Musik im 20. Jhdt. ist politisch - Teil 2: Protest, Widerstand und Opposition

  • Eine der Neuerungen, die das 20. Jahrhundert in die Musik einführte, war die politische Komponente. Selbige bezog sich aber nicht nur auf Hymnen und sonstige Lobgesänge, sondern war Teil einer existentiellen Auseinandersetzung, die die Künstler mit den diversen Regimen auszufechten bzw. durchzustehen hatten.
    Ziel dieses Threads und auch des vorhergehenden soll es sein, diese Werke zusammen zu tragen, ihren politischen Gehalt beim Namen zu nennen und sie in ihren historischen Kontext einzubetten. Eine besondere Betonung möchte ich dabei auf "historisch" legen, denn die meisten Ereignisse, auf die diese Werke Bezug nehmen, sind eben schon Geschichte, auch wenn ich bei der Betrachtung ihrer Rezeption immer wieder den Eindruck habe, dass da immer noch Schlachten von Gestern ausgefochten werden.
    Gleichzeitig weise ich aber darauf hin, dass sich dieser Thread nicht nur auf Weimar und die 12 Jahre bezieht, sondern das gaze Jahrhundert umfassen soll.


    Viele Grüße
    John Doe

  • Die politische Komponente ist keine Neuerung des 20. Jhds. Es gab auch vorher schon "politische" Musik und nicht nur Märsche und Huldigungskantaten (was freilich auch politische Musik ist).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die politische Komponente ist keine Neuerung des 20. Jhds. Es gab auch vorher schon "politische" Musik und nicht nur Märsche und Huldigungskantaten (was freilich auch politische Musik ist).


    Ja, natürlich, bloß waren solche Huldigungskantaten, Festopern u. ä. singuläre Ereignisse für eine doch sehr beschränkte Anzahl von Zuhörern.
    Im 20. Jhdt. dagegen war doch die Aufführungssituation eine ganz andere, da wurde auf Massenwirksamkeit geachtet, die Medienresonanz wurde mit einkalkuliert, der Provokationsfaktor spielte eine Rolle, genauso wie der Skandal. Und eine eindeutige politische Positionierung hat ebenfalls stattgefunden, genauso wie die Stoßrichtung festgelegt worden war.
    Blickt man zurück, dann findet man am ehesten im barocken England eine ansatzweise vergleichbare Situation und dann im revolutionären Frankreich, wobei sich diese Staaten aber vom Gesellschaftlichen her deutlichst von ihren Nachbarn unterschieden. Als musikalische Beispiele falle mir für England jetzt spontan die Feuerwerksmusik und The Beggars Opera ein, derweil ich von Frankreich her nur Ca Ira und die Marseillaise nennen kann.


    John Doe

  • Ein gegen ein System gerichtetes Werk schlecht hin ist Eislers Deutsche Siinfonie, deren Untertitel "Eine antifaschistische Kantate" für sich selbst spricht.



    Diese zwischen 1935 und 57 entstandene Sinfonie hat 1997 noch eine späte Schwester bekommen, nämlich Hans Werner Henzes Sinfonie Nr. 9, ebenfalls eine Chorsinfonie, die den Helden und Märtyrern des deutschen Antifaschismus gewidmet ist.



    Basierend auf dem Roman "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers wird eine Flucht vor den Nazis in 7 Bildern geschildert.
    Das Werk ist großsinfonisch angelegt, in wie weit es jetzt noch tonal ist, oder nicht, ist diskutabel.. Auf jeden Fall gemahnt es mich auch etwas an Pettersson und macht meinem Empfinden nach auch einen deutlich geschlosseneren Eindruck als Eislers Deutsche Sinfonie.


    Beste Grüße
    John Doe
    :hello:

  • Ich würde sagen, auch Mozarts "Le nozze di Figaro" ist ein hochpolitisches Werk, und deshalb wurden Aufführungen auch von der josephinischen Zensur verboten. Weiters war die ganze Nationalopernbewegung des 19.ten Jahrhunderts ab Glinka auch stark politisch, nämlich nationalistisch. Das heißt, Vokalmusik war immer aufgrund ihrer expliziten Aussage geeignet für politische Zwecke. Selbstverständlich gibt es aber auch rein instrumentale Musikwerke in diese Richtung, wie z.B. Sibelius' Finlandia.

