HÄNDEL, Georg Friedrich: THE TRIUMPH OF TIME AND TRUTH


  • Georg Friedrich Händel (1685-1759):


    THE TRIUMPH OF TIME AND TRUTH
    (Der Sieg der Zeit und Wahrheit)
    Oratorium in drei Teilen für Soli, Chor und Orchester, HWV 71
    Libretto von Thomas Morell nach Kardinal Benedetto Pamphilis „La Bellezza raveduta nel Trionfo del Tempo e del Disinganno“


    Uraufführung am 11. März 1757 in Covent Garden



    DIE ALLEGORIEN


    Beauty/Schönheit, Sopran
    Pleasure/Vergnügen, Tenor
    Time/Zeit, Bass
    Truth/Wahrheit (auch Counsel/Ratschluss), Alt
    Deceit/Betrug oder Falschheit, Sopran



    INHALTSANGABE


    Part the first


    Nach der einleitenden Sinfonia und der chorischen Lobeshymne auf die „Großmacht“ Zeit sehen wir Beauty vor ihrem Spiegel sitzen und sich selbst bewundern. Dabei lässt sie arios ihren Wunsch durchblicken, die Reize ihres Körpers für alle Zeiten erhalten sehen zu wollen. Pleasure springt Beautys Wahnvorstellungen umgehend mit dem Versprechen bei, ihre körperlichen Vorzüge würden nie verblassen, immer bestehen bleiben. Darüber ist die Schönheit so entzückt, dass sie im Gegenzug dem Vergnügen ewige Treue schwört.


    Truth/Counsel muss insgeheim über die Leitgläubigkeit der Schönheit lachen und er rät Beauty mit ernstem Ton, sich an die Wahrheit zu halten, und warnt noch obendrein, dass Jugend vergänglich sei und keinesfalls ewig halte. Das will Pleasure nicht so ohne weiteres hinnehmen und initiiert eine Art Streitgespräch: Wer wird in diesem Disput wohl den Sieg davontragen - Vergnügen, Schönheit, Zeit oder Wahrheit/Rat?


    Irgendwie entsteht für den Hörer der Eindruck, dass Beauty sowohl den Disput als auch die daraus entstehenden Folgen zu akzeptieren gedenkt:


    Freudenflut aus ew'gen Quellen
    soll mich über alle Maßen rühren zu dem Kampfe mit der Zeit.


    Time legt sofort los und warnt: Wer will sich ihrer Macht denn entziehen? Wer oder auch was vermag denn ihren Läuften zu widerstehen? Nein, da ist niemand, der sie aufhalten und ihrem Zahn etwas entgegensetzen kann. Der Chor unterstützt diese Aussage, seine Stimmen haben eine klare Botschaft: Es gilt, das Wissen um die Macht der Zeit zu stärken und dadurch gestärkt aus dem Kampf um die Wahrheit hervorzugehen.


    Eine neue allegorische Figur tritt in den Disput ein, nämlich Deceit, Falschheit oder auch Betrug; der nimmt die gehörte Schwarzmalerei gewaltig übel und meint, Beauty damit zur Seite springend, dass der Tadel viel zu hart sei. Weise Sterbliche sind durchaus in der Lage, mit und durch Vergnügen zu leben und zu genießen. Diese Darstellung lässt Truth/Counsel sarkastisch werden und äußern, dass Jugend zwar oft reich sei, aber immer arm an Zeit, da sie die Flüchtigkeit der Stunden nicht erkennen kann oder will. Daraus ergibt sich für Time nur eine mögliche Schlussfolgerung: Jeder muss die Flucht der Stunden anerkennen; wer meint, dem entgehen zu könne, wird feststellen, dass jeder Tag ein Raub an den Reizen ist!


    Truth/Counsel fügt, fast schon schadenfroh, hinzu, dass die Negation dieser Wahrheiten und Taten von den Betroffenen immer zu spät erkannt wird:


    Das Leben schwindet wie ein Schatten, fast unmerklich, aber schnell wirkt Betörung.
    Keiner lauscht, wie die Stunden entschweben, bis der Tag der Zerstörung nahet.

    Diese Warnung übernimmt der Chor, musikalisch wie inhaltlich, in eindeutiger Parteiname, damit den „First Part“ beendend.


