Das hervorragende Teatro Regio in Parma, welches bis vor wenigen Monaten noch kurz vor seiner Schließung stand - im Zuge des allgemeinen italienischen Spargebots wird geknappst, wo es nur geht - ist vorerst wohl vor diesem Schicksal bewahrt worden. Einige Produktionen wurden gestrichen, vieles wurde umgestellt, aber gut - letztendlich haben die Parmenser Opernenthusiasten ihr schönes, rein klassizistisches Haus nun doch wieder betreten dürfen. Das Theater gilt unter Opernfans in Italien als eine Art Geheimtipp, was absolut gerechtfertigt ist, und muss sich bei einer so fundierten künstlerischen Arbeit, wie ich sie heute erleben durfte, auch vor der Scala nicht verstecken.
Im Zuge des alljährlich stattfindenden Verdi-Festivals (seine geliebte Villa St.Agata liegt nur wenige Kilometer von Parma entfernt bei Bussetto) stand diesmal die "Battaglia di Legnano" auf dem Programm, die zu meinen liebsten Frühwerken Verdis gehört. Der Librettist Salvatore Cammarano riet vom ursprünglich anvisierten Rienzi -Stoff ab undd schlug Verdi stattdessen als Opernstoff den Krieg der lombardischen Liga gegen Kaiser Friedrich Barbarossa aus dem Jahr 1176 vor, bereichert um „patriotische Chöre, Eide und Prozessionen“. Diese Schlacht war längst ein Schlagwort der Einigungsbewegung geworden und wurde eigens in der vierten Strophe der Hymne Fratelli d'Italia erwähnt. Die Premiere im römischen Teatro Apollo war nur 13 Tage vor der offiziellen Proklamation der römischen Republik im Februar 1849, und das Publikum der Uraufführung war von der Oper so begeistert, dass der gesamte 3. Akt wiederholt werden musste. Dies war nun heute nicht der Fall, aber üppigen Applaus spendeten die Parmenser allemal.
Boris Brott hatte das gut intonierte Orchester hervorragend im Griff, auch seine Tempi waren durchdacht und führten die Sänger angemessen durch die stellenweise wirklich kniffligen Partien. Schön fand ich, dass auf Striche verzichtet worden war. Eine wahre Freude war der Chor, der erfolgreich unter Beweis stellen konnte, dass Qualität nicht unbedingt mit Quantität einhergehen muss. Da die "Battaglia" mit reichlichen Chorszenen aufwartet, ist ein so ein guter Klangkörper von höchster Bedeutung.
Pier Luigi Pizzi, der für Regie, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, hat erfolgreich auf platte Aktualisierungen und Ekeltheater verzichtet und verlässt sich,ganz im Vertrauen auf ihre Schöpfer, auf die dramatische Gewalt der Oper, - und - oh Wunder - es klappt. Sein Bühnenbild ist spartanisch, hohe Mauern, die Düsternis und Hoffnungslosigkeit evozieren, bilden größtenteils den Hintergrund. Die ebenso eher abstrakten Kostüme lassen das Mittelalter jedoch anklingen, seine Lichtregie ist dezent, aber zielgerichtet und unterstützt vielmehr die unterschiedlichen Stimmungen.
Einen besonderen Effekt hat Pizzi leider verschenkt, da er den Sprung Arrigos vom Balkon seines Gemachs, mit dem es ihm gelingt, rechtzeitig bei seinen Truppen zu sein, um diese in die Schlacht zu führen, nur andeutet; im Gegenzug gelingt ihm die Barbarossa-Szene gerade auch in der Personenführung sehr gut.
Der albanische Bariton Gezim Myshketa in der Rolle des milanesischen Herzogs Rolando, hat eine gut sitzende, weiche und klangschöne Stimme, die er stilistisch geschmackvoll einsetzt. Ein echter Genuss für jeden Melomanen war sein "Digli ch'è sangue italico" im dritten Akt, ein geradezu zärtliches Duett mit Lida, in dem sich Rolando, der sich sicher ist, von der bevorstehenden Schlacht nicht mehr heimzukehren, von seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn verabschiedet. Das Publikum bedankte sich mit vielen Bravo-Rufen, ebenso auch nach dem folgenden Duett mit Arrigo "Se al nuovo dì pugnando", dessen Kantilenen Myshketa mit vielen lockeren Mezzavoci sehr ansprechend gestaltete. Da sah man auch großzügig darüber hinweg, dass er in der anschließenden Cabaletta "Mi scoppia il cuor", in der Rolando den vermeintlichen Verrat Arrigos verflucht, nicht mehr die anfängliche Frische besaß. Wer diese wirklich anspruchsvolle Szene aus dem Live-Mitschnitt von 1961(Scala) kennt, wird sich sicherlich daran erinnern, dass selbst Bastianini an dieser Stelle Konditionsprobleme bekommt.
Die junge italienische Preisträgerin Aurelia Florian war als Lida ein mustergültiges Beispiel dafür, was Belcanto bedeutet und beschenkte die Melomanen mit herrlichen Piani, voluminösen Spitzentöne und endlos langen Atembögen, wofür sich diese auch gern mit frenetischem Applaus revanchierten. Hinzu kam ihr gutes darstellerisches Vermögen und - warum sollte das nicht auch erwähnt werden - ihre wirklich attraktive Erscheinung. Die völlig verzweifelte, von Todesgedanken geplagte Lida, die zwischen ihrer wieder aufkeimenden Liebe zu dem tot geglaubten Arrigo und ihrer Treue zu Rolando schwankt, konnte wohl kaum besser verkörpert und vor allem gesungen werden.
Alejandro Roy als Arrigo wartete mit einer gut geführten, schlanken, aber metallischen Tenorstimme auf, mit der er die Partie des Arrigo problemlos meistern konnte, was ihm zahlreiche Bravo-Rufe einbrachte. Eine wahre Glanzleistung war das Duett mit Lida "È ver ... sei d'altri?", in welchem der wütende und enttäuschte Arrigo Lida bittere Vorwürfe wegen ihres angeblichen Treuebruchs macht, aber auch sein "Viva Italia" im dritten Akt sowie die lange Sterbeszene am Ende des vierten Aktes waren mehr als überzeugend.
Von William Corrò als Federico Barbarossa - zwar eine kleine, aber bestimmt keine Nebenrolle - hätte man sich etwas mehr "Pfeffer" gewünscht, denn die wüsten Drohungen, die der überraschend auf der Ratsversammlung zu Como auftauchende Kaiser ausstößt, erfordern einen schwarzen Bass à la Chiaurov oder Petrenko.
Verdi-Fans, die einen Besuch in der Emilia-Romagna anstreben, sollten sich diese Produktion jedenfalls nicht entgehen lassen; bis Ende Oktober wird sie noch fünf Mal gegeben.