Wird die Musik Mendelssohns über- oder unterschätzt?

  • In einem Thread über Mozart steht der folgende Satz


    Wer einen ähnlich Thread mit einem anderen Komponisten eröffnen möchte: Nur zu.....


    Und da dachte ich an Felix Mendelssohn-Bartholdy.


    Kann Mendelssohn nicht mit größerer Berechtigung „Götterliebling“ genannt werden, als Mozart? Kann es einem nicht so vorkommen, als hätte die Wahl des Vornamens durch die Eltern eben jene Götter veranlaßt, alle guten Eigenschaften mit einem riesigen Füllhorn über das Kind auszuschütten?


    Komponierte er nicht ebenso mühelos wie der Salzburger Meister?


    Andererseits: Gibt es einen Komponisten, dessen Musik nach seinem Tod so schnell der „klassizistischen Glätte“ und „Harmlosigkeit“ geziehen wurde und die dann langsam aber sicher in der Versenkung verschwand? Die sogar, Stichworte Wagner und Nazi-Diktatur mit Aufführungsverbot, mit der Keule des Antisemitismus erschlagen wurde?


    Eine selbst erlebte Szene Ende der 1950er Jahre, die mir dazu gerade in den Sinn kam: Bedingt durch einen Hausumbau wurden auf dem Dachboden und im Keller jede Menge Noten, verpackt in Kisten, gefunden. Es waren alles geistliche Werke in Stimmen und Partituren aus der Zeit von 1880 bis etwa 1930: Schütz, Schein, Scheidt, Bach, Händel, Pachelbel, aber auch Mendelssohn. Bis auf Mendelssohn wurde alles an den Kirchenchor weitergereicht, aber „Elias“ und „Paulus“, viele andere Chorwerke, der 42. Psalm war auch dabei, sollten, da zu „seicht“, in den Abfall. Ich nahm die Noten damals an mich.


    Ist das Interesse an der Musik Mendelssohns nun eine Wiedergutmachung an einem ansonsten immer noch belächelten Objekt der Musikgeschichte? Oder hat sich das Bild, dank auch musikwissenschaftlicher Forschungsarbeiten, tatsächlich gewandelt?
    ?(?(?(

    .


    MUSIKWANDERER

  • Das Thema ist für mich natürlich wie ein Köder. Ich könnte auch stundenlang darauflosschreiben, aber beschränke mich doch zunächst auf ein paar Bemerkungen. Mendelssohn ist inzwischen wieder fest verankert im Musikleben - ganz besonders bei Chören! Dort dürften die Oratorien und Motetten Mendelssohns inzwischen zum absoluten Kernrepertoire gehören. Den Elias zumindest hört man selbst hier in Wien regelmäßig. Ich habe in den letzten 5 Jahren jedenfalls mehrere Aufführungen verfolgt. Eine Renaissance erlebt auch Mendelssohns Kammermusik. Man kommt gar nicht nach, wie viele Streichquartettformationen heutzutage Mendelssohnquartette einspielen. Auch im Konzertsaal kann man hier in Wien mehrere Streichquartette im Jahr hören. Dauerbrenner bleiben natürlich nach wie vor die Italienische und das Violinkonzert. Insgesamt sieht es also recht gut aus heutzutage - der Fluch der Vergangenheit scheint gebrochen.

  • In der Tat war Mendelssohn ein "Götterliebling" - und das in jeder Bedeutung des Wortes. Zum einen mit einem reichen Elternhaus gesegnet, zum anderen mit Talent, und zuletzt noch wurde der Spruch erfüllt: Wen die Götter lieben, den rufen sie früh zu sich. Ich glaube nicht an eine "Wiedergutmachung" - sondern um echtes Interesse an seinen Werken.
    Allerdings sind derzeit nur die bedeutendsten bekannt. Das letzte Werkverzeichnis jedoch umfasst in etwa 750 Werke.....
    Aber seine Sinfonien, Klavierkonzert, sovie die Musik zum Sommernachtstraum waren eigentlich "immer" Allgemeingut der klassischen Musik, genauso wie seine Klavierstücke "Lieder ohne Worte"....


