Musik verstehen - von Ludwig van Beethoven

  • Ich setze die Reihe "Musik verstehen" mit einem weiteren Komponisten fort, dessen Musik "verstanden" werden will - zumindest wird das oft behauptet.
    Es gibt zahlreiche Komponisten, deren Musik man "einfach hört" - "sich daran erfreut" etc etc.
    Betthoven jedoch ist - ähnlich wie Mahler - zahlreichen ideologischen Erklärungsversuchen ausgesetzt - was diese Musik für Diskussionen geradezu ideal erscheinen lässt. Musik eines Revolutionärs, eines Genies, eines Titanen, eines Deutschen, eines Wahlwieners, eines Klassikers, eines Aufbegehrenden, Verzweifelten, kühnen Kompositionsstrategen oder "Freund der Menschheit" Wollte Beethoven mit seiner Musik eine Botschaft vermitteln - oder haben das spätere Generationen nur hineininterpretiert ? Fragen über Fragen - und das sind noch längst nicht alle.....
    Die Antworten darauf können allgemein gehalten sein - oder sich aber an konkreten Musikstücken /Musikstellen orientieren....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich höre gerade OP.2 Nr.1 den ersten Satz. Viele halten ja diese Musik für "Fingerübungen", ein "Nichts" zu den späten Klaviersonaten. Wenn man aber darauf achtet, wie Beethoven nach den melodischen Akkorden immer diese kleinen Triller setzt, damit quasi das Harmonische beendet und gleichzeitig einen Übergang schafft, ist unglaublich.


    Ich werde gerade zu OP.2 noch einen eigenen Thread eröffnen, es soll jetzt nur als ganz spontanes Ergebnis eines nur minütlichen Hineinhörens dastehen.


    Ich werde den ganzen Tag, erfüllt mit Arbeit und Pflicht, daran denken, was ich da gefunden habe. Der Tag ist schon jetzt gerettet. Ach ja, Obama hat gewonnen, so what?


    Beethoven hat Musik geschaffen, die völlig in sich selber ruht und existiert. Sie fordert heraus, dieses Werk zu entdecken und sich dabei auch selbst beim Hören.

  • Aus der vielleicht berühmtesten Rezension der Musikgeschichte; E.T.A. Hoffmann über Beethovens 5. Sinfonie:


    "So öffnet uns auch Beethovens Instrumental-Musik das Reich des Ungeheueren und Unermesslichen. Glühende Strahlen schiessen durch dieses Reiches tiefe Nacht, und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf- und abwogen, enger und enger uns einschliessen, und alles in uns vernichten, nur nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht, in welcher jede Lust, die, schnell in jauchzenden Tönen emporgestiegen, hinsinkt und untergeht, und nur in diesem Schmerz, der, Liebe, Hoffnung, Freude in sich verzehrend, aber nicht zerstörend, unsre Brust mit einem vollstimmigen Zusammenklange aller Leidenschaften zersprengen will, leben wir fort und sind entzückte Geisterseher. [...]


    Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist. Beethoven ist ein rein romantischer (eben deshalb ein wahrhaft musikalischer) Componist, und daher mag es kommen, dass ihm Vocal-Musik, die unbestimmtes Sehnen nicht zulässt, sondern nur die durch Worte bezeichneten Affecte, als in dem Reich des Unendlichen empfunden, darstellt, weniger gelingt und seine Instrumental-Musik selten die Menge anspricht. Eben diese in Beethovens Tiefe nicht eingehende Menge spricht ihm einen hohen Grad von Phantasie nicht ab; dagegen sieht man gewöhnlich in seinen Werken nur Producte eines Genie’s, das, um Form und Auswahl der Gedanken unbesorgt, sich seinem Feuer und den augenblicklichen Eingebungen seiner Einbildungskraft überliess. Nichts desto weniger ist er, Rücksichts der Besonnenheit, Haydn und Mozart ganz an die Seite zu stellen. Er trennt sein Ich von dem innern Reich der Töne und gebietet darüber als unumschränkter Herr.


    Wie ästhetische Messkünstler im Shakspeare oft über gänzlichen Mangel wahrer Einheit und inneren Zusammenhanges geklagt haben, und nur dem tiefern Blick ein schöner Baum, Knospen und Blätter, Blüthen und Früchte aus einem Keim treibend, erwächst: so entfaltet auch nur ein sehr tiefes Eingehen in die innere Structur Beethovenscher Musik die hohe Besonnenheit des Meisters, welche von dem wahren Genie unzertrennlich ist und von dem anhaltenden Studium der Kunst genährt wird. Tief im Gemüthe trägt Beethoven die Romantik der Musik, die er mit hoher Genialität und Besonnenheit in seinen Werken ausspricht. Lebhafter hat Rec. dies nie gefühlt, als bey der vorliegenden Symphonie, die in einem bis zum Ende fortsteigenden Climax jene Romantik Beethovens mehr, als irgend ein anderes seiner Werke entfaltet, und den Zuhörer unwiderstehlich fortreisst in das wundervolle Geisterreich des Unendlichen."


    Hoffmann in: Allgemeine musikalische Zeitung 12 (1810), Nr. 40
    Volltext: "http://85.214.96.74:8080/zbk/zbk-html/A1094.html

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Alfred, was dem Erfolg dieses Threads vielleicht ein bisschen im Weg steht, ist, dass wir dieses Thema bereits vor drei Monaten im folgenden Beethoven-Thread ("Ist Beethoven überschätzt?") sehr ausführlich besprochen haben: Ist Beethoven überschätzt? . Seitdem habe ich wenig neue Aspekte Beethovens erarbeitet. Vielleicht geht es den anderen ähnlich, denn die Beteiligung an jenem Thread war ziemlich hoch.