    Part the second


    Der Chor flüstert Beauty, bei seiner Haltung aus dem Schluss des vorigen Teils bleibend, schwerwiegende Bedenken ins Ohr. Pleasure, unterstützt von Deceit, sieht sich ernsthaft zum Eingreifen genötigt, damit die Schöne ihr nicht von der Fahne geht: Vergnügen und weltliche Lust sind für ein gutes Leben wichtig, behaupten die beiden Allegorien. Dann schwingen sich Deceit und Pleasure zu Wettstreitern gegen Time und Truth auf, nennen deren nur negative Einstellung schmählich. Das ergibt umgehenden Widerspruch: Ewige Jugend gibt es nicht, das ist ein Irrglaube. Die banale Erfahrung muss jeder machen.


    Tatsächlich macht Beauty plötzlich den Eindruck von schwankender Nachdenklichkeit. Die vielfältigen Stimmen des allegorischen Chors halten es für angebracht, unterstützend und warnend die Meinungen von Zeit und Wahrheit der Schönen vorzuhalten:


    Vergnügen erliegt dem Schmerz, wenn der Tag weicht der Nacht:
    Und die Sorge lächelt wieder, wenn die Zeit alles richtig stellt.
    So wechseln die Jahreszeiten und erscheinen nacheinander
    in verschiedener Reihenfolge das ganze umlaufende Jahr hindurch.


    So schnell gibt Pleasure auf keinen Fall auf; ihm stehen ja noch ganz andere Mittel der Überzeugung zur Verfügung: er rühmt die vielfältigen Freuden des Lebens mit Festmahl, Gesang und Tanz in seinem Palast (den sich das Publikum allerdings hier vorstellen muss, da es im Oratorium kein Bühnenbild gibt). Auch das angesprochene fröhliche Gelage muss es sich bildhaft vor Augen führen - und Händel nutzt diese Gelegenheit, durch Hornsignale Aufmerksamkeit zu erregen. Bei Beauty hat diese Musik jedenfalls diese erhoffte Wirkung, denn sie wird hellhörig und gibt sich dem Chorgesang mit augenscheinlicher Wonne hin:


    O wie groß ist der Ruhm, der die Mühsal des Jägers krönt!
    Wie Theseus, berühmt aus der Sage, triumphiert er mit seiner Beute.


    Pleasure treibt die Überzeugungsmaschinerie für Beauty auf die Spitze, indem er hier ein Maskenspiel einschiebt (abermals natürlich nur gedanklich nachzuvollziehen, was jedoch durch Händels Musik leicht gelingt); Dryaden, Waldgeister und die Flora gesellen sich der Festlichkeit zu und erzeugen eine wahrhaft ausgelassene Stimmung. Diese ansteckende Fröhlichkeit ermuntert Beauty, die Zeit spöttisch aufzufordern, die Vergnügungen mit ihrer Macht doch einfach hinwegzufegen; sie setzt noch eins drauf, in dem sie in die Runde ruft, die Zeit schlafe und sei erschlafft. Truth/Counsel warnt, Sterbliche glaubten, die Zeit schlafe, während sie in Wirklichkeit „flink davon eilt“ und das Verderben für Sterbliche stets bei sich trage.


    Und schon meldet sich auch Time aus den Tiefen (Textbuch: lower regions) und rät der Schönen, sie müsse, um seiner Macht zu entkommen, das Reich des Lichts (Text: realms of light) anstreben, denn dorthin kann er ihr nicht folgen, in der Unsterblichkeit ist die Macht der Zeit gebrochen. Zum wiederholten Mal versuchen Wahrheit und Zeit, die Schöne zu überreden, alles Vergnügliche zugunsten von Wahrheit aufzugeben, und sie halten ihr den Spiegel der Wahrheit vor, der alle Dinge getreu wiedergibt. Das macht Pleasure wütend, er weiß doch genau, was dieser Spiegel verraten wird, geht deshalb auf Time und Truth los, Beauty allerdings ansprechend: Schließe deine Augen und sieh nicht zum Todeshauch hin!
    Deceit greift Pleasure bestätigend ein und ruft die Schöne auf, sich des fröhlichen Augenblicks zu erfreuen, Sorgen einfach auf das Morgen zu verschieben.