    Am Rest wird derzeit "gearbeitet".....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe gerade mal alles, was ich von Mendelssohn besitze, gehört, darunter die Frühwerke 1. Sinfonie (mit 15 geschrieben!) und die kleine Oper "Heimkehr aus der Fremde", ein Kleinod ( da singen Peter Schreier und Fischer-Dieskau!). Sehr interessant ist die 2. Fassung der Italienischen, die Gardiner mit den Wiener Philharmonikern eingespielt hat. Sie konnte sich aber nie durchsetzen. Der 2. Satz der Vierten ist mit der schönste langsame Satz aller Sinfonien, die ich kenne. Der Anklang an das Lied vom "König in Thule" rührt daher, dass der Dichter (Goethe) und der Komponist (Zelter) gerade gestorben waren, beide von Mendelssohn hoch verehrt. In meinem Vokalensemble singen wir häufiger Werke von Mendelssohn, aber ich bin dort derjenige, dem sie nicht so gefallen; mir sind sie meist zu routiniert gearbeitet und können sich mit Bach und Schütz nicht messen. Auch die Sinfonie Nr. 2 "Lobgesang" scheint mir nicht so recht geglückt, während ich sowohl dem "Paulus" wie dem "Elias" viel abgewinnen kann. Mendelssohn hatte großartige Einzeleinfälle, so z.B. besetzt er die Stimme Jesu bei der Erleuchtung des Paulus auf dem Weg nach Damaskus mit einem Chor von hohen Frauenstimmen!

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Wie bei gar nicht so wenigen Komponisten (zB Liszt, teils auch Schumann, um bei Zeitgenossen zu bleiben) dominieren in der Wahrnehmung eine Handvoll oder zwei extrem berühmter Werke bei Mendelssohn derartig, dass sein restliches Oeuvre im Schatten steht: "Italienische" und "Schottische" Sinfonie, Violinkonzert, Sommernachtstraum, Hebriden-Ouverture, Oktett, 1. Trio, Elias und Paulus.
    Ich habe aber ingesamt nicht den Eindruck, dass Mendelssohn grob verkannt wird, auch wenn das Violinkonzert oder die "Italienische" vielleicht beinahe totgespielt und Werke wie die 5. Sinfonie oder das 2. Trio zu unrecht nicht ganz so bekannt (allerdings auch nicht unbekannt) sind.
    Elias und Paulus scheinen mir anerkannte und häufig aufgeführte Werke, wobei ich zugeben muss, dass ich die Idee eines Soprans als "Evangelistin" in Paulus problematisch und etwas nervig finde.


    Wie Felix anmerkt, erfreuen sich zB die Streichquartette in den letzten 10-15 Jahre einer relativ großen Zahl von Neuaufnahmen und mindestens opp. 12, 13 und 80 sind zu Recht als maßgebliche Werke der Gattung anerkannt (op.44 m.E. ebenfalls zu Recht deutlich weniger angesehen).
    "Flach" ist ein oberflächlicher Vorwurf, aber eine gewisse Mühelosigkeit lässt sich nicht leugnen und Mendelssohn selbst war mit vielen Werken nicht recht zufrieden (selbst mit einen hochinteressanten und originellen Stück wie der 5. Sinfonie nicht). Meinem Eindruck nach hatte er zu viele Verpflichtungen, hat tendenziell zu viel komponiert und verstarb dann tragischerweise zu früh, um wirklich zu sich zu kommen und sein Potential umzusetzen. Das f-moll-Quartett hätte der Auftakt zu "tieferen" Werken sein können, so blieb es das Vermächtnis

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber KSM
    In der Tat habe ich - im Eifer des Gefechts - und meiner Liebe für das Klavier - das berühmte Violinkonzert zu erwähnen vergessen, das sicher bekannter ist als seine Klavierkonzerte. Und vielleicht sind dies gar nicht so bekannt, wie ich das angenommen habe...?


    Aber andrerseits haben sich doch etliche Pianisten und Tonträgerlabels dieser Werke angenommen, so dass man vermutlich davon ausgehen kann, daß sie zumindest einigermaßen bekannt sind. Bei dieser Gelegenheit kommt übrigens auch wieder Carl Maria von Weber ins Spiel, dessen Stil teilweise ins Klavierkonzert Nr 1 einfloss.....