  • Im allgemeinen habe ich das Gefühl, dass Beethoven von den drei Wiener Klassikern am leichtesten zu hören bzw. "verstehen" ist, da seine Klangsprache für uns am leichtesten nachzuvollziehen ist. Der Grundaffekt in der Appassionata, dem Geistertrio, der Kreutzersonate etc.. ist klar nachempfindbar. Schon bei Mozart, geschweige denn Haydn, relativiert sich vieles durch das Chiaroscuro, das für den heutigen Hörer wesentlich schwerer einzuordnen ist. Sind beispielsweise das d-moll Streichquartett oder das g-moll Streichquintett wirklich traurige Stücke?
    Wirkliche "Verständnisprobleme" hat man bei Beethoven wahrscheinlich nur bei seinen letzten Streichquartetten und der Missa solemnis. Erstere sind tatsächlich für den Neuhinzukommenden eine Herausforderung, unabhängig davon, wieviele Streichquartette er auch vorher schon gehört haben mag. Doch gerade hier ist die Interpration so entscheidend. Vor einiger Zeit kaufte ich mir die Streichquartettgesamtaufnahme vom Artemisquartett und sowohl die Opus 18 als eben auch die späten Quartette wurden für mich erst jetzt zur Offenbarung. Paradebeispiel ist natürlich die große Fuge, die ich - selbst in den Händen des Quartetto italiano - ehrlich gesagt schlichtweg für scheußlich hielt. Aber wie es das Artemisquartett schafft, trotz aller Schärfe, diesem Stück einen musikalischen Fluss, eine nachvollziehbare Ordnung zu geben, ist über alle Maßen bewundernswert. Ich habe das Stück völlig mit anderen Ohren gehört und zumindest teilweise "verstanden".

  • Schon bei Mozart, geschweige denn Haydn, relativiert sich vieles durch das Chiaroscuro, das für den heutigen Hörer wesentlich schwerer einzuordnen ist. Sind beispielsweise das d-moll Streichquartett oder das g-moll Streichquintett wirklich traurige Stücke?


    Warum denn nicht? Ich denke, das hört man auch sofort. Als ich mit zehn oder so das Streichquintett kennengelernt habe (das war auf einer CD mit dem Klarinettenquintett drauf, das mich eigentlich interessierte), war mindestens der Kopfsatz mit seiner düsteren Chromatik so bedrückend für mich, dass ich ihn nicht hören konnte/wollte. Nur das Finale gefiel mir wirklich, und da hatte ich wohl tatsächlich einfach noch keine Antenne für die emotionale Tiefe der langsamen Einleitung.


    Da ich den Begriff "Chiaroscuro" nicht kannte, habe ich ihn bei Wikipedia nachgeschlagen: Der Chiaroscuro-Effekt ist ein Abstufungseffekt in der Musik. Wenn sich Tutti- und Solo-Passagen (beim Concerto grosso gespielt durch: Ripieno und Concertino) abwechseln, dann wechselt die Lautstärke allein durch die Besetzungsunterschiede. Der Bezug zur Verständlichkeit von Mozarts Werken und insbesondere Kammermusik ist mir da allerdings nicht klar.


    Allerdings würde ich tendenziell Deiner These zustimmen, dass Beethoven aus heutiger Sicht der am leichtesten zu erfassende Komponist von den dreien ist: Zum ersten gibt es bei Haydn und Mozart eine große Anzahl Werke mit relativ neutralem emotionalen Gehalt, während dieser bei Beethoven zumindest bei den meisten mittleren Werken m.E. sehr deutlich ist. Und zweitens kann der Blick auf Mozarts und Haydns Musik stärker durch die "Rokkoko-Schicht" getrübt werden, die auf der Musik liegt. Damit meine ich bestimmte musikalische Figuren, Verzierungen, die Art und Weise, wie Kadenzen ausgeschrieben werden, etc., die zum allgemeinen Repertoire der Zeit gehören und die sich bei Mozart und Haydn vielfach wiederfinden, die Beethoven aber in der Regel vermeidet; musikalische Allgemeinplätze sozusagen, die es dem mit der Epoche nicht vertrauten Hörer schwerer machen, zum Kern der Musik vorzudringen. Das alles gilt natürlich auch für einige frühere Werke von Beethoven.
    Andererseits sind das aber natürlich die Eigenschaften, die den Zeitgenossen der drei das Verständnis der Musik erleichtert haben, und Beethovens zunehmender Verzicht auf die musikalischen Floskeln war sicherlich auch ein Grund für das zunehmende Unverständnis, das seinen Werken von den Zeitgenossen entgegengebracht wurde.

  • Da ich den Begriff "Chiaroscuro" nicht kannte, habe ich ihn bei Wikipedia nachgeschlagen: Der Chiaroscuro-Effekt ist ein Abstufungseffekt in der Musik. Wenn sich Tutti- und Solo-Passagen (beim Concerto grosso gespielt durch: Ripieno und Concertino) abwechseln, dann wechselt die Lautstärke allein durch die Besetzungsunterschiede. Der Bezug zur Verständlichkeit von Mozarts Werken und insbesondere Kammermusik ist mir da allerdings nicht klar.

    Offensichtlich habe ich den Begriff nicht in der korrekten Weise verwendet. Ich kenne diesen Ausdruck nur in seiner ursprünglichen Form, was eben "Helldunkel" bedeutet. Und das scheint mir für Mozarts Musik ganz typisch zu sein.
    Mozarts Streichquintett scheint von jedem anders empfunden zu werden. Ich finde den ersten Satz nicht sonderlich traurig, veilleicht leicht melancholisch aber eben immer wieder aufgehellt. Der zweite Teil des Hauptgedankens ist ja auch in Dur. Für das d-moll Streichquartett gilt bei mir dasselbe.

  • Das Zitat von Hoffmann enthält für mich mehrere auch heute noch interessante Punkte (ich habe es nicht nur gebracht, weil es so schön und historisch wichtig ist):


    1) Den emotionalen und erhabenen Charakter der Musik Beethovens, der damit in der unmittelbaren Wirkung Haydn und Mozart übertrifft. (Schon Hoffmann nimmt Haydn (in einer Passage, die ich nicht mitzitiert habe) als vornehmlich pastoral und heiter, obwohl auch dort schon Erhabenheit in der Instrumentalmusik zu finden ist. Für Hörer um 1790 enthielten Haydns Sinfonien dagegen ebenso heroische Elemente.)


    2) Die Musik ist ungeachtet dessen nicht illustrativ in einem platten Sinne (in einer Passage nennt Hoffmann zB Dittersdorf als Beispiel für solche Programmusik). Sie klingt außerordentlich bedeutungsvoll, ohne eine in Worte zu fassende Bedeutung zu haben, ist hochdramatisch, ohne ein konkretes Drama zu illustrieren usw.


