vor 195 Jahren geboren: Theodor Storm

  • Hans Theodor Woldsen Storm (* 14. September 1817 in Husum; † 4. Juli 1888 in Hanerau-Hademarschen) war ein deutscher Schriftsteller, der sowohl als Lyriker als auch Autor von Novellen und Prosa des deutschen Realismus mit norddeutscher Prägung bedeutend war.
    Im bürgerlichen Beruf war Storm Jurist.


    [timg]http://ecx.images-amazon.com/i…_SH20_OU03_.jpg;l;300;300[/timg]Der Rechtsanwalt wurde 1852 von den Dänen wegen politischer Opposition ausgewiesen und kehrte 1864 als Landvogt in seine nun deutsch gewordene Heimatstadt zurück.
    Ab 1879 war Storm Amtsgerichtsrat. Er starb am 4. Juli 1888 in Hademarschen.
    Theodor Storm gilt als einer der wichtigsten Vertreter des poetischen Realismus. In seinem Werk ist er thematisch den Menschen und der Landschaft seiner norddeutschen Heimat zugewandt.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Oh, da ist er ja der Storm.
    Ich oute mich hier jetzt mal als ganz große Storm-Freundin (das muss das Nordische in mir sein). Als wir "Der Schimmelreiter" in der Schule durchgenommen haben, haben ich das gehasst und unendlich langweilig gefunden. Erst viel später habe ich Storm für mich entdeckt. Ein Atmosphäriker vor dem Herren und immer so herrlich melancholisch (eigentlich geht bei ihm ja nie etwas wirklich gut aus). Meisterhaft in der kleinen Form, da fehlt nie etwas und ein kleiner Psychologe war er auch, obwohl er sicherlich noch nichts vom Unbewussten gehört hat.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Man muss kein Norddeutscher sein, um Storm bedingungslos zu verfallen. Ich kenne praktisch alles von ihm, seit ich Schüler bin (kein Wunder, mein Vater war Bibliothekar und unter seinen 5000 Bücher war natürlich auch Storm). Dem, was SchallundWahn so schön beschrieben hat, habe ich nichts hinzuzufügen. Allerdings halte ich den Schimmelreiter nicht für sein bedeutendstes Werk. Nur einen liebe ich genauso, das ist Theodor Fontane; hier bin ich der einzige, den ich kenne, der alle 16 Romane gelesen hat, und das nicht nur einmal (standen ja alle bei uns rum). Storm und Fontane kannten sich gut, sie waren schließlich in der gleichen Verbindung in Berlin ("Tunnel über der Spree"; hätte auch "Brücke unter der Spree" heißen können).

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Hallo Doktor,
    immer schön zu wissen, dass es Gleichgesinnte gibt. Was "Der Schimmelreiter" angeht, stellt sich die Frage, was verstehst zu unter 'bedeutend'? Formal gesehen, ist das schon eine seiner ausgereiftesten Sachen, ich ganz persönlich habe aber auch andere Werke lieber.
    Übrigens mag ich auch Fontane (aber einige ungelesene Romane stehen noch im Regal). Auch so Schullektüre, die ich damals gehasst habe und später erst schätzen lernte (die Schule verdirbt viele Leute für die Literatur, glaube ich).

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Du hast Recht; literaturgeschichtlich war der Schimmelreiter sicher bedeutend, aber ich spreche hier von persönlichen Vorlieben, ich konnte und kann mich in diese Welt der Deiche nicht so recht hineinfinden, das ging bei anderen Stücke wie etwa "Acquis submersis" besser. Aber du hast mich auf eine Idee gebracht. Nach meiner Pensionierung 2004 habe ich fast alle Klassiker nochmal gelesen, besonders die Novellen und Romane. Im Winter (vorher natürlich nicht!) werde ich mir Storm noch mal vornehmen! Das mit der Schule war bei mir etwas anderes, ich kannte ja vieles schon, und unser Haushalt war ein Bücherhaushalt und ich neben dem Vater der eifrigste Leser; mit meiner Mutter war ich der einzige Musiker. Meine Brüder hatten es weder mit Musik noch mit Literatur, profitierten aber in der Schule immer von meiner Deutsch- und Musiknote. Heute bin ich befreundet mit einem Enkelkind meiner Freunde; sie ist 9 und liest alle 2 Tage ein Buch. Wenn ich von meiner Kindheit als Leseratte erzähle, kriegt sie feuchte Augen. Daraufhin erhält sie jetzt jede Woche von mir ein Buch per "Dr. Pingel´s Kinderbuchexpress". Meist ein gebrauchtes von amazon, so werde ich sie ein wenig durch die Kinderbuchliteratur führen, was den Vorteil hat, dass ich viele davon selbst nochmal lesen kann. Dieses Kind kann die Schule nicht verderben. Ganz im Gegenteil übrigens, sie hat einen Lehrer, der das sehr schätzt und sie absolut ermuntert und fördert!