    Man sollte es kaum glauben, aber die von mir geposteten Cover stellen nur eine AUSWAHL der derzeit verfügten Aufnahmen dar. Mendelssohns persönlicher Favorit war der furiuse Finalsatz des 2 Klavierkonzerts........


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ohne jetzt auf die Werke genauer eingehen zu wollen, aber Mendelssohn hat in mehreren Genres Werke geschrieben, die zu den allerbesten des 19.ten Jahrhunderts gehören: die Konzertouvertüren (eigentlich symphonsiche Dichtungen) Sommernachtstraum und Hebriden, das Violinkonzert, Die Variations serieuses für Klavier, den Elias, das Streichoktett, mindestens die Hälfte seiner Streichquartette, seine Klaviertrios. Aus diesem Grunde spricht doch nichs dagegen, Mendelssohn als einen der besten Komponisten des 19.ten Jahrhunderts zu bezeichnen?

  • Zitat

    Aus diesem Grunde spricht doch nichs dagegen, Mendelssohn als einen der besten Komponisten des 19.ten Jahrhunderts zu bezeichnen?


    Wie ich es sehe, würde dem kaum jemand widersprechen.
    Aber wenn man jemanden fragt, welche Werke von ihm er schon konzentriert gehört hat, dann sieht die Sache schon anders aus. Indes: Was für Mozat die "kleine Nachtmusik", das ist (zumindest meiner Meinung nach) für Mendelssohn der Hochzeitsmarsch aus der Musik zu Shakespeares Sommernachtstraum. In beiden Fällen der Tat nicht das Hauptwerk des jeweiligen Komponisten - aber das bekannteste.


    Aber natürlich kann ein Klassikforum hier einiges bewirken - es gibt einige Mendelssohn Threads die lediglich einer Auffrischung bedürften.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hier ein Auszug aus meiner Vokalmusik-Sammlung von Mendelssohn-Bartholdy (ohne die 2. Sinf. "Lobgesang", die eigentlich auch dazugehört):


    MENDELSSOHN - BARTHOLDY- nur Vokalmusik, Opern.
    LORELEY (Fragment)
    Karlsruhe 1981 - Ingrid Haubold, Chor – Haas
    DER ONKEL AUS BOSTON (oder die beiden Neffen)
    Essen 2004 - Royal, Inderhaug, Süss, Kovacs, Odinius – Rilling
    DIE HOCHZEIT DES CAMACHO
    Berlin 1988 - Schudel, Swanson, Bieber, Mok, Horn, Lukas – Klee
    DIE BEIDEN PÄDAGOGEN
    München 1978 - Laki, Fuchs, Fischer-Dieskau – Wallberg
    DIE HEIMKEHR AUS DER FREMDE
    München 1977 - Schwarz, Donath, Schreier, Kusche – Wallberg
    EIN SOMMERNACHTSTRAUM (nur GA)
    London 1977 - van Borg, Hodgson – Frühbeck de Burgos
    Leipzig 1990 - Wiens, Oertel, Eberle – Masur
    Rotterdam 1990 - Dawson, Mentzer - Tate
    Graz 1992 - Coburn, van Magnus, Bantzer – Harnoncourt
    Berlin 1995 - Sukowa, McNair, Kirchschlager – Abbado
    DIE ERSTE WALPURGISNACHT
    Wien 1980 - Lilowa; Laubenthal, Krause, Sramek – Dohnanyi
    Graz 1992 - Remmert, Heilmann, Hampson, Pape – Harnoncourt
    ELIAS
    Stuttgart 1968 - Buckel, Bence, Mielsch, Wollitz – Bader
    Stuttgart 1994 - Schäfer, Kalisch, Schade, Schöne – Rilling
    PAULUS
    Stuttgart 1994 - Banse, Danz, Schade, Schmidt – Rilling



    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ohne jetzt auf die Werke genauer eingehen zu wollen, aber Mendelssohn hat in mehreren Genres Werke geschrieben, die zu den allerbesten des 19.ten Jahrhunderts gehören: die Konzertouvertüren (eigentlich symphonsiche Dichtungen) Sommernachtstraum und Hebriden, das Violinkonzert, Die Variations serieuses für Klavier, den Elias, das Streichoktett, mindestens die Hälfte seiner Streichquartette, seine Klaviertrios. Aus diesem Grunde spricht doch nichs dagegen, Mendelssohn als einen der besten Komponisten des 19.ten Jahrhunderts zu bezeichnen?


