Aachen, 04. November:"Hänsel und Gretel" oder "Wie sich die Bilder gleichen"

  • Dass dem Regietheater nichts Neues mehr einfällt, ist ja hinlänglich bekannt. Ist ja auch nicht weiter schlimm. Hat sich eben totgelaufen. Dass man aber jetzt schon aus leiter Faulheit, Dummheit oder Talentlosigkeit dazu übergeht in den eigenen Reihen zu mausern und das dann als Ei des Kolumbus verkauft, das ist schon bitter. Wenn man nichts Neues mehr zu sagen hat, sollte man mal schön den Ball flach halten und lieber die Geschichte so erzählen, wie es im Libretto steht. Aber das ist natürlich zu viel verlangt.


    Jüngstes Beispiel: Für wie blöde hält uns eigentlich die Regisseuse, die uns am vergangenen Sonntag am Aachener Theater, Hänsel und Gretel im üblichen Einheitsbrei der letzten 20 Jahre auftischte? Glaubt sie ernsthaft, es merkt keiner, dass das Bühnenbild des letzten Aktes mitsamt Kinderleichen im Glaskasten voll abgekupfert ist von der scheußlichen Londoner Inszenierung? Ebenso wie das Reinschieben des Miniaturschokohäusleins und der Tortenschlacht auf dem abgetakelten Alutisch der elenden MET-Inszenierung? Den Ofen hat der Bühnenbildner gleich aus seiner Freiburger Produktion mitgebracht. Die Kostüme sind mal eben aus dem Altkleidersack gezaubert und den Wald in Abenteurspielplatzoptik hat man auch schon zig Mal so gesehen. War das Regietheater nicht mal ausgezogen, um mit althergebrachten Sehgewohnheiten zu brechen?????


    Heute bedeutet das wohl nur mehr, eine DVD der letzten tonangebenden Neuinszenierungen reinzuschieben und dann in den Kanon einzustimmen: "Wir verweigern uns jeglicher Poesie." In diesem Zusammenhang ein herzliches guten Morgen an das Schnarchzapfenausstattungsteam: Das "Männlein im Walde" ist eine HAGEBUTTE und kein knautschiger Fliegenpilz. Recherche tut wirklich not. Mir kommt es langsam so vor, dass die Entscheidungsträger immer mehr verdummen. Ohweiha und ihr Nichtwissen geben sie dann an kommende Generationen weiter. Was zum Teufel haben die da auf der Bühne getrieben? Hektisches Rumgehampel, das jedes ruhige Moment zunichte machte. Schon zur Ouvertüre watschelten ein Taumännchen in Donald Duck-Optik und ein nicht minder scheußliches Sandmännchen auf die Bühne und beide starteten blinden Aktionismus. Seht selbst: http://www.theater-aachen.de/i…nt&id_event_date=10776133

  • [timg]http://www.ioco.de/ioco-oper/m…10a-150x150.jpg;l;150;150[/timg]


    Danke für diesen Bericht. Von anderer Seite habe ich nämlich nur Lob gehört, was mich allerdings misstrauisch macht. Dabei hatte ich gar nicht vor, nach Aachen zu fahren.
    Hier ist der link zu der Lobeshymne im Netz.

    Zitat

    ....diese Hänsel und Gretel Produktion wird im Theater Aachen auf Jahre viele junge aber auch reifere Menschen bereichern.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • .


    LG


    Bereichern? Fragt sich nur, womit. Wahrscheinlich mit einem erweiterten Spektrum aller möglichen Würgereize, um die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten des eigenen Magens besser kennenzulernen, dem wahrscheinlich immer noch mehr einfällt als so mancher, dem Guttenberging allzu sehr huldigenden Möchtegern-Regisseuse....

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)


  • Bereichern? Fragt sich nur, womit. Wahrscheinlich mit einem erweiterten Spektrum aller möglichen Würgereize, um die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten des eigenen Magens besser kennenzulernen, dem wahrscheinlich immer noch mehr einfällt als so mancher, dem Guttenberging allzu sehr huldigenden Möchtegern-Regisseuse....


    Liebe Strana, du solltest mitbekommen haben, das die Sprache des Regietheaters voll mit Euphemismen ist: jung, frisch, frech, bereichernd, neugierig sind da in etwa gleich bedeutend mit alt, abgedroschen, hässlich, vulgär, sexistisch und langweilig. Der Satz " bringt die Jugend ins Theater...", bedeutet " hält die Jugend fern...." oder "der Tod der Oper ist nahe...." :D, " packende Aufführung" heißt " dreißig Statisten wurde blutig die Kehle durchgeschnitten, während diese nackt auf der Bühne standen" , "zeitlos" sind dagegen Aufführungen in tristem grau in grau und modernen Regenmänteln....etc....