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  • Zu der Bemerkung in Klammern von SchallundWahn: „… (die Schule verdirbt viele Leute für die Literatur, glaube ich).“

    Dem möchte ich widersprechen, - jedenfalls in der allgemeingültigen Form, wie es hier formuliert ist. Es hängt doch wohl sehr stark vom jeweiligen Lehrer bzw. der Lehrerin ab. Ich hatte das Glück, gleich zwei Deutschlehrer zu erleben, die mich als jungen Menschen dazu gebracht haben, mit wahrer Begeisterung bis zu den Ohren in die deutsche Literatur einzutauchen.


    Was Storm anbelangt: Im heutigen gymnasialen Deutschunterricht kommt er kaum noch vor. Was ich überaus schade finde, denn er ist ein Erzähler von einer überaus subtilen, stark lyrisch angehauchten, gleichwohl sehr präzisen Sprache.


    Thomas Mann hat ihn überaus treffend charakterisiert:
    „Das hohe und innerlich vielerfahrene Künstlertum Storms hat nichts zu schaffen mit Simpelei und Winkeldumpfigkeit, nichts mit dem, was man wohl eine Zeitlang >Heimatkunst< nannte. Die Sprache, zu der das dünne Platt seiner Mundart sich im Werke erhebt und reinigt, scheidet ihn streng von der behaglichen Mesquinität jener Sphäre, sie besitzt die absolute Weltwürde der Dichtung, und das >Gemüt< hat bei ihm noch die volle romantische Geistigkeit und Intensität – es ist fern von aller Entartung und Erniedrigung zum Gemütlichen.“


    In Storms Dichtung trifft man auf eine eigentümliche Sehnsucht nach etwas Verlorenem, eine Art Ur-Heimweh. Das verleiht ihr einen Reiz, der aus meiner Sicht bedingt, dass sie auch unserer Zeit etwas zu sagen und zu geben hat. Storm hat – und das ist bezeichnend für seine geistige Wachheit als Dichter – das sehr wohl als seine künstlerische Eigenart bemerkt:


    „Liegt eine Zeit zurück in meinem Leben,
    Wie die verlorene Heimat schaut sie aus,
    Nach der im Heimweh die Gedanken streben.“


    (Eine Empfehlung für dr.pingels „Winterlektüre“ habe ich noch: „Ein Fest auf Haderslevhus“)

  • Zu der Bemerkung in Klammern von SchallundWahn: „… (die Schule verdirbt viele Leute für die Literatur, glaube ich).“

    Dem möchte ich widersprechen, - jedenfalls in der allgemeingültigen Form, wie es hier formuliert ist. Es hängt doch wohl sehr stark vom jeweiligen Lehrer bzw. der Lehrerin ab. Ich hatte das Glück, gleich zwei Deutschlehrer zu erleben, die mich als jungen Menschen dazu gebracht haben, mit wahrer Begeisterung bis zu den Ohren in die deutsche Literatur einzutauchen.


    Erstaunlich, dass du als Gegen"argument" für meine Allgemeinform (Allgemein heißt ja nichts anderes, als die meisten Leute) mit einer totalen persönlichen Erfahrung reagierst, nämlich deiner eigenen...das passt nicht recht zusammen, finde ich. Wenn ich von mir ganz persönlich ausgehe, hatte ich auch einen tollen Deutsch-Lehrer und bin ja auch Leseratte geworden, aber meine Mitschüler hatten ja den gleichen Lehrer und sind es trotzdem nicht geworden, der Lehrer ist vielleicht auch nicht alles (auch wenn er sicherlich wichtig sein kann), es kommt auch auf jeden selbst an. Aber der schulische Zwang in Verbund mit Benotung ist nicht hilfreich für den Spaß am Lesen.

