SCHUMANN, Robert Alexander: DAS PARADIES UND DIE PERI


  • Robert Alexander Schumann (1810-1856):


    DAS PARADIES UND DIE PERI
    Oratorium in drei Teilen für Soli, Chor und Orchester, op. 50
    Libretto nach „Lalla Rookh“ von Thomas Moore von Robert Schumann und Emil Flechsig


    Uraufführung am 4. Dezember 1843 in Leipzig, Gewandhaus



    DIE PERSONEN DES ORATORIUMS


    Die Peri (Sopran)
    Eine Jungfrau (Sopran)
    Ein Engel (Mezzosopran)
    Ein Jüngling (Tenor)
    Ein Mann (Bariton)
    König Gazna (Bass)
    Ein Solo-Tenor
    Chor



    INHALTSANGABE


    Die Fabel des Dichters Thomas Moore (1779-1852), in Stichworten angedeutet, beschreibt die Sehnsucht der Peri, Tochter eines Engels und einer Irdischen, nach dem verlorenen Paradies, aus dem sie verstoßen wurde. Ein Engel, der ihr Seufzen hört, verheißt ihr die Möglichkeit einer Rückkehr in die himmlischen Gefilde, wenn sie „des Himmels liebste Gabe“ vor Gottes Thron trage.


    Schumann schreibt ein kurzes Andante in E-Dur als Einleitung, das in seiner verhaltenen Stimmung zwischen Wehmut und Frohsinn schwebt; die Musik könnte als ein Motiv der Sehnsucht der Peri nach Seligkeit gedeutet werden. Auf jeden Fall wird schon in diesen ersten Takten der Lyriker und Liederkomponist erfahrbar.

    Erster Teil


    Der Solo-Alt stellt die tragische Heldin des Stückes zunächst vor: Trauernd steht die Peri vor den Pforten des Paradieses; sie lauscht den wunderschönen Klängen, die an ihr Ohr dringen und muss weinen, weil ihr die Pforten zu den „Auen“ verschlossen sind. Dann aber äußert sie sich erstmals in einer liedhaften Arie ("Wie glücklich sie wandeln, die seligen Geister"), deren Trauer durch eine naive Schlichtheit ausgedrückt wird, und durch die sie den Hörer unmittelbar für sich einnehmen kann.


    Der Solo-Tenor, der nach alter Tradition die Rolle des italienischen „Testo“ oder Erzählers in den klassischen Oratorien und Passionen wahrzunehmen hat, kündigt einen Engel an, der die Peri beobachtet hat und von deren Geschichte zu Tränen gerührt war. Dieser Engel gibt nun der Peri den Hinweis, dass sie Erlösung erlangen kann:


    Es sei der Schuld die Peri bar, die bringt zu dieser ew’gen Pforte
    des Himmels liebste Gabe dar!

    Diese Arie ist wegen der getragen-zarten Holzbläserbegleitung ein bewundernswertes Musikstück.


    Hier setzt nun das eigentliche Geschehen ein, denn die Peri überlegt in einem melodischen As-Dur-Satz, was dem Himmel genügen, und was ihr die ersehnte Seligkeit zurückgeben könnte - Hoffnung und Zweifel halten sich die Waage. Aber immerhin macht sie sich, wie der Erzähler berichtet, sofort auf den Weg zur Erde, zunächst nach Indien.


    Hier erfährt der Hörer durch ein Solistenquartett von der überirdischen Schönheit des Landes - ein Paradies auf Erden mit Sonne und Meer, Palmen und rieselnden Bächen. Die gelöst-heitere F-Dur-Stimmung wird aber plötzlich durch eine sehr auffällige Modulation nach Des-Dur abrupt abgelöst: der Chor, wohl ein verängstigtes Volk darstellend, erzählt von Krieg und Tod und von durch Menschenblut rot gefärbten Flüssen. Gazna, der Tyrann, naht, um das irdische Eden mit Verwüstung zu überziehen. Das chorisch erzählte Bild wird musikalisch durch auftrumpfende Bläserfanfaren und wilde Streicherfiguren erschreckend plastisch ausgemalt - eine der wenigen dramatischen Stellen in diesem Werk.


    Der Erzähler weiß von einem verletzten Jüngling zu berichten, der sich nicht kampflos ergeben will. Der Chor, aufgeteilt in „Eroberer“ und „Verteidiger“, jubelt einerseits dem Sieger Gazna zu und wünscht ihm andererseits gleichzeitig den Untergang. Und aus dem orchestralen Lärm erklingt plötzlich Gaznas Bass-Stimme, der jenen verletzten Helden auffordert, sich zu ergeben. Der aber widmet dem „Würger der Brüder“ seinen letzten Pfeil, der jedoch sein Ziel verfehlt.


