How low can you get - oder "Don Giovanni" - Wiener Staatsoper, 17.10.2012

  • Ich könnte es mir leicht machen und diesen Abend einfach als die schlechteste, uninspirierteste Mozart-Aufführung brandmarken, in der ich je war (inklusive diverse Opernschüler-Aufführungen) und alles in Bauch und Bogen verdammen. Eine Zumutung für Mozart-Liebhaber und Abzocke der Touristen. Das wäre aber zu leicht (obwohl es sehr wohl helfen würde, die Frustrationen dieses Abends etwas loszuwerden), deswegen versuche ich mich an einer Ursachenforschung.


    Die Wiener Staatsoper gastiert zur Zeit in Japan, um dort Geld zu verdienen. Der Großteil des Ensembles, des Chors und des Staatsopernorchesters sind im Fernen Osten und werden dort von der sprichwörtlichen japanischen Gastfreundlichkeit verwöhnt (auch finanziell – wie sonst wäre es möglich, dass Sänger von Kleinstrollen in der Salome ein Ticket für die Business-Class der Austrian Airlines erhalten – Kostenpunkt schlappe EUR 4.000,- …). Nun wollte man aber das Haupthaus nicht schließen und prüfte, welche Stücke mit Kleinstbesetzung angeboten werden konnten. Also kam man darauf, Mozart-Wochen auf den Spielplan zu setzen – allerdings ohne der Qualität der Staatsoper entsprechende Besetzungen aufbieten zu können. DAS ist meiner Meinung nach der wahre Skandal. Ich meine – wie kommt man wirklich dazu, sich so ein Debakel anhören zu müssen??? Und da muss man wirklich klar sagen, dass ich da nicht den Künstlern den Vorwurf mache, sondern dem GMD und der Direktion. Es ist deren Job, entsprechende Gäste zu verpflichten und die Ensemblemitglieder ihren Fähigkeiten – und Stimmen!!! – entsprechend einzusetzen.


    Über die Inszenierung von Jean-Louis Martinoty wurde schon viel geschrieben, daher enthalte ich mich eines weiteren Kommentars (positiv vermerke ich, dass er dem Don Giovanni noch eine letzte Eroberung – die Zofe der Donna Elvira – zugesteht). Positiv zu vermerken ist, dass diese Serie wirklich geprobt war – und vom schauspielerischen Standpunkt aus gab es nichts zu bemängeln.


    Aber nun zu den handelnden Protagonisten – welcher Teufel hat den Dirigenten James Gaffigan geritten, diese „Oper aller Opern“ derartig belanglos runter zu klopfen? Da waren keine großen Bögen zu erkennen, keine Steigerungen – absolut nichts. Und über die Interpretation der Rezitative (wenn man überhaupt von einer Interpretation sprechen kann) breiten wir lieber den Mantel des Schweigens.


    Zumindest der Titelheld Peter Mattei wusste zu gefallen. Von der Figur her ein idealer Don Giovanni hat er eine angenehme Stimme, schönes Legato und meisterte die Schwierigkeiten seiner Rolle souverän. Allerdings ist sein Don Giovanni eher fad und ohne Esprit. Dies geht beim notorisch gelangweilten Eugen Onegin, allerdings nicht bei diesem Frauenhelden. Es bleibt ein Rätsel, wie der 1800 Frauen verführen könnte.


    Alessio Arduini debütierte als Leporello, da Wolfgang Bankl kurzfristig absagen musste. Der Italiener ist ein erfreulicher Zugang im Ensemble, er hat die Rolle intus, spielte sehr gut. Doch ist seine Stimme für die Rolle zu hell – da fehlt doch etwas, um ihn zum Alter Ego des Giovanni zu stilisieren. Vom Typ her erinnerte mich an einen schleimigen, unsympathischen Typen á la Rizzo in „Midnight Cowboy“. Aber an diesem Abend gehörte er zu den Pluspunkten.


    Eine erfreuliche Steigerung im Vergleich zur letzten Saison kann man Benjamin Bruns attestieren. Seine Stimme hat an Mittellage gewonnen, beide Arien konnte er fehlerfrei absolvieren. Irgendwie holte er das Maximum aus der Rolle des Don Ottavio heraus.


    Nun zu den beiden Sängern, die an diesem Tag keine Staatsopernreife besaßen – warum Albert Dohmen als Commendatore verpflichtet wurde bleibt das Geheimnis der Direktion. Mit viel zu heller Stimme konnte er in keinster Weise das Grauen vermitteln, das normalerweise bei seinem Auftritt entstehen sollte.