    Natürlich nicht. Wird er denn verbreitet anders eingeschätzt?

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Natürlich nicht. Wird er denn verbreitet anders eingeschätzt?


    Inzwischen hat sich Mendelssohns Status als großer Komponist doch ziemlich gefestigt. Noch vor 20 Jahren sah das anders aus. Wo die Perspektive noch nicht ganz stimmt, ist bei der Einschätzung seiner musikhistorischen Bedeutung. Gerade unlängst, während des Lisztjahres, meinte Daniel Barenboim, Mendelssohn hätte besser komponiert als Liszt wäre aber für die Entwicklung der Musik vollkommen unwichtig. Meiner Meinung nach Unsinn, aber dazu später einmal ausführlicher.

  • Zitat

    Inzwischen hat sich Mendelssohns Status als großer Komponist doch ziemlich gefestigt. Noch vor 20 Jahren sah das anders aus.


    Eigenartigerweise habe ich das NIE so empfunden - Im Gegenteil
    Ich war stets der Meinung, Mendelssohn habe sich - allen Anfeindungen zum Trotz - sehr stabil gehalten.
    Allerdings nur mit einigen wenigen Werken.
    Er war (mit Ausnahme jener Zeit wo er verboten war) niemals "Nischenrepertoire" oder verkannter Meister.
    Er wurde - solange ich Tonträger sammle - und das ist länger als 20 Jahre - stets auf Tonträger festgehalten - von Orchestern und Dirigenten der ersten Garnitur.
    Ein Blick in meine Tonträgersammlung scheint meine Behauptung zu bestätigen.
    Da finden sich gleich mehrere Aufnahmen der Schauspielmusik zum "Sommernachtstraum"
    In meiner Sammlung befinden sich die legendäre Aufnahme unter Kubelik, dann eine unter Klemperer, sowie eine mit dem einst ganz vorne rangierenden Neville Marriner und seiner "Academy of St. Martin in the Fields.
    Wir finden zahlreiche Aufnahmen des Violinkonzerts Nr.1 mit den ersten Solisten ihrer Tage , wie Isaac Stern , Heifetz, Menuhin, Perlman.Zumindest Perlman und Menuhin haben einst das 2. Klavierkonzert für die Platte eingespielt.
    Karajan, Solti, Rilling, Bernstein, Abbado, Gardiner und Norrington - sie alle haben Aufnahmen von Mendelssohns Sinfonien gemacht - ein "unterschätzter" Komponist sieht anders aus.
    Was Tatsache ist, ist daß er immer wieder als "unterschätzt" DARGESTELLT wurde - und bis heute noch wird. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert - aber es entspricht nicht der Realität..
    mehr in den derzeit aktuellen Threads....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sicher ist der Bekanntheitsgrad von Mendelssohn nicht mit dem Mozarts zu vergleichen oder dem Beethovens. Leider hat sein früher Tod (er wurde ja nur 38 Jahre) weitere Werke verhindert, und die unglückselige Zeit der Judenverfolgung verhinderte über den Zeitraum von 12, 13 Jahren eine Verbreitung seiner Musik in Deutschland.


    Dem steht außer seinem Werk (welches genau solche "Hits" hat wie Beethoven oder Mozart!!) sein großer Einfluß auf das Musikleben der Stadt Leipzig zur Seite. Er gründete das Konservatorium in Leipzig, welches heute seinen Namen trägt, er war auch Dirigent des Gewandhausorchesters und machte sich außerhalb Leipzigs einen Namen.


    Sicher hat seine finanzielle Unabhängigkeit bei der Wahl seiner Reisen und danach der Komposition div. "musikalischer Reisebeschreibungen" wie den Hebriden (Fingalshöhle), die schöne Melusine, Meeresstille und glückliche Fahrt, die nach Länder benannten Sinfonien u.a. unterstützt. Seine finanziellen Möglichkeiten nutzte er auch, um weniger bemittelten Musikern wie gerade Robert Schumann unter die Arme zu greifen.