  • Es ist lustig, dass nun Eislers Deutsche Sinfonie ein Werk gegen ein System ist - zugleich aber als kommunistische Propagandamusik als Musik für ein System gehört werden kann (in den 50er Jahren komplettiert und in der DDR 1959 uraufgeführt). Also anders rum wie bei Schostakowitschs 11. - das war in erster Linie ein Stück für ein System, das aber in seiner Handlung wiederum ein Stück gegen ein System ist (gegen den Zaren, wenn ich das mit dem niedergeschlagenen Aufstand richtig verstehe). Henzes Sinfonie ist nicht Widerstand sondern Mainstream, Musik für unser heutiges System, unter dem sie komponiert wurde. Genauso wie bei Schostakowitsch wird historischen Opfern unter einem anderen Regime gedacht. Das unter "Protest, Widerstand und Opposition" laufen zu lassen, ist jetzt der Witz des Tages ...

  • Zitat

    "... Mozarts "Le nozze di Figaro" ist ein hochpolitisches Werk, und deshalb wurden Aufführungen auch von der josephinischen Zensur verboten."


    Lorenzo da Ponte, der das Libretto nach Beaumarchais verfasste, sprach persönlich beim Kaiser vor - und Joseph II gab die Erlaubnis zu Aufführung. Er muß über die Brisanz des Stückes voll informiert gewesen sein, den die österreichische Geheimpolizei und auch die österreichische Zensur waren äußert effizient. Vermutlich wollte er nicht versuchen zu verhindern was er für nicht mehr zu verhindern hielt....Der österreichische Adel jedoch legte beim Kaiser Protest ein. Im allgemeinen wird die Durchsetzungskraft dieses Monarchen vermutlich nicht in ihrer vollen Größe erkannt......Nach aussen hin weltoffen und scheinliberal setze er alle seine Wünsche konsequent durch, wobei er nicht auf seine Privilegien bedacht war - sondern stets bemüht das "Richtige" zu tun - ungeachtet dessen ob dies zu seiner Popularität - über die er sich keine Illusionen machte - beitrug oder nicht...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lorenzo da Ponte, der das Libretto nach Beaumarchais verfasste, sprach persönlich beim Kaiser vor - und Joseph II gab die Erlaubnis zu Aufführung. Er muß über die Brisanz des Stückes voll informiert gewesen sein, den die österreichische Geheimpolizei und auch die österreichische Zensur waren äußert effizient. Vermutlich wollte er nicht versuchen zu verhindern was er für nicht mehr zu verhindern hielt....Der österreichische Adel jedoch legte beim Kaiser Protest ein. Im allgemeinen wird die Durchsetzungskraft dieses Monarchen vermutlich nicht in ihrer vollen Größe erkannt......Nach aussen hin weltoffen und scheinliberal setze er alle seine Wünsche konsequent durch, wobei er nicht auf seine Privilegien bedacht war - sondern stets bemüht das "Richtige" zu tun - ungeachtet dessen ob dies zu seiner Popularität - über die er sich keine Illusionen machte - beitrug oder nicht...


    mfg aus Wien
    Alfred


    Dass der Figaro seine Uraufführung erlebte weiß ich, aber wurde die Oper danach nicht abgesetzt?

  • Zitat

    Dass der Figaro seine Uraufführung erlebte weiß ich, aber wurde die Oper danach nicht abgesetzt?


