Robert Schumann - Kulmann-Lieder op. 103 und op. 104

  • Heute, am 29. Juli, ist der Todestag von Robert Schumann, er starb 1856; ein Anlass, diesen Thread zu eröffnen, der kein „Renner“ werden kann, weil es sich um wenig bekannte Lieder handelt und der Minizyklus SIEBEN LIEDER VON ELISABETH KULMANN ZUR ERINNERUNG AN DIE DICHTERIN – op. 104 findet neben den großen Schumannzyklen so gut wie keine Beachtung und dessen literarische und musikalische Qualität – was immer man darunter verstehen mag – steht nicht im besonderen Ansehen, wie man sieht, wenn man sich so quer durch die entsprechende Literatur liest, aber in neuerer Zeit scheint der musikalische Wert dieser schlichten Lieder wieder höher eingeschätzt zu werden.
    Allenthalben finden sich Hinweise, dass Robert Schumann mit diesen „Frauenliedern“ einen Missgriff getan hat. Im Gegensatz zu „Frauenliebe- und Leben op. 42 (Textdichter Chamisso), haben wir hier einen Text von Frauenhand – aber was heißt hier Frau, das Mädchen war erst 17 Jahre alt als es starb.


    Mädchenlieder Op.103


    1. Mailied
    2. Frühlingslied
    3. An die Nachtigall
    4. An den Abendstern


    Sieben Lieder Op. 104


    1. Mond, meiner Seele Liebling
    2. Viel Glück zur Reise, Schwalben!
    3. Du nennst mich armes Mädchen
    4. Der Zeisig
    5. Reich mir die Hand, o Wolke
    6. Die letzten Blumen starben
    7. Gekämpft hat meine Barke


    Dietrich Fischer-Dieskau spricht von „süßlichen Gedichten“ und von der oft geäußerten Annahme, dass der geistige Verfall des Komponisten dessen Urteil getrübt habe.
    Dieskau und andere Autoren weisen aber darauf hin, dass man sich heute kaum noch vorzustellen vermag, in welchem Ansehen die Dichterin damals stand. Selbst Goethe und Jean Paul sollen sich anerkennend zu Elisabeth Kulmanns lyrischen Werken geäußert haben, da war sie gerade mal 13 Jahre alt …
    Elisabeth Kulmann starb 1825 in Sankt Petersburg und war – glaubt man den diversen Darstellungen - ein Sprachgenie. (man kann die interessante Biografie dieses kurzen Lebens ja ausführlich im Internet oder sonst wo nachlesen).


    Wenn man bei den CD-Anbietern nachschaut, sind die Informationen oft dürftig. In den nächsten Tagen werden hier weitere Informationen zu diesen Liedern eingestellt und es wäre erfreulich, wenn Mitlesende auch Gedanken und Informationen aus ihrer Sicht beitragen könnten, gerade weil so wenige Informationen vorhanden sind.


    Auf der hier im Bild gezeigten CD sind auch diese sieben Kulmann-Lieder des Opus 104 drauf. Vor jedem Lied wird ein kurzer Text gesprochen, dann erst hört man den schönen Sopran von Juliane Banse.


  • Auch ein Thread der nur einen ganz kleinen Schnipsel des Schaffens eines Komponisten zum Inhalt hat, kann für mitlesende CD-Besitzer neue Informationen liefern, die das Booklet mitunter nicht bieten kann, wie man am Hyperion-Booklet zu SCHUMANN THE COMPLETE SONGS sieht. Da steht nämlich auf Seite 106 unter der Überschrift SIEBEN LIEDER VON ELISABETH KULMANN op.104 folgendes:


    „Zum ersten und einzigen Mal stellt Schumann seinem Zyklus eine Widmung voran, und zwar an den unbekannten Dichter, einen Deutsch sprechenden Russen …“
    Da reibt man sich dann doch etwas verwundert die Augen …
    Es scheint mir nun doch notwendig, diesen „Deutsch sprechenden Russen“ etwas näher zu beleuchten. Nach meinen Informationen war das nämlich so:


    Elisabeth Kulmanns Mutter war eine geborene Deutsche, die mit einem russischen Offizier verheiratet war, der früh starb (mir fällt dabei spontan das letzte Lied von Frauenliebe und -Leben ein). Die Familie geriet in Armut, aber die Mutter sorgte dennoch für eine gute Ausbildung, wobei sie von Freunden der Familie unterstützt wurde. Es ist überliefert, dass Elisabeth elf Sprachen verstand und acht sprach, sie galt als Wunderkind.
    Im November 1824 wurde St. Petersburg von einer Überschwemmungskatastrophe heimgesucht, in deren Folge Elisabeth Kulmann erkrankte und früh starb.


    Elisabeth Kulmanns Lehrer, Karl Friedrich von Großheinrich (1782-1860) veröffentlichte diese Gedichte erstmals 1835. Um 1980 herum tauchten in Moskau Dokumente auf, die vermuten lassen, dass Großheinrich hier zumindest redigierend eingegriffen hat, wenn nicht mehr …


    Wie dem auch sei – Robert Schumann vertonte diese Gedichte zu Beginn seiner Düsseldorfer Zeit, und war von der Dichterin so fasziniert, dass ihr Bild über seinem Schreibtisch hing.


    Die Mädchenlieder Op.103 sind für zwei Frauenstimmen komponiert (in der von mir gehörten Version Sopran / Mezzosopran). Ohne jegliches Vorspiel beginnen die Damen dieses rhythmische Lied flott herunter zu singen (was nicht despektierlich gemeint ist), das Stück hat Volksliedcharakter. Der Text der letzten Strophenzeile wird wiederholt und nachdem die drei Strophen gesungen sind, wird die erste Strophe noch mal drangehängt.


    Mailied
    Pflücket Rosen, um das Haar
    Schön damit zu kränzen,
    Reihe dich, o junge Schar,
    Dann zu frohen Tänzen.


    Freuet euch, so lang der Mai
    Und der Sommer währet,
    Nur zu bald sind sie vorbei,
    Und der Winter kehret.


    Lange müsst ihr dann auf's neu
    Bei der Lampe sitzen,
    Und bei ew'gem Einerlei
    Saurer Arbeit schwitzen.

