Höll: "Schumanns >Frauenliebe und Leben< ist eine in großartiger Weise durchstrukturierte Komposition, von bewundernswerter Klarheit der Architektur im einzelnen Lied wie auch das ganze Werk betreffend. Eine solche kann ich in der >Dichterliebe< nicht finden."


    Matthias Walz vertritt die These, dass Schumann, indem er mit dem Lied "Nun hast du mir den ersten Schmerz getan" endet - und nicht mit dem an neunter Stelle stehenden Lebensrückblick - endet, deutlich werden lässt, dass es ihm in seinem Zyklus um eine "Tonsprache der musikalischen Unmittelbarkeit, des Erlebens, der inneren Erfahrung" gehe. Und man kann dies bei den enzelnen Liedern, insbesondere anhand der kompositorischen Faktur des letzten Liedes, sehr schön nachweisen.


    Ich habe diesen Thread so verstanden, dass man sich hier solchen unmittelbar werkbezogenen Fragen zuwendet, der Frage der inneren Architektur des Zyklus und der spezifischen Faktur seiner Lieder. Immer die Frage im Blick, worin denn nun eigentlich die überzeitliche Gültigkeit seiner künstlerischen Aussage besteht. Gibt es diese "Tonsprache der musikalischen Unmittelbarkeit" in diesen Liedern? Wenn ja, wie sieht sie aus? Welche musikalisch-interpretativen Akzente setzt Schumann eigentlich bei der Vertonung von Chamissos Gedichten?


    Aber zum Thema sängerische Interpretation habe ich natürlich auch eine klare Auffassung: Ich höre dieses Werk gesungen von Kathleen Ferrier. Eine großartigere Interpretation ist mir bislang noch nicht begegnet. Ich könnte sogar begründen, warum diese Interpretation von Kathleen Ferrier singulär ist. Aber erst, wenn ich mich mit den viel wichtigeren Fragen der Werkinterpretation selbst auseinandergesetzt habe.


    (Das Katzenfoto bei Rheingold1876 entzückt mein Herz übrigens stets von Neuem. Gerade habe ich auf meinen fünf Katzengräbern im Garten neue Blümchen gepflanzt. Ich bitte um Nachsicht für diese nicht zu Sache gehörende persönliche Bemerkung)

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  • Zitat

    Die Frage ist: Was hat uns ein Werk zu sagen, dem ein Frauenbild und ein Ideal von liebevoller Zweisamkeit zwischen Mann und Frau zugrundeliegt, das heute nicht mehr - oder nur sehr begrenzt - nachvollziehbar ist.



    Er, der Herrlichste von allen


    Er, der Herrlichste von allen,
    Wie so milde, wie so gut!
    Holde Lippen, klares Auge,
    Heller Sinn und fester Mut.


    So wie dort in blauer Tiefe,
    Hell und herrlich, jener Stern,
    Also er an meinem Himmel,
    Hell und herrlich, [hoch]1 und fern.


    Wandle, wandle deine Bahnen,
    Nur betrachten deinen Schein,
    Nur in Demut ihn betrachten,
    Selig nur und traurig sein!


    Höre nicht mein stilles Beten,
    Deinem Glücke nur geweiht;
    Darfst mich niedre Magd nicht kennen,
    Hoher Stern der Herrlichkeit!


    Nur die Würdigste von allen
    [Soll]2 beglücken deine Wahl,
    Und ich will die Hohe segnen,
    [Segnen]3 viele tausendmal.


    Will mich freuen dann und weinen,
    Selig, selig bin ich dann;
    Sollte mir das Herz auch brechen,
    Brich, o Herz, was liegt daran?


