WEILL, Kurt: DER KUHHANDEL

  • Kurt Weill (1900-1950):


    DER KUHHANDEL
    Operette in zwei Akten - Libretto von Robert Vambery


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Juanita Sanchez, Sopran
    Juan Santos, Tenor
    Leslie Jones, Waffenhändler, Bariton
    Präsident Vincenzo Mendez, Tenorbuffo
    Informationsminister Ximenez, Tenorbuffo
    Kriegsminister General García Conchas, Bariton
    Emilio Sanchez, Bass-Bariton
    Juans Mutter, Mezzosopran
    Madame Odette, Mezzosopran
    Gerichtsvollzieher, Tenorbuffo
    Rektor, Tenor
    Bürgermeister, Tenor
    Bimbi, Sohn des Präsidenten, Knabenstimme
    Redakteur, Bariton
    Minister von Ucqua, Bariton
    Mädchen, Sopran
    Drei Burschen: Tenor, zwei Baritone
    Drei Gäste: Tenor, zwei Baritone
    Drei Soldaten: zwei Tenöre, Bariton
    Zwei Diener: Tenöre
    Sprechrollen: Eine Frau, ein dicker Mann, der Mann, ein Diener, drei Packer, Gast, Soldat, Unteroffizier Frasquita, Die dicke Wanda, Yvonne, eine Sekretärin
    Chor, Mädchenchor (ad libitum)


    Die Geschehnisse ereignen sich auf einer (imaginären) Karibik-Insel mit zwei Staaten, den Republiken Ucqua und Santa Maria, zur Jetztzeit.


    INHALTSANGABE


    Leslie Jones ist Verkaufschef der amerikanischen Rüstungsfirma Waterkeyn Armaments Corporation of Cleveland. Den Waffen- und Dollar-Umsatz seines Arbeitgebers zu heben ist für Jones eine Herzensangelegenheit. Anstatt sich in der weiten Welt umzusehen, fand es die Firmenleitung diesmal viel interessanter, direkt vor der amerikanischen Haustür umtriebig zu werden. Die Strategie für ein profitables Rüstungsgeschäft ist simpel: Die Regierungen der beiden Inselrepubliken gegeneinander aufhetzen und abkassieren.


    ERSTER AKT


    Erstes Bild: An einem Flusslauf in der Nähe eines Dorfes.


    Juan und Juanita sind verlobt und versichern sich gegenseitig ihre Liebe; ihren Unterhalt bestreiten sie mit einer Milchkuh und durch Fischen im Fluss. Nach dem Liebesduett geht Juan ans Wasser, um Forellen zu fangen.


    Zweites Bild: Das Büro des Rüstungskonzerns in Cleveland.


    Waffenhändler Leslie Jones erhält telefonische Anweisungen über sein Vorgehen in Santa Maria: Er soll die größte Zeitung des Landes kaufen und dann immer wieder Artikel über massive Waffenkäufe der Nachbarrepublik Ucqua lancieren. Der Präsident von Santa Maria, Dr. Vincenzo Mendez, ein ehemaliger Universitätsprofessor, der als liberal und pazifistisch bekannt ist, muss in Gesprächen dazu gebracht werden, die Hochrüstung im Nachbarstaat als Gefahr zu erkennen und ebenfalls Waffenkäufe zu tätigen. Wenn es dabei Probleme geben sollte, sollen Dollars weiterhelfen - Politiker sind nun mal bestechlich, auch Mendez.


    Drittes Bild: Arbeitszimmer im Präsidentenpalast von Santa Maria.


    Der achtjährige Sohn von Präsident Mendez, Bimbi gerufen, singt seinem Papa das Lied vom Husaren, der zu Pferde sitzt. Papa Mendez ist begeistert und küsst Bimbi nach dem Gesang. Dann kommt aber Informationsminister Ximenez und meldet, dass im Vorzimmer ein Herr Jones, von Beruf Waffenhändler, wartet und um ein Gespräch gebeten hat. Mendez beschwört vor Ximenes jedoch seine Friedensliebe, die Waffenkäufe nicht in Betracht kommen lässt. Der Minister ist nicht so zimperlich und präsentiert die auffälligen Zeitungsartikel über die Aufrüstung des Nachbarn Ucqua. Darauf muss Santa Maria reagieren, meint er und bittet Jones herein.


    Der hat den Kindergesang, vor der Tür wartend, natürlich mitbekommen und weiß sofort, was zu tun ist. Nach einer höflichen Begrüßung und eher belanglosem Smalltalk vermacht er Präsident Mendez ein Gut mit Reitpferden - für den Ernstfall sogar als Mittel der Erpressung einsetzbar! Im Gespräch wird aber sehr schnell klar, dass Erpressung nicht nötig sein wird, denn das Waffengeschäft wird sofort, mit der