  • Bei diesen vier Liedern des Opus 103 ist das „Mailied“ und „An die Nachtigall“ im flotten Rhythmus gehalten, während „Frühlingslied“ und „An den Abendstern“ in ruhiger, getragener Form dargeboten werden - die Gedichte haben in der Regel mehr Strophen, aber nicht alle kommen zum Gesangsvortrag. Hier der Text zm Frühlingslied:
    Frühlingslied

    Der Frühling kehret wieder,
    Und schmücket Berg und Tal;
    Schon tönen rings die Lieder
    Der süßen Nachtigall!

    Wie steiget hoch die Sonne
    In´s Himmelblau hinauf,
    Verbreitet Lust und Wonne
    Auf ihrem weiten Lauf.

    Es eilen Schaf' und Rinder
    Der grünen Wiese zu,
    Es blickt auf´s Spiel der Kinder
    Der Greis aus seiner Ruh.



  • An die Nachtigall


    Bleibe hier und singe,
    Liebe Nachtigall!
    Dein Gesang erklinge
    Schmetternd überall.


    Flur und Waldung lauschet,
    Alles hört dir zu;
    Nicht ein Blättchen rauschet,
    Bleiben all´ in Ruh.


    Hör' ich recht, so brauset
    Minder jetzt der Bach,
    Da hier Stille hauset,
    Lässt sein Toben nach.


    Nachdem bei dem Lied "An die Nachtigall" diese drei Strophen gesungen sind, werden die ersten zwei Strophen nochmals hinten dran gehängt. Ganz anders gestaltet sich das Lied "An den Abendstern", bei diesem stimmungsvollen Lied folgt ein Da capo der ersten Strophe am Schluss und zusätzlich kommt der Hörer diesmal noch in den Genuss eines kleinen Klaviernachspiels, aber es sind wirklich nur wenige Takte.
    Als Mindestvoraussetzung sollte der Hörer etwas Freude an schönen Stimmen mitbringen, dann kann man Felicity Lott und Ann Murray auch für die Darbietung dieser einfachen Lieder ehrlichen Beifall zollen.
    Nebenbemerkung:
    "Familiengemälde", ein Duett das ganz selten gesungen wird, stand am Anfang von Schumanns Duettkompositionen (Vier Duette op. 34) und ist von ähnlicher Schlichtheit, Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau singen es wunderbar, wie gesagt, für Liebhaber kultivierten Gesangs.



    An den Abendstern


    Schweb´ empor am Himmel,
    Schöner Abendstern!
    Sieht im Glanzgewimmel
    Jeder dich ja gern.


    Geh´n sie auf, geh´n nieder
    Sie am Himmelsrand,
    Keinen deiner Brüder
    Schmückt ein solch Gewand.

  • Wie bereits eingangs erwähnt, haben wir es hier mit Extrempositionen der Beurteilung dieser Lieder zu tun. Um dies nochmals deutlich zu machen, werden einige Zeilen aus Dietrich Fischer-Dieskaus Buch „Robert Schumann – Wort und Musik – Das Vokalwerk“ (DVA 1981), Seite 195, hier zitiert:


    <Wir Heutigen verstehen kaum mehr, in welchem Ansehen die Reimerei der mit siebzehn Jahren verstorbenen Lyrikerin stand und warum sie so hohe Auflagen erreichte. Es lässt sich höchstens aus dem Bedürfnis nach sentimentaler Rührung, das damals en vogue war, erklären. Schumann bezeichnete diese poetischen Ergüsse als „Erhabene Meisterstücke und eine wahre Insel im Chaos der Gegenwart.“>


    Da Schumann ja nur wenige Lieder von Elisabeth Kulmann vertont hat, wurden Opus 103 und 104 in diesem Thread zusammengefasst, damit der nach „Kulmann“ Suchende sich insgesamt informieren kann. Bei den bisher vorgestellten „Mädchenliedern“ handelt es sich ja um Lieder, die jeweils mit zwei Stimmen gesungen werden; erst mit den Liedern des Opus 104 wenden wir uns bei den Kulmann-Texten dem Sololied zu. Wegen der geringen Verbreitung dieser Lieder beziehe ich mich auf die Einspielungen von Juliane Banse / Graham Johnson.


    Doch wenden wir uns nun den einzelnen Liedern zu. In der Hyperion-Ausgabe (aber nicht nur hier) wird vor jedem Liedvortrag ein Text gesprochen, der hier jeweils kursiv dargestellt ist.


    Mond, meiner Seele Liebling (Das Notenblatt ist mit "Langsam" überschrieben)


    Die Dichterin, den 17. Juli 1808 in St. Petersburg geboren, verlor frühzeitig ihren Vater und von sieben Brüdern sechs, die Letzteren in den Schlachten der Jahre 1812-14. Es blieb ihr nur die Mutter, die sie mit zärtlicher Liebe bis an ihr Ende verehrte. Aus zahlreichen Gedichten an sie, ist das folgende ausgewählt.


    Mond, meiner Seele Liebling,
    Wie siehst du heut' so blass?

    Ist eines deiner Kinder,
    O Mond, vielleicht unpass?


    Kam dein Gemahl, die Sonne,
    Vielleicht dir krank nach Haus?
    Und du trittst aus der Wohnung,
    Weinst deinen Schmerz hier aus?


    Ach! guter Mond, ein gleiches
    Geschick befiel auch mich.
    Drin liegt mir krank die Mutter,
    Hat mich nur jetzt um sich!


    So eben schloss ihr Schlummer
    Das Aug' ein Weilchen zu;
    Da wich, mein Herz zu stärken,
    Vom Ort ich ihrer Ruh.

    Trost sei mir, Mond, dein Anblick,
    Ich leide nicht allein:
    Du bist der Welt Mitherrscher,
    Und kannst nicht stets dich freun!

  • Obwohl deutscher Herkunft, und in deutscher Sprache wie ihrer Muttersprache dichtend, ist die Dichterin eine warme Patriotin; an unzähligen Stellen preist sie die Schönheiten des nordischen Himmels. Das folgende Gedicht ist ein Beleg dazu.


    Das Notenblatt ist mit „Lebhaft“ überschrieben. Ein paar Klaviertakte, und schon bemerkt der Hörer beim Einsetzen der Singstimme, dass hier von munterem Schwalbenflug berichtet wird, alleine schon an der lebhaft, rhythmischen Musik.
    Der im Vortext angesprochene Patriotismus kommt zum Liedschluss durch die dreifache Nennung: in´s Vaterland, in´s Vaterland und nochmals, recht jubilierend, in´s Vaterland – zum Ausdruck.