    Nun ja, liebevolle Zweisamkeit wird da aber nicht nur angesprochen. In diesem Gedicht jedenfalls höre ich eine Art Anbetung, eine gottgleiche Verehrung heraus, die ich nicht unbedingt als "gesund" ansehen würde, und zwar zu keiner Zeit. Für mich ist das aber das Geheimnis des Zyklus. Er thematisiert auch problematische, nicht unbedingt "gesunde" Gefühlslagen. Zeitloser geht es nicht.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Zit.: "Er thematisiert auch problematische, nicht unbedingt "gesunde" Gefühlslagen. Zeitloser geht es nicht. "


    Inwiefern tut er denn das? Das wäre im einzelnen aufzuzeigen.


    Der Begriff "gesunde, bzw. ungesunde Gefühlslagen" scheint mir im übrigen an sich und in seiner Anwendung auf diesen Zyklus problematisch.

  • Höre nicht mein stilles Beten,
    Deinem Glücke nur geweiht;
    Darfst mich niedre Magd nicht kennen,
    Hoher Stern der Herrlichkeit!


    Will mich freuen dann und weinen,
    Selig, selig bin ich dann;
    Sollte mir das Herz auch brechen,
    Brich, o Herz, was liegt daran?


    Diese Zeilen gehen nach meinem Erachten über ein normales Verliebtsein hinaus und bergen in sich eine ungesunde, selbstzerstörerische Haltung. Damit kritisiere ich aber nicht den Zyklus, im Gegenteil, gerade die Thematisierung auch solcher, nicht so positiver Gefühlslagen zeichnet ihn aus.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Zitat

    Man komme mir bitte nicht mit "Zeitlosigkeit". Wenn es diese in diesem Werk tatsächlich gibt, dann mögen doch bitte diejenigen, die diese These vertreten - nebenbei: Ich gehöre dazu! - , genau angeben, worin diese Zeitlosigkeit denn besteht.

    Menschliche Gefühle sind zeitlos - Schmerz, Leid, Trauer und Freude oder auch eine gewisse "Verrücktheit" hat es praktisch schon immer gegeben, was sollte denn da noch genau angegeben werden? die Literatur ist schließlich voll von Beispielen.



    Zitat

    Ist er in seiner liedkompositorischen Substanz und in seiner künstlerischen Aussage wirklich ein bedeutendes Werk Robert Schumanns?

    Ja, das ist er - und das hatte ich schon so bemerkt, bevor ich es bei Dietrich Fischer-Dieskau nachgelesen habe: "Stärker als sonst in Schumanns Zyklen sind hier die Gedichte auf den gemeinsamen Nenner einer durchgehenden Handlung gebracht".

  • Zit hart: "Menschliche Gefühle sind zeitlos - Schmerz, Leid, Trauer und Freude oder auch eine gewisse "Verrücktheit" hat es praktisch schon immer gegeben,"


    Diese Feststellung ist zweifellos zutreffend. Nur wird dabei ein wesentlicher Sachverhalt übersehen: Es geht hier darum, wie diese "meschlichen Gefühle" künstlerisch artikuliert werden. Nicht die "Gefühle selbst" sind hier der Gegenstand unserer Reflexion, sondern die sprachliche und die musikalische Form, in der sie in diesem Zyklus zum Ausdruck gebracht werden.


    Der Hinweis: "die Literatur ist schließlich voll von Beispielen" müsste deshalb um einen wesentlichen Zusatz ergänzt werden: In dieser Literatur gibt es künsterisch gelungene - und noch heute nachvollziehbare - Gestaltungen dieser "menschlichen Gefühle" und daneben auch solche, die nicht gelungen sind, weil sie zum Beispiel ihrer Zeitgebundenheit verhaftet blieben. Solches gilt - unbestreitbar - für diese Chamisso-Gedichte.


    Mathias Walz hat darauf hingewiesen, dass es sich um typische Biedermeier-Poesie handelt: "Dichterische Meisterschaft bedeutete um 1830 (...) die Beherrschung der Formen und der Techniken: in der Modifikation und Funktionalisierung der poetischen Elemente beweist sich der nachklassische Lyriker." So - und nur so! - kann man diese Gedichte heute noch lesen.