    Es gab nur wenige Aufführungen , aber vor allem deshalb weil sie beim Publikum nicht ankam.
    In Prag jedoch - auch Einflußgebiet der österreichischen Zensur - feierte das Stück Triumphe -
    Aber wir sollten dieseS Thema nicht weiterspinnen - es geht hier um politische Einflüsse des ZWANZIGSTEN Jahrhunderts.
    Lg
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    es ging mir primär darum auf folgende Aussage John Doe zu reagieren:


    "Im 20. Jhdt. dagegen war doch die Aufführungssituation eine ganz andere,
    da wurde auf Massenwirksamkeit geachtet, die Medienresonanz wurde mit
    einkalkuliert, der Provokationsfaktor spielte eine Rolle, genauso wie
    der Skandal. Und eine eindeutige politische Positionierung hat ebenfalls
    stattgefunden, genauso wie die Stoßrichtung festgelegt worden war."



    Meiner Meinung nach trifft das eben auch auf den Figaro zu.

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  • Das Stück von Beaumarchais, auf dem Figaro basiert, war meines Wissens von der Zensur verboten. Zum einen hatte Da Ponte das Libretto wohl etwas entschärft, wichtiger aber vielleicht, dass jemand wie Joseph wohl kaum etwas dagegen hatte, dass der Adel, dessen Macht (ebenso wie die der Kirche) er ja zugunsten der des absoluten Monarchen einschränken wollte, ein wenig lächerlich gemacht wurde...


    Obwohl es diese Elemente in Figaro und Don Giovanni gibt, ist das natürlich nur ein Aspekt dieser Werke. Gerade Figaro geht ja über die altbekannte "verkehrte Welt" (La serva padrona u.a.) hinaus, indem im Grunde die Diener beinahe ebenso "vorgeführt" werden wie die Herrschaft, es sind eben alle nur Menschen. Obwohl natürlich der Graf Almaviva die unsympathischste und Susanna wohl die sympathischste Figur ist.

    Struck by the sounds before the sun,
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    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich würde sagen, auch Mozarts "Le nozze di Figaro" ist ein hochpolitisches Werk, und deshalb wurden Aufführungen auch von der josephinischen Zensur verboten.


    Die Oper ist keineswegs ein hochpolitisches Werk, Da Ponte hat sehr geschickt das politische Element aus dem Drama weitgehend herausgeschrieben und die Oper konnte 1786 - nur zwei Jahre nach der öffentlichen Uraufführung des Originals von Beaumarchais - aufgeführt werden. Das Bühnenstück hatte es ungleich schwerer, zur Aufführung zugelassen zu werden. Lange war es nur im Druck erhältlich...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • "Obwohl natürlich der Graf Almaviva die unsympathischste und Susanna wohl die sympathischste Figur ist."


    Und doch gibt es auch Momente, wo das nicht so ist, zumindest bezogen auf den Grafen. Ich glaube, er hat auch echte Gefühle für Susanna. Das klingt auch in der Arie an.


    Besonders brisant finde ich, dass die Gräfin, eine gebürtige Bürgerliche, und die Zofo gemeinsame Sache machen gegen den echten Adel. Das ist ein spannendes Element.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Das Libretto mag entschärft worden sein und JR hat sicherlich recht, wenn er sagt, dass Joseph II insgeheim ganz einverstanden sein mag mit der Anprangerung von überkommenen Vorrechten des Adels, dennoch bleibt das Sujet der Oper politisch und brisant. Nicht umsonst hat sich der Adel beim Kaiser beschwert...

  • Hallo Kurzstückmeister,


    Es ist lustig, dass nun Eislers Deutsche Sinfonie ein Werk gegen ein System ist - zugleich aber als kommunistische Propagandamusik als Musik für ein System gehört werden kann (in den 50er Jahren komplettiert und in der DDR 1959 uraufgeführt).

    Meiner Meinung nach gehört Eislers Deutsche Sinfonie nicht zu den Propagandawerken, ermangelt es ihr doch der positiven Botschaft. Ewiger Klassenkampf ist eben nicht das kommunistische Ziel gewesen, sondern vielmehr dessen Beendigung durch den Sieg der Arbeiterklasse.



    Henzes Sinfonie ist nicht Widerstand sondern Mainstream, Musik für unser heutiges System, unter dem sie komponiert wurde.