    Viel Glück zur Reise, Schwalben

    Viel Glück zur Reise, Schwalben!
    Ihr eilt, ein langer Zug,
    Zum schönen warmen Süden
    In frohem kühnen Flug.


    Gern möchte wohl die Reise
    Ich einmal tun mit euch,
    Zu seh'n die tausend Wunder,
    Die darbeut jedes Reich.


    Doch immer käm ich wieder,
    Wie schön auch jedes Land,
    Und reich an Wundern wäre,
    Zurück in's Vaterland.

  • Dieses kleine Liedchen hat weder Vor- noch Nachspiel. Die ersten zwei Textzeilen werden etwas verhaltener gesungen und stehen als Duplikat noch mal am Ende des Gedichts.
    Man merkt dem Vortrag deutlich an, dass hier kein „armes Mädchen“ singt, selbstbewusst wird das Dach aus reinem Gold geschildert.

    Du nennst mich armes Mädchen
    Du nennst mich armes Mädchen;
    Du irrst, ich bin nicht arm.
    Entreiß dich, Neugier halber,
    Einmal des Schlafes Arm,
    Und schau' mein niedres Hüttchen,
    Wenn sich die Sonne hold
    Am Morgenhimmel hebet:
    Sein Dach ist reines Gold!
    Komm' abends, wann die Sonne
    Bereits zum Meere sinkt,
    Und sieh' mein einzig Fenster,
    Wie's von Topasen blinkt!
    Du nennst mich armes Mädchen;
    Du irrst, ich bin nicht arm.

  • Im letzten Beitrag wurde versäumt, dem Liedtext "Du nennst mich armes Mädchen" den gesprochenen Text voran zu stellen - er lautet so:
    Es wurden ihr wohl von unverständigen Kindern ihre Armut manchmal vorgeworfen; das folgende Lied ist eine Antwort darauf.

  • Noch nie habe ich mir so sehr gewünscht, das Urteil meiner Mit-Taminoaner über ein musikalisches Werk hier lesen zu können, wie im Falle dieser Kulmann-Lieder Robert Schumanns.


    Ich enthalte mich eines eigenen Urteils darüber. Möchte nur anmerken dass ich mich immer schon über diese Bemerkung eines Menschen gewundert habe, der sich ansonsten durch ein ausgeprägtes Urteilsvermögen über literarisch-lyrische Qualität ausgewiesen hat:
    Zit. Robert Schumann: „Erhabene Meisterstücke und eine wahre Insel im Chaos der Gegenwart.“


    Was ist da im Kopf dieses Robert Schumann vorgegangen, auf dass ein solche Feststellung daraus hervorging?


    Und was, dass er einen - derart wunderlichen - Liederzyklus komponierte, wie diese Gesänge nach Texten von Elisabeth Kulmann.
    Sollte man - wenn ich mir diese Frage erlauben darf - Lieder auf Texte komponieren, weil einem das Schicksal und der frühe Tod ihrer Verfasserin ans Herz gegangen ist?

  • Was ist da im Kopf dieses Robert Schumann vorgegangen, auf dass ein solche Feststellung daraus hervorging?


    Das ist wohl eine rhetorische Frage, die auch ein Schumann-Kenner (der ich mit Sicherheit nicht bin) nicht beantworten kann. Diese Lieder werden in der entsprechenden Literatur eher totgeschwiegen.


    Natürlich weiß ich, dass das Feuilleton diese Texte scheut wie der Teufel das Weihwasser, und natürlich weiß ich auch, dass man Goethes Lob im rechten Licht sehen muss.
    Auch die Rolle dieses Herrn von Großheinrich wäre noch gründlich zu hinterfragen, „irgendwo“ glaube ich mal gelesen zu haben, dass Schumann einer Manipulation aufgesessen sei. Mit dem Begriff „Kitsch“ wurde ja auch der Nobelpreisträger Hermann Hesse konfrontiert (man könnte diesbezüglich noch viele andere Namen nennen)
    Ich zitiere mal aus dem SPIEGEL von 1957:

    Deschner kommentiert u. a. Hesses Lyrik: "Dass ein Lyriker wie Hermann Hesse, dessen bevorzugte und nachweisbar am meisten gebrauchte Reime sich aus Wörtern wie Lust und Brust, Herz und Schmerz, Tod und rot, Hand und Land, Wind und Kind, Sterne und Ferne zusammensetzen, einen solchen Erfolg beim Gros des Publikums haben konnte, beweist nur die alte Erfahrung, dass sich die Masse immer zur Mediokrität hingezogen fühlt."

    Da ich kein Literat bin, kann ich mich hier nicht qualifiziert dazu äußern, denn ich betrachte Vokalmusik grundsätzlich durch eine andere Brille und erfreue mich an den Stimmen von Juliane Banse, Vivian Hanner, Margaret Price, Sibylla Rubens u. a.
    Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass diese Damen (und Herren, wenn ich die Begleiter mit einbeziehe) wissen was sie tun, mein grundsätzlicher Respekt vor deren Leistung verbietet mir jegliches Naserümpfen. Zudem bin ich der Meinung, dass man – zumindest als Liedliebhaber – ein möglichst breites Spektrum kennen lernen sollte, nur die Rosinen aus dem Kuchen zu picken, ist mir zu wenig. Ohnehin sehe ich mich hier eher in der Rolle des „Berichterstatters“ und nicht in der Rolle eines „Bewertenden“. Auch diese Lieder sollten in einem Liedforum in irgendeiner Form vorhanden sein.


    Ein Thread: „Wer war besser? Schubert oder Schumann?“ würde weit mehr Resonanz hervorrufen, aber es sollte auch Nischenthemen geben …

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ein Lied aus ihrem frühsten Mädchenalter, vielleicht schon im elften Jahre gedichtet. So reizend naive enthalten die Dichtungen jener Zeit an die Hundert. Auf das tiefste spiegelt sie überall die Wirklichkeit ab.
    Der Zeisig

    Wir sind ja, Kind, im Maie,
    Wirf Buch
    und Heft von dir!
    Komm' einmal her in's Freie
    Und sing' ein
    Lied mit mir.


    Komm, singen fröhlich beide
    Wir einen Wettgesang,

    Und wer da will, entscheide,
    Wer von uns besser sang!