    Sein Violinkonzert und besonders das 2. Klavierkonzert mit dem einschmeichelnden 2. Satz (welches leider viel zu kurz ist) stellen ihn schon in die 1. Reihe der Romantiker, zumal seine Musik stets auf der Melodie aufbaut. Oft wurde er daher als "Schönschreiber" bezeichnet - was er nicht verdient!!


    Nichts anfangen kann ich mit seinen Oratorien, was sicher an meiner atheistischen Einstellung und dem damit verbundenen Unverständnis religiöser Themen liegt.


    Also meine Meinung - Mendelssohn wird, wenn schon die Frage so steht - eher unterschätzt. Er braucht sich nicht zu verstecken!!!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Meines Wissens sind eine ganze Reihe von Werken Mendelssohns beinahe durchgehend "Dauerbrenner" gewesen, allen voran das Violinkonzert, Sommernachtstraum, "Hebriden" und die Italienische Sinfonie. Wir hatten das schon mal in anderen Threads: Gesunken scheint die Popularität eines Teils der Klavierstücke (Lieder ohne Worte) und vielleicht auch der Lieder zu sein, wohingegen in den letzten ca. 20 Jahren die Kammermusik deutlich breiter präsent zu sein scheint; lange Zeit wurde der Rest vom Oktett und dem ersten Trio in nicht ganz nachvollziehbarerweise weit überstrahlt. Die Oratorien sind, wie ich im anderen Thread angemerkt habe, in protestantischen Gegenden (und vermutlich auch immer noch in England) ziemlich populär.
    Wie schon oben gesagt, meine ich, dass Mendelssohn insgesamt angemessen geschätzt wird, wobei man sicher die extremen Unterschiede in der Popularität und Aufführungshäufigkeit unterschiedlicher Werke beklagen kann und einzelne Stücke als über- bzw. unterrepräsentiert sehen könnte. Dass ist aber bei Komponisten wie Händel, Haydn, Schumann, Dvorak, Tschaikowsky, Berlioz, Liszt u.a. auch nicht viel anders.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich war stets der Meinung, Mendelssohn habe sich - allen Anfeindungen zum Trotz - sehr stabil gehalten.
    Allerdings nur mit einigen wenigen Werken.


    Eben das hat sich über die letzten 20 Jahre stark verändert. Mendelssohns Kammermusik jenseits von Oktett und d-Moll Klaviertrio, welche nie aufgehört haben eine wichtige Rolle zu spielen, hat sich auf voller Breite durchgesetzt. Das zweite Klaviertrio (c-Moll), die Cellosonaten und natürlich die Streichquartette werden heutzutage sehr häufig gespielt. Die Streichquartette haben es definitv ins absolute Kernrepertoire geschafft. Wie ich im anderen Thread (Die Bedeutung von Felix Mendelssohn Bartholdy...) dargelegt habe, wird heutzutage eine breite auswahl Mendelssohns Werke im Konzert gespielt (auch viele Vokalwerke) - im Gegensatz zu früher mit den von Johannes aufgezählten Dauerbrennern. Das ehemalige völlige Ignorieren dutzender Meisterwerke aus Mendelssohns Feder hat definitiv zu seiner Unterschätzung geführt, auch und vor allem zur Unterschätzung seiner Vielfältigkeit und Ausdrucksstärke.

  • Gerade wieder die Musik zum Sommernachstraum gehört, mit Szell und dem Cleveland Orchestra. Das ist eine der genialsten Schöpfungen der Romantik, ja der Musik überhaupt. Käme auf jeden Fall mit auf die einsame Insel.


    Die Aufnahme von 1967 ist klanglich nicht mehr ganz frisch. Ich habe gesehen, es gibt auch eine mit dem Concertgebouw Orchester, kennt die jemand?



  • Die Aufnahme von 1967 ist klanglich nicht mehr ganz frisch. Ich habe gesehen, es gibt auch eine mit dem Concertgebouw Orchester, kennt die jemand?