    Protest, Widerstand, Opposition!


    Natürlich ist der Genosse Henze kein Widerstandskämpfer, aber seine Verhältnis zu diesem unseren herrschenden System kann nur als Protest und Opposition bezeichnet werden.
    Ob man jetzt nun seine Oper "Boulevard Solitude" aus dem Jahre 1952 nimmt, deren antibürgerlich-progressiven Helden dodekaphonische Strukturen zugeordnet sind, derweil ihre reaktionär-bürgerlichen Gegenspieler in Tonalität verharren, oder seine 6. Sinfonie aus dem Jahre 1969, die vom Komponisten selbst als ausdrücklich gegen die Bourgeoisie gerichtet verstanden werden soll, seine 9. Sinfonie bestätigt jedenfalls, dass Henze immer noch ein explizit politischer Komponist ist. Allein die Widmung spricht doch schon Bände: Den Helden und Märtyrern des deutschen Antifaschismus. Damit ist nicht der deutsche Widerstand allgemein und schon gleich gar nicht die Verschwörung vom 20. Juli gemeint, sondern schlicht und einfach der kommunistische. Gleichzeitig ist das auch noch ein gezielter Affront gegen die BRD, die diesen schon immer ignoriert hat.
    Wenn das nicht politisch ist und oppositionell, dann weiß ich nichts mehr.



    Bezüglich des Mainstreams sei noch angemerkt, dass trotz seiner Zugehörigkeit (?) dazu, seine Präsenz auf dem CD-Markt eher dürftig ist



    Viele Grüße
    John Doe :hello:

  • Hallo,


    meiner Meinung nach haben alle Daponte-Opern Mozarts etwas latent politisches, wobei die Betonung aber auf latent liegt. D.h. die Handlungen dieser Opern sind per se unpolitisch, der satirisch-gesellschaftskritische Kontext ist in der zeitlichen und gesellschaftlichen Ebene auf der diese Opern spielen, impliziert. Und da funkelt dann wieder ganz diskret das politische heraus:


    Figaro: Will das Gräflein den Tanz wohl wage... plus Handlung
    Don Giovanni: Leporellos Eingangsarie, in der er kund tut, dass er eigentlich nicht mehr Diener sein will plus Handlung
    Cosi: Die Allianz zwischen der Magd Despina und dem Philosophen Don Alphonso, also zwischen driittemund viertem Stand, die die ganze Story erst startet und dann am laufen hält.


    Gleichzeitig stellt sich dabei aber auch die Frage, wo das Gesellschaftskritisch-Satirische aufhört und das Politische beginnt, bzw. ob Gesellschaftskritik und Satire nicht von vorne herein schon politisch sind.


    John Doe
    :hello:

  • Natürlich ist der Genosse Henze kein Widerstandskämpfer, aber seine Verhältnis zu diesem unseren herrschenden System kann nur als Protest und Opposition bezeichnet werden.
    Ob man jetzt nun seine Oper "Boulevard Solitude" aus dem Jahre 1952 nimmt, deren antibürgerlich-progressiven Helden dodekaphonische Strukturen zugeordnet sind, derweil ihre reaktionär-bürgerlichen Gegenspieler in Tonalität verharren, oder seine 6. Sinfonie aus dem Jahre 1969, die vom Komponisten selbst als ausdrücklich gegen die Bourgeoisie gerichtet verstanden werden soll, seine 9. Sinfonie bestätigt jedenfalls, dass Henze immer noch ein explizit politischer Komponist ist. Allein die Widmung spricht doch schon Bände: Den Helden und Märtyrern des deutschen Antifaschismus. Damit ist nicht der deutsche Widerstand allgemein und schon gleich gar nicht die Verschwörung vom 20. Juli gemeint, sondern schlicht und einfach der kommunistische. Gleichzeitig ist das auch noch ein gezielter Affront gegen die BRD, die diesen schon immer ignoriert hat.
    Wenn das nicht politisch ist und oppositionell, dann weiß ich nichts mehr.