    Der viel besungene Zeisig (es gibt ja auch das schöne Gedicht von Heinrich Seidel, eines von Hoffmann von Fallersleben u. a.), hier in der Version von Elisabeth Kulmann. Robert Schumann hat das Notenblatt mit „Munter“ überschrieben und die Interpretation hält sich hörbar an diese Anweisung.


    Die Singstimme setzt munter ohne Vorspiel ein, und wenn der Ersthörer – den Text vor Augen – glaubt, dass das Liedchen schon nach 25 Sekunden zu Ende sei, folgt eine Wiederholung des gesamten Textes.


    Dieses Lied wird von verschiedener Seite gelobt; sogar der gestrenge Dietrich Fischer-Dieskau bezeichnet dieses Lied als „das gelungenste“ in dieser Reihe.

  • Wie oft in ihren Dichtungen beschäftigt sie sich visionsartig mit ihren Hingeschiedenen. Mit herzlicher Liebe hängt sie an dieser Welt, ihren Blumen, den leuchtenden Gestirnen, den edlen Menschen, die ihr auf ihrem kurzen Lebensweg begegneten. Aber es ahnt ihr, dass sie sie bald verlassen muss.


    Reich mir die Hand, o Wolke,
    Heb mich zu dir empor!
    Dort stehen meine Brüder
    Am offnen Himmelstor.


    Sie sind's, obgleich im Leben
    Ich niemals sie geseh'n,
    Ich seh' in ihrer Mitte
    Ja unsern Vater steh'n!


    Sie schau'n auf mich hernieder,
    Sie winken mir zu sich.
    O reich' die Hand mir, Wolke,
    Schnell, schnell erhebe mich!


    Als Überschrift vermerkt der Komponist auf dem Notenblatt „Mit Affect“. Das Lied beginnt in der Tat effektvoll und mit energischem Klavieranschlag, rauscht dann aber ohne besondere Höhepunkte rasch vorbei und endet, der Schlusszeile folgend, mit einem raschen Klaviernachspiel.

  • Ein Gedicht voll trüber Todesahnung, wohl aus ihrem letzten Lebensjahr. Sie hatte neben ihrer „Hütte“ ein kleines Gärtchen, indem sie jahraus, jahrein, Blumen pflegte. Auch eine Pappel stand in der Nähe.


    Die letzten Blumen starben.
    Längst sank die Königin
    Der warmen Sommermonde,
    Die holde Rose hin!

    Du, hehre Georgine,
    Erhebst nicht mehr dein Haupt!
    Selbst meine hohe Pappel
    Sah ich schon halb entlaubt.

    Bin ich doch weder Pappel,
    Noch Rose, zart und schlank,
    Warum soll ich nicht sinken,
    Da selbst die Rose sank?

    Die Singstimme setzt erst nach einigen Klaviertakten ein, und das Notenblatt fordert den Vortrag „Langsam, mit tiefer Empfindung“. Nach der ersten Strophe kann die Sängerin für ein paar Takte dem Klavier lauschen, ebenso nach der letzten Zeile.



  • Wohl kurz vor ihrem Ende gedichtet. Ihr baldiger Tod scheint ihr gewiss; nur der Gedanke an die zurückbleibende Mutter macht ihr Schmerz, den tiefsten.


    Gekämpft hat meine Barke
    Mit der erzürnten Flut.
    Ich seh' des Himmels Marke,
    Es sinkt des Meeres Wut.


    Ich kann dich nicht vermeiden,
    O Tod nicht meiner Wahl!
    Das Ende meiner Leiden
    Beginnt der Mutter Qual.


    O Mutterherz, dich drücke
    Dein Schmerz nicht allzu sehr!
    Nur wenig Augenblicke
    Trennt uns des Todes Meer.


    Dort angelangt, entweiche
    Ich nimmermehr dem Strand:
    Seh' stets nach dir, und reiche
    Der Landenden die Hand.


    Dieses Lied ist in der Gesangsdarbietung etwas ausdrucksstärker als das vorangegangene und hat noch eine Nachschrift, die nach dem letzten Liedvortrag gesprochen wird:


    Nachschrift


    Sie starb, bis zu ihren letzten Minuten schaffend und dichtend, den 19. November 1825 im 17. Jahre. Zu den Gedichten der letzten Zeit gehört auch jenes merkwürdige „Traumgesicht nach meinem Tode“, in dem sie selbst ihren Tod beschreibt. Es ist vielleicht eines der erhabensten Meisterstücke der Poesie. So schied sie von uns, leicht wie ein Engel, der von einem Ufer zum andern übersetzt, aber in weithin leuchtenden Zügen die Spuren einer himmlischen Erscheinung zurücklassend.


    Anmerkung: Die hier in kursiv dargestellten Texte werden nicht auf jeder CD gesprochen, als Beispiel (für den Liedvortrag ohne gesprochene Texte) sei die Aufnahme Vivian Hanner / Frank Peter genannt.



  • Auf dieser CD findet man insgesamt 30 Schumann-Lieder - u. a. auch die Lieder von Elisabeth Kulmann und Maria Stuart.

    Die CD-Abbildung des letzten Beitrages zeigt eine Aufnahme, bei der kein Text gesprochen wird. Ich erinnere an bereits Gesagtes: Es war die Rede von „süßlichen Gedichten“ und „sentimentaler Rührung“. Soweit mir bekannt, gibt es keine Linie, die klar anzeigt in welcher Form man Betroffenheit oder Anteilnahme zum Ausdruck bringen kann ohne in Verdacht zu geraten, kitschig oder sentimental zu werden. So gesehen ist man einmal mehr vom persönlichen Standpunkt abhängig.


    In den letzten Tagen habe ich diese sieben Kulmann-Lieder mehrmals mit der unvergessenen Margaret Price gehört; nach meinem Eindruck, keine Spur von Sentimentalität! Diese einfachen Lieder werden hier ganz vorzüglich dargeboten.


    Auch bei der Interpretation von Margaret Price wird kein Text vor den Liedern gesprochen, sondern nur gesungen.


    Aus meiner Sicht entsteht eine gewisse Süßlichkeit insbesondere aus den vor dem Gesang gesprochenen Texten (zumindest bei den Aufnahmen, die ich kenne).

