• Gaston RIVERO: “Lieber große Rollen an mittleren Häusern als kleine Rollen an großen”


    Interview mit Gaston RIVERO: “Lieber gr0ße Rollen an mittleren Häusern als kleine Rollen an großen”


    In Fachkreisen hat sich der uruguayanisch-amerikanische Doppelstaatsbürger Gaston Rivero schon einen ausgezeichneten Ruf als Verdi- und Puccini-Tenor erarbeitet. Nach erfolgreichen Gastspielen in Klagenfurt und an verschiedenen europäischen Häusern wie Leipzig oder der Deutschen Oper Berlin tritt er nun erstmals an der Oper Graz auf. Während der Proben fand der Künstler die Zeit für ein Gespräch mit Merker-Redakteur Kurt Vlach.


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    Gaston Rivero. Foto: Fadil Berisha



    Herr Rivero, Sie wurden 1978 in Montevideo geboren, obwohl Ihre Familie zu dieser Zeit bereits zehn Jahre in Argentinien wohnte. Wie kam es dazu?


    Mein Vater, Carlos Rivero, war zu jener Zeit am Teatro Colon engagiert. Er selbst hat eine tolle Stimme – er beendete seine Karriere erst im Vorjahr – und hätte 1976 sogar die Möglichkeit gehabt, an die Staatsoper in Wien engagiert zu werden. Leopold Hager wollte ihn unbedingt nach Europa holen. Meine Mutter ist allerdings sehr Heimat verbunden und so entschied sich mein Vater für die Liebe und gegen eine internationale Karriere.


    Wie auch immer, in den 70er Jahren herrschte in Argentinien eine Militär-Junta und es war nicht unüblich, dass aus Spitälern Babies plötzlich verschwanden. Aus diesem Grund hatten meine Eltern beschlossen, dass meine Mutter mich in Uruguay entbinden soll. Aber schon kurz nach meiner Geburt ging es dann wieder zurück nach Argentinien, wo ich dann meine nächsten 23 Jahre verbrachte.


    Sie haben fünf Geschwister, die aber in anderen Berufen tätig sind. War Ihr Vater der einzige in der Familie, der musikalisch war?


    Nein, meine Mutter spielte Klavier, doch entschied sie sich für ihre Kinder da zu sein. Sie unterrichtete auch französisch, was mir später sehr zu Gute kam.


    War es für Sie von Anfang an klar, dass sie Sänger werden wollen?


    Nein. Ich hörte zwar zu Hause Opern-Aufnahmen und konnte meinen Vater beim Üben beobachten. Die ersten Opernaufnahmen, die mich wirklich faszinierten, waren Gesamtaufnahmen von Tosca und von Turandot. Ich war da gerade 13 Jahre alt, als ich mit meiner Schwester spielte und so nebenbei Arien mitsang. Ich hörte „Non piangere Liu“, wo der Tenor ein Hohes B zu singen hat – ich dachte mir nichts dabei, und plötzlich war der Ton wie aus dem Nichts bei mir da, meine Stimme öffnete sich. Mein Vater kam ganz aufgeregt ins Zimmer und schrie „Wer war das, wer war das?“. Ich hatte vorher noch keine Ausbildung, das war ganz natürlich.


    Mit vierzehn Jahren begann ich dann meine Ausbildung in einer öffentlichen Musikschule. Wir konnten uns keine Privatschule leisten .


    In Ihren offiziellen Biographien wird über die Jahre 1998-2002 immer der Mantel des Schweigens ausgebreitet. Naturgemäß muss ich Sie fragen – was taten Sie während dieser Zeit?


    Ich arbeitete als Assistent in einer Rechtsanwaltskanzlei. Am Abend setzte ich dann mein Gesangsstudium fort. Drei Mal habe ich für eine Stelle im Chor für das Teatro Colon vorgesungen, wurde aber immer abgelehnt. Die Begründung war, dass ich noch zu jung sei. Ich glaube aber, dass das eher politische Entscheidungen waren, da viele Kollegen meinem Vater sehr übel nahmen, dass er die Einladung nach Wien nicht angenommen hat. Niemand in seinem Kollegenkreis hatte für seine Entscheidung damals ein Verständnis. Ich habe mich dann für diverse Stipendien beworben und bin nach New York City übergesiedelt. Das war im Jahr 2001.


    Als ich nach New York City ging bekam ich einige Stipendien und Preise in Gesangswettbewerben welche mir meine Karriere ermoeglichten.


    Sie finanzierten dann ihr Studium auf eine sehr spezielle Art und Weise?