    Ein Vers wie:
    "Höre nicht mein stilles Beten,
    Deinem Glücke nur geweiht;
    Darfst mich niedre Magd nicht kennen,
    Hoher Stern der Herrlichkeit!" ...
    ist -gelinde gesagt - eine poetische Katastrophe!


    Das, was ich hier an Beiträgen zu diesem Zyklus, insbesondere in Beitrag Nr.20 an Fragen gestellt habe, zielt auf eine "genauere" Betrachtung der einzelnen Lieder und der inneren kompositorischen Architektur des Zyklus ab. Das meinte das von hart kritisierte Wort "genau" in meinem Beitrag. Das Aufzeigen der Art und Weise zum Beispiel, wie Schumann die gewaltige Emphase, die das von Strano Sognatur mit dem Verdikt "ungesunde Gefühlslage" versehene Gedicht "Er, der Herrlichste von allen" aufweist, von Schumann musikalisch aufgegriffen und liedmäßg umgesetzt wurde.

  • Es gibt zu diesem Fragekomplex eine Untersuchung von Matthias Walz. Er plädiert dafür, die Gedichte Chamissos gleichsam mit historischem Blick zu lesen, sie akls typische Biedermeier-Dichtung zu verstehen. Damit ist aber noch nicht die Frage nach der künstlerischen Aussage des Liederzyklus selbst beantwortet.

    Das kann ich durchaus nachvollziehen, die Art und Weise, wie (sprachlich als auch inhaltlich) Chamissos sich äußerst, ist defintiv "historisch". Auch deine im vorherigen Post erwähnte 'poetische Katastrophe' ist sicherlich sehr richtig. Das ist keine Lyrik, die heute anspricht oder als 'Kunst' durchgehen würde. Eine eher gefühlige und poetisch gesehen ziemlich radebrecht.
    Dann stelle ich mir die Frage, warum hat Schumann sich diese Texte gewählt? Sah er darin etwas, dem er durch seine Musik etwas Tiefes, 'Zeitloses' geben kann oder wollte der den Text gar etwas an seiner Musik brechen?



    Matthias Walz vertritt die These, dass Schumann, indem er mit dem Lied "Nun hast du mir den ersten Schmerz getan" endet - und nicht mit dem an neunter Stelle stehenden Lebensrückblick - endet, deutlich werden lässt, dass es ihm in seinem Zyklus um eine "Tonsprache der musikalischen Unmittelbarkeit, des Erlebens, der inneren Erfahrung" gehe.

    Ich habe nachdem ich das las, gleich nochmal die neunte Strophe, die Schumann nicht verfilmt hat, gelesen, um einen Eindruck zu gewinnen, warum er eben diese wegließ. Da würde ich Matthias Walz Recht geben, alle anderen Strophen sind situationsbedingter, von direkt-emotionalem Charakter, die neunte jedoch er reflektiert-rückschauend, die Gefühle finde ich da "in sich ruhend", nicht mehr konkret und im Sein, sondern im Gewesen.
    Interessant finde ich allerdings auch, die kurze Übertragung in der siebten Strophe der "Verherrlichung"/Anbetung des Mannes auf das Neugeborene, und hier taucht für mich auch das erste und einzige mal auf, dass die Ich-Person des Gedichts sich von der Idealisierung des Mannes ein wenig entfernt.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Deinen Beitrag, lieber SchallundWahn, habe ich mit großem Interesse - und auch mit Freude - gelesen. Du stellst die Frage:
    "Dann stelle ich mir die Frage, warum hat Schumann sich diese Texte gewählt? Sah er darin etwas, dem er durch seine Musik etwas Tiefes, 'Zeitloses' geben kann oder wollte der den Text gar etwas an seiner Musik brechen?"


    Ich habe das jetzt nicht noch einmal gründlich nachgeprüft. Aber soweit ich weiß, gibt es in den Quellen, die wir zu Schumanns Liedkomposition haben, keinen Hinweis auf das Motiv für den Entschluss, diesen Gedichtzyklus von Chamisso zur Grundlage eine Liederzyklus zu machen. Die Biographen sind diesbezüglich auf Spekulationen angewiesen. Was man gesichert weiß, ist: Die Komposition entstand in nur zwei Tagen Mitte Juli 1840.