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    (Friedrich Nietzsche)

  • Die Feststellung "Die Schule verdirbt viele Leute für die Literatur" ist in dem von mir aufgegriffenen Zitat mit dem Zusatz "glaube ich" versehen und damit in ihrer Allgemeingültigkeit relativiert worden.
    Insofern ist die Reaktion von SchallundWahn auf meinen Beitrag teilweise berechtigt.


    Mein Einwand richtete sich gegen derartige - wie meine unbedachte, plakative und sachlich nicht begründete - Verallgemeinerungen. Der sachlich argumentative Kern meines Einwandes war: Die Art und Weise, wie Literatur pädagogisch vermittelt wird, ist entscheidend. Und das ist nun die spezifische Leistung des einzelnen Lehrers, bzw. der einzelnen Lehrerin. Diese kann auch heute noch, wie ich glaube feststellen zu dürfen, Schülern den Zugang zur deutschen Literatur vermitteln. Von "Verderben" derselben kann in solchen Fällen keine Rede sein.


    Aber hier geht es ja um Theodor Storm. Insofern werde ich mich auf dieses hier von mir angeschnittene und vom Thread wegführende Thema nicht mehr einlassen.


    Schon im Jahre 1919 sah Hermann Hesse (in "Vivos voco") die spezielle Problematik einer Vermittlung von Storms Dichtung der Jugend gegenüber. Er meinte:
    "Alles in allem wird dieser Dichter gerade jetzt einen schweren Stand haben, die Jugend sieht sich von ihm, der noch weit mehr als Keller und C.F.Meyer zum typisch bürgerlichen Zeitalter gehört, unendlich weit entfernt."


    Diese "Entfernung" dürfte heute noch "unendlicher" sein, als sie es damals aus der Sicht Hesses schon war. Aber Hesse war sich auch sicher, dass ein Teil von Storms Dichtung lebendig bleiben werde. Und zwar, wie er es formulierte. "der romantisch-blasse Storm der lyrischen Novellen".


    Sie weisen nach meinem Dafürhalten einen ganz eigenen, eben im erzählerischen Lyrismus ihrer Sprache wurzelnden Zauber auf, der sie auch heute noch lesenswert macht.


    Im übrigen gilt das insbesondere auch für seine Lyrik. Es gibt sprachlich berückende Gedichte von Storm.

  • Wenn ich von mir ganz persönlich ausgehe, hatte ich auch einen tollen Deutsch-Lehrer und bin ja auch Leseratte geworden, aber meine Mitschüler hatten ja den gleichen Lehrer und sind es trotzdem nicht geworden, der Lehrer ist vielleicht auch nicht alles (auch wenn er sicherlich wichtig sein kann), es kommt auch auf jeden selbst an. Aber der schulische Zwang in Verbund mit Benotung ist nicht hilfreich für den Spaß am Lesen.


    (Da hast du etwas Wahres gesagt, und ich habe mir erlaubt, es fett zu schreiben und zu unterstreichen. Deinen nächsten Satz kann ich allerdings absolut nicht unterschreiben, denn Benotungen hat es immer gegeben, und trotzdem (oder vielleicht gerade?) sind viele (einschließlich mir) zu Literaturfreunden geworden. Viele. Natürlich nicht alle. So wie es bei der klassischen Musik eben auch ist. Wenn die Lehrer eines schönen Tages (der bei unseren Bildungsministerien vielleicht gar nicht so fern liegt) anfangen werden, den Schülern die Bewertungen vorzutanzen, werden garantiert auch nicht mehr Leseratten dabei herauskommen. )


    Doch nun zu Storm: Seinen "Schimmelreiter" halte ich für ein großartiges und zeitloses Werk, in dem der alte Gegensatz zwischen Fortschritt/ Rationalität und Ideologie/Borniertheit sehr eindrucksvoll und - leider tragisch endend - geschildert wird.
    Ein anderes Werk, das ich sehr schätze, ist "Pole Poppenspäler", eine ebenso melancholische Erzählung, die allerdings mal ein gutes Ende hat und sich den (unvereinbaren?) Unterschieden zwischen künstlerischer und bürgerlicher Welt widmet.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Ein anderes Werk, das ich sehr schätze, ist "Pole Poppenspäler", eine ebenso melancholische Erzählung, die allerdings mal ein gutes Ende hat


    Volle Zustimmung, liebe Sognatrice. Dieses Werk wurde Mitte der Fünfziger Jahre auch von der DEFA verfilmt. Ich erinnere mich, daß ich diesen Film viel später als Jugendlicher, ein paar Mal im TV gesehen habe. Aus dem Gedächtnis heraus, er hat mich damals melancholisch berührt.
    Ich habe gerade mal recherchiert, wen es ganz sehr interessiert, dieser Film ist inzwischen auf DVD zum Preis von 9,99 € zu haben. Auch "Der Schimmelreiter" ist in unterschiedlichen Filmen und Besetzungen auf DVD zu bekommen.