  • Hart meint:
    Soweit mir bekannt, gibt es keine Linie, die klar anzeigt in welcher Form man Betroffenheit oder Anteilnahme zum Ausdruck bringen kann, ohne in Verdacht zu geraten, kitschig oder sentimental zu werden. So gesehen ist man einmal mehr vom persönlichen Standpunkt abhängig.“


    Und ich gestehe:
    Diese Feststellung setzt mich bei einem Menschen in Erstaunen, der hier in diesem Forum ein ausgewiesener Liedkenner ist und damit um die zurundliegenden lyrischen Texte weiß. Selbstverständlich kann man Gedanken, Empfindungen und Emotionen lyrisch-sprachlich so zum Ausdruck bringen, dass sich bei ihrer Rezeption nicht das Gefühl von Sentimentalität einstellt. Und selbstverständlich gibt es da für den Lyriker so etwas wie eine „Linie“, an der er sich zu orientieren hat. Das entscheidende Kriterium ist dabei die Frage, ob und wie gut es ihm gelungen ist, das, was er ausdrücken will, in lyrische Sprache zu fassen, die beim Rezipienten korrespondierende und gleichsam äquivalente Bewusstseinsinhalte zu evozieren vermag.


    Elisabeth Kulmann konnte das nicht. Was sie hinterlassen hat, ist lyrischer Dilettantismus, der – das sei ja zugestanden – auf dem Hintergrund ihres Schicksals rührend wirken mag, aber „Rührung“ allein macht noch keine Lyrik. Es muss die sprachliche Bewältigung dessen hinzukommen, was einen da „rührt“.


    In Thomas Manns Erzählung „Tonio Kröger“ gibt es im siebten Kapitel eine schöne Szene, in der ein junger Mann angesichts des nächtlichen Himmels auf See ins Schwärmen gerät und stammelt: „Sehn sie, Herr, doch bloß die Sderne an. Da sdehen sie in glitzern, es ist, weiß Gott, der ganze Himmel voll…“
    Tonio Kröger reagiert darauf mit der in sich hinein gesprochenen Bemerkung: „Au … nein, der hat keine Literatur im Leibe“.
    Diese Szene fällt mir ein, wenn ich die Gedichte von Elisabeth Kulmann lese.


    Nun könnte man es damit ja gut sein lassen. Das Problem bei Schumanns Kulmann-Liedern ist aus meiner Sicht aber, dass die Naivität der lyrischen Sprache auf die musikalische Faktur der Lieder abgefärbt hat. Man kann sich nur wundern, dass dies derselbe Komponist ist, der etwa ein Werk wie die „Dichterliebe“ geschaffen hat.


    Fischer-Dieskau drückt es, wie das so seine Art war, vornehm-vorsichtig aus:
    „Die Frische des Einfalls, einzig überzeugendes musikalisches Argument bei solcher Liedlyrik, wollte sich nicht einstellen“.


    Ich formuliere es mal ein wenig radikaler:
    Rührung allein macht noch kein gutes Lied!

  • Diese Feststellung setzt mich bei einem Menschen in Erstaunen


    Was heißt hier „Erstaunen“? Es ist völlig normal, dass es unterschiedliche Eindrücke und Betrachtungsweisen gibt, dass es auch Unsicherheit in der Beurteilung künstlerischer Darbietungen gibt. Vielleicht sollte ich mal richtig stellen, dass ich nicht die Absicht habe, einen Elisabeth-Kulmann-Fanclub zu gründen …


    Es war eben so, dass ich irgendwann zum ersten Mal den Namen Elisabeth Kulmann in Verbindung mit Robert Schumann las und mich dafür interessierte. Mir ist heute ziemlich klar, dass dieser Karl Großheinrich das dichterische Werk seines Schützlings sehr geschickt unters Volk gebracht hat – überrascht war ich dann aber auch, dass Großheinrich 1782 in Leutershausen bei Heidelberg geboren ist, denn da kann ich von meinem PC-Platz aus rüber schauen (was – zugegeben – kein Grund ist Kulmann-Gedichte zu mögen) Aus dieser Nähe resultiert jedoch, dass ich einen Schüleraustausch aus St. Petersburg und ähnliches so am Rande mitbekomme …


    Bei kulturellen Kleinveranstaltungen im ländlichen Bereich hören Leute (auf CD) dann Sinfonien von Richard Hol (1825-1904) – wer kennt den schon? – nur weil Richard Hol auch Kulmann-Texte vertont hat. Und wenn sich im unterfränkischen Bürgstadt (etwa 4000 Einwohner) in der Gemeindebücherei Leute versammeln, um den 200. Geburtstag von Elisabeth Kulmann zu begehen, dann ist das in meinen Augen gelebte Kultur, die mich freut, denn die Leute erfahren etwas über Schumann, Kulmann, Großheinrich und Hol. So haben sie dann die Möglichkeit sich mit künstlerischen Produkten auseinanderzusetzen und sich eigene Gedanken zu machen.


    Rudi Carell sang vor einigen Jahren: „Goethe war gut, Mann der konnte reimen …“


    Ich schließe mich Carells Meinung grundsätzlich an und habe keine Schwierigkeiten die Lyrik eines Mädchens und die des Geheimen Rates richtig einzuordnen. Wenn ich aber bei Schumann zwei Hörmöglichkeiten habe, nämlich das Lied 18 aus Opus 79 oder „Der Zeisig“, dann wähle ich nicht Opus 79 Nr. 18 (weil ich diesen Text von Kindesbeinen an nicht mag), sondern eher „Der Zeisig“ – soviel persönlicher Luxus muss sein!

  • In Fischer-Dieskaus Ausführungen zu den Liedern Elisabeth Kulmanns findet sich eine Bemerkung, die recht aufschlussreich für die spezifische Eigenart und Qualität dieser Lieder ist. Er meint:


    „Wie überhaupt in den spätesten Werken gewinnt in den Kulmann-Gesängen eine vom Tempo immer losgelöstere Stille die Oberhand, die die Konturen der Musik gefährlich auflöst.“


    Ich meine, dass man diese die Konturen der Musik „gefährlich auflösende“ Stille in diesen Liedern sehr wohl vernehmen kann. Um dies ein wenig zu konkretisieren, wähle ich als Beispiel das Lied „Die letzten Blumen starben“. Der Text findet sich oben in Beitrag 13.