    3) Selbst wenn auf den ersten Blick zügellose Fantasie oder gar Chaos herrschen mag, "gebietet" Beethoven über seine Eingebungen; die Musik ist (mindestens) ebenso schlüssig nach Prinzipien von Einheitlichkeit und Zusammenhang organisiert wie die Haydns oder Mozarts. In der Tat haben wir in der vorliegenden 5. Sinfonie sogar einen unschwer hörbaren motivischen Zusammenhang und dramatischen Bogen über alle vier Sätze des Werks (was in dieser offensichtlichen Art selbst bei Beethoven eine Ausnahme geblieben ist).


    Der letzte Punkt ist für uns heute vermutlich weniger relevant als für Hoffmanns Zeitgenossen. Zum einen sind wir ja oft mehr oder minder mit Beethoven aufgewachsen, typischerweise gehören einige seiner Werke zu den ersten, die man als Klassikhörer kennenlernt. Zum anderen haben wir meistens weit weniger den Anspruch, den Hoffmanns Adressaten hatten, musikalische Abläufe zu verstehen. Es reicht uns, uns ins Reich des Ungeheuren mitreißen zu lassen. Dennoch ist für die meisten von uns Beethovens nicht so ein "Klangrausch" wie zB Wagners. Zumindest von der Grobstruktur sind seine Werke sehr klar aufgebaut, überdies weitgehend in einem Rahmen der sowohl mit Mozart und (etwas weniger deutlich) Haydn als auch mit späteren "Klassizisten" (was sinfonische u.a. Formen betrifft) wie Schubert, Mendelssohn, Schumann, Brahms, Dvorak, Tschaikowsky etc. übereinstimmt. Und natürlich gibt es eine Fülle von Literatur, oft auch für Laien verständlich, die die von Hoffmann bereits erwähnten, subtileren einheitsstiftenden Beziehungen der Teile zum Ganzen erhellen.


    Der 2. Punkt ist freilich seit je umstritten gewesen. Bekanntlich nahmen die Proponenten der sinf. Dichtung ebenfalls ihren Ausgang von Beethoven und abgesehen von der Pastorale hat man auch bei anderen Werken, durchaus nicht ganz zu Unrecht, "poetische Programme" usw. gefunden. Das reicht von recht plausiblen Ansätzen, die Eroica als "Prometheus/Napoleon"-Sinfonie zu verstehen, bis zu eher bizarren Zuordnungen der späten Quartette zu Dichtungen der Weltliteratur (Große Fuge = Walpurgisnacht aus Goethes Faust).


    Ich hatte mit dem sagenumwobenen "späten Beethoven" nie größere Probleme. Vermutlich aus dem einfachen Grund, dass ich etliche dieser Werke ganz naiv als relativer Einsteiger kennengelernt habe. Die ersten Quartette, die ich überhaupt angehört habe, waren op.135 und 127; op.111 und die "Hammerklaviersonate" lernte ich sehr bald nach den unvermeidlichen Mondschein/Pathetique/Appassionata kennen. Natürlich habe ich diese Werke nicht gleich "verstanden". Aber ich fand keines, mit Ausnahme von op.133, "sperriger" als andere frühere Werke. Wenn man nicht den Anspruch auf "Verstehen" hat, ist die emotionale Wucht hier m.E. meistens deutlicher zu erleben als bei vielen frühen oder mittleren Werken. Die 9. Sinf. und die Missa solemnis funktionieren ohnehin durch "Überwältigung" ausgezeichnet.

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  • Johannes, ich kann dir (ausnahmsweise ;) ) einmal völlig Recht geben. Die von dir angeführten Punkte summieren die Faszination, die Beethoven ausübt sehr treffend. Ich möchte nur hinzufügen, dass diese "Überwältigung", die nicht nur in der Missa und der Neunten beabsichtigt zu sein scheint, genau das ist, was mir Beethoven immer entfremdet hat. Ich empfinde Beethoven als einen sehr aggressiven Komponisten und sein Werk ist für mich voller auftrumpfneder Gesten, die mich stören. Freilich gibt es viele Werke, bei denen das nicht so ist. Trotzdem, da gerade die "auftrumpfenden" Stücke die vergleichsweise größere Beliebtheit genießen, fühle ich mich oft etwas in Opposition. Jetzt könnte man natürlich diskutieren, ob ich Beethoven verstanden habe oder nicht....

  • Offensichtlich habe ich den Begriff nicht in der korrekten Weise verwendet. Ich kenne diesen Ausdruck nur in seiner ursprünglichen Form, was eben "Helldunkel" bedeutet. Und das scheint mir für Mozarts Musik ganz typisch zu sein.
    Mozarts Streichquintett scheint von jedem anders empfunden zu werden. Ich finde den ersten Satz nicht sonderlich traurig, veilleicht leicht melancholisch aber eben immer wieder aufgehellt. Der zweite Teil des Hauptgedankens ist ja auch in Dur. Für das d-moll Streichquartett gilt bei mir dasselbe.


    Für mich ist dieses "hell-dunkel" der Kern der Musik aller drei Klassiker (oder zumindest ein sehr wesentlicher Aspekt): Dass die Wirkung der Musik nicht primär darauf beruht, einen Affekt darzustellen, sondern die Affekte zu kontrastieren und damit neue und stärkere Wirkungen zu erzielen. Eventuell ordnet der mittlere und späte Beethoven das stärker dem großen Ganzen unter, während Mozart und Haydn tendenziell noch eher darauf aus sind, diese ihre neue musikalische Errungenschaft so häufig einzusetzen wie möglich? Allerdings würde ich gerade Mozarts g-moll-Quintett als Werk sehen, das in diesem Sinne sehr einheitlich und dem Ganzen verpflichtet ist.


    Aber ich glaube, dass Du Recht hast, dieses ständige Wechseln der Affekte (vor allem m.E. bei Haydn) kann schon ein Grund sein, der einem Zuhörer den Zugang zu der Musik verstellen kann (ich liebe diese Musik allerdings gerade deswegen).