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

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  • Mit leisem Staunen stelle ich fest, dass es hier weitaus mehr Storm-Liebhaber gibt, als ich je vermutet hätte.


    Und nun stelle ich mir vor, dass man vielleicht in einen Dialog über diesen Schriftsteller eintreten könnte. Sich - wie hier geschehen - als Storm-Freund oder -Freundin zu "outen", ist ja schön und gut. Aber vielleicht könnte man ja doch diesbezüglich ein wenig konkreter werden und wenigstens andeuten, was man an Storm "so gut" findet.


    Wenn Strano Sognator bekennt: "Ein anderes Werk, das ich sehr schätze, ist "Pole Poppenspäler"..."


    ...dann wüsste ich gar zu gerne, was er an diesem kleinen Werkchen, das in der Welt der Puppenspieler spielt, in der es einen Paulsen, ein Liesei und ein Kasperl gibt, so anziehend findet. Das ist doch eine Welt, die längst untergegangen ist und - wie sagt Hermann Hesse? - von der unsrigen heute "unendlich weit entfernt" ist. Darin finden sich so wunderlich fremdartige Sätze wie:


    "Sie hatte ihr Köpfchen auf meine Schulter sinken lassen; ihre Augen waren schon geschlossen. >Was wird mei guts Vaterl -< lallte sie noch, dann hörte ich an ihren gleichmäßigen Atemzügen, daß sie eingeschlafen war. (...) Ein Streifen Mondlicht fiel auf das Gesichtchen, das nahe an dem meinen ruhte; die schwarzen Augenwimpern lagen wie seidene Fransen auf den Wangen, der kleine rote Mund atmete leise, nur mitunter zuckte noch ein kurzes Schluchzen aus der Brust heraus, aber auch das verschwand; die alte Bas´ schaute gar so mild vom Himmel."


    Noch einmal meine Frage:
    Ist das nicht gar zu weit weg von unserer Welt heute? Hat uns das als Literatur wirklich noch etwas zu sagen?

  • Es ist eine Sehnsuchtswelt. Weit weg von unserer Welt kann durchaus positiv sein. Das Gegenwärtige ist nicht zwangsläufig das Gute. In der Schule mussten wir - in der Sexta oder Quinta war das - dieses Gedicht auswendig lernen:


    "Es ist so still; die Heide liegt
    Im warmen Mittagssonnenstrahle,
    Ein rosenroter Schimmer fliegt
    Um ihre alten Gräbermale;
    Die Kräuter blühn; der Heideduft
    Steigt in die blaue Sommerluft.


    Laufkäfer hasten durch's Gesträuch
    In ihren goldnen Panzerröckchen,
    Die Bienen hängen Zweig um Zweig
    Sich an der Edelheide Glöckchen;
    Die Vögel schwirren aus dem Kraut -
    Die Luft ist voller Lerchenlaut.


    Ein halbverfallen' niedrig' Haus
    Steht einsam hier und sennbeschienen
    Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
    Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
    Sein Junge auf dem Stein davor
    Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.


    Kaum zittert durch die Mittagsruh
    Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten
    Dem Alten fällt die Wimper zu,
    Er träumt von seinen Honigernten.
    — Kein Klang der aufgeregten Zeit
    Drang noch in diese Einsamkeit."


    Was für einen wundervolle Schlussstrophe hat dieses Gedicht. Es hat sich seitg Schülertagen so festgesetzt, dass ich immer wieder diese Zeile vor mich hingemurmelt habe: "Kein Ton der aufgeregten Zeit, drang noch in diese Einsamkeit."


    Storm hat uns ebenso viel zu sagen wie der von mir höchstverehrte Fontane (dessen Prosa mir vertrauter ist als die von Storm, eine Bildunkslücke, ich gestehe).