    Die Klagerufe des Chores beweinen das Ende des jünglingshaften Helden. Der Erzähler sieht die Peri den letzten Blutstropfen des Sterbenden auffangen, um ihn als Gabe der „Hüterin des Paradieses“ zu übergeben. Der Chor sieht in dem Tod des Helden ein Opfer für die Freiheit; der Romantiker Schumann schreibt einen fugierten Satz, greift also auf tradierte polyphone Kompositionstechniken zurück, füllt ihn aber harmonisch mit der ihm eigenen romantisch-modernen Harmonie aus. Vielleicht darf man diesen Chorsatz als den musikalischen Höhepunkt des Oratoriums ansehen.


    Zweiter Teil


    Der Tenor in seiner Eigenschaft als Berichterstatter des Geschehens beginnt den zweiten Teil mit einer liedhaften Erzählung, die mit den Worten


    Die Peri tritt mit schüchterner Gebärde vor Edens Tor,
    Im Herzen Himmelshoffnungsglück: Ob sich die Pforte öffnen werde,
    Sie fragt’s mit stummem Liebesblick

    schließt. Der Engel der himmlischen Pforte erwartet, schon wissend, was ihm übergeben wird, die Peri, lehnt aber die Gabe zu deren Enttäuschung ab:


    Viel heil’ger muss die Gabe sein, die dich zum Thron des Lichts lässt ein.

    Der Chor der Engel wiederholt diese Worte, die der Peri wie Peitschenhiebe im Ohr klingen, und ihre Trauer noch vertiefen.


    Der Testo berichtet, dass der sündige Engel sich abermals auf die Erde begab und jetzt im heißen Afrika landete, an den Quellen des Nils „ihr matt Gefieder“ badete, aber keinen „Erdgeborenen“ sah. Jedoch entsteigen den Fluten des mächtigen Stromes die Nilgenien, um der traurigen Peri zu huldigen. Es ist musikalisch ein wirklich bezauberndes Genrebild, das seinen Charme aus den sich immerzu bewegenden Streicherfiguren empfängt, die dann in einen lieblichen Chorsatz münden. Dessen aus Dreiklangsthemen bestehende Musik wird von der Peri mit den Melodien ihrer Sehnsuchts-Arie aus dem ersten Teil wie ein Kontrapunkt fortgeführt.


    Aber die gelöst-heitere Stimmung hält sich nicht, sie schlägt in grauenvolle Düsternis um, da der Erzähler von der Pest in Ägypten spricht, die die Peri zum Weinen bringt, weil ihr das Leid und die Angst der Menschen nahe geht. Als ob diese Tränen den beklagenswerten Opfern eine Hilfe seien, äußern sich an dieser Stelle vier Betroffene, ein Solistenquartett:
    Denn in der Trän’ ist Zaubermacht, die solch ein Geist für Menschen weint.


    Während das an das Quartett „attacca“ anschließende Alt-Solo (das die Erzählung des Testo übernimmt und unmittelbar fortsetzt) als typischer Schumann-Satz in höchster Vollendung anzusehen ist, sind die voraufgehenden musikalischen Genrebilder eindeutig von Mendelssohnschen Naturschilderungen geprägt. Das in der Form einer Romanze vertonte Alt-Solo wird von seufzenden Vorhalteakkorden des Orchesters begleitet und weist der Peri den Weg zu einem Pestkranken:


    Im Waldesgrün am stillen See, da seufzt ein Jüngling im schweren Weh;
    Gepackt von der tötenden Seuche stahl er her sich zu enden seine Qual.


    Der Jüngling tröstet sich mit dem Gedanken, seine Braut fern und in Sicherheit zu wissen, aber die hat ihn gesucht und kommt jetzt zu ihm, ihn zu trösten und sein schweres Los mit ihm zu teilen. Mezzo und Tenor teilen sich sich den Erzähl-Vorgang, in den jedoch die Sopranstimme der geliebten Braut unterbrechend einfällt und dem Todkranken ihre Bereitschaft erklärt, gemeinsam mit ihm in den Tod zu gehen.


    Der Testo berichtet vom Tod des Jünglings, den die trauernde Braut beklagt, ehe sie ihm ihren letzten Kuss, selber sterbend, gibt. Die Peri begleitet dieses Sterben mit einem Gesang zu leisen Streicherklängen mit begleitenden Bläserakkorden, einem Schlaflied gleich, aus dem sich dann (in lichtem H-Dur) der Schlusschor des zweiten Teils entwickelt:


    Sie sprach’s, und Himmelshauch durchfließt von ihren Lippen diese Stelle,
    Sie schwingt den Strahlenkranz und gießt auf beider Antlitz solche Helle,
    Dass wie ein Heil’genpaar sie lagen, indes die Peri wacht, und Licht
    Mild strahlt in ihre Todesnacht, bis ihre Seelen auferwacht.