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich habe einige Sinfonien und Konzerte von Mozart, Haydn, Beethoven etwa gleichzeitig kennengelernt und würde nicht unbedingt sagen, dass die beiden älteren Wiener Klassiker schwerer zugänglich wären. Beethoven wurde zwar, vermutlich auch aufgrund der höheren oder offensichtlicheren "power" und Emotionalität mein Favorit. Das heißt aber nicht, dass ich die anderen nicht geschätzt hätte. Dazu kommt, vielleicht nicht bei der Kammermusik, die ich damals noch lange nicht kannte, aber bei den Sinfonien, oft eine leichtere Überschaubarkeit für den Anfänger bei Haydn oder Mozart. Die Eroica, besonders der Kopfsatz, ist ein solcher Brocken, dass mich heute wundert, wie ich das mit 15 überhaupt durchgehalten habe, als jemand, der eigentlich nur eine Handvoll "schöne Stellen" pro Satz wahrgenommen hat.


    Ich halte Werke wie die g-moll-Sinfonie KV 550 oder das g-moll-Quintett oder die beiden Moll-Klavierkonzerte (und natürlich auch viele andere Werke oder Sätze) für mindestens so "emotional" wie Beethoven. (Bei Haydn muss man eher zu den Moll-Sinfonien um 1770 zurückgehen, um ähnliches zu finden.) M.E. gibt es von Beethoven kaum ein so "trauriges" Stück wie das g-moll-Quintett oder KV 550.


    Vielleicht ist es für uns heute schwieriger, das zu hören. Andererseits stimme ich zu, dass es von Mozart und Haydn eine große Zahl emotional "neutralerer" oder heiterer Stücke gibt. Die gibt es aber auch bei Beethoven. Ist die Waldsteinsonate wirklich "heroisch" oder gar op.31/3? Für mich beide eher nicht. Rein zahlenmäßig überwiegen bei Beethoven ebenfalls die nicht offensichtlich tragisch-heroischen, sondern eher humorvollen oder lyrischen Werke. Aber das heißt ja ebensowenig wie bei Haydn, Mozart usw., dass die nicht auf andere Weise dramatisch sein könnten (etwa, wie man zu recht über Instrumentalwerke Haydns und Mozart gesagt hat, nach Art der Opera buffa)

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  • Aber ich glaube, dass Du Recht hast, dieses ständige Wechseln der Affekte (vor allem m.E. bei Haydn) kann schon ein Grund sein, der einem Zuhörer den Zugang zu der Musik verstellen kann (ich liebe diese Musik allerdings gerade deswegen).

    Den Unterschied, den ich hier zwischen Mozart und Haydn sehe, ist, dass Mozart hell-dunkel bevorzugt innerhalb eines Satzes einsetzt, während Haydns Sätze in sich einen einheitlicheren Affekt haben. Dafür platziert Haydn die "harmlosesten" Kehraussaätze nach emotional ergreifenden Sätzen, was heutige Hörer sicherlich verwirrt.
    Haydn ist mir von den Wiener Klassikern der Liebste, was aber vor allem an seiner nie endenden Fantasie liegt, Themen abzuwandeln, zu formen, zu zerlegen etc.. So bleiben für mich seine Werke auch nach hundertfachen Hören spannend.



    Bei Mozarts g-moll Quintett beschleicht mich langsam das Gefühl, ich hätte das Werk nicht verstanden. Hat Beethoven so etwas trauriges nie geschrieben, wie Johannes meint? Wie wäre es mit dem Adagio aus der sechsten Violinsonate (Op. 30/1) - mehr wehmütiger Abschiedsklang geht nicht.

  • Ich hatte mit dem sagenumwobenen "späten Beethoven" nie größere Probleme. Vermutlich aus dem einfachen Grund, dass ich etliche dieser Werke ganz naiv als relativer Einsteiger kennengelernt habe. Die ersten Quartette, die ich überhaupt angehört habe, waren op.135 und 127; op.111 und die "Hammerklaviersonate" lernte ich sehr bald nach den unvermeidlichen Mondschein/Pathetique/Appassionata kennen. Natürlich habe ich diese Werke nicht gleich "verstanden". Aber ich fand keines, mit Ausnahme von op.133, "sperriger" als andere frühere Werke. Wenn man nicht den Anspruch auf "Verstehen" hat, ist die emotionale Wucht hier m.E. meistens deutlicher zu erleben als bei vielen frühen oder mittleren Werken. Die 9. Sinf. und die Missa solemnis funktionieren ohnehin durch "Überwältigung" ausgezeichnet.

    Ich habe einige Sinfonien und Konzerte von Mozart, Haydn, Beethoven etwa gleichzeitig kennengelernt und würde nicht unbedingt sagen, dass die beiden älteren Wiener Klassiker schwerer zugänglich wären. Beethoven wurde zwar, vermutlich auch aufgrund der höheren oder offensichtlicheren "power" und Emotionalität mein Favorit. Das heißt aber nicht, dass ich die anderen nicht geschätzt hätte. Dazu kommt, vielleicht nicht bei der Kammermusik, die ich damals noch lange nicht kannte, aber bei den Sinfonien, oft eine leichtere Überschaubarkeit für den Anfänger bei Haydn oder Mozart. Die Eroica, besonders der Kopfsatz, ist ein solcher Brocken, dass mich heute wundert, wie ich das mit 15 überhaupt durchgehalten habe, als jemand, der eigentlich nur eine Handvoll "schöne Stellen" pro Satz wahrgenommen hat.

    Ich denke, dass die Herangehensweise beim Hören der Musik ein sehr wichtiger Aspekt für das Verständnis ist, und als Kind hört man sicherlich noch viel vorurteilsfreier als später. Das Vorurteil, das sei schwere Kost, kann sicherlich den Zugang zu Beethovens späten Quartetten verstellen, genauso wie das Vorurteil, Haydn oder Mozart sei "zu" harmlos, den Zugang zu dessen Musik (zu harmlos zum Beispiel für jemanden, der sich als besonders erwachsen gerieren will). Ich vermute, das ist genau das, worauf Du mit Deinen Beispielen hinaus willst, oder?



    Den Unterschied, den ich hier zwischen Mozart und Haydn sehe, ist, dass Mozart hell-dunkel bevorzugt innerhalb eines Satzes einsetzt, während Haydns Sätze in sich einen einheitlicheren Affekt haben. Dafür platziert Haydn die "harmlosesten" Kehraussaätze nach emotional ergreifenden Sätzen, was heutige Hörer sicherlich verwirrt.