    Ja. Es gibt in New York das berühmte Opernkaffeehaus „Caffe Taci“, das zu jener Zeit Ecke Broadway/110th Street angesiedelt war. Ich sang dort für die Gäste Opernarien und neapolitanische Lieder. Es ist ein Treffpunkt für Opernsänger, Schüler der Juilliard Music School. Es kam da vor, dass an bestimmten Abenden 40 verschiedene Sänger und Sängerinnen auftraten. Auch bereits berühmte Sänger wie zum Beispiel René Pape oder Franco
    Corelli lernte ich dort kennen. Und – was für den weiteren Verlauf meiner Karriere sehr wichtig war – unter den Gästen befand sich auch der Assistent von
    Baz Lurhmann, dessen international bekanntester Film sicherlich „Moulin Rouge“ mit Nicole Kidman ist. Ihm gefiel meine Stimme und er lud mich zu einer Audition ein. So erhielt ich die Rolle für die Broadway-Produktion der „La Boheme“, die dann sieben Monate lang lief.


    Eine Oper am Broadway? Wie hat das funktioniert?


    Na ja, es war für mich natürlich nicht gleichwertig mit Operngesang, da wir alle an Mikrophone angeschlossen waren. Es war aber trotzdem eine tolle Erfahrung. Fast jeden Tag waren Leute aus Hollywood im Theater – zum Beispiel Nicole Kidman, Jim Carrey, aber auch Andrew Lloyd Webber konnte man im Publikum und dann Backstage begrüßen. Das ganze spielte sich 2003 ab.


    Vorher nahm ich an ein paar Gesangswettbewerben teil und konnte unter anderem auch in der Carnegie Hall auftreten.


    Sie waren ja bei Bewerben sehr erfolgreich. Welchen Stellenwert messen Sie diesen Veranstaltungen bei?


    Für
    mich sind das hauptsächlich Werbeveranstaltungen. Es geht da gar nicht darum, dass man den Bewerb gewinnt, es geht eher darum, dass man Kontakte knüpft.


    Sie produzierten dann auch eine CD, die auf diversen Market-Places zwischen 35 und 80 Dollar gehandelt wird?


    Ja, das tat ich auch zur Promotions-Zwecken. Ich schickte dann diese CDs unter anderem an die BBC und war insofern erfolgreich, als dass ich dann
    2005 am „BBC Cardiff Singer of the World“-Bewerb teilnehmen durfte. Ich verkaufte die CDs, von denen 1000 Stück gepresst wurden, damals um 10 Dollar.


    Welche Personen haben Ihre Karriere gefördert oder Ihnen die Richtung vorgegeben?


    Meine wichtigste Bezugsperson war Eugene Kohn, der ja schon mit Callas, Domingo, Pavarotti, Corelli, Bergonzi, Scotto und Tebaldi zusammen gearbeitet hat. Er hat an meiner Technik gearbeitet und ich bin ihm wirklich dankbar dafür. Ira Siff wiederum hat mir beigebracht, wie wichtig Disziplin in diesem Beruf ist. Und dann natürlich Erik Seitter und Michael Gruber, der mich dazu ermutigt hat, den Sprung nach Europa zu wagen. Schlussendlich hatte ich dann 2005 in Nürnberg mein Europadebüt als Pinkerton.


    Seitdem sind Sie ja gut gebucht. Waren Sie immer freischaffend oder ist für Sie eine Stelle im Ensemble eines großen Hauses denkbar?


    Ich bevorzuge es, freischaffend zu sein und singe zur Zeit lieber große Rollen in mittleren Häusern als kleine Rollen in großen Häusern. 2008 war ich für ein halbes Jahr im Ensemble der Deutschen Oper Berlin tätig. Es war eine interessante Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Unter anderem kam ich so
    zu einem Gastspiel nach Japan.


    Wenn man Ihr Repertoire betrachtet fällt einem auf, dass Sie keine Mozartrollen gesungen haben. Ist dieser Komponist für Sie nicht so wichtig?


    Von Anfang an fühlte ich mich zu Verdi und Puccini hingezogen. Meine Stimme geht mehr ins Dramatische. Ich habe bereits Don José, Cavaradossi, Alfredo, Des Grieux, Radames oder Turridu in meinem Repertoire. Zur Zeit bereite ich meine Rollendebüts für den Ismaele, Don Carlo und Gabriele Adorno vor. Mein großes Ziel ist der Otello. Ich hoffe, dass ich dafür in etwa sechs Jahren bereit bin, davor vielleicht noch die Forza del Destino. Meine Interessen und auch meine Stimme liegen sicherlich im dramatischen italienischen und franzoesischen Fach.


    Gibt es ein bestimmtes Opernhaus, in dem Sie unbedingt einmal auftreten wollen?


    Nicht wirklich. Ich will auf der ganzen Welt singen und das Publikum verdient überall Respekt. Die ganze Menschheit verdient es, Opern zu hören. Um ein Mozart-Zitat abzuändern – ich möchte so viel wie möglich singen, und das bis zum letzten Tag meines Lebens. Die Opernhäuser sind für die Musik gemacht und nicht die Musik für das Theater!


    Das bringt uns zur unumgänglichen Frage – traditionelle oder moderne Produktionen?