    Ja. Das ist die hier:



    Die Aufnahmen sind aber noch älter, sie stammen von 1958/1960.


    Vom "Sommernachtstraum" sind die Ouvertüre, das Scherzo, das Nocturno und der Hochzeitsmarsch enthalten, von "Rosamunde" die Ouvertüre, die Balletmusik Nr. 2 und die Zwischentaktmusiken Nr. 3 und 1.


    Allerdings habe ich die Aufnahme ewig nicht mehr gehört, kann also für den Moment zur Klangqualität nichts sagen. Interpretatorisch sollten die Werke auf üblichem "Szell-Topniveau" liegen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Wenn's denn eine Aufnahme von 1949 ist, ist sie mit Sicherheit nicht identisch mit der von Philips. Denn die, siehe mein Beitrag davor, stammt von 1958 bzw. 1960.


    Ich habe inzwischen in die Aufnahme hineingehört. Für frühe Stereoeinspielungen klingen sie sehr ordentlich.
    Die Instrumente sind präsent abgebildet und räumlich gut gestaffelt. Das Klangbild ist weitestgehend transparent und verzerrungsfrei.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Bei den gezeigten Aufnahmen handelt es sich offensichtlich um Fragmente, bestehend aus dem Jugendwerk Ein Sommernachtstraum (op. 21 (Ouvertüre) und ein paar Instrumentalstücken aus op. 61 (Schauspielmusik). Mit dem berühmten "Hochzeitsmarsch" als "Rausschmeisser".
    Für mich käme allerdings ausschließlich die Gesamtaufnahme der Schauspielmusik infrage, z. B. in dieser Einspielung:

    Zitat

    Die vorliegende Einspielung umfasst die gesamte Partitur – die Schauspielmusik op. 61 einschließlich der Ouvertüre, aller Überleitungen und kurzen Intermezzi – und ist somit eine wirkliche Gesamtaufnahme. Die Abfolge der Stücke wurde beibehalten. Eine weitere Besonderheit der vorliegenden Einspielung ist – neben der Gesamtaufnahme der Musik Mendelssohns – der Sprechertext von Franzobel. Der Autor – in diesem Fall Shakespeares Sprachrohr unserer Zeit – unterzog das heitere Spiel einer poetischen Neuinterpretation, in deren viele Rollen der Burgschauspieler Nicholas Ofczarek schlüpfte.


    Alles andere ist doch nur Stückwerk.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Die meisten Aufnahmen lassen leider Melodrame (zB bei den Zaubersprüchen) und einige kürzere Stücke weg, aber die Szells sind tatsächlich ziemliches Stückwerk. Vollständigere Aufnahmen auf deutsch und englisch wurden in diesem Thread genannt.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Inwiefern die Aufnahme von Kristian Järvi wirklich die gesamte Musik enthält, die Mendelssohn zum Sommernachtstraum schrieb, kann ich nicht eruieren, allerdings habe ich eine Aufnahme von Jeffrey Tate und den Rotterdamer Philharmonikern, die zwei CDs benötigt und fast 2 h braucht. Meiner Erinnerung nach erklingt in jeder Nummer zumindest etwas Musik. Das gesamte Drama bräuchte, auch ohne Musik, wohl dreieinhalb Stunden.
    Auf Deutsch ist noch folgende Aufnahme vom Label Capriccio erhältlich:

    Ebenfalls 2CDs!




    Die Szell Aufnahme beinhaltet nicht einmal alle rein instrumentalen Stücke Mendelssohns Bühnenmusik. Zum Beispiel fehlt in der 1949er Aufnahme vollkommen unverständlicherweise das Intermezzo - ein geniales Stück, wie ich finde.

  • Zum Beispiel fehlt in der 1949er Aufnahme vollkommen unverständlicherweise das Intermezzo - ein geniales Stück, wie ich finde.

    Ja, ohne das Intermezzo geht gar nicht, das ist ja mit das genialste Stück.