    Haydns "hell-dunkel" innerhalb von Sätzen würde ich manchmal schon fast bizarr nennen, zum Beispiel in der g-Moll-Symphonie Nr. 83 der Kontrast zwischen dem dramatischen Beginn und dann dem lustigen "Gegacker" im Seitensatz; oder, sogar noch krasser, in der d-moll-Symphonie Nr. 80. Die meisten Dur-Stücke sind natürlich insgesamt neutraler, und deswegen fallen die Affektwechsel weniger deutlich aus, allerdings würde ich schon sagen, dass auch bei Haydn quasi jede neue Phrase einen neuen Affekt bringt. Ja, Mozart ist da vielleicht häufig noch ein Stück deutlicher.

  • So hat mich mein redaktionelle Instinkt doch nicht verlassen, wenn ich meinte, dass dies ein ergiebiges Thema sei - wenn es in die Händ der richtigen Leute kommt....


    Zitat

    Ich empfinde Beethoven als einen sehr aggressiven Komponisten und sein Werk ist für mich voller auftrumpfender Gesten,

    Hier pflichte ich bei - Im Gegensatz zu "Felix Meritis" stören sie mich indes nicht - im Gegenteil besonders in meiner Jugend halfen mir diese Stellen über Depressionen und Hassgefühle anderen gegenüber sehr. Besonders zu erwähnen ist hier die Kombination von Aggression und Triumph, welche die Illusion der vollkommenen Überlegenheit erzeugen kann (wobei man sich stets dessen bewusst sein sollte, dass es eben nur eine Illusion ist....)
    Wir finden dieses weiter oben beschriebene Gefühl, welches ja in diesem Fall aus zwei Komponenten besteht bei Beethoven sogar als vertonten Text, nämlich in "Fidelio":


    .....in seiner letzten Stunde,
    den Stahl in seiner Wunde,
    ihm noch ins Ohr zu schrei'n:
    Triumph! Triumph! Triumph!
    Der Sieg, der Sieg ist mein


    Aber auch die Macher von "Clockwork Orange" haben den aggressionsmodifizierenden Aspekt von Beethovens Musik bemerkt und in ihren Film geschickt eingebaut.



    Zitat

    ...da gerade die "auftrumpfenden" Stücke die vergleichsweise größere Beliebtheit genießen, fühle ich mich oft etwas in Opposition.

    Opposition ist etwas ungemein Wichtiges - nicht nur in der Politik...


    Themenwechsel: Von den ursprünglich 4 Klassikern sind nun nur mehr 3 übriggeblieben, nachdem Schubert von den meisten schon als Romantiker gesehen wird. Mir stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage inwieweit man eigentlich Beethoven zu den Wiener Klassikern zählen darf - bzw. ob er überhaupt in eine Schublade passt, denn Romantiker war er doch wohl auch keiner ?


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich denke, dass die Herangehensweise beim Hören der Musik ein sehr wichtiger Aspekt für das Verständnis ist, und als Kind hört man sicherlich noch viel vorurteilsfreier als später. Das Vorurteil, das sei schwere Kost, kann sicherlich den Zugang zu Beethovens späten Quartetten verstellen, genauso wie das Vorurteil, Haydn oder Mozart sei "zu" harmlos, den Zugang zu dessen Musik (zu harmlos zum Beispiel für jemanden, der sich als besonders erwachsen gerieren will). Ich vermute, das ist genau das, worauf Du mit Deinen Beispielen hinaus willst, oder?

    Teils ja. Andererseits ist man als Teenager ja besonders nassforsch und ändert seine Meinung rapide. Es hat bei mir nicht lange gedauert, bis ich Werke, die mir den Einstieg in die Klassik geboten hatten, wie Tschaikowskys b-moll gegenüber Beethovens Konzerten deutlich und polemisch zurückgesetzt habe. Ich stimme auf jeden Fall zu, dass die vorgebliche "Harmlosigkeit" von Haydn (o.a. Komponisten des 18. Jhds.) ebenso ein Hindernis sein kann wie der mystische Ruf der späten Beethoven-Werke. Und es ist nicht unbedingt eine Altersfrage wie frei man sich von solchen Vorurteilen machen kann. Und natürlich hatte ich angelesene Vorurteile bzgl. des späten Beethoven, nämlich dass es die großartigste Musik überhaupt ist. ;) Und dieses Versprechen gibt einem vielleicht auch Geduld und Durchhaltevermögen.



    Zitat

    Haydns "hell-dunkel" innerhalb von Sätzen würde ich manchmal schon fast bizarr nennen, zum Beispiel in der g-Moll-Symphonie Nr. 83 der Kontrast zwischen dem dramatischen Beginn und dann dem lustigen "Gegacker" im Seitensatz; oder, sogar noch krasser, in der d-moll-Symphonie Nr. 80. Die meisten Dur-Stücke sind natürlich insgesamt neutraler, und deswegen fallen die Affektwechsel weniger deutlich aus, allerdings würde ich schon sagen, dass auch bei Haydn quasi jede neue Phrase einen neuen Affekt bringt. Ja, Mozart ist da vielleicht häufig noch ein Stück deutlicher.

    M.E. gibt es bei Haydn mehr "neutrale" Moll-Sätze (auch etliche langsame: Sinf. 103 oder "La Roxelane" in 63). Bei Mozart sind die fast immer sehr aufgeladen, oft auch chromatisch und meistens ohne endgültige Durwende. Beim späten Haydn (vgl. mit einigem aus der "Sturm&Drang-Zeit um 1770) ist das eher selten und selbst wenn der Beginn eines Satzes den "aufgeladenen" dramatischen Moll-Gestus aufweist, kehrt sich das wie bei 83 oder 95 oft noch im Kopfsatz um. Obwohl ich das Gegackere nie als wirklich lustig gehört habe, fällt mir auf Anhieb kein dramatischer Mozartscher Moll-Satz ein, mit derart "leichten" Seitenthemen. Selbst wenn Dur, dann sind sie oft auch sehr melancholisch, evtl. etwas beruhigend, aber nie so heiter wie etwa in den beiden genannten Haydn-Stücken. Man nehme die Seitenthemen in KV 550: sehr resignativ im Kopfsatz, flehend-verzweifelt im Finale. (Allerdings vielleicht das extremste Beispiel bei Mozart.) Natürlich hat diese Sinfonie ungeachtet all dessen eine gewisse Eleganz (Schumanns "griechische Grazie"?), aber mir fällt kaum ein Beethovensches Stück mit derart hoffnungslosem Gestus ein (vielleicht op.95, da haben dann aber die tragisch-dramatischen Passagen eine zornige Energie, die keine so tiefe Hoffnungslosigkeit nahelegt) Der Normalfall, selbst in "verzweifelten" Sätzen ist doch eher, dass so etwas wie Adornos Lieblingsstelle im adagio von op.59/1 folgt.