    Vielleicht ist 1997 auch das inzwischen vollkommen vom Kommerz adoptierte Nazi-Thema nicht mehr geeignet gewesen, seine oppositionellen Einstellungen darzustellen? 4 Jahre nach Jurassic Parc - äh - Schindlers Liste ... da nehme ich doch keinem mehr ab, dass dieses Betroffenheitsthema etwas mit Widerstand gegen ein aktuelles System zu tun haben könnte.


    Vielleicht ist ein antibürgerlicher Held 1952 glaubwürdiger - heute würde ich den auch nicht mehr als Verkörperung einer gegen das aktuelle System gerichteten Oppositionshaltung ernstnehmen können.


    Die 6. kenne ich (vom Hören) sehr gut, kann mich auch dunkel erinnern, dass das Kettengerassel etwas mit Widerstand zu tun haben soll - allerdings eher in Afrika, wenn ich mich recht erinnere.

    Zitat

    Gleichzeitig ist das auch noch ein gezielter Affront gegen die BRD, die diesen schon immer ignoriert hat.


    Du meinst, die BRD hat den Affront ignoriert, oder?

  • Hallo Kurzstückmeister,


    Vielleicht ist 1997 auch das inzwischen vollkommen vom Kommerz adoptierte Nazi-Thema nicht mehr geeignet gewesen, seine oppositionellen Einstellungen darzustellen? 4 Jahre nach Jurassic Parc - äh - Schindlers Liste ... da nehme ich doch keinem mehr ab, dass dieses Betroffenheitsthema etwas mit Widerstand gegen ein aktuelles System zu tun haben könnte.


    Wenn er diese Sinfonie "den Helden und Märtyrern des deutschen Widerstands" gewidmet hätte, träfe das zu, was du sagst, so aber hat er sie "den Helden und Märtyrern des deutschen Antifaschismus" gewidmet, was eindeutig etwas anderes ist. Antifaschismus ist ein feststehender Begriff innerhalb der marxistischen Weltsicht, der per definitionem Antikapitalismus mit beinhaltet, da der Faschismus nur die etwas radikalere Variante des Kapitalismus ist. Die historischen Fakten lassen sich auf jeden Fall so interpretieren, genauso wie sich diese These übrigens auch am Beispiel Chiles in den 70ern verifizieren läßt, war dort die Wirtschaft noch nie so frei, wie unter der Diktatur.
    1997 hat aber auch noch ein anders Ereignis sein 20 jähriges gehabt, das für gewisse Kreise durchaus noch einmal Helden und Märtyrer des deutschen Antifaschismus produziert hat. Wie weit Henze auch diese Personengruppe mit einbezogen hat, weiß ich nicht, ich weiß aber, dass er in APO-Zeiten Seit' bei Seit' mit genau diesen Leuten gegen Springer ins Feld gezogen ist.


    D.h. bei entsprechender Weltanschauung hat eben der Faschismus in Deutschland 1945 nicht sein Ende gefunden, sondern feiert bis dato fröhliche Urstände.


    Vielleicht ist ein antibürgerlicher Held 1952 glaubwürdiger - heute würde ich den auch nicht mehr als Verkörperung einer gegen das aktuelle System gerichteten Oppositionshaltung ernstnehmen können.


    Wie weit man diese Oppositionshaltung eines alten Mannes nun noch ernstnehmen soll? Keine Ahnung, das muss jeder für sich selbst entscheiden, aber man soll sie wenigstens zur Kenntnis nehmen.


    Seine 6. Sinfonie hat Henze als gegen die Bourgeoisie gerichtet bezeichnet. Der Begriff "Bourgeoisie" darf in diesem Zusmmenhang aber nicht mit dem Bürgertum als solchem verwechselt werden, sondern bezeichnet einzig und allein die Klasse der Kapitalisten. Ein kurzer Blick in Marx und Engels kommunistisches Manifest, dann ist das klar.
    Dass diese Sinfonie durch die Einbeziehung von kubanischen, lateinamerikanischen und vietnamesischen Elementen international wird, steht in keinem Widerspruch zu ihrer Zielrichtung, da das Kapital ja bekanntlich ebenfalls international agiert.