    Kulmanns Gedicht kreist um das gleichsam klassische lyrische Thema „Vergänglichkeit“. Die Verse sind in ihrer Rhythmik und Metaphorik schlicht, weil gleichsam nur konstatierend deskriptiv. Es gibt da nichts lyrisch Unterschwelliges. Die Verse beschreiben die Bilder, die sich dem lyrischen Ich bieten. In der letzten Strophe wird ein Bezug zu ihnen hergestellt, der die eigene Vergänglichkeit lyrisch anspricht. Und das in Form eines gleichsam naiven „Warum nicht?“ Die angesichts der Begegnung mit dem Draußen gemachte innere Erfahrung der eigenen Vergänglichkeit wird nicht wirklich lyrisch artikuliert. Sie wird nur als kindlich naive Frage in das Gedicht eingebracht. Das ist es, was die ganz spezifische Beschränktheit der Lyrik Kulmanns ausmacht.


    Das Gedicht hat Schumann nicht wirklich kompositorisch inspiriert. Diese Lied-Komposition ist von einer für den Schöpfer der Heine- oder Eichendorff-Vertonungen eigentlich verblüffenden, wenn nicht. erschütternden kompositorischen Schlichtheit, ja Simplizität. Auf eine bewusst saloppe Formel gebracht, könnte man sagen: Es tut sich musikalisch nichts in diesem Lied.
    Und das ist ja eigentlich auch nicht verwunderlich. Einem Vers wie „Selbst meine hohe Pappel seh´ ich schon halb entlaubt“ wohnt eben nicht das gleiche Musik evozierende Potential inne wie Versen von der Art: „Ich hab´ im Traum geweinet“ oder „Aus der Heimat hinter den Blitzen rot“.


    Es handelt sich um ein variiertes Strophenlied. Die erste und die zweite Strophe sind in ihrer Faktur identisch. Die dritte weist eine eigene Faktur auf. Das Erstaunliche ist aber, dass der Wechsel der lyrischen Perspektive von der Außenwelt in die Innenwelt des lyrischen Ichs keine angemessene musikalische Berücksichtigung findet. Allenfalls der Klaviersatz ist strukturell anders angelegt. Die melodische Linie der Singstimme bewegt sich nicht grundsätzlich anders als in den beiden ersten Strophen.


    Das klangliche Bild, das die Bewegung der Singstimme bietet, wirkt auf eigentümliche Weise schillernd zwischen Larmoyanz und Leere. Es wird über lange Strecken auf einer Tonebene deklamiert. Dazwischen gibt es einige Intervallsprünge und nur eine einzige melismenartige Fallbewegung bei den Worten „holde Rose. Und das ist kompositorisch allzu durchsichtig. Ansonsten verbleibt die Vokallinie zumeist auf der Tonebene eine „g“ oder eines „b“.


    Man kann also sehr wohl, was die spezifische Struktur der melodischen Linie dieses Liedes anbelangt, von einer kompositorischen „Stille“ sprechen. Eine „Stille“ ist das deshalb, weil die melodische Linie in diesem Fall nicht lyrische Stille musikalisch evoziert, sondern aus den lyrischen Bildern musikalisch nicht wirklich etwas zu machen versteht. Sie wirkt diesbezüglich leer.


    Hinzu kommt, dass das Klavier seinerseits im Grunde nicht viel zu sagen hat. Und das ist nun wirklich eine Auffälligkeit für den Liedkomponisten Robert Schumann. Das geht im Zweivierteltakt nach dem Prinzip „Einzelton – Akkord“ so vor sich hin. Die ganzen ersten beiden Strophen über hört man im Klaviersatz eine schlicht begleitende Einzelton-Akkord Abfolge. Keine Rede von einem für Schumann so typischen Dialog zwischen Singstimme und Klavier. In der dritten Strophe dominiert der gehaltene Akkord. Ein wenig Schumann ist im dreitaktigen Vorspiel und im viertaktigen Nachspiel zu vernehmen. Aber das wirkt wie ein müder Nachklang dessen, was man von ihm aus der Hochzeit seiner Liedkomposition gewohnt ist.

  • Man kann also sehr wohl, was die spezifische Struktur der melodischen Linie dieses Liedes anbelangt, von einer kompositorischen „Stille“ sprechen. Eine „Stille“ ist das deshalb, weil die melodische Linie in diesem Fall nicht lyrische Stille musikalisch evoziert, sondern aus den lyrischen Bildern musikalisch nicht wirklich etwas zu machen versteht. Sie wirkt diesbezüglich leer.

    Das ist wohl eine Sache des ganz persönlichen Blickwinkels, die absolute "Wahrheit" kann man nicht anbieten - es gibt sie nicht. Wo der eine "leere" spürt, glaubt der andere "Raffinesse" zu erkennen ...


    Es ist schon verwunderlich, dass diese Kulmann-Lieder Schumanns einerseits kritisiert werden, andererseits sich aber doch viele Künstler damit auseinandersetzen.
    Der zeitgenössische Oboist und Komponist Heinz Holliger (*1939) hat zur Weihnacht 1994 fünf Gedichte von Mileva Domenga bekommen, sie gelesen und dann spontan die fünf Lieder mit den Titeln: Der Abend kommt / Mein Herz ist starr geworden / In der frühen Morgensonne / Königsblau ist der Himmel / Möge sich dein Leben zu einem Kreis bilden / komponiert. Auch diese Gedichte stammen von einer 6-10-Jährigen. Diese Kompositionen erfolgten 143 Jahre nach Schumanns Kulmann-Liedern.
    Professor Burkhard Kehring macht auf „wesensverwandte Merkmale“ zu Schumanns Kulmann-Zyklus aufmerksam und schreibt: <Vor allem ist es der Anschein des Einfachen, hinter dessen kaum wahrnehmbarer Unschärfe sich eine raffinierte rhythmische, metrische und harmonische Kompositionsgeschicklichkeit verbirgt, mit deren Hilfe beide Komponisten eine behutsame Annäherung des „erwachsenen“ Künstlers an die schwer auszulotende Kinderseele unternehmen >
    Die hier vorgestellte CD unterscheidet sich von den bisher in diesem Thread eingestellten Aufnahmen insofern, dass hier die Texte – also die fast zwei Minuten währende Widmung Schumanns und die jeweiligen Vorbemerkungen zu den einzelnen Liedvorträgen – von einer Männerstimme gesprochen werden, es ist der Schauspieler Udo Samel.