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  • Zitat

    Aber wie es das Artemisquartett schafft, trotz aller Schärfe, diesem Stück einen musikalischen Fluss, eine nachvollziehbare Ordnung zu geben, ist über alle Maßen bewundernswert. Ich habe das Stück völlig mit anderen Ohren gehört und zumindest teilweise "verstanden".


    Hallo Felix,


    ist mir genau so gegangen. :thumbup:


    Ähnliches ist mir bei den Simphonien passiert. Die ersten Interpretationen, die ich hörte, unterstrichen fast schon krampfhaft die Wucht, Dramatik, das Titanhafte in den Kompositionen. Erst als ich reduzierte, d.h. in der Klanggewalt zurückgenommene Interpretationen hörte, wurden mir die Finessen klar, die Beethoven angewandt hat.

  • Aber auch die Macher von "Clockwork Orange" haben den aggressionsmodifizierenden Aspekt von Beethovens Musik bemerkt und in ihren Film geschickt eingebaut.


    Wobei "die Macher" nur aus einem "Macher" bestanden, und das war Großmeister Stanley Kubrick (der dem Soundtrack seiner Filme immer höchste Aufmerksamkeit schenkte)!

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ähnliches ist mir bei den Simphonien passiert. Die ersten Interpretationen, die ich hörte, unterstrichen fast schon krampfhaft die Wucht, Dramatik, das Titanhafte in den Kompositionen. Erst als ich reduzierte, d.h. in der Klanggewalt zurückgenommene Interpretationen hörte, wurden mir die Finessen klar, die Beethoven angewandt hat.

    Ich hatte ein ähnliches Erlebnis in einem Konzert, in welchem Liszts Tasso und Beethovens Pastorale gekoppelt waren. Ausgangspunkt war, dass ich Liszts Tasso für eine gelungene Komposition hielt während mir die Pastorale überhaupt nicht zusagte. Dann allerdings dämmerte mir während des Tassos, dass das doch ein Machwerk ist, platt und inkonsistent. Als dann die Pastorale erklang (ich saß ziemlich weit vorne), war es, als hätte jemand das Fenster geöffnet und frische Luft hineingelassen. Diese Finesse in der Stimmführung und der Instrumentation haben mich wirklich begeistert.

  • Ich denke, ich habe mich puncto Haydn der groben Vereinfachung schuldig gemacht, als ich sagte, er hält einen Affekt meistens einen Satz lang durch. Ich muss zugeben, dass ich die Symphonien recht selten höre (außer den letzten 15) und sie nicht so präsent habe. Die Aussage bezog sich also hauptsächlich auf die Klaviersonaten und die Kammermusik, wo oft vollkommen gegensätzliche Sätze zu einem Werk verbunden sind.


  • Wobei "die Macher" nur aus einem "Macher" bestanden, und das war Großmeister Stanley Kubrick (der dem Soundtrack seiner Filme immer höchste Aufmerksamkeit schenkte)!


    Allerdings ist der Bezug auf Beethoven bereits explizit in der Vorlage von Burgess drin, wenn ich auch nicht mehr genau weiß, ob das im Buch so detailliert ausgeführt ist, dass Kubrick es "nur" noch (kongenial) umsetzen musste.


    Ich habe keine Probleme mit der "Aggression" und dem auftrumpfenden Charakter einiger Stücke Beethovens. Sehr selten empfinde ich es als "aufgesetzt", dazu ist es zu raffiniert gemacht. So etwas wie die durchaus übertriebene Coda im Finale der 5. Sinfonie, in der harmonisch nichts mehr passiert, sondern allein Bewegung und Rhythmus eine oder zwei Minuten Steigerung/Jubel tragen, muss man erstmal hinkriegen.
    Eine der wenigen "Triumph-stellen", die ich nicht so plausibel finde, ist das Ende der "Egmont-"Ouverture, die auf mich "angehängt" wirkt. In der Schauspielmusik taucht der Abschnitt ja noch einmal separat auf, als Begleitung zur Vision des sterbenden Egmont. Da finde ich das (vielleicht einzige) Stück, in dem Beethoven einen vollständigen Zusammenbruch auskomponiert, die Coriolan-Ouverture, überzeugender.

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  • Ich habe keine Probleme mit der "Aggression" und dem auftrumpfenden Charakter einiger Stücke Beethovens. Sehr selten empfinde ich es als "aufgesetzt", dazu ist es zu raffiniert gemacht.

    Na, wenn du Probleme damit hättest, wärest du ja auch kein Beethovenenthusiast. Mich stört es schon, allerdings nicht nur in den Extrembeispielen wie der Fünften, sondern in vielen anderen Werken, in denen er plötzlich mit einem "Tataaaaa" reinfährt ins musikalische Geschehen. Auch nicht gerade wenige Sätze beginnen mit so einer "tataaaa"-Geste. Aber wie gesagt, dass ist halt subjektives Empfinden.

  • Man nehme die Seitenthemen in KV 550: sehr resignativ im Kopfsatz, flehend-verzweifelt im Finale. (Allerdings vielleicht das extremste Beispiel bei Mozart.) Natürlich hat diese Sinfonie ungeachtet all dessen eine gewisse Eleganz (Schumanns "griechische Grazie"?), aber mir fällt kaum ein Beethovensches Stück mit derart hoffnungslosem Gestus ein (vielleicht op.95, da haben dann aber die tragisch-dramatischen Passagen eine zornige Energie, die keine so tiefe Hoffnungslosigkeit nahelegt) Der Normalfall, selbst in "verzweifelten" Sätzen ist doch eher, dass so etwas wie Adornos Lieblingsstelle im adagio von op.59/1 folgt.