  • :D:D Stimmt, ich muss mich mal wieder in das Vokabular einarbeiten.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • "...teils grausamen Grimmschen Märchenklischees zeitgemäß zu übersetzen."


    Wer so etwas schreibt wie dieser Herr Jarosch in seiner von Harald verlinkten Lobeshymne auf den Aachener HÄNSEL, der offenbar wenige Kenntnisse über das, was er beschreiben will. Ich empfehle ihm ein Seminar über die Grimmschen Märchen. Wenn einer in die Klischeekiste greift, dann der Kritiker. Selten habe ich so eine schlichte Kritik gelesen.


    Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • In der Premiere saßen meinem Gefühl nach viele Angehörige der Chorkinder und ich weiß von anderen, dass sie in den "Genuss" von Freikarten gekommen sind...

  • Anhand der Bilder kann ich die Inszenierung nur schlecht beurteilen. In einigen Einzelheiten mag sie ja dem Märchen entsprechen. Völlig abwegig ist für mich die Punk-Hexe und ich glaube nicht, dass einem Kind klar wird, warum diese Muppet-Figur später in den Ofen geschoben wird, was ja dann tatsächlich eine Grausamkeit ist. Wenn ich die Lobeshymne lese, kommt mir das so vor, als hätte ich diese nachgeschwätzten "modischen" Gedanken schon hundertmal gelesen. Junge und reife Menschen sollen bereichert werden. Womit? Mit schrillbunten Figuren, wie bei manchen Blödelshows im Fernsehen? Und die "grausamen" Märchen müssen entschärft und ins Moderne übersetzt werden. Generationen von Kindern haben sich an den alten Märchen erfreut und sind daran weder krank geworden noch gestorben. Ist die heutige Jugend nicht mehr in der Lage, solche Märchen zu ertragen? Lachhaft!! :hahahaha:

    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard,


    ich bin einfach erschrocken, was das Team für ein Kinderbild hat: Dieses aggressive Rumgehampel der Protagonisten. Hänsel und Gretel sind doch nicht hyperaktiv! Auch der lieblose Umgang des Geschwisteerpaares miteinander stand im Gegensatz zum Libretto. Na ja, und dann erst die Kostüme: Schrill. Grell. Die roh zusammengehauenen Kulissen. Es war nichts märchenhaftes, verträumtes, idyllisches, poetisches da. Auch nichts gruseliges. Es war einfach nur plump und ich hätte mich als Kind nicht ernst genommen gefühlt.


    Was soll`s. Die Inszenierung ist eh bald wieder futsch.


    Viele Grüße,
    Knuspi

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  • Lieber Knuspi,


    ich hatte bei meinem ersten Kommentar nur die Bilder gesehen und bei einigen gefunden, dass sie passen könnten - ausgenommen natürlich die schreckliche Punk-Hexe. Nachdem ich nunmehr das Video gesehen habe, muss ich mein Urteil in gewissem Sinne revidieren. Das ist ja noch schlimmer, als ich gedacht habe. Und das soll eine "Entschärfung" sein. Aber vielleicht verstehen die Regisseure dieses Wort auch wieder umgekehrt und meinen damit Verschärfung. So etwas Kindern vorzusetzen halte ich für ähnlich fatal wie das, was heute das Fernsehen den Kindern an Grausamkeiten vorsetzt. Dagegen sind die Märchen der Gebrüder Grimm (das meistgelesene Buch nach der Bibel) völlig harmlos.
    Dass man die Kommentare gesperrt hat, spricht ja auch für sich. Wahrscheinlich war denen nicht recht, was die Leute wirklich von dem Unsinn halten.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ja, und gerade DAS finde ich inakzeptabel für ein städtisches Theater, lieber Gerhard. Dass die einem jetzt schon den Mund verbieten wollen, das irritiert mich doch dann sehr.

  • Lieber Knuspi,


    sie wissen sich wahrscheinlich nicht mehr anders zu wehren gegen die vielen Proteste, die gegen diese Verschandelungen der guten alten Märchen eingehen.
    Gut dass wir das Tamino-Forum haben und auch viele Besucher es lesen, auch wenn sie selbst sich nicht einbinden wollen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Es wird wirklich alles immer peinlicher im sogenannten Musiktheater. Die Neuinszenierung Lüneburgs von Hänsel und Gretel schöpft lustig munter aus den Vorlagen anderer Produktionen. Der Wald, den Barbara Bloch entworfen hat, könnte direkt aus der Berliner Inszenierung von Homoki stammen. Die traumpantomime mit ihren Luftballons erinnert doch schwer an die aktuelle Inszenierung der Wiener Staatsoper und der Hexenofen an die rund um den Globus tourende und derzeit das Publikum der Münchner Staatsoper quälende Produktion:
    http://www.theater-lueneburg.de/stuecke/haensel-und-gretel/