    Der gute Heine war in seinem Urteil nicht immer treffsicher: Stifters Roman "Witiko" hat er ziemlich abgebürstet. Die Lektüre ist gewiss anstrengend, offenbart dennoch viel von Stifters Gedankenwelt, wenn man sich die Quellen anschaut, die er für diesen voluminösen historischen Roman studiert hat. Ergänzt man die Lektüre dann um die Novellen "Hochwald" und "Bergkristall" finden sich Bezüge zueinander, die, ergänzt um die Kenntnis der Stifterschen Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen einen ähnlichen Ton anklingen lassen wie der Schluss-Vers aus dem Gedicht "Abseits" von Theodeor Storm.


    Fontane wurde auch angesprochen. Mein Lektüretipp unter dem Blickwinkel, dass das Werk auc heute noch was zu sagen hätte (nun, das trifft auf die ganze Prosa Fontanes zu): der Kriminalroman "Quitt".


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Dieses Gedicht habe ich in der Schule gelernt:


    Die Stadt


    Am grauen Strand, am grauen Meer
    Und seitab liegt die Stadt;
    Der Nebel drückt die Dächer schwer,
    Und durch die Stille braust das Meer
    Eintönig um die Stadt.



    Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
    Kein Vogel ohn Unterlaß;
    Die Wandergans mit hartem Schrei
    Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
    Am Strande weht das Gras.



    Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
    Du graue Stadt am Meer;
    Der Jugend Zauber für und für
    Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
    Du graue Stadt am Meer.




    Es ist dies ein herausragendes Stimmungsgedicht, dass bis heute seine Wirkung auf meine Gefühlswelt ausübt.


    Storm ist bis heute unterschätzt. Seine herrlichen Werke "Der Schimmelreiter", "Der kleine Häwelmann", "Immensee", "Regentrude"... sind wahre Schätze der deutschen Literatur.



    :hello: LT

  • Der kleine Häwelmann, danke, lieber Liebestraum, dass Du an den erinnerst. In meinen Kindertagen gab's den als Hörspielsingle. Zudem hatte ich meine Mutter in die Pflicht genommen, mir diese wundervolle Geschichte immer wieder zu erzählen.Wer's nicht kennt, kann's hier nachlesen:


    http://www.maerchen.net/classic/o-haewelmann.htm


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Dann möchte ich mich hier auch einmal als Stormbewunderer zu erkennen geben. Eine Gesamtausgabe liegt auf dem Sofa.
    Es ist vor allem seine Sprachgewalt, die mich immer wieder einfängt. Diese Sätze, die so unerwartet formuliert sind und dann doch als die beste Formulierung überhaupt dastehen, das erinnert mich an die Musik von Beethoven, auch da ist alles unerwartet und dann doch die einzige Möglichkeit.


    Die Inhalte, die Plots, finde ich meist sogar eher uninteressant, es ist die Form, die mich begeistert, insofern etwas wie "absolute Literatur", wenn es diesen Begriff denn geben kann.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • In meiner Familie gab es den geflügelten Spruch: "Mehr, mehr, sprach der kleine Häwelmann!" Dann wusste man, dass man seine Ansprüche, die damals ja eh sehr bescheiden waren, herunterschrauben musste.
    Übrigens habe ich Storm, wie alle Klassiker vor 1900, grundsätzlich nur in Frakturschrift gelesen; das würde ich heute nicht anders machen, das gehört dazu wie die italienische Sprache zum Singen von Monteverdi.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Fraktur können heutige Schüler nicht mehr lesen, lieber dr.pingel. Und genauso schwierig ist es, ihnen einen Zugang zu Theodor Storm zu vermitteln. Ich bleibe hartnäckig bei meinen Fragen hinsichtlich der Gegenwartsrelevanz von Storms Dichtung. Aber keiner will sich darauf einlassen. Warum eigentlich?


    Übrigens, wenn Du Dich für Fraktur interessierst, dann wirf mal einen Blick in das Buch von Judith Schalansky: "Fraktur mon amour". Es erschien 2006 beim Hermann Schmidt Verlag in Mainz.


    Du wirst entzückt sein.


    Wenn Klaus meint: "Die Inhalte, die Plots, finde ich meist sogar eher uninteressant, es ist die Form, die mich begeistert, insofern etwas wie "absolute Literatur", wenn es diesen Begriff denn geben kann. "...


    so könnte ich zum Beispiel auf Georg Lukács verweisen. Er stellt bei Storm fest:
    "... Die größte Knappheit des Ausdrucks; die ganz impressionistische Reduzierung der Bilder und Vergleiche auf das Notwendigste, auf das, was wie eine kurze Anspielung wirkt; bei eng umgrenzter Möglichkeit der Wortwahl eine plötzlich wirkende sinnliche Kraft der Worte. Und vor allem ein unsagbar feiner, tiefer und unbeirrbar sicherer musikalischer Klang."