    Ich habe das Gefühl, dass Mozart sich im Gegensatz zu Beethoven und Haydn viel häufiger (oder überhaupt!) offene Sentimentalität erlaubt. Bei Haydn und Beethoven ist Sentimentalität meist eher indirekt, wie z.B. in der Adorno-Stelle: Die relative Leichtigkeit dieser Stelle im Vergleich mit dem Umfeld bringt die Wirkung hervor. Bei Haydn gibt es Stellen mit ganz ähnlicher Wirkung (z.B. eine Durwendung in den sieben letzten Worten, ich weiß gerade nicht, in welchem der Stücke).



    Ich denke, ich habe mich puncto Haydn der groben Vereinfachung schuldig gemacht, als ich sagte, er hält einen Affekt meistens einen Satz lang durch. Ich muss zugeben, dass ich die Symphonien recht selten höre (außer den letzten 15) und sie nicht so präsent habe. Die Aussage bezog sich also hauptsächlich auf die Klaviersonaten und die Kammermusik, wo oft vollkommen gegensätzliche Sätze zu einem Werk verbunden sind.

    In Haydns Kammermusik gibt es auch solche bizarren Kontraste, mir fällt da zum Beispiel das g-moll-Quartett aus opus 20 (Nr. 5, glaube ich) ein, wo im Kopfsatz immer wieder so ein kleines "Rollmotiv" in die tragischsten Momente hineinplatzt. Dass die Sätze selbst auch völlig gegensätzlich sein können, sehe ich auch so!



    Ich habe keine Probleme mit der "Aggression" und dem auftrumpfenden Charakter einiger Stücke Beethovens. Sehr selten empfinde ich es als "aufgesetzt", dazu ist es zu raffiniert gemacht. So etwas wie die durchaus übertriebene Coda im Finale der 5. Sinfonie, in der harmonisch nichts mehr passiert, sondern allein Bewegung und Rhythmus eine oder zwei Minuten Steigerung/Jubel tragen, muss man erstmal hinkriegen.

    Ich habe auch keine Probleme mit den agressiven Stellen bei Beethoven, im Gegenteil, viele davon gehören zu meinen Lieblingsstellen (Durchführung im Kopfsatz der Eroica, Durchführung im Kopfsatz der Achten, einige Stellen im Finale der Achten, die wüsten Ausbrüche im Kopfsatz des f-moll-Quartetts, um ein paar Beispiele zu nennen, die mir spontan einfallen), und sie wirken eher wie ein Katalysator auf mich, als dass sie mich agressiv machen (ich kann das alles zum Beispiel auch wunderbar im Auto hören, ohne dass ich dadurch eine Gefahr für den Straßenverkehr würde :D ).

  • Ich habe das Gefühl, dass Mozart sich im Gegensatz zu Beethoven und Haydn viel häufiger (oder überhaupt!) offene Sentimentalität erlaubt.


    Halt ein Opernkomponist! :D
    Ich nehme an, Du meinst "sentimental" nicht so abwertend, wie es heute oft verwendet wird. Bei Mozart kommen m.E. mehrere Aspekte zusammen: stärker "opernhafte" Dramatik, höherer Stellenwert von abgeschlossenen Melodien (wobei die beiden Bsp. aus der g-moll-Sinf. da nicht so typisch sind) und eine mitunter "schwelgende" Stimmführung und Instrumentation.


    Aber eigentlich soll es hier ja um Beethoven, nicht um Mozart gehen...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Ich habe keine Probleme mit der "Aggression" und dem auftrumpfenden Charakter einiger Stücke Beethovens. Sehr selten empfinde ich es als "aufgesetzt", dazu ist es zu raffiniert gemacht.


    Hallo Johannes,


    genau diese Raffinesse ist ein Teil davon, was mich an Beethoven geradezu bindet. :angel:

  • Ob Beethoven nun zur "Klassik" oder "Romantik" ist eine Frage, die ich heute nicht mehr so interessant finde. Ich zähle ihn zur Klassik und meine, dass man das anhand der musikalischen Formen und Verfahrensweisen auch gut begründen kann. (Dass Hoffmann Beethoven "romantisch" nennt, hat nicht viel zu sagen, er nennt auch Haydn und Mozart romantisch.)


    Andererseits sollte man darüber aber auch nicht vergessen, dass Beethovens Musik keineswegs nur als "Fortsetzung" von Mozart empfunden wurde, sondern oft als provozierend neu und dass die "Romantiker" dort anknüpften und nicht nur die "Klassizisten" wie Mendelssohn und Schumann, sondern auch die "Verrückten" wie Berlioz und Wagner. Wenn man mit "Romantik" eine bestimmte Intensität des Ausdrucks verbindet, dann kann ich verstehen, dass man Beethoven anders einordnet, wobei ich dieses Kriterium, sofern nicht verfeinert, schon problematisch finde. Denn "romantische" Stücke fänden sich dann auch schon bei Mozart und Haydn oder im Barock. Und wie wir auch schon mancherorts angesprochen haben, gibt es nicht wenig bei Beethoven, an das erst einmal niemand so recht angeknüpft hat.


    Da ich neulich die Idee, dass manche Musik besonders "zeitlos" sei für Unsinn erklärt habe, will ich Beethovens Musik nicht so klassifizieren. Eher würde ich sagen, dass sie (oft) derart originell und von einem außergewöhnlich persönlichen Stil geprägt ist, dass sie sich vielleicht auch deswegen schlechter in eine Epoche zwängen lässt.

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Da ich neulich die Idee, dass manche Musik besonders "zeitlos" sei für Unsinn erklärt habe, will ich Beethovens Musik nicht so klassifizieren.


    Es ist durchaus auch meine Meinung, daß es keine "zeitlose" Musik" gibt - wenngleich ich das in meiner Jugend durchaus geglaubt habe. Es gibt aber wahrscheinlich Musik die gegenüber Zeitströmungen unempfindlicher ist, als das üblicherweise der Fall ist. Ich habe den Eindruck, daß das bei Beethoven der Fall ist - indes wird es vermutlich auch hier Schwankungen geben. Weder Bach noch Mozart, und auch Haydn nicht, wurden zu jeder Zeit als das Non-Plus-Iltra der Musik gesehen, von Schubert, Bruckner und Mahler ganz zu schweigen. Beethovens Musik scheint von einer Struktur zu sein, die vieleb verschieden Geschmäckern und Zeitströmungen entgegen kommt. Ich würde da durchaus auch das "heroische" (ob "hineinprojiziert" oder echt vorhanden spielt hier keine Rolle) Element als wichtigen Baustein hierzu betrachten.
    Beethoven ist aus meiner Sicht vermutlich keine Fortsetzung von Mozarts Stil, selbst wenn er anfangs darauf aufbaute. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die beiden - hätte Mozart länger gelebt - miteinander in "friedlicher Ko-Existenz" gelebt hätten.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich glaube, es war Karl Böhm, der einst meinte: "Beethoven erreicht in manchen seiner Werke den Himmel, aber Mozart, der kommt von dort!"