    Und wirklich einen furchtbaren Abend erwischte Tae-Joong Yang, der für diesen Abend nicht vorgesehen war. Da aber Arduini zum Leporello aufrückte musst er den Masetto singen. Er war textunsicher bei Rezitativen, hat eine kleine Stimme und hat überhaupt keinen Mozart-Stil. Da wäre meiner Meinung nach Adam Plachetka, der sich in Wien befindet, die um Lichtjahre bessere Alternative gewesen (auch die Tatsache, dass Plachetka am folgenden Tag eine kleinere Rolle in der „Clemenza“ zu singen hat, sollte doch kein Hindernis sein, ihn auch als Masetto zu bringen).


    Aber – im Schnitt waren die Herren noch besser als die Damen.


    Ileana Tonca sang die Zerlina mit schönen Legatobögen und fehlerfrei, konnte aber leider nicht mehr Tiefe und Innigkeit in ihre Rolle einbringen.


    Marina Rebeka intonierte besonders im 1. Akt oft knapp an den Noten vorbei und besitzt eine Stimme, die sehr scharf klingt. War keine bessere Sängerin für die Donna Anna zu haben?


    An der Donna Elvira scheiterten schon viele renommierte Sängerinnen. Es ist mir ein absolutes Rätsel, warum man die sympathische Alexandra Reinprecht gezwungen hat, diese, ihrer Stimme und Technik absolut nicht entsprechenden Rolle zu singen. Damit hat man weder der Sängerin noch dem Publikum einen Gefallen erwiesen.


    Es tut mir weh, so einen Bericht schreiben zu müssen – aber das war einfach nichts!!! Ich hoffe, dass zumindest die „Clemenza“ besser wird – immerhin haben Freunde aus Amerika über EUR 300,- für ihre Tickets gezahlt und ich würde mich schämen, wenn sie eine Aufführung in dieser Qualität zu hören bekämen.

    Hear Me Roar!

  • Tja, Kurt, die Mozart-Aufführungen an der Staatsoper sind derzeit leider ein Trauerspiel. Gerade an der Wiener Staatsoper darf man doch ein hohes Niveau gerade bei Mozart-Opern erwarten. Die Sänger, die in letzter Zeit aufgeboten werden, sind oft mit Mozart-Partien überfordert. Warum da so lieblos besetzt wird ist mir ein Rätsel.
    Es ist enttäuschend solche Berichte lesen zu müssen. Gerade weil ich auch ein großer Mozartfreund bin.


    Die Mozart-Wochen wurden also nur auf den Spielplan gesetzt weil ein großer Teil des Ensembles derzeit in Japan weilt? ?( Weil Mozart ja so leicht zu besetzen ist, und das jeder singen kann. :rolleyes:
    Selbst mit einem komplett anwesenden Ensemble wäre es problematisch, weil wir derzeit im Ensemble einfach keine herausragenden Mozart-Sänger haben. Auf Gäste zu verzichten ist da nicht drin.


    Frau Reinprecht enttäuscht leider schon seit Längerem, was auch daran liegt, dass sie immer wieder Rollen singt (singen muß?), die ihr stimmlich gar nicht stehen.
    Für ihr immer noch recht junges Alter klingt sie eigentlich ziemlich ausgesungen.


    Gregor

  • Weil Mozart ja so leicht zu besetzen ist, und das jeder singen kann.


    Lieber Gregor,


    ich finde gerade nicht, daß Mozart leicht zu singen ist! Gerade die kleine Orchesterbesetzung läßt jeden Fehler des Sängers deutlicher erkennen als bei Wagner. Da kann ein falscher Ton schon mal im Orchesterklang untergehen. Das geht bei Mozart nicht! In einem stimme ich Dir allerdings zu: Auch Sänger mit "Schlanken" Stimmen haben bei Mozart ihre Chance. Aber Mozart singen, das kann nicht jeder!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Na gut, wenn er das sarkatisch gemeint hat, muß ich mich wohl revidieren. Es hätte mich bei Gregor aber auch gewundert. Wahrscheinlich hatte ich einen schlechten Tag, indem ich den Sarkasmus nicht bemerkte. Also - gregor - Glückwunsch zu Deinem Beitrag!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Dieser Abend war, folgt man dem Bericht, nicht "staatsopernwürdig". Allerdings kann ich aus eigener Erfahrung nur sagen, dass das Wiener Staatsopernorchester auch unter seinem GMD kaum an ein Weltklasse-Orchester erinnerte (kaum vorstelbar, dass unter Welser-Möst nur die "zweite Garnitur" der Wiener Philharmoniker spielte). Viel zu laut und undifferenziert, man durfte wahrlich keine der großen Schallplatten-Aufnahmen im Ohr haben. Live erlebt vor wenigen Wochen im Don Carlo (sängerisch allerdings TOP).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Na gut, wenn er das sarkatisch gemeint hat, muß ich mich wohl revidieren. Es hätte mich bei Gregor aber auch gewundert. Wahrscheinlich hatte ich einen schlechten Tag, indem ich den Sarkasmus nicht bemerkte. Also - gregor - Glückwunsch zu Deinem Beitrag!