    Dritter Teil


    Nach dem beruhigenden Ausklang des zweiten Teils beginnt der dritte mit einer fast schon possenhaft zu nennenden Szene. Die Houris, freundliche Genien des Paradieses, besingen die himmlischen Freuden mit orientalischem Kolorit, der „türkischen Musik“, deren charakteristischer Klang durch Triangel, Becken und Trommeln bestimmt wird:


    Schmücket die Stufen zu Allahs Thron, schmückt sie mit Blumen, Freundinnen alle,
    Dass auf des Himmels Unterste auch gnädig ein Blick des Ewigen falle.


    Währenddessen naht die Peri mit der zweiten Gabe, den letzten Seufzern des Sterbenden und seiner Braut, die ihr des Himmels Tor öffnen soll. Doch weiß der Berichterstatter, dass sich das Tor zur Seligkeit wieder nicht für die Peri öffnen und der Engel sie erneut zurückweisen wird:


    Doch, Peri, noch währt der Verschluss von Edens Tor:
    Viel heil’ger muss die Gabe sein, die dich zum Tor des Lichts lässt ein!


    Der armen Peri bleibt nichts anderes übrig, als sich nochmals auf die Erde zu begeben. Ein Bariton-Solo berichtet der den Schönheiten des Landes Syrien und der majestätischen Landschaft des Libanon. Diese neue Szene wird durch eine Schar von Peri, die mit ihrem eigenen Los zufrieden sind, heiter-ironisch eingeleitet, indem sie ihrer Genossin, die sich nach Erlösung sehnt, Spott angedeihen lassen:


    Peri, ist’s wahr, dass du in den Himmel willst?
    Genügt dir nicht das Sonnenlicht und Sterne, Mond und Erde?
    Peri, ist’s wahr, dass du in den Himmel willst, so nimm uns eilig mit!


    Doch die so Verspottete lässt sich nicht beirren und begibt sich nach „Baalbeks Tal“, wo sie ein spielendes Kind erblickt, und einen Verbrecher, dessen Gesicht von den Spuren seiner Laster gezeichnet ist. In diesem Mann geht durch den Anblick des zunächst spielenden, jetzt sich aber ausruhenden Knaben eine merkwürdige Veränderung vor sich: in ihm regt sich die andere Seite seines Wesens, die ihm seine eigene Kindheit in das Gedächtnis zurückruft, und ihn bewußt werden lässt, dass auch er früher ein anderer, ein zu großer Hoffnung neigender junger Mensch war. Tränen der innigen Reue rinnen ihm über die Wangen, Tränen, die ihn zur Umkehr mahnen.


    Ein sehr feierlicher Quartettsatz, dem der Chor sich beigesellt, kündet von der Wandlung des reuigen Sünders. Die Peri aber fängt eben jene Tränen der Reue auf und sie ist sich in diesem Augenblick sicher, dass diese Tränen ihr des Himmels Pforten öffnen werden:


    Freud’, ew’ge Freude, mein Werk ist getan, die Pforte geöffnet zum Himmel hinan
    Wie selig, o Wonne, wie selig ich bin!


    Ein hymnisches Chorfinale feiert tatsächlich ihre Aufnahme in die Gefilde der Seligen, die arme Peri ist nun die „entsündigte“ Peri:


    Willkommen, willkommen unter den Frommen!
    Du hast gerungen und nicht geruht, nun ist’s errungen das köstliche Gut.
    Ja, gibt es ein Opfer der Erdenwelt, ein Geschenk, das teuer der Himmel hält,
    Die Träne ist’s, die du gebracht, die aus dem Aug’ des Sünders floss
    Die dir den Himmel wieder erschloss.


    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Die Entstehungsgeschichte des Oratoriums DAS PARADIES UND DIE PERI zeigt die typische Arbeitsweise von Robert Schumann: Im Dezember 1840 notierte er, Thomas Moores Erlösungsmythos „Lalla Rookh“ könnte ideales Material für eine Oper sein. 1841 begann sein Freund Emil Flechsig mit der Übersetzung; danach ging Schumann die Vorlage mit dem Dichter Adolf Böttger mit Kürzungen und Verbesserungen kritisch durch. Im Februar 1843 begann er mit der Komposition und vollendete die ersten beiden Teile innerhalb von zwei Monaten. Nach einigen Wochen der Ruhepause schloss er das Werk zunächst ab, revidierte es von Juli bis September und im Oktober begannen die Proben zur Uraufführung, die am 4. Dezember 1843 im Leipziger Gewandhaus unter Schumanns Leitung mit großem Erfolg erfolgte.


