John Adams (*1947):
NIXON IN CHINA
Oper in drei Akten - Libretto von Alice Goodman
Uraufführung am 22. Oktober 1987 im Wortham Theater Center, Houston, Texas
Regie Peter Sellars, Dirigent John DeMain, Ensemble der Houston Grand Opera
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Richard Nixon, Präsident der USA, Bariton
Pat, seine Frau, Sopran
Henry Kissinger, amerikanischer Außenminister,
Tschou En-lai, chinesischer Ministerpräsident, Bariton
Mao Tse-tung, chinesischer Staats- und Parteichef, Tenor
Chiang Ch'ing, seine Frau, Sopran
Nancy T'sang, erste Sekretärin Maos (Mezzosopran)
Zweite Sekretärin Maos (Mezzosopran)
Dritte Sekretärin Maos (Altstimme)
Die Handlung spielt in Peking im Jahre 1972.
ERSTER AKT
Das Publikum wird in der ersten Szene der Oper in das Jahr 1972 zurückversetzt: Auf dem Flughafen von Peking sind Soldaten der Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe zum Empfang eines hohen Staatsgastes angetreten, denn der 37. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Richard Milhous Nixon, ist mit einer Delegation im Anflug auf Peking. Es ist der erste Staatsbesuch eines amerikanischen Präsidenten in der Volksrepublik China.
Der Chor, Soldaten und wartendes Volk repräsentierend, verkürzt sich die Wartezeit mit einem Gesang über die großen Errungenschaften der Revolution in China. Dann landet „The Spirit of '76“, das Flugzeug des Präsidenten, und die Staatsgäste, darunter auch Nixons Frau Pat und sein wichtigster außenpolitischer Berater, Henry Kissinger, werden vom chinesischen Premier Tschou En-lai mit dem üblichen militärischen Zeremoniell begrüßt.
An den Besuch werden von beiden Seiten die unterschiedlichsten Erwartungen geknüpft und schon in der Begrüßung wird Fremdheit und Argwohn deutlich, aber die Etikette wird natürlich gewahrt. Adams gibt in der Auftrittsarie Nixons eine durchaus witzige Kostprobe der Möglichkeiten der Minimal Music, indem er mit der permanenten Repetition gleicher Patterns (wie man eine musikalische Form in Art einer oft harmonisch und rhythmisch wiederkehrende Struktur nennt) spielt: „News news news news news news news news news news news a has a has a has a has a has a kind of mystery has a has a has a kind of mystery“.
Die zweite Szene zeigt das Treffen Nixons mit dem kommunistischen Parteichef Mao Tse- tung. Das Gespräch zwischen den beiden Staatsmännern, das von Dolmetschern beider Seiten übersetzt und von chinesischen Sekretärinnen aufgeregt protokolliert wird, ist auch nicht gerade von beiderseitigem Verstehen gekennzeichnet: Der Amerikaner versucht, seine Haltung über den Frieden zwischen Amerika und China zu thematisieren, während Mao philosophische Gedanken in verwirrenden Metaphern von sich gibt. Auch hier ist Etikette angesagt, man bleibt sich aber fremd.
In der dritten Szene des ersten Aktes wird das Publikum Zeuge des großen Staatsbanketts in der Großen Halle des Volkes zu Peking. Dabei bringt zunächst Ministerpräsident Tschou En-lai einen Toast auf Amerika, auf Präsident Nixon und seine Delegation aus und äußert dann in einer kurzen Ansprache den Wunsch nach einem friedlichen Verhältnis zwischen den USA und China. Nixon dankt in seiner Antwort nicht nur diplomatisch-höflich für die erwiesene Gastfreundschaft, sondern nennt seine bisherige Ablehnung der Volksrepublik China eine fehlerhafte Einstellung. Die in den Tischreden zum Ausdruck gebrachten Wünsche für eine gemeinsame und friedliche Zukunft wirken merkwürdig einstudiert, sind hohe Diplomatie, zeigen aber immer noch gegenseitige Fremdheit an.
ZWEITER AKT
Die erste Szene lässt den Zuschauer am Besuchsprogramm von Pat Nixon teilnehmen: Sie wird über die revolutionären Errungenschaften des chinesischen Volkes in einem Hotel informiert, erfährt etwas über neue Methoden in einer landwirtschaftlichen Kommune, man zeigt der First Lady der USA die alten Kaisergräber wie auch den Kaiserpalast. Pat Nixon ist trotz des übervollen Programms ganz Diplomatin und lässt sich weder Langeweile noch Müdigkeit anmerken.
Die zweite Szene führt dann am Abend die amerikanischen Gäste in die Pekinger Oper, wo ihnen auf Einladung von Parteichef Mao Tse-tung eine Vorstellung des revolutionären Balletts „Hongse niangzijun“ (The Red Detachment of Women - Das rote Frauenbataillon) geboten wird. Begleitet werden die Gäste von Premierminister Tschou En-lai und der Mao-Gattin Chiang Ch'ing, die sich als Autorin des Balletts outet, das die Befreiung der Bauern auf einer tropischen Insel von der Herrschaft des Großgrundbesitzer zeigt.