  • Zit hart: „Das ist wohl eine Sache des ganz persönlichen Blickwinkels,…“

    Das mag wohl so sein. Es lag mir ohnehin fern, irgendjemandem hier die Freude an den Kulmann-Liedern zu verderben. Zwei Sachverhalte sind es, die mich zu meinen „Gedanken“ darüber angeregt haben.


    Der eine ist ein ganz und gar subjektiver: Sie sagen mir nichts! Wenn ich den Begriff „Leere“, den Fischer-Dieskau verwendete, meinerseits aufgriff, so eben deshalb. Ich kannte diese Lieder zwar, hatte aber noch nie das Bedürfnis, sie mir wieder einmal anzuhören. Und ich bin mir auch sicher: Stünde nicht der Name Robert Schumann darüber, sie wären längst vergessen und kein Interpret widmete sich ihnen.
    So viel zu dem Einwand von hart:
    „Es ist schon verwunderlich, dass diese Kulmann-Lieder Schumanns einerseits kritisiert werden, andererseits sich aber doch viele Künstler damit auseinandersetzen.“


    Der andere ist allerdings ein Faktum, - keine Sache des subjektiven Empfindens und Urteilens:


    Es ist erstaunlich, wirft Fragen auf und regt zum Nachdenken ab, dass Schumann noch nicht einmal zwei ganze Jahre nach den Liedern auf Gedichte aus Goethes „Wilhelm Meister“ diese Kulmann-Lieder vorlegte, die im Vergleich dazu in ihrer Faktur ganz einfach nur schlicht, ja simpel sind. Vom liedkompositorischen Niveau eines Robert Schumann sind sie meilenweit entfernt, und es drängt sich die Frage auf, ob sie nicht doch als Produkte eines krankheitsbedingten geistig-schöpferischen Niedergangs gesehen werden müssen.


    Auch Fischer-Dieskau erwähnt diese Vermutung. Er weicht einer klaren Antwort aber aus, indem er auf das zeitbedingte Ansehen verweist, in dem „die Reimerei der mit siebzehn Jahren verstorbenen Lyrikerin stand“, - und damit verständlich machen will, warum Schumann danach griff. Immerhin sieht er – wie ich oben darstellte - in diesen Liedern aber die strukturellen Schwächen von Schumanns „späten Werken“.

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  • diese Kulmann-Lieder vorlegte, die im Vergleich dazu in ihrer Faktur ganz einfach nur schlicht, ja simpel sind. Vom liedkompositorischen Niveau eines Robert Schumann sind sie meilenweit entfernt, und es drängt sich die Frage auf, ob sie nicht doch als Produkte eines krankheitsbedingten geistig-schöpferischen Niedergangs gesehen werden müssen

    Es ist mir schon noch bewusst, dass das hier ein Kunstlied –Forum ist, aber letzte Woche wurde ich bei einem Besuch in Endenich mit Schumanns Violinkonzert (komponiert 1853) vertraut gemacht, das heißt, ich erhielt Kenntnis von einem Vortrag, den der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Ulrich Mahlert (Universität der Künste Berlin) im Sterbehaus Schumanns gehalten hatte.


    Das Werk wurde 1853 komponiert und 1937 publiziert und mit Orchester öffentlich uraufgeführt.


    Clara Schumann und Joseph Joachim trafen nach Schumanns Tod die Entscheidung, dass das Violinkonzert unveröffentlicht bleiben sollte, weil sie in dem Spätwerk erhebliche kompositorische Schwächen zu erkennen glaubten, die sie mit Schumanns geistigem Zusammenbruch im Jahre nach der Niederschrift in Verbindung brachten. Beiden war daran gelegen, Schumanns großen Namen nicht durch die posthume Herausgabe von Werken zu belasten, die einen Vergleich mit der sonstigen Höhe seines Schaffens nicht aufnehmen konnten.


    Auf die politischen Umstände der dann doch erfolgten Uraufführung (durch Karl Böhm mit den Berliner Philharmonikern und dem Solisten Prof. Georg Kulenkampff) im Jahre 1937 möchte ich hier nicht näher eingehen


    Ganz im Gegensatz zu Clara Schumann und Joseph Joachim, war Yehudi Menuhin von dem Schumann-Werk geradezu begeistert und besorgte die tatsächlich originale Uraufführung in Amerika.
    Wir haben es hier durchweg mit ganz exzellenten Musikkennern zu tun, die ein Werk gänzlich unterschiedlich beurteilen. Hans Pfitzners Aussage zu dem einst „versteckten“ Werk lautet so:


    Es kann keine Rede davon sein, daß dieses Violinkonzert das Werk eines Wahnsinnigen sei. […] Und man muß auch Joachim darin unrecht geben, daß er sagt, der Violinpart sei undankbar. Allerdings ist er enorm schwer, aber es entstehen gelegentlich Klangwirkungen, die geradezu neu sind und jeden Virtuosen-Geiger interessieren müssen …


    Wie bereits gesagt, eigentlich sind hier Betrachtungen über Kunstlieder angesagt, aber ich finde nicht, dass dieser Beitrag am zuletzt Besprochenen gänzlich vorbei geht ...

  • Als ich das von hart in seinem voranstehenden Beitrag von mir gebrachte Zitat formulierte, war ich mir der Problematik, die sich um dieses Thema - also das Spätwerk Schumanns - rankt, durchaus bewusst. Es ist darüber viel geschrieben worden. Und man hat es sich oft auch zu leicht gemacht, indem man kompositorische Merkmale eben dieses Spätwerks als "krankheitsbedingt" abstempelte. Im Jahre 1984 erschien ein Werk von Reinhard Kapp: "Studien zum Spätwerk Robert Schumanns", das diesbezüglich durchaus repräsentativ ist.


    Auf Schumanns Violinkonzert möchte ich mich nicht einlassen, denn es geht in der Tat hier ja um seine Lieder. Es gibt aber kompositorische Eigenheiten, die - nach Meinung der Musikwissenschaft - Joseph Joachims Bedenken nachvollziehnar werden lassen. Grundsätzlich scheint mir aber die Auffassung des Schumann-Biographen Peter Gülke bedenkenswert, wenn er feststellt:


    ">Krank< - von der fragwürdigen ästhetischen Zustänigkeit des Kriteriums abgesehen - ist die späte Musik nicht, sie ist nur anders".