    Den ursprünglichen Gedanken an eine Oper hatte Schumann wohl noch vor Beginn der Komposition aufgegeben, denn er ließ seinen Freund Carl Kossmaly wissen, dass ihn ein „neues Genre für den Konzertsaal“ beschäftige. Eine Bezeichnung als Oratorium vermied er für DAS PARADIES UND DIE PERI ganz bewußt. Dennoch steht das Werk der Gattung des geistlichen Oratorium nicht so fern, wie es den Anschein hat: es kann, trotz seines exotischen Themas, als religiöser Stoff gewertet werden.


    Schumann wählte für das Werk im Gegensatz zur Tradition die durchkomponierte Form, in der er die einzelnen Nummern der drei Teile durch sorgfältig gearbeitete Überleitungen verband. Differenziert und sorgsam ausbalanciert verbinden sie die erzählenden, lyrischen und dramatischen Teile. Stücke mit erzählendem Charakter erhielten einen „sprachnahen“ Gesang (wie er sie schon in seinen Liedern und Balladen erprobt hatte), anstelle von erzählenden Rezitativen. So betrachtet fließen die Formen von Bericht, Betrachtung und Lyrik ineinander über.


    © Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Libretto
    Oratorienführer von Oehlmann, Harenberg und Pahlen
    Partitur als PDF-Datei bei „International Music Score“

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    MUSIKWANDERER

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  • Die Tamino-Werbepartner Amazon und jpc halten eine große Anzahl von Aufnahmen des Schumann-Oratoriums bereit, von denen hier einige aufgezeigt werden sollen (ohne dass damit eine Wertung verbunden ist):



    Gustav Kuhn dirigiert Chor und Orchester der Bamberger Symphoniker; es singen die Peri: Sharon Sweet; Sopran-Solo: Julie Kaufmann; Alt-Solo: Marga Schiml; Tenor-Solo: Eberhard Büchner; Bariton-Solo: Alan Titus; Bass-Solo: Michael Schopper; Engel: Marga Schiml; Gazna: Michael Schopper; Jüngling: Walter Planté; Mezzosopran-Solo: Marilyn Schmiege, Faridah Subrata.


    Nikolaus Harnoncourts Aufnahme mit Dorothea Röschmann, Bernarda Fink, Werner Güra, Christian Gerhaher, Malin Harterius; Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.


    John Eliot Gardiner leitet den Monteverdi Choir und das Orchestre Revolutionnaire et Romantique; Bariton-Solo: Cornelius Hauptmann; Engel: Bernarda Fink; Erzähler: Christoph Prégardien; Gazna: Gerald Finley; Jüngling: Neill Archer; Peri: Barbara Bonney; Tenor-Solo: Christoph Prégardien.


    als Peri: Magdaléna Hajóssyovà; als Engel: Marga Schiml; Gazna: Hermann Christian Polster; Jungfrau: Carola Nossek; Jüngling: Klaus König; Mann: Siegfried Lorenz; Solistenquartett des Rundfunkchores Leipzig, RSO Leipzig; Leitung Wolf-Dieter Hauschild.


    Giuseppe Sinopolis Einspielung mit dem Chor der Staatsoper Dresden und der Staatskapelle Dresden; die Peri singt: Julia Faulkner; Engel: Florence Quivar; Jüngling: Robert Swensen; Bass-Solo: Robert Hale; Mezzosopran-Solo: Elisabeth Wilke, Florence Quivar; Sopran-Solo: Heidi Grant Murphy; Tenor-Solo: Keith Lewis.


    nebenstehend eine historische Aufnahme mit Agnes Giebel, Heinz Hoppe, Käthe Möller-Siepermann, Peter Witsch, Hilde Rössel-Majdan; Chor und Orchester des Westdeutschen Rundfunks, Leitung Mario Rossi.


    :hello:

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    MUSIKWANDERER


  • Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auch auf die schöne Aufnahme aus Düsseldorf, die zur Zeit leider nur in dieser Sammelbox erhältlich ist:


    Die Düsseldorfer Symphoniker spielen unter Henryk Czyz, die Chorpartien übernimmt der Düsseldorfer Musikverein. Als Solisten seien genannt Edda Moser, Brigitte Fassbaender und Nicolai Gedda.



    LG
    Portator