    Fakt ist, dass ich es genau umgekehrt sehen würde. Beethoven ist vermutlich der Komponist, der auf die breiteste Zustimmung bei "Klassikhörern" stößt. Die, die von der Alten Musik kommen, können ihn (grad noch) akzeptieren; jene, welche von der Spätromantik kommen, kommen mit ihm auch klar (besonders, was die 3., 5., 7. oder 9. Symphonie angeht); bei Haydn haben diese Leute schon häufig Probleme.


    War Beethoven seit seinen Lebzeiten jemals völlig "out"? Ich glaube nicht. Er wurde doch bis zu Brahms' 1. in den 1870ern (!) für unerreichbar gehalten, Schumann ist daran fast zerbrochen (auch wenn seine Symphonien m. E. keine Vergleiche zu scheuen brauchen). Bereits 1913 (?) nahm man Beethovens 5. auf. Im Nationalsozialismus waren die 5. und 9. "die" deutschen Symphonien. Nicht einmal das konnte ihm schaden (im Gegensatz zu Wagner, in dem noch heute gewisse Leute einen "Nazi-Komponisten" sehen; dass Beethovens 9. beim "Führer-Geburtstag" oftmals aufgeführt wurde, interessiert offenbar keinen). Bereits kurz nach dem Krieg erfreute sich Beethoven größter Beliebtheit. Einer der größten Dirigenten aller Zeiten, Furtwängler, wird noch heute von vielen vor allem als Beethoven-Dirigent wahrgenommen. Seit den 50er Jahren liegen unzählige Gesamtaufnahmen seiner Symphonien vor, er dürfte ziemlich sicher den Rekord halten. Und kein Ende in Sicht!


    Fazit: Beethovens Musik ist offenbar fast allen zu jeder Zeit verständlich.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich meinte nicht in erster Linie die Rezeption oder Wertung, meine das auch gar nicht als Werturteil, sondern tatsächlich, so fragwürdig das sein mag, einen stilistischen Aspekt.
    Man mag ja Bach oder Mozart oder Wagner oder wen auch immer für gleichermaßen bedeutend halten oder höher einschätzen. Aber Bach ist unverkennbar ein Barockkomponist, Mozart einer des späten 18. Jhds., Wagner einer der Romantik/Spätromantik usw. Beethoven sitzt historisch-biographisch tatsächlich zwischen zwei Epochen, wenn man denn welche einteilen will


    Stravinsky hat die Große Fuge op.133 sinngemäß als ein Werk bezeichnet, das "immer zeitgenössisch sein wird" und ich meine, dass das in gewissem Sinne für etliche Werke Beethovens in höherem Maße gilt als für die anderer Komponisten. Die "abstrakten" Werke Bachs wie die Kunst der Fuge könnte man hier zwar auch anführen. Die haben m.E. aber zum einen etwas "Unpersönliches", eben diesen gewissen Kontrapunktlehrbuchcharakter, zum anderen sind sie für mich stärker in ihrer Epoche (obwohl oder weil damals als "altmodisch" gesehen) verankert als Beethoven in seiner. Beethoven scheint schon in seiner mittleren Periode die Zeitgenossen praktisch ignoriert zu haben. Es gab keinen Austausch auf Augenhöhe wie bei Haydn - Mozart oder Schumann - Mendelssohn, auch keinen "Gegenspieler" wie Brahms u.a. gegen Wagner u.a. oder Wagner - Verdi. Er war wirklich nur noch sich selbst und der Musik veranwortlich, erst recht bei den späten Werken.

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    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Stravinsky hat die Große Fuge op.133 sinngemäß als ein Werk bezeichnet, das "immer zeitgenössisch sein wird" und ich meine, dass das in gewissem Sinne für etliche Werke Beethovens in höherem Maße gilt als für die anderer Komponisten. Die "abstrakten" Werke Bachs wie die Kunst der Fuge könnte man hier zwar auch anführen. Die haben m.E. aber zum einen etwas "Unpersönliches", eben diesen gewissen Kontrapunktlehrbuchcharakter, zum anderen sind sie für mich stärker in ihrer Epoche (obwohl oder weil damals als "altmodisch" gesehen) verankert als Beethoven in seiner. Beethoven scheint schon in seiner mittleren Periode die Zeitgenossen praktisch ignoriert zu haben. Es gab keinen Austausch auf Augenhöhe wie bei Haydn - Mozart oder Schumann - Mendelssohn, auch keinen "Gegenspieler" wie Brahms u.a. gegen Wagner u.a. oder Wagner - Verdi. Er war wirklich nur noch sich selbst und der Musik veranwortlich, erst recht bei den späten Werken.

    Ich spiele ja ungerne wieder den Spielverderber, aber ähnliche Aussagen wird man wohl auch über Bachs WTC oder die KdF finden. Ich finde, dass auch Bach seine Zeitgenossen mehr oder weniger ignoriert hat, oder wie soll man sein vollkommenes Desinteresse am galanten Stil oder der Oper interpretieren? Bach war wahrscheinlich ein viel sozialerer Mensch als Beethoven und verkehrte mit vielen (teilweise bekannteren) Komponisten freundschaftlich, aber welchen Einfluss Telemanns oder Zelenkas könnte man auf seinen Stil denn konstatieren (klar, es gibt Einflüsse der italienischen Konzertmusik etc.., aber bei Beethoven lässt sich ebenso viel finden)? Weiters, mit wem verkehrte Haydn auf Augenhöhe bevor er Mozart kennenlernte? Nach eigener Aussage "musste" Haydn aufgrund seiner burgenländischen Isolation "originell" werden. Jetzt habe ich noch gar nicht Schubert erwähnt, einen reinen Monolithen, trotz (oder gerade wegen?) seiner Beethovenbegeisterung.

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