    Na bitte! Das wär doch schon was!

  • . Ich bleibe hartnäckig bei meinen Fragen hinsichtlich der Gegenwartsrelevanz von Storms Dichtung. Aber keiner will sich darauf einlassen. Warum eigentlich?


    Nicht so vorschnell! Ich lasse mich gern darauf ein. Allerdings habe ich dazu "nur" das Folgende zu sagen. Storms Dichtung ist genau wie die so vieler anderer Dichter auch, was die äußere Form betrifft, nur aus der jeweiligen Zeit heraus zu begreifen. Man muss sich auf den im Vergleich zur heutigen Sprache möglicherweise "antiquiert" anmutenden Stil eben einlassen, die Andersartigkeit aufnehmen, annehmen und - genießen. Wer das nicht kann oder will, wird auch keinen Zugang zu diesen Werken finden.
    Dies trifft auch auf viele Inhalte zu (Beispiel Pole Poppenspäler) , andere dagegen sind erstaunlich aktuell (Beispiel Schimmelreiter).

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Du konntest, lieber Strano Sognator, meinen obigen Eintrag nicht vollständig lesen, weil ich eine nachträgliche Einfügung machte.


    Was Deine Feststellung "Man muss sich auf den im Vergleich zur heutigen Sprache möglicherweise "antiquiert" anmutenden Stil eben einlassen, " anbelangt:


    Georg Lukács hat auf die spezifische Eigenart der Sprache Storms aufmerksam gemacht. Ich hatte ja in einem meiner obigen Beiträge schon auf ihre verborgene Musikalität hingewiesen. Vielleicht ist gerade das etwas, womit Storm unserer Zeit mit ihrer mehr und mehr durch Reduktion auf technologische Funktionalität verarmenden und durch Amerikanismen verdorbenen Sprache etwas zu bieten hat.


    Wenn man Storm liest, ist das sprachlich, wie wenn man über eine Blumenwiese geht.

  • Ich kann, lieber Helmut, auch mit der Gegenfrage antworten: warum sollte Storm gegenwartsrelevant sein müssen? Eine Frage, die ich mir ja bei vielen Autoren stellen muss. Ich muss dazu gar nicht ins 19. Jahrhundert zurück; bereits Heirnrich Böll ist, wenn man so wil,l nicht mehr gegenwartsrelevant. Max Frisch ist es aufgrund seines Abstraktionsgrades gewiss mehr, indes dürfte ein Wahnsinnsroman wie "Die Rote" von Alfred Andersch ohne Erläuterungen schwer verständlich sein (immerhin ist sein "Sansibar" tatsächlich Lektürestoff in der gymnasialen Oberstufe). Und wie halten wir's mit den historischen Romanen im Zuschnitt eines Werner Bergengruen (ich bin übrigens der Meinung, dass besonders sein Roman "Der Großtyrann und das Gericht" zwingend gelesen werden sollte)?


    Ich gebe zu, dass ich -was aber ein persönlicher Tick von mir ist- Fontane und Storm kaum lese, ohne das Grimmsche Wörterbuch in greifbarer Nähe zu haben. Aber das sind Feinheiten. Ich finde nicht, dass Literatur ihren Wert daher beziehen sollte, dass sie die Zeitläufte kommentiert. Im Gegenteil: sie bietet die Möglichkeit, jenseits der Alltagserfordernisse sich in andere Denkweisen hineinzufühlen. Handlungsoptionen, Handlungsentscheidungen und ihre Ursachen, ein ganz wesentlicher Aspekt guter Literatur, für unsere Haudrauf-Gesellschaft eine Empfehlung. Etwa "Irrungen, Wirrungen", "Stechlin", später Hamsuns "Hunger", der genannte "Großtyrann" und so fort. Und natürlich die Texte von Storm. Und ich empfehle da ausdrücklich auch die Auseiandersetzung mit dem lyrischen Schaffen.


    Insofern: wenn die Jugend den Storm nicht in der Schule liest, wann denn sonst? Wozu nutzt denn ein Gymnasium, wenn es nur aufs Gegenwärtige abrichtet und drillt? Da habe ich offen gestanden ganz andere Vorstellungen von einem humanistischen Gymnasium


    Nur so beiläufig: Fraktur lese ich ohne Probleme und ich bin auch noch in der Lage, relativ flüssig Sütterlin zu schreiben und zu lesen. Und bevor jetzt ein falsches Alter gemutmaßt wird: ich bin noch unter 50.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Wenn man Storm liest, ist das sprachlich, wie wenn man über eine Blumenwiese geht.


    Ein ebenso schöner wie absolut passender Vergleich, dem ich mich gern anschließe. :thumbup:

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Völlig zu Recht fragst Du, lieber Thomas: "Warum sollte Storm gegenwartsrelevant sein müssen?"


    Das muss er nicht. Zumal die Frage nach der Gegenwartsrelevanz eine ohnehin heikle ist, wie aus Deinen Ausführungen hierzu hervorgeht. Ich habe sie auch hier nur gestellt, weil ich das Nachdenken darüber, was Storm uns heute noch zu sagen - oder zu "bieten", wie man will - hat, reizvoll finde und mir zudem eine interessante Diskussion darüber hier in diesem Thread versprach. Einfach in der Form, dass man sich nicht nur als "Storm-Fan" outet, sondern mal ein paar Sätze darüber verliert, was man an diesem Autor so anregend und lesenswert findet.


    Auf solche Auskünfte über die subjektive und persönliche Begegnung mit Literatur bin ich - mit Verlaub - ungeheuer neugierig. Die Novellen Storms sind - wie Paul Heyse es einmal formuliert hat - die "Novellen eines Lyrikers". Wenn nun jemand bekennt, dass ihn gerade das an ihnen anzieht, dann ist das doch eine höchst erfreuliche Sache und man könnte über diese oder jene Stelle in einer der Erzählungen bzw. Novellen ins Gespräch kommen.


    Es ist ohnehin - ich sagte es schon einmal - für mich erstaunlich und höchst erfreulich, dass so viele Einträge in diesen Thread kommen.

  • Es ist ohnehin - ich sagte es schon einmal - für mich erstaunlich und höchst erfreulich, dass so viele Einträge in diesen Thread kommen.


    Auch für mich.
    Zu Helmuts Frage nach Storms Relevanz hätte ich sicher eine ähnliche Antwort gegeben wie Thomas weiter oben, nämlich muss er denn relevant sein?
    Storm ist für mich ein Autor des Gefühls, nicht des konkreten Inhalts. Letztlich schrieb er im Grunde genommen doch wie alle über ewige Themen wie Liebe, Tod...und diese Situation mit den damit verbundenen Emotionen werden immer relevant sein.
    Bei mir sieht es da ähnlich aus wie bei Klaus, ich lese Storm formal gerne, also wegen seiner Sprache, der Inhalt ist sicher nicht völlig unwichtig, für mich aber zumindest zweitrangig.
    Was mir persönlich besonders an Storm gefällt, das hatte ich schon in meinem ersten Beitrag hier angeschnitten, ist eben Storm der Atmosphäriker. Ich bin zugegeben, was Literatur angeht, eine Atmosphärik-Fetischistin könnte man so sagen. Jeder Autor, der es für mich schafft mit seinen Worten seinem Werk eine ganz bestimmte Stimmung, eine für mich spürbare Athmosphäre zu geben, der hat bei mir schon einmal einen Platz im Herzen. Und Storm ist eben ein Meister darin...wie genau er das macht, ich weiß es nicht, ich bin kein Literaturwissenschaftler. Er schafft es eben. Vielleicht ist es das, was mit "Novellen eines Lyrikers" gemeint sein könnte. Ein Beispiel für eine aus meiner Sicht sehr gelunge, greifbar gemachte Athmosphäre ist zB die Novelle "Waldwinkel".


    Gut übrigens, dass auch seine Lyrik erwähnt wurde, in ihr zeigt sich für mich ein Zug Storms in dem ich mich wiederfinde ( der natürlich auch in seinem Prosa-Werk reichlich vorhanden ist), diese Melancholie, das Nachdenken über die Vergänglichkeit, die Gedichte "Spruch des Alters" und "Mein jüngstes Kind" sind nur kleine Beispiele dafür.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Hallo Helmut,


    Ich bleibe hartnäckig bei meinen Fragen hinsichtlich der Gegenwartsrelevanz von Storms Dichtung. Aber keiner will sich darauf einlassen. Warum eigentlich?


    leider kann ich die von Dir gestellte Frage zumindest bzgl. Storms Werk nicht beantworten, da ich schlicht (noch) nicht viel davon gelesen habe. Trotzdem möchte ich ein paar grundsätzliche Erwägungen anführen:


    Damit ein Werk überhaupt eine Gegenwartsrelevanz, wie Du es nennst, haben kann, müsste es "der Gegenwart" bekannt sein; d.h. die Menge derer, denen ein entsprechendes Werk bekannt ist, müsste zum einen hinreichend groß sein und zum anderen müssten die jeweiligen Personen oder die jeweilige gesellschaftliche Gruppe, Klasse etc. einen gewissen meinungsbildenden Einfluß ausüben. Es stellt sich m.E. unmittelbar die Folgefrage, ob dies bei Theodor Storm und seinem Werk heute der Fall ist?
    Denkt man diesen Gedanken konsequent weiter, so wäre wohl zu überlegen, ob es überhaupt noch möglich ist, (künstlerische) Werke zu schaffen, die in dem oben von mir erklärten Sinne eine Gegenwartsrelevanz besitzen können oder mit anderen Worten die Gesellschaft bewegen? - Nun sind zwar die Möglichkeiten der Publikation nicht zuletzt durch die sogenannten neuen Medien immens vergrößert. Andererseits jedoch dürften die jeweiligen Gruppen von Rezipienten u.a. aufgrund einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft immer kleiner werden!? - Es mag wohl immer wieder vorkommen, dass bestimmte "Werke" das Feuilleton bewegen, aber von einer wirklich nachhaltigen Relevanz mag ich da nicht unbedingt sprechen.


    Verstehe mich jetzt bitte nicht falsch! - Es geht mir nicht darum zu behaupten, Deine Frage sei "unzulässig". Wohl aber könnte man ihre Zulässigkeit zur Diskussion stellen und sie eventuell gegen die alternative Frage nach einer persönlichen Relevanz ausspielen, denn dass Storms Werk für viele hier eine solche besitzt, scheint mir offensichtlich.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber MSchenk,


    nein, ich verstehe Dich nicht falsch. Und was die "Zulässigkeit" der Frage nach der "Gegenwartsrelevanz" anbelangt, so lässt sich auch da ganz einfach Konsens erzielen, wenn man diesen Begriff mal inhaltlich konkretisiert.


    So, wie ich ihn hier eingebracht habe, beinhaltet er eine ganz einfache und - wie ich meine - durchaus berechtigte Frage:


    Was hat uns Theodor Storm mit seinem literarischen Werk in unserer gegenwärtigen Lebenswelt noch zu sagen?


    Das beinhaltet auch die Frage, was ihn nach Meinung derjenigen, die sich hier über ihn äußern, heute noch lesenswert macht.


    Darauf, so meine ich, könnte doch einmal hier eine Antwort zu geben versucht werden.


    Dass man ihn einfach auch nur lesen und lieben kann, ohne sich auf eine solche Frage einlassen zu wollen, sei jedem unbenommen. Aber ein Forum wie dieses bietet ja doch auch die Möglichkeit, in einen Diskurs über das literarische Werk Storms einzutreten.


    Die Liebe allein ist keine Diskussionsplattform.

  • Ach, die Schnelllebigkeit und Flüchtigkeit der Internet-Foren, - von denen auch das Tamino nicht verschont zu werden scheint. Am vierzehnten startete Harald Kral diesen Thread, und heute, zwei Wochen später, herrscht hier schon wieder Stille. Und er hat am einundzwanzigsten schon wieder einen neuen Thread auf den Weg gebracht.


    Dabei gäbe es doch so viel zu Storm zu sagen. Ich habe - anlässlich dieses Threads - nicht nur die Lyrik Storms mir wieder einmal vorgenommen, sondern auch einen Blick in meine Jugendlektüre, den "Schimmelreiter", geworfen.


    Und siehe, ich verstand plötzlich jene Bemerkung von Thomas Mann hinsichtlich der "absoluten Weltwürde" des Werkes von Theodor Storm. Im Grunde ist doch der "Schimmelreiter" eine einzige literarische Feier der Menschenliebe. Sie ist es doch, die Hauke Haiens Schuld zu einer "menschlich verzeihlichen" werden lässt.
    Hier - aber nicht nur hier - begegnet man Storms tiefinnerlichem Bekenntnis zur Humanität.


    Und das macht ihn, wie ich meine, als Dichter doch hochaktuell.