    Ich spekuliere mal meinerseits. In diesem "Liederjahr" hat Schumann (u.a.) zwei große Liedwerke komponiert, die zutiefst romantischen Geist atmen. Sowohl in der "Dichterliebe" als auch im Eichendorff-Liederkreis op.39 gibt es diese eben für diesen "romantischen Geist" typische Untergründigkeit und innere Zerrissenheit, bei gleichzeitiger - aber im Grund vergeblicher - Suche nach einem Halt. Ich erinnere an solche Lieder wie "Zwielicht" oder "Ich hab´im Traum geweinet".


    Schumann war als Mensch und Komponist ein innerlich zutiefst zerrissenes Wesen. Vielleicht, so denke ich, wollte er einfach einmal seine Gefühle als künftiger Ehemann in einer gleichsam ungebrochenen und gesteigert emphatischen Weise kompositorisch ausleben. Nein besser: Beschwören! - Ich glaube, das trifft´s!


    Obwohl, - so ganz und gar "ungebrochen" ist ja auch dieser Liederzyklus nicht, - wenngleich nicht in jener radikalen Form, wie man sie in der "Dichterliebe" erleben und erfahren kann. Immerhin ist auffällig, dass Schumann verwandte B-Tonarten bevorzugt, die dem Zyklus eine gewisse klangliche Dunkelheit verleihen. Lediglich bei jenen Liedern, bei denen es um Mutterglück geht, tauchen Kreuztonarten auf.


    Wie überhaupt man sich auf das kompositorische Innere dieses Werkes noch ein wenig näher einlassen sollte. Meine Frage übrigens, ob es sich dabei um ein wirklich bedeutendes Werk Schumanns handele, war eine rein rhetorische.

  • (Das Katzenfoto bei Rheingold1876 entzückt mein Herz übrigens stets von Neuem. Gerade habe ich auf meinen fünf Katzengräbern im Garten neue Blümchen gepflanzt. Ich bitte um Nachsicht für diese nicht zu Sache gehörende persönliche Bemerkung)

    Lieber Helmut, es ist mir eine Freude - die mitlesenden Freunde werden das hoffentlich tolerieren - für Deine Aufmerksamkeit zu danken. Das Foto zeigt den Kater Bernd (5), der gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Manfred (fast gleich aussehend) vor nunmehr sechs Monaten bei mir eingezogen ist. Mit stoischer Gelassenheit lassen sie alle Musik über sich ergehen, die im Tagesverlauf durch die Wohnung klingt. Es tut mir leid, dass Du schon fünf Katzen zu beklagen hast. Ich vor diesen beiden nur zwei - das reicht auch.


    In herzlicher Verbundenheit Rüdiger

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zitat

    Ein Vers wie:
    "Höre nicht mein stilles Beten,
    Deinem Glücke nur geweiht;
    Darfst mich niedre Magd nicht kennen,
    Hoher Stern der Herrlichkeit!" ...
    ist -gelinde gesagt - eine poetische Katastrophe!


    Wenn man das sooo sieht, dann ist VIELES, was Chamisso und Zeitgenossen schrieben - eine poetische Kathastrophe.
    Aber die Romantik hatte eben eine andere Welt des Erlebens.
    Wobei ich meine, daß man heute so nicht formulieren könnte -
    wohl aber "empfinden" - Das sind letztlich zwei paar Schuhe.
    Verliebte denken oft recht realitätsfern - Logik ist weitgehend ausgeschaltet.
    Aber ich finde, gerade das Museale, Antiquierte, den Blick in das -
    wenn auch nachempfundene - Seelenleben von Menschen der Vergangenheit (hier: Romantik)
    interessant.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Alfred Schmidt meint: "Wenn man das sooo sieht, dann ist VIELES, was Chamisso und Zeitgenossen schrieben - eine poetische Katastrophe."