    Auf diese "Andersartigkeit" hob ich in meinen Beiträgen zu den hier thematisierten Kulmann-Liedern ab. Sie drängt sich einem einfach auf, wenn man sie auf dem Hintergrund dessen hört, was man von Robert Schumann kennt und insbesondere die gerade mal zwei Jahre davor komponierten Lieder auf Gedichte aus Goethes "Wilhelm Meister" im Ohr hat. Die kompositorische Simplizität der Kulmann-Lieder ist ein schlichtes Faktum, das einem bei einem Blick in die Noten ganz unmittelbar ins Auge springt.


    Ob diese Simplizität nun Ausgeburt krankheitsbedingt nachlassender kompositorischer Schöpferkraft ist oder - was sehr wohl auch möglich ist - ein kompositorischer Reflex auf die naive Kindlichkeit dieser Poesie, - das kann man nicht wirklich endgültig klären. Man kann eigentlich diesbezüglich nur Vermutungen anstellen. Und genau dieses - und nicht mehr - habe ich in meinem letzten Beitrag hier getan.

  • Da die Kulmann-Lieder von Robert Schumann nicht so populär sind, wie die großen Schumann-Zyklen, möchte ich auf eine CD aufmerksam machen, auf der diese knappen zehn Minuten des Opus 104 „versteckt“ sind.
    Gesungen werden diese Lieder von der Sopranistin Ina Stachelhaus; die 1990 Preisträgerin des Gesangswettbewerbs der Nordrhein-Westfälischen Hochschulen war. Am Klavier begleitet Brigitta Corneo.


    Auch dieses Booklet weist darauf hin, dass den Liedern der Vorwurf gemacht wird, die Gedichte seien schwach und ebenso schwach vertont. Aber die Autorin sagt auch aus, dass Schumanns Lieder hörenswert und reizvoll sind.
    Als ich mich am Anfang mit diesen Liedern befasste – und das eigentlich nur aus Gründen der Vollständigkeit tat – ahnte ich nicht, dass ich echt Gefallen daran finden könnte. Offenbar stellt sich durch „Ofthören“ eine gewisse Vertrautheit ein; aber das ist natürlich eine ganz persönliche Sache …


  • Da Konzertbesuche immer einen Rang höher stehen sollten, als das Hören von CDs, erlaube ich mir hier einen langfristigen Hinweis auf ein Konzert, bei dem neben ausgewählten Liedern von Franz Schubert und Schumanns Zyklus »Frauenliebe und -Leben«, auch die so oft geschmähten Sieben Lieder nach Gedichten von Elisabeth Kulmann, op. 104 auf dem Programm stehen. Sie werden im Rahmen der Schubertiade 2014 in Schwarzenberg (Bregenzerwald) in einer Nachmittagsveranstaltung im Angelika-Kauffmann-Saal von diesen Künstlern dargeboten:
    Elisabeth Kulmann (Mezzosopran)
    Eduard Kutrowatz (Klavier)
    Beginn der Veranstaltung: 16:00 Uhr


    Aus einer Zeitungskritik von 2012 (stellvertretend für viele ähnlichen Beurteilungen) zu einem Konzert der beiden Künstler:
    Elisabeth Kulman begeistert ihr treues Publikum
    Der Glanz einer edlen Stimme
    »Die österreichische Sängerin Elisabeth Kulman gilt für viele als “Publikumsliebling Nummer eins”. Seit 2005 vertritt sie das große Mezzosopran- und Altfach auf den großen Konzert- und Opernbühnen der Welt. Als eine der führenden Sängerinnen ihrer Generation beeindruckte sie nun im Konzerthaus mit Eduard Kutrowatz.«

  • Liederabend 25. August 2014, 16 Uhr, Angelika-Kauffmann-Saal


    Aufgrund eines Erschöpfungszustandes wird Elisabeth Kulman in den kommenden Wochen leider keinen Konzertverpflichtungen nachkommen können, weshalb sie auch ihren Liederabend bei der Schubertiade Schwarzenberg absagen musste.


  • Kulmann-Lieder in neuem Glanz
    Wer an einem Ersatz zu dem abgesagten Konzert in Schwarzenberg interessiert ist, kann diese sieben Lieder nun auf einer CD hören, die im Jahr der Konzertabsage heraus kam.
    Auf dieser CD sind die Kulmann-Lieder zwischen Schumanns Opus 42 und Wagners Wesendonck-Liedern eingebettet.
    Sicher hat es zumindest einen gewissen optischen Reiz, wenn Elisabeth Kulman Elisabeth Kulmann singt, aber es besteht hier auch nicht die entfernteste Verwandtschaft.
    Im Booklet wird der literarische Wert der Kulmann-Texte nicht erörtert, sondern lediglich Schumanns Widmung zu Opus 104 abgedruckt:
    Widmung
    »Es sind diese schlichten Lieder dem Andenken eines Mädchens gewidmet, das schon lange nicht mehr unter uns weilt, das die Wenigsten wohl kaum dem Namen nach kennen. Und doch sie war vielleicht eines jeder wunderbarbegabten Wesen, wie sie nur selten, nach langen Zeiträumen auf der Welt erscheinen. Der Weisheit höchste Lehren, in meisterhaft dichterischer Vollendung zur Aussprache gebracht, erfährt man hier aus Kindesmund, und wie ihr Leben, im stillen Dunkel, ja in tiefster Armuth hingefristet, zur reichsten Seligkeit sich entfaltet, das muss man in ihren Dichtungen selbst nachlesen. Ein nur annäherndes Bild ihres Wesens können diese wenigen, aus tausenden ausgewählten kleinen Lieder, unter denen überhaupt nur wenige sich zur Composition eignen, nicht geben. War ihr ganzes Leben Poesie, so konnten aus diesen reichen Sein nur einzelne Augenblicke ausgewählt werden.
    Wenn diese Lieder dazu beitrügen, die Dichterin in manche Kreise einzuführen, wo sie bis jetzt noch nicht gekannt, so wäre ihr Zweck erfüllt. Früher oder später wird sie gewiss auch in Deutschland als der helle Stern begrüsst, der, schon vor drei Jahrzehnten von Einzelnen im Norden erkannt, seinen Glanz nach und nach über alle Länder ergiessen wird.«


    Robert Schumann
    Düsseldorf, am 7. Juni 1851


    Es ist beachtlich, was Elisabeth Kulman aus diesen doch eher einfachen Liedern mit ihrer farbenprächtigen Stimme herausholt. Es lohnt sich schon mal die Hörproben anzuklicken ...