    Time versucht es jetzt noch einmal philosophisch bei der Schönen:


    Was ist die flüchtige Stunde? Sie kommt und geht!
    Dank an die Jahre, die dir schon floh'n und an erkannten Irrtums qualvolle Pein.

    Und die nun zwischen Traurigkeit und Fröhlichkeit schwankende Schönheit hegt ernste Zweifel an ihrer bisherigen Haltung. Was soll sie tun? Trauern? Freudig sein? Ideal wären zwei Leben, so meint sie, deren eines sie dann der Lebensfreude weihen, das andere dann der Buße überlassen könnte.


    Wahrheit gibt Beauty eindringliche Unterstützung: Ohne die Erkenntnis der Wahrheit sind die Vergnügungen des Alters ebenso wie die der Jugend allesamt nur eitler Tand. Das findet auch Time; sie drängt Beauty, weise zu sein. Die ist in ihrer Verwirrtheit zwar dem geistigen Umfallen nahe, erklärt jedoch, sie könne sich noch nicht entschließen, das Diesseitige zugunsten der Unsterblichkeit zu lassen. Der allegorische Chor bringt den zweiten Akt daraufhin mit einer Beschwörungsformel, an die Schöne gerichtet, zu Ende:


    Eh deine Schönheit wird zu Staub, wandle deinen Sinn und strebe nach dem Guten.


    Part the third


    Nach einer kurzen Sinfonia hat der Chor, ganz auf der Linie von Truth/Counsel, mit einer Bitte an den Allmächtigen das Wort, er möge Beauty bei ihrer Entscheidung zur Seite stehen. Doch Deceit (Betrug/Falschheit) unternimmt hier wieder einmal den Versuch mit der Frage, warum Beauty denn ihre Vergnügungen aufgeben wolle. Wurde die Frage nur gestellt, um etwas zu sagen? Gehen den Allegorien Pleasure und Deceit vielleicht die Ideen aus? Ist der Eindruck richtig, dass die gewichtigeren Argumente auf der Seite von Time und Truth vorhanden sind? Counsel, der „gute Rat“, mischt sich ein und legt Beauty nahe, das soeben von Deceit Gehörte einfach zu ignorieren. Nun ist die bisher so Unschlüssige plötzlich bereit, einzulenken; sie fordert Deceit auf, sie nicht mehr zu locken.


    Die Schöne erklärt sich sogar jetzt bereit, in den Spiegel der Wahrheit zu schauen und von jeglichem Vergnügen zu lassen, damit sie keine Reue befalle, wenn ihr die Kräfte enteilen. Sie ist drauf und dran, ihren alten Spiegel zugunsten des neuen wegzuwerfen, als Pleasure sie daran zu hindern versucht, Truth/Counsel jedoch das verführerische Utensil an sich bringt und es am Boden zerschmettert.


    Nun verkündet Schönheit nach einem Blick in den Spiegel der Wahrheit, sie wolle ihre restlichen Tage in heiliger Einsamkeit verbringen; dabei gibt sie Pleasure sozusagen die Scheidung bekannt: Lange Zeit waren sie beide ein Paar, aber jetzt sind ihr die Augen geöffnet worden und sie sieht nur noch einen Ausweg aus ihrem Dilemma und der ist nicht der Weg des Vergnügens. Sie bittet sogar Pleasure, ebenfalls für die Sache der Wahrheit einzutreten, doch der meint, Wahrheit treibe ihn zur Verzweiflung, und verschwindet mit verletztem Stolz und unter Donnergrollen ins Felsengebirge.


    Schönheit aber erhebt den Blick zur Wahrheit und ruft ihre Schutzengel um Beistand an


    Ihr Schutzengel beschützet und leitet auf den Pfad der Tugend mich,
    da ich dem Himmel droben mich ergebe.
    Diese Welt soll mich nicht mehr täuschen, noch sollen leere Leidenschaften mir zusetzen,
    denn ich bin stark in Glauben, Hoffnung, Liebe

    und der Chor erwidert jubilierend, das Oratorium mit dem Ausruf der Freude endend: „Alleluja!“.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Händels dritte Beschäftigung mit diesem Themenstoff (nach „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ und „Il Trionfo del Tempo e della Verità“) kam mit dem Titel THE TRIUMPH OF TIME AND TRUTH am 11. März 1757 im Covent Garden Theatre heraus. Im gleichen Jahr wurde es noch zweimal, 1758 nochmals zweimal in einer etwas umfangreicheren Fassung gegeben - der letzten vollständigen Spielzeit unter Händels Leitung. Faszinierend an diesem Oratorium ist nicht nur die Musik, sondern auch die Entstehungsgeschichte, die fünfzig Jahre von Händels Leben umfasst.