    Für mich käme allerdings ausschließlich die Gesamtaufnahme der Schauspielmusik infrage, z. B. in dieser Einspielung:

    Aber ich muß jetzt nicht immer ALLE Stücke hören, manchmal tun es auch die fünf, die auf der Szell-Cleveland sind. Aber keine Sorge, ich habe auch mehrere fast komplette (allerdings nicht so komplett wie Järvi) im Schrank stehen: Klemperer, Kubelik, Previn und Litton.

  • ich habe auch mehrere fast komplette (allerdings nicht so komplett wie Järvi)


    Die Standardausstattung ist: Ouvertüre - Scherzo - Elfenmarsch - Lied "Bunte Schlangen.." - Intermezzo - Notturno - Hochzeitsmarsch - Fanfare - Marcia funebre - Ein Tanz von Rüpeln - Finale mit Chor.


    Das macht so ungefähr 40 - 45 Minuten. Und da ist dann eigentlich auch alles, was man hören möchte, enthalten.

  • Ich höre gerade öfters die "Lieder ohne Worte" in der Interpretation von Andras Schiff. Das ist charmante Musik, oft so leichtfüßig wie die Sommernachtsmusik. Aber die erzählerische Qualität von Schuberts Impromptus, das stimmungshafte Changieren von Schumanns Kreisleriana oder die Dramatik von Brahms Klaviermusik sucht man hier vergebens. Das ist doch eher so Richtung Griegs "Lyrischen Stücken". Schön zu hören, schnell vergessen.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ich wüsste nicht, dass Andras Schiff als schlechter Pianist bekannt ist, aber wer spielt denn die LoW so, dass sie einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen?

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Zitat hasiewicz

    Zitat

    das stimmungshafte Changieren von Schumanns Kreisleriana oder die Dramatik von Brahms Klaviermusik sucht man hier vergebens. Das ist doch eher so Richtung Griegs "Lyrischen Stücken". Schön zu hören, schnell vergessen.


    Schön zu hören: ja; schnell zu vergessen: imO nicht. Hinsichtlich der Dramatik sind sie sicher nicht mit der Kreisleriana zu vergleichen, aber das wollen sie ja auch gar nicht sein.


    Zitat hasiewicz

    Zitat

    Ich wüsste nicht, dass Andras Schiff als schlechter Pianist bekannt ist, aber wer spielt denn die LoW so, dass sie einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen?


    Schiff z. B. mag ich bei den LoW nicht soo gern (obwohl er eigentlich ein herausragender Gestalter solcher Werke ist), meine neueste Aufnahme ist von Amir Katz, Alfred wird Michael Korstick empfehlen (vermute ich :)), Felix Meritis schwärmte zuletzt von Howard Shelley, die sind aber nicht vollständig.


    Ich schlage immer vor, die Lieder nicht einzeln, sondern zusammenhängend zu hören, um in die Klangwelt Mendelsohns einzutauchen, ich liebe diese kleinen Klangwunder zumindest sehr.


    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich wüsste nicht, dass Andras Schiff als schlechter Pianist bekannt ist, aber wer spielt denn die LoW so, dass sie einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen?


    Schiff ist sogar ein wunderbarer Pianist, aber seine Aufnahme der LoW ist fürchterlich. Steif, pauschal, langweilig. Ich verstehe nicht, wie ihm das passieren konnte. Außerdem ist die Auswahl (13 Stück) äußerst befremdlich - fast nur "artige" Exemplare. Genauso wie bei Grieg (der sich die Idee natürlich von Mendelssohn abgeschaut hat) gibt es nette, gefällige Stücke (aber immer sehr, sehr gut gearbeitet) und ernste Stücke. Es gibt darunter auch einen Trauermarsch, ein "Volkslied" (eine Art Kampflied aus den Bauernkriegen), choralartige Stücke, Nachtstücke, etc..
    Empfehlungen auszusprechen ist gar nicht so leicht, da kaum ein Pianist alle Bereiche gleich gut abdeckt. Wirklich exzellent ist aber die Mendelssohn Anthologie von Sebastian Knauer (in welcher auch andere Klavierwerke Mendelssohns enthalten sind):



    Das wäre ein sehr guter Einstieg in Mendelssohns Soloklaviermusik.


    Eine sehr differenzierte Gesamtaufnahme der LoW gibt es von Michael Korstick:


  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose