BACH, Carl Philipp Emanuel: AUFERSTEHUNG UND HIMMELFAHRT JESU


  • Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788):


    AUFERSTEHUNG UND HIMMELFAHRT JESU

    Oratorium für Soli (STB), Chor (SATB) und Orchester, Wq 240 - Text von Carl Wilhelm Ramler (1725-1798)


    Uraufführung am Ostersamstag, 2. 4. 1774 in privatem Kreis in Hamburg,
    erste öffentliche Aufführung am 18. März 1778 im „Concertsaal auf dem Kamp“. Hamburg



    INHALTSANGABE


    Erster Teil


    Nach einer düsteren, nur von den Bratschen und Streicherbässen unisono gespielten Einleitung, die trotz der wenigen 19 Takte Musik noch einmal das Karfreitagsgeschehen dem Hörer ins Gedächtnis zurückzurufen in der Lage ist, hellt sich der Ton unerwartet im ersten Chorsatz nach D-Dur auf:

    Gott, du wirst seine Seele nicht in der Hölle lassen, und nicht zugeben,
    dass dein Heiliger die Verwesung sehe!


    Diese Worte (aus Psalm 16 Vers 10) klingen wie eine Beschwörung, die eine Erwartung auf die Erfüllung des Psalmwortes ausdrückt. Und Bach benutzt diese Klang-Aufhellung als ein Synonym für „Verklärung“.


    Das anschließende Baß-Rezitativ „Judäa zittert, seine Berge beben“ ist ein Accompagnato mit einer so großen Bildhaftigkeit, daß Arnold Schering es als eines der bedeutendsten Rezitative deutscher Provenienz nach 1750 bezeichnete. Das wird schon zu Beginn durch den lang anhalten Paukenwirbel deutlich, der das „Beben“ prägnant heraufbeschwört. Aber die von Bach komponierte Empathie wird in der Folge-Arie „Mein Geist, voll Furcht und Freude bebet“ noch fortgesetzt durch lebhafte Koloraturen, gestützt von ausdrucksvollem Hörnerklang. Nach einem kontrastierenden liedhaften Mittelteil wird der A-Teil kurz wiederholt.


    Die in diesem Beginn angelegte Stimmung „der Rührung des Gemüths“ wird auch im folgenden, rein homophon vertonten Triumphgesang der Gläubigen „Triumph! Triumph!des Herrn Gesalbter sieget“ (der übrigens wie ein Refrain bis zum Ende des Oratoriums mit Textvarianten noch zweimal wiederkehren wird), deutlich und entspricht damit der Ästhetik, wie sie Johann Georg Sulzer in seiner „Allgemeinen Theorie der schönen Künste“ von 1771 formuliert hatte: Chöre müssen „volle Pracht entfalten“. Es fällt auf, daß gerade diese drei musikalisch identischen „Triumph“-Chöre das Ostergeschehen immer wieder betonen und somit auch als Ersatz der in älteren Oratorien üblichen Choraleinschübe angesehen werden können.


    Der Solo-Tenor berichtet nun von der Begegnung der „frommen Töchter Zions“ am Grabe mit dem „Boten des Ewigen“, der ihnen von der Auferstehung des Gekreuzigten erzählt. Daraufhin blickt eine der Frauen in der Arie „Wie bang hat dich mein Lied beweint“ auf das traurige Ereignis des Kreuzestodes Jesu zurück, ehe sie freudig die gute Nachricht der Auferstehung begrüßt: „Heil mir! du steigst vom Grab' herauf (…) in Wonne löst mein Gram sich auf“- keine jubilierende Da-Capo-Arie, sondern wie ein einfaches zweiteiliges Lied angelegt.


    Da weiß der Tenor abermals von einer einer wichtigen Begegnung zu berichten: Von der „Sionitin Maria“, gemeint ist offensichtlich Maria Magdalena, nicht erkannt, versucht Jesus zunächst die Weinende zu beruhigen, ehe er sich ihr schließlich zu erkennen gibt. Als sie vor Freude „dem Meister“ vor die Füße fällt, hebt er sie auf und bittet sie, die Brüder, vor allen Dingen Simon, zu suchen, die er noch einmal sehen will, bevor er zu „meinem Vater“ zurückkehren wird. Das Gebets-Duett „Vater deiner schwachen Kinder“ ist ein Lobgesang auf den Vater im Himmel, dem Jesus und Maria Magdalena als „Tröster aller Menschenkinder“ danken. Ein emotional berührendes Stück, das Bachs eigene Philosophie ausdrückt: „Ein Komponist kann nur bewegen, wenn er selbst bewegt ist“.


    Der tenorale Bericht erzählt abermals von einer wichtigen Begegnung: Jesus gibt sich den „Freundinnen“ zu erkennen und bittet auch sie, den Jüngern die Auferstehung mitzuteilen und sie zu ihm zu rufen, weil er sie vor seiner Auffahrt zu „meinem Gott und eurem Gott“ noch einmal sehen will. Diesem Rezitativ folgt sodann ein Glanzstück der Partitur, die ausdrucksstarke Tenor-Arie mit konzertierender Trompete „Ich folge Dir, verklärter Held“, die inhaltlich Jesu Auferstehung als Begründung für die Hoffnung auf die eigene Auferstehung zum Ausdruck bringt.


    Der erste Teil des Oratoriums schließt mit einem von Hörnerklang dominierten Chorsatz über einen paraphrasierten Text aus dem 1. Korintherbrief 15, 55 und 57:

    Tod! wo ist dein Stachel?/Dein Sieg, o Hölle, wo ist er?
    Unser ist der Sieg: Dank sei Gott!/Und Jesus ist Sieger.


    Während in den ersten beiden Textzeilen die Chorstimmen homophon geführt werden, schreibt Bach ab der dritten Zeile eine kleine Fuge, beendet den kurzen Satz dann aber wieder homophon, leise verklingend.



    Zweiter Teil


    Als Einleitung zum zweiten Teil wählt Bach, wie schon zum Beginn des ersten, ein kurzes Vorspiel, dessen traurige Stimmung auf das folgende Baß-Rezitativ verweist. Darin wird von einer neuerlichen Begegnung Jesu berichtet: Zweien seiner Jünger, offensichtlich den „Emmaus-Jüngern“ (Lukas 24, 13), ruft er das Geschehen auf Golgatha wie in einer Unterrichtsstunde ins Gedächtnis zurück. Gleichzeitig weist er aber auf Gottes Allmacht hin, die ihn „unverwest am Fleisch“ aus dem Schoß der Erde zog und nun in die ewige Herrlichkeit des Vaters eingehen lassen wird. Bei den Jüngern ist die Freude groß; Jesus „bricht“ mit ihnen „das Brot und saget Dank“ und wird dann ihrer Sicht enthoben. Als eine Reflexion dieses Berichts besingt der Baß Jesu große Tat, das „Haupt der Hölle“ zertreten und dadurch alle Hoffnungen Zions erfüllt zu haben, mit der Arie „Willkommen, Heiland! freut euch, Väter“, deren charakteristischer Klang durch das solistisch eingesetzte Fagott bestimmt wird.


    Dieser Arie folgt der bereits im ersten Teil erklungene Triumphchor der Gläubigen, hier mit der Textvariante „Triumph! Triumph! der Fürst des Lebens sieget“, der inhaltlich die Aussagen aus dem Rezitativ und der Arie des Basses bestätigend übernimmt.


    Dann berichtet der tenoralen Erzähler vom Treffen Jesu mit seinen Jüngern; der Text wird von Ramler paraphrasierend nach Johannes 20, 24-29 geformt und von Bach in ein Rezitativ gekleidet: Während zehn der Anwesenden bezeugen, daß Jesus lebt, bleibt Thomas („der da heißet der Zwilling“) skeptisch, selbst die in die Runde geworfenen Namen derjenigen, die Jesus schon sahen, überzeugen ihn nicht. Erst als Jesus plötzlich unter sie tritt und allen seine tiefen Wundmale zeigt, gibt sich Thomas geschlagen und besingt in einer Arie seine Läuterung zum Überzeugten mit tiefer Inbrunst „Mein Herr! mein Gott! Dein ist das Reich, die Macht ist dein“; im kontrastierenden B-Teil wird Thomas geradezu überschwenglich:

    Zu dir steigt mein Gesang empor/Aus jedem Tal, aus jedem Hain.
    Dir will ich auf dem Feld Altäre/Und auf den Hügeln Tempel weih'n.
    Lallt meine Zunge nicht mehr Dank:
    So sei der Ehrfurcht fromme Zähre/Mein letzter Lobgesang.


    An dieser Stelle erklingt der Triumphchor mit der neuen Textvariante „Triumph! Triumph! der Sohn des Höchsten sieget“ zum dritten und letzten Mal, diese Emmaus-Szene furios abschließend.


    Das letzte Tenor-Rezitativ des Oratoriums beschreibt äußerst bildhaft Jesu Auffahrt in den Himmel: Auf einem Hügel zeigt sich der Auferstandene seinen Jüngern, die nicht nur über sein strahlendes Antlitz erstaunt sind, sondern sich auch über „den Flammenwagen“, der in „einer lichten Wolke“ wartet, verwundert zeigen. Jesus segnet sie und erteilt ihnen den Auftrag, allen Menschen bis an der „Erden Ende“ das „ewige Gebot der Liebe“ zu verkünden. Dann steigt er auf und „wird schnell emporgetragen, ein strahlendes Gefolg' umringet seinen Wagen“.


    Das letzte Solo des Oratoriums gehört dem Baß: „Ihr Tore Gottes, öffnet euch!“- ein neues Meisterstück der Partitur, das bereits die damaligen Zuhörer elektrisierte. Carl Friedrich Zelter, der 1807 Ramlers Text vertont hat, war von Bachs Komposition so beeindruckt, daß er nach eigenen Worten diese Arie nicht in Musik setzen konnte: „[C.Ph.E.] Bach hat sie so colossalisch und göttlich componiert, daß vielleicht jeder Componist nach ihm daran zuschanden würde.“


    Den Schluß des Oratoriums bildet eines der erstaunlichsten und zugleich imposantesten Chorstücke, die das 18. Jahrhundert hervorgebracht hat: Ein rondoartiges Chorfinale mit der außergewöhnlichen Länge von 397 Takten Musik. Es beginnt mit dem von Hörnern und Trompeten machtvoll begleiteten und homophon geführten „Gott fähret auf mit Jauchzen“, führt nach dem Ruf „Lobsinget, lobsinget Gott“ über einen kurzen Mittelteil auf die Worte „Der Herr ist König“ zum melodisch den Anfangsteil übernehmenden „Jauchzet, ihr Himmel! Freue dich, Erde“. Der letzte Abschnitt wird von einer Fuge über die Worte „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn, Halleluja“, dominiert, die das Oratorium beschließt.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Das festgefügte Schema der Gattung Oratorium erfuhr im Laufe des 18. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum eine epochale Veränderung: War es beispielsweise für Johann Sebastian Bach unvorstellbar, Passion und Oratorium aus dem kirchlichen Kontext zu lösen, galt für seinen Sohn Carl Philipp Emanuel diese Maxime nicht mehr. Erstrebenswert wurde es, eine „Rührung des Gemüthes“ herbeizuführen und dafür war eine Kirche nicht mehr notwendig, der Konzertsaal wurde zum Aufführungsort des Oratoriums. Galt es bis dahin als unumstößlich, das Geschehen nah am biblischen Text zu vermitteln, war nun die Reflexion über die Ereignisse wichtiger. Damit verlor auch der erzählende Evangelist seine Bedeutung, dessen Funktion nun auch von mehreren Personen übernommen werden konnte.


    Der bereits weiter oben erwähnte Johann Georg Sulzer schrieb in seiner „Allgemeinen Theorie der Schönen Künste“ von 1771/74: „…denn der Stoff ist allemahl eine sehr bekannte Sache, folglich kann er durchaus lyrisch behandelt werden“. Das sei im übrigen die „einzige für das Oratorium schikkliche Weise“- so sein Fazit. Das mußte natürlich auch auf die Musik Auswirkungen haben: Die neue Ästhetik verlangte, daß die Musik im Hörer „Empfindungen erweken“ und die Emotionen des Textes mit musikalischen Mitteln zu „verstärcken“ hatte. Es sollte also durch die Musik nicht das Naturereignis an sich geschildert werden, sondern die „Empfindung der Seele“, wenn sie mit dem Geschehnis konfrontiert wird (Sulzer).


    Und genau auf dieser Linie lag Carl Philipp Emanuel Bach mit seinem Oratorium AUFERSTEHUNG UND HIMMELFAHRT JESU. Wenn man sich bewußt macht, wer den Text von Carl Wilhelm Ramler, der seinerzeit als „deutscher Horaz“ gefeiert wurde, bereits in Musik gesetzt hatte, war ein Erfolg nicht unbedingt gesichert: Telemann, Graun, Krebs, und Agricola hatten die Vorlage bereits vertont. 1807 würde noch Zelter nachfolgen. Aber
    der „Hamburger Correspondent“ lobte nach der öffentlichen Uraufführung am 18. März 1778 im „Concertsaal Auf dem Kamp“:
    Unsere Tonkünstler und Sänger beeiferten sich um die Wette, ihre Talente in der Composition dieser starcken und ausdrucksvollen Musick zu zeigen.

    Und als Bach „auf breites Verlangen“ eine Wiederholung ansetzte und noch zusätzlich sein doppelchöriges „Heilig“ auf das Programm setzte, hieß es daraufhin in den „Adreß-Contoir Nachrichten“:

    Wer die beiden Stücke schon gehört hat, wird es für keine Schmeicheley halten, wenn wir sagen, daß diese beyden Werke alleine vermögend wären, unsern Bach als einen der allergrößten Meister der Tonkunst unsterblich zu machen; so reich sind sie an Neuheit, Erhabenheit und Stärke, an rühmendem Ausdruck und vortrefflichem herzlichen Gesange; so geschickt, den Liebhaber und Kenner gleichstark zu rühren.

    Carl Philipp Emanuel Bach schrieb 1787 an seinen Verleger Johann Gottlieb Immanuel Breitkopf, der das Werk nach längeren Verhandlungen in das Verlagsprogramm aufgenommen und die Partitur im Druck vorgelegt hatte:


    Die Ramlersche Kantate ist zwar von mir, doch kann ich ohne närrische Eigenliebe behaupten, daß sie von meinen Meisterstücken ein beträchtliches mit ist, woraus junge Componisten etwas lernen können. Mit der Zeit wird sie auch so vergriffen werden wie Grauns „Tod Jesu“.


    Darin zeigt sich, daß Bach sich seines Ranges und der Bedeutung dieses Werkes voll bewußt war. Das Verlagshaus Breitkopf wiederum verzichtete auf weitere werbewirksame Anpreisungen und fügte dem Titel lediglich die Worte „Opus artificiosum et divinum“ hinzu.


    Bereits 1788 gelangte Bachs Oratorium nach Wien, wo Baron Gottfried van Swieten im Palais des Grafen Johann Esterhazy zwei Privatkonzerte und am 7. März 1788 eine öffentliche Aufführung veranstaltete. Dirigent dieser Konzerte war Wolfgang Amadeus Mozart. Wie hoch Mozart das Oratorium geschätzt haben muß, läßt sich an dem Umstand ablesen, daß er eine Umarbeitung, wie er es bei Händels Werken für nötig hielt, hier nicht in Betracht zog. Einzig die Beseitigung schwieriger Passagen im Orchesterpart, darunter insbesondere die Arie „Ich folge dir, verklärter Held“ mit der äußerst anspruchsvollen Trombastimme erfuhr die Umarbeitung für Trompete, Flöte und Oboe (Köchel 6: 537d.).


    Aus den Berichten von Zeitzeugen an diesen von Mozart geleiteten Konzerten erfahren wir (nicht ohne eine gewisse Belustigung), daß der Baron die Veranstaltungen wie eine Art Heiligenverehrung gestaltete, indem er während der Aufführungen unter den Zuhörern ein Bild von Carl Philipp Emanuel Bach herumreichen ließ. Und Forkels „Musikalisches Almanach“ (Leipzig 1789) berichtete, daß die anwesenden „Fürstinnen und Gräfinnen und der ganze sehr glänzende Adel“ nach dem Konzert den „großen Componisten“ mit lauten „Vivat-Rufen und „dreyfache, laute Beyfallsbezeugung“ bedachte.


    © Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Libretto
    Booklet der Capriccio/WDR-Aufnahme von 1987
    Oratorienführer von Harenberg
    Hans-Günter Ottenberg: Carl Philipp Emanuel Bach. Piper

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    MUSIKWANDERER

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  • Bachs Oster- und Himmelfahrts-Oratorium hat heutzutage keinesfalls die Beliebheit eines "Messias" oder der "Schöpfung"; aber immerhin bieten die Tamino-Werbepartner Amazon und (zum kleineren Teil) jpc folgende Einspielungen an:



    Kuijkens Aufnahme erschien bei Hyperion und west folgende Besetzung auf: Uta Schwabe, Sopran; Christoph Genz, Tenor; Stephan Genz, Baß; Ex Tempore; La Petite Bande.


    Auch Philippe Herreweghe hat Bachs „Opus artificiosum et divinum“ aufgenommen. Bei ihm singen und spielen: Hillevi Martinpelto, Sopran; Christoph Prégardien, Tenor; Peter Harvey, Baß; Choir of Collegium Vocale, Gent; Orchestra of the Age of Enlightenment.


    Nebenstehend die von Hermann Max dirigierte Aufnahme mit Barbara Schlick, Sopran; Christoph Prégardien, Tenor; Stephen Varcoe, Baß; Rheinische Kantorei; Das Kleine Konzert. Als "Füller" bietet Max noch die glänzende Osterkantate
    "Gott hat den Herrn auferweckt" mit Martina Lins (Sopran), Paul Elliot (Tenor) und Gotthold Schwarz (Baß).

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