    Es ist - leider - zu allen Zeiten schlechte Poesie verfasst worden, - auch in der Zeit der Romantik. Adalbert von Chamisso ist als Dichter am besten, wenn er in einen balladesken Ton verfällt. Ansonsten ist bei ihm leider eine fatale Neigung zur Süßlichkeit und zur Übertreibung in der lyrisch-sprachlichen Gestaltung von Affekten festzustellen. So auch in dem Zyklus "Frauenliebe und Leben". Kein Mensch würde diese Gedichte heute noch zur Kenntnis nehmen oder gar lesen, hätte Schumann nicht Lieder daraus gemacht.


    Übrigens: Schumanns Tochter Eugenie berichtete, eine Sängerin habe ihren Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass in diesem Liedrzyklus zwei Männer die Frau in dieser Weise beweihräuchern. (Ob sie wohl von den homoerotischen Neigungen Chamissos wusste?)


    Nun kommen aber gleich mehrere "ABER":


    1. Liest man in Tagebüchern von Frauen aus dieser Zeit, dann stellt man fest, dass diese Gefühlsüberladenheit, mit der Liebe und Ehe damals sprachlich artikuliert wurden, allgemein verbreitet war. Ich gebe mal gerade ei Beispiel aus dem Mädchentagebuch Clara Wiecks (letzter Eintrag 12. Sept.): "Mein ganzes innere war von Dank erfüllt Dem, der uns doch endlich über so viele Felsen und Klippen einenander zugeführt; mein inbrünstiges Gebet war, daß es Ihm gefallen möchte, mir meinen Robert recht lange, lange Jahre zu erhalten - ach!, der Gedanke, ich möchte ihn einmal verlieren, wenn der über mich kömmt, dann verwirren sich gleich alle meine Sinne (...). Jetzt geht ein neues Leben an, ein schönes Leben, das Leben in dem, den man über Alles und sich selbst liebt...". Chamisso bringt also - freilich poetisch überstilisiert - durchaus den Zeitgeist zum Ausdruck. Insofern ist Alfred Schmidt durchaus, zuzustimmen, wenn er sagt: "Aber ich finde, gerade das Museale, Antiquierte, den Blick in das - wenn auch nachempfundene - Seelenleben von Menschen der Vergangenheit (hier: Romantik) interessant...."


    2. Man kann, wenn man einmal über die Chamisso-typische lyrische Sprachlichkeit hinweg - oder hindurch - auf den Kern dieser Gedichte blickt, diese als dichterische Gestaltung der Lebenstationen einer Frau lesen, - gleichsam im antiken Gestus poetisch-exemplarischer Stiliierung und Überhöhung. So hat Robert Schumann wohl auch diese Gedichte gelesen und sie aus dieser Perspektive heraus für kompositionswürdig befunden.


    3. Es wäre ein schwerer Fehler, die musikalische Qualität dieses Liederzyklus an der dichterischen Qualität der zugrundeliegenden Texte zu messen. Jede(r) von uns weiß, dass es unzählige großartige Lieder auf mittelmäßige lyrische Texte gibt. Gerade Schubert ist dafür ein gutes Beispiel. Die Tatsache, dass Schumann, der ansonsten großen Wert auf poetische Qualität legte und diesbezüglich über ein ausgezeichnetes Urteilsvermögen verfügte, zu diesen Gedichten von Chamisso gegriffen hat, sollte nachdenklich machen. Hört man sich die Lieder dieses Zyklus gerade mit Blick auf die zugrundliegenden Texte an, dann stellt man fest, dass die poetischen Übertreibungen Chamissos von Schumanns Musik in manchmal erstaunlicher Weise aufgefangen und kompensiert werden. In Schumans Vertonung klingen diese Gedichte anders, als wenn man sie laut liest. Ein Blick in die Faktur der Lieder lässt auch deutlich werden, woran das liegt.

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