    Langweiliger, sich selbst wiederkäuernder, gequirlter Mist. Und ich dachte immer, als Bühnenbildner müsste man fantasievoll sein. Offensichtlich nicht. Das beweist auch Hinrich Horstkotte, dessen Hänsel und Gretel für das Theater Krefeld eine mehr oder weniger gleiche Variante seiner Produktionen für Hof und Salzburg darstellen.


    http://theater-kr-mg.de/spielp…erung/haensel-und-gretel/


    http://www.theater-hof.de/musi…sel-und-gretel/interview/


    http://www.marionetten.at/repertoire/hansel-und-gretel

  • Es wird wirklich alles immer peinlicher im sogenannten Musiktheater. Die Neuinszenierung Lüneburgs von Hänsel und Gretel schöpft lustig munter aus den Vorlagen anderer Produktionen. Der Wald, den Barbara Bloch entworfen hat, könnte direkt aus der Berliner Inszenierung von Homoki stammen. Die traumpantomime mit ihren Luftballons erinnert doch schwer an die aktuelle Inszenierung der Wiener Staatsoper und der Hexenofen an die rund um den Globus tourende und derzeit das Publikum der Münchner Staatsoper quälende Produktion:
    http://www.theater-lueneburg.de/stuecke/haensel-und-gretel/


    Langweiliger, sich selbst wiederkäuernder, gequirlter Mist. Und ich dachte immer, als Bühnenbild müsste man fantasievoll sein.



    Zu den Bildern möchte ich gar nichts sagen, aber der Werbetext des Opernhauses auf der von dir verlinkten Seite beinhaltet schon mehrere Fehler:


    So heißt es:


    Dass Kinder gern spielen, das ist klar. Und dass dabei auch mal was zu Bruch geht, auch. Aber als die Mutter nach Hause kommt und feststellen muss, dass Hänsel und Gretel nicht nur die kostbare Sahne verschüttet, sondern auch noch den Krug zerschmissen haben, da ist es aus mit dem Verständnis. Ab in den Wald zum Beeren pflücken – «und dass ihr mir ja nicht mit leerem Korb zurückkommt!»


    Die Kinder zerstören den Milchkrug eben NICHT - die Mutter tut das, als sie mit dem Stock den beiden hinterher läuft. Es befindete sich auch keine "Sahne" im Krug, sondern Milch. "Guck her in den Topf, Milch ist darin, die schenkte uns heute die Nachbarin".
    Der der Mutter in den Mund gelegte Ausspruch mit Anführungszeichen kommt so ebenfalls nicht vor.



    Aber im Wald, da haust doch die gefährliche Hexe Rosina Leckermaul!


    Sie heißt RosinE, nicht RosinA.


    Vermutlich hat da irgendein Werbefritze, der dafür Geld kassiert, einmal kurz eine Inhaltsangabe überflogen und dann versucht, kreativ zu sein.


    Schon dieser Text alleine wäre mir eine Warnung, denn wenn ein Opernhaus so schlampig mit Werksbeschreibungen umgeht ...
    Und der Schreibstil richtet sich eindeutig an jüngere Zuschauer, nicht an die Kunstfreunde, da kann man sich auch denken, dass man sich dort wie auf einem Kinderfest vorkommen wird.




    LG
    Hosenrolle1

  • Lieber Gast,


    anscheinend ist die Schlampigkeit nicht nur bei den Werbetextern, sondern auch bei Regisseuren weit verbreitet. Wenn ich manche Inszenierungen sehe, die eigentlich mit der Oper nichts mehr zu tun haben, habe ich nicht nur den Eindruck, dass der Regisseur das Textbuch nicht richtig oder garnicht gelesen hat und dass es ihm nur um die Verwirklichung seine abwegigen Ideen geht. Die Musik interessiert einige Regisseure ohnehin nicht mehr, wie einige sogar zugeben. Sie stört doch nur seine Kreise. Wichtig ist allerdings, dass das Machwerk unter einem bekannten Namen und Titel herausgegeben wird. Einen, seiner gefälschten Produktion angemessener Titel mit seinem Namen als Autor würde wohl zu wenig Zuschauer anlocken.
    Vielleicht hatte ja auch schon der Regisseur die Oper dahingehend verdreht, dass die Kinder vor der Heimkunft der Mutter den Krug zerschlagen. Das wäre ja bei den vielen Verdrehungen der Werke garnichts Neues. Und die Inhaltsangaben der Opern richten sich ja nicht mehr nach dem eigentlichen Inhalt des Werkes, sondern nach den abwegigen Phantasien der Regisseure
    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)