    Das ist mir egal, es ist einfach wichtig, dass die Konzeption nicht gegen das Libretto und die Musik gerichtet ist. Ich darf zwar noch nichts zur Neuproduktion der „Manon Lescaut“ in Graz sagen, allerdings hat Herheim ein ganz tolles Konzept, das die Geschichte erzählt, obwohl er verschiedene
    Blickwinkel einfließen lässt. Oper kann so spannend sein und es wird viel Action geben! Das Publikum soll sich bei einer Opernaufführung wie bei einem
    „Batman“-Film im Kino unterhalten können – und dazu kommt dann noch die wunderbare Musik und ein wunderbarer Gesang hinzu!


    Wie vorhin angesprochen bereiten Sie neue Rollen vor. Wie gehen Sie dabei vor?


    Zuerst lese ich das Libretto und Sekundärliteratur zum Thema. Anschließend höre ich mir die gesamte Oper in verschiedenen Interpretationen an. Dann versuche ich mich in die Figur, die ich darstelle, reinzudenken und dabei Parallelen zu meinem Leben zu finden. Was könnte der Charakter fühlen.


    Bei Helden ist das wahrscheinlich eher leichter als wenn man Figuren wie Pinkerton oder Turridu darstellt?


    Ja, da kann es schon vorkommen, dass man in seiner eigenen Seele ein paar dunkelschwarze Winkel durchforsten muss und mit sich selbst auch ins Reine kommen muss. Turridu sehe ich aber eher als Opfer. Für mich ist da die „Böse“ eindeutig Lola. Sie will einen jungen, tollen Liebhaber, aber auch nicht auf viel Geld verzichten. Das Geld erhält sie von Alfio. Dann sieht sie, dass Turridu Santuzza heiraten möchte, was ihr auch nicht so Recht ist. Ich bin sicher, dass Turridu, wenn er reich wäre, schlussendlich die Lola auch nicht zufriedenstellen könnte. Sie ist eine Frau, die immer mehr will. Ähnlich gestrickt ist ja auch Manon Lescaut.

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    Gaston Rivero als Des Grieux
    – an der Oper Leipzig.
    Foto: Andreas Birkigt


    Des Grieux sehe ich irgendwie als Idealisten an. Er hat tiefe Gefühle, ist auch ein wenig kapriziös, weil er wirklich glaubt, dieses Mädchen ändern zu können. Er kann sie nicht ändern, es gibt bei solchen Frauen nur eine Möglichkeit – „Love her as she is or leave her!“


    Heutzutage wird der optische Aspekt im Operngeschehen immer wichtiger. In welchem Verhältnis sehen sie Gesang und Schauspiel?


    Heutzutage ist das Verhältnis sicherlich 1:1. Auch da entwickelt man sich als Singschauspieler immer weiter. Ich kann mich noch an meinen ersten Don José erinnern – als ich ein paar Jahre später ein Video von mir sah, merkte ich, dass ich zwar wirklich gut gesungen habe, mich aber auf der Bühne wie
    Frankenstein bewegte. Da habe ich mich in den letzten Jahren sehr weiterentwickelt.


    Sie haben sicherlich schon einiges im Laufe Ihrer Karriere erlebt? Haben Sie für unsere Leser eine kleine Schnurre bereit?


    Ich hatte einige lustige Erlebnisse auf der Buehne. Ein Erlebnis davon war in einer Traviata Produktion Violetta, die, wenn ich sang, ununterbrochen Hustenanfälle vortäuschte – wenn sie an der Reihe war, war ihr Husten plötzlich verschwunden…


    Viele Opernbesucher warten eigentlich immer nur auf das „Hohe C“. Spüren Sie da einen Druck?


    Wenn man eine gute Technik hat, sollte das Erreichen dieses Tones kein Problem sein – wenn man die Voraussetzungen dazu hat. Für mich ist das der Orgasmus der Stimme und ich erfreue mich immer daran. Nein, ich setze mich da nicht unter Druck.


    Zum Abschluss noch die 10 Fragen des Bernard Pivot


    1) Was ist Ihr Lieblingswort?


    Das ist jetzt wirklich sehr klischeehaft für einen Tenor, aber mein Lieblingswort ist „Liebe“


    2) Welches Wort mögen Sie am wenigsten?


    Verrat


    3) Was gibt Ihnen ein gutes Gefühl – kreativ, emotional oder spiritiuell?


    Kann es für einen Hetero-Mann etwas Schöneres geben als den Körper einer Frau?


    4) Was gibt Ihnen ein schlechtes Gefühl?


    Arroganz


    5) Welches Geräusch oder welchen Lärm mögen Sie?


    Das Ausatmen


    6) Welches Geräusch oder welchen Lärm mögen Sie nicht?


    Das Geräusch, das Menschen machen, wenn sie mit offenem Mund essen


    7) Was ist Ihr Lieblings-Schimpfwort?


    Oj wej!


    8 ) Welchen Beruf außer Ihrem jetzigen hätten Sie sonst gerne ergriffen?


    Fischer


    9) Welchen Beruf mögen Sie überhaupt nicht ausüben?


    Psychiater, Präsident


    10) Wenn der Himmel existieren sollte, was würden Sie gerne von Gott hören, wenn er Sie am Himmelstor empfängt?


    Gut gemacht!

    Hear Me Roar!