    Der Text des Originalwerkes von 1707, eine Allegorie, stammte von Kardinal Benedetto Pamphili und erforderte vier „Figuren“ (Schönheit [Bellezza], Vergnügen [Piacere], Zeit [Tempo] und Erkenntnis [Disinganno]), aber keinen Chor. 1737, als Händel schon Oratorien, aber auch noch Opern zur Aufführung brachte, scheint er sich an das dreißig Jahre zuvor entstandene italienische Oratorium (Il Trionfo del Tempo e del Disinganno) erinnert zu haben. Innerhalb von vierzehn Tagen erstellte er eine erheblich revidierte Fassung, die zwar im Wesentlichen auf Pamphilis Text zurückgriff, mehrere Nummern jedoch nun für Chor gesetzt waren. Mit dem eindeutigeren Titel „Il Trionfo del Tempo e della Verità“ versehen, wurde es am 23. März jenes Jahres uraufgeführt. Die Komposition blieb zu Händels Lebzeiten unveröffentlicht, doch wurde eine Druckfassung des Librettos mit englischer (nicht als Gesangsvorlage vorgesehener) Übersetzung herausgebracht.


    Nochmals zwanzig Jahre später, inzwischen schon erblindet, so dass an eigenständiges Komponieren nicht mehr zu denken war, wandte er sich erneut dieser Musik zu. Er beauftragte Thomas Morell (1703–1784), den italienischen Text der Fassung von 1737 in Versform, passend zur Musik der Arien und Chöre, ins Englische zu übertragen sowie die notwendigen Rezitative anzufügen. Obwohl Morells Schaffen oft heftiger, mehr oder weniger berechtigter Kritik ausgesetzt war, hatte Händel damals schon fünf Libretti von ihm akzeptiert, darunter jene zu „Judas Maccabaeus“ und „Theodora“.


    Morell fügte eine weitere Figur namens „Deceit“ (Falschheit oder auch Betrug) in den Text ein, aus „Disinganno“ wurde nun „Counsel“ (Rat), und es kamen einige neue Nummern hinzu. Trotzdem entstammt der größte Teil der Musik der Zweitfassung von 1737; Händel fügte außerdem zwei Arien von 1707 hinzu (eine davon mit erheblichen Änderungen) und komponierte weitere acht Sätze, von denen sieben dem Chor zugedacht waren sowie eine neue Ouvertüre. Von dieser Einleitung ist bis heute keine Vorlage gefunden worden, dennoch wird von Musikwissenschaftlern keine Neukomposition angenommen, da auch alles übrige Material aus älteren Werken entstammt.


    Doch Händel hatte mit dem Werk immer noch nicht abgeschlossen. Im Februar 1758 stellte er es erneut „mit neuen Zusätzen“ vor - samt fünf weiteren Arien, von denen vier der Rolle des Betrugs zusätzliche Substanz verleihen. Alle beziehen sich in gewissem Maß auf bestehende Werke, obwohl die Musik oft erheblich verändert wurde. Winton Dean hat festgestellt, dass THE TRIUMPH OF TIME AND TRUTH in dieser Version Musik aus mehr als zwanzig vorangegangenen Kompositionen Händels enthält. Ein Autograph ist übrigens nicht erhalten.


    Der interessierte Musikfreund sei an dieser Stelle noch auf die Erst- und Zweitfassung dieses Werkes ("Il Trionfo del Tempo e del Disinganno" und "Il Trionfo del Tempo e della Verità") mit den entsprechenden diskographischen Hinweisen im Oratorienführer hingewiesen.


    © Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Libretto
    Albert Scheibler: Händel-Oratorienführer
    Hans Joachim Marx: Händels Oratorien, Oden und Serenaten

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  • THE TRIUMPH OF TIME AND TRUTH ist beim Werbepartner jpc als "derzeit nicht erhältlich" gelistet. Vielleicht kommt sie ja irgendwann mal wieder...

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