    Das eigentliche Problem bei Henze liegt m. M. doch darin, dass der Adressat dieser Botschften selbige nicht mehr versteht, derweil derjenige, der sie versteht, diese Botschaften nicht braucht, da er nicht Adressat ist.


    Viele Grüße
    John Doe
    :hello:


    P.S. Die BRD ignoriert immer noch den antifaschistischen, bzw. kommunistischen Widerstand. So war´s gemeint.

  • Das eigentliche Problem bei Henze liegt m. M. doch darin, dass der Adressat dieser Botschften selbige nicht mehr versteht, derweil derjenige, der sie versteht, diese Botschaften nicht braucht, da er nicht Adressat ist.


    Ist das nicht viel mehr noch das Nono-Problem?
    :D
    Die Frage ist aber: Wer braucht die Botschaft, da er Adressat ist?
    Die Arbeiter-Massen, damit die Revolution weitergeht?

  • Ich will keinesfalls eure Diskussion unterbrechen, aber mir ist vielleicht noch ein Beispiel für "Widerstands"- bzw. "Protestmusik" bzw. ein solcher Komponist aus dem 20. Jahrhundert eingefallen : Mikis Theodorakis.
    Während der griechischen Dikatur der Obristen (1967-74) ist der Komponist nicht nur in den Untergrund gegangen und hat politischen Widerstand geleistet, sondern diesbezüglich auch Musik komponiert, zB Lieder für die von ihm selbst gegründete Widerstandsorganisation PAM , ein Oratorium "Belagerungszustand".
    Nachdem er gefangen genommen und gefoltert worden war, schrieb er als Reaktion auf die Ereignisse Gedichte "Sonne und Zeit" und hat sie auch vertont.
    Aus einem Konzentrationslager in dem er untergebracht wurde, ließ man ihn unter Druck von Solidaritätsbewegungen (auch Schostakowitsch und Bernstein waren darunter) ins Exil nach Frankreich frei.
    Auch danach kämpfte er weiter vehement gegen das Regime, schrieb zB auch Musik wie "Lianotragouda"(18 kleine Lieder der bitteren Heimat).

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

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  • Hallo Kurzstückmeister,

    Ist das nicht viel mehr noch das Nono-Problem?

    Oder der dialektische Widerspruch in der modernen Musik!
    Henze kann noch so sehr auf die rote Trommel schlagen, er wird damit so gut wie keinen Proletarier hinter dem Ofen hervorlocken, aber viel Applaus von der falschen Seite bekommen.
    Stalin nun hat versucht, diesen Wiederspruch mit dem Postulat des sozialistischen Realismus aufzulösen, und hat dabei trotz seiner Quasiallmächtigkeit auch nur räumlich und zeitlich begrenzte Erfolge erzielt. Was letztendlich logisch war, da diesen Widerspruch nur der Künstler selbst in seinem Werk auflösen kann, ganz konkret in seinem Werk und nicht in dem Wust von Erklärungen und Erläuterungen, die von Fall zu Fall dieses umgeben.



    Die Frage ist aber: Wer braucht die Botschaft, da er Adressat ist?


    Die Arbeiter-Massen, damit die Revolution weitergeht?

    Der Adressat bei Henzes 9. ist eindeutig die Bourgeoisie und ihr bourgeoiser Staat. Statt dass da nun aber aufgeschrien wird ob dieser Provokation, wird selbige nicht mehr wahrgenommen oder ignoriert und statt dessen applaudiert. Und diejenigen, die eigentlich applaudieren sollten, von mir aus die Arbeitermassen oder um auf Linie zu bleiben, das kommunistisch organisierte Proletariat, haben diese Sinfonie gar nicht wahrgenommen, und wenn doch, dann hat sie nicht gefallen oder man hat mit ihr nichts anzufangen gewußt.


    Armer Henze! :(



    John Doe