Auffällig ist nicht nur die Musik des Balletts, die Adams in einen Hollywood-Sound packte, auffällig ist auch, dass diese Szene den bisher eingehaltenen dokumentarischen Bereich für ein fiktives Geschehen verlässt: die amerikanischen Gäste werden nämlich sukzessive in die Balletthandlung einbezogen; so übernimmt Henry Kissinger beispielsweise den Part eines brutalen Aufsehers des reichen Grundherrn, der die Arbeiterinnen vergewaltigt und dann zu Tode prügelt. Premierminister Tschou En-lai dagegen wird als dessen Gegenpart geschildert, als idealistischer Parteisekretär und Menschenfreund. Dazwischen tummeln sich die Nixons: Pat ist entsetzt über die rohe Gewalt des Unterdrückungsapparates, während ihr Mann an die Söldner des Großgrundbesitzers Geld verteilt. Letztendlich wird der Nabob von der malträtierten Arbeiterin getötet.
Aber auch Tschou En-lai bekommt seine Probleme: Maos Frau Chiang Ch'ing ruft während des Balletts dem Premierminister die revolutionären Ideen ihres Mannes in Erinnerung und hält ihm seine pragmatische Einstellung in allen Lebensbereichen als Dekadenz vor. Das Gerangel der beiden endet mit dem Triumph der Mao-Gattin und ist offensichtlich als Anspielung auf die Auseinandersetzungen während der Kulturrevolution zu verstehen.
DRITTER AKT
Der dritte Akt besteht nur noch aus einer Szene und ist gänzlich fiktional; die Protagonisten sind am Abend des letzten Besuchstages völlig isoliert. Auf politischer Seite besteht das Kommuniqué von Schanghai nur aus diplomatischen Worthülsen, das den Staatsmännern Gesichtswahrung erlauben soll. Ansonsten sehen wir die Handelnden in ihrer individuell-menschlichen Situation gefangen: da flüstert Kissinger Premier Tschou En-lai etwas ins Ohr und der zeigt ihm daraufhin den Weg zur Toilette; die Nixons wirken müde, nur Mao steigt aus seinem monumentalen Porträt heraus und tanzt mit seiner Frau in guter Stimmung einen Foxtrott und erinnert sich dabei an die Zeit des „Langen Marsches“ und seiner Liebe zu der jungen Chiang Ch'ing. Dann bemühen sich auch die Nixons auf die Tanzfläche und es kommt zu einem Duell zwischen den Ehepaaren, als sei man auf einer Weltmeisterschaft für Standardtänze, wobei sich der Präsident seiner Zeit als Marinesoldat erinnert und Pat sich als treue Hausfrau zeigt, die auf ihren Mann wartet.
Plötzlich verschwinden die beiden Paare in ihren Schlafzimmern und überlassen das letzte Wort dem alt und müde gewordenen Tschou En-lai, der sich jetzt, ziemlich desillusioniert, an die politischen Gespräche der zurückliegenden Tage erinnert: „How much of what we did was good?“- eine Frage, auf die es hier und jetzt keine Antwort gibt.
INFORMATIONEN ZUM WERK
Die Oper entstand als Auftragswerk der Brooklyn Academy of Music, des John F. Kennedy Center for the Performing Arts und der Houston Grand Opera. Der Erfolg war enorm und ließ einen Journalisten schreiben: „Weder Mozart noch Verdi, Wagner und Puccini ist es gelungen, in so kurzer Zeit in so vielen Theatern gespielt zu werden. Und dabei ist NIXON IN CHINA seine erste Oper.“ Aber es gab auch harte Kritik: Donald Henahan schrieb in der New York Times, die Oper sei nicht mehr als „substanzloses Augenfutter“. Richtig bekannt wurde sein Satz: „Herr Adams ist für das Arpeggio, was McDonalds für den Hamburger bedeutet.“
Dabei gibt es hörenswerte Arien und Ensemblesätze; so vermag beispielsweise die Rede Tschou En-lais beim Bankett (Ladies and Gentlemen, Comrades and Friends) durchaus zu überzeugen und die Arie der Chiang Ch'ing „I am the wife of Mao Tse-tung“ im Stile des Walkürenritts ist eine der großartigsten Parodien der Musikgeschichte, gleichzeitig aber auch eine perfekte Charakterisierung dieser Frau, die ihre Machtbesessenheit hinter den Phrasen der Revolution versteckt. Das Werk sollte, so hat es der Komponist spezifiziert, keine Politoper sein, sondern das Aufeinandertreffen zweier sich fremd gegenüberstehenden Kulturen und Lebensweisen schildern.
© Manfred Rückert für Tamino-Opernführer 2012
unter Hinzuziehung folgender Quellen:
Klavierauszug von John McGinn im Verlag Boosey & Hawkes
Opernführer von András Batta, Könemann-Verlag