    Ich wollte natürlich genau das Gegenteil ausdrücken, La Roche. Ich dachte eigentlich, das am Ende des Satzes angehängte, augenverdrehende smiley würde nach der Formulierung der beiden vorangegangenen Sätze den Sarkasmus noch zusätzlich unterstreichen.



    Zitat von Joseph II.

    Dieser Abend war, folgt man dem Bericht, nicht "staatsopernwürdig". Allerdings kann ich aus eigener Erfahrung nur sagen, dass das Wiener Staatsopernorchester auch unter seinem GMD kaum an ein Weltklasse-Orchester erinnerte (kaum vorstelbar, dass unter Welser-Möst nur die "zweite Garnitur" der Wiener Philharmoniker spielte). Viel zu laut und undifferenziert, man durfte wahrlich keine der großen Schallplatten-Aufnahmen im Ohr haben. Live erlebt vor wenigen Wochen im Don Carlo (sängerisch allerdings TOP).

    Dazu muß man fairerweise aber auch sagen, dass ein Orchester immer nur so gut ist, wie es sein Dirigent zuläßt. Ein Pauschalurteil über die Qualität des Orchesters kann man aus einer Vorstellung nicht ziehen.
    Ich habe durch viele Opernbesuche erfahren, wie wunderbar das Orchester der Wiener Staatsoper bzw. die Wiener Philharmoniker spielen können. Da waren ganz ausgezeichnete Vorstellungen und Klangerlebnisse dabei. Es hängt eben viel vom Dirigenten ab.
    Wobei ich dazu festhalten muß, dass mir Welser-Möst im italienischen Fach auch nicht recht gefallen will. Sein Don Carlo war stellenweise immer wieder zu laut. Seine Boheme war vor einigen Jahren auch zu knallig und sehr unitalienisch. Man hätte meinen können er dirigiert Wagner, nicht Puccini.
    Mir scheint Welser-Möst im deutschen Fach ein viel besserer Dirigent zu sein. Strauss und Wagner liegen ihm wohl eindeutig mehr.


    Gregor

  • Ja, lieber Gregor, vor allem viel zu laut. Das fiel auch meiner eher opernunbedarften Begleiterin auf, die zurecht anmerkte, man höre ja sogar den Posa (Keenlyside!) und die Königin oft kaum mehr. Das Seltsamste war dann am Schluss der frenetische Beifall für den GMD. Saßen da nur Touristen und Laien drinnen? Feierten sie die Wiederauferstehung Karajans? Wenn die legendären Karajan'schen Opernabende in der Wiener Staatsoper einst so geklungen haben, na dann gute Nacht (Ironie). Für mich ist Welser-Möst allenfalls ein Mini-Karajan. Aber na ja, bald höre ich das Staatsopernorchester (darf man die in der Oper überhaupt Philharmoniker nennen, und zu wieviel Prozent setzen sie sich aus denen zusammen?) ja wieder, diesmal unter Simone Young bei den Meistersingern. Ich hoffe, dass das meine bisherige Meinung revidieren wird. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das Seltsamste war dann am Schluss der frenetische Beifall für den GMD. Saßen da nur Touristen und Laien drinnen? Feierten sie die Wiederauferstehung Karajans? Wenn die legendären Karajan'schen Opernabende in der Wiener Staatsoper einst so geklungen haben, na dann gute Nacht (Ironie). Für mich ist Welser-Möst allenfalls ein Mini-Karajan.


    Der Jubel für Welser-Möst ist wirklich immer beachtlich. Schon oft bei seinem ersten Auftritt, also noch bevor er einen Ton dirigiert hat. Für mich auch nicht nachvollziehbar.
    Aber so viele Anhänger er auch hat, gibt es genauso viele die ihn eher ablehnen. Du weißt doch sicher auch, dass Welser-Möst bei vielen den Spitznamen "Worse-than-most" hat. :hahahaha:


    Meine ersten und bis dato einzigen Live-Meistersänger waren übrigens die von Thielemann im Jahr 2008. Warst du da auch dabei? Das war so unglaublich laut, dass mir am Ende der Vorstellung für einige Stunden wirklich die Gehörgänge wehgetan haben. So laut war das. Ich war am Ende froh, dass es vorbei war. Seitdem habe ich ein etwas gestörtes Verhältnis zu Wagner und speziell zu dieser Oper. Denn wenn du mit einem körperlich unangenehmen Gefühl aus der Oper kommst, ist wohl gehörig was falsch gelaufen.
    Trotzdem hat mir Thielemann's Ring besser gefallen als der von Welser-Möst, weil mir die Orchesterleistung unter dem deutschen Dirigenten doch viel transparenter und nuancenreicher schien.
    Simone Young ist mir als Wagner-Dirigentin bisher nicht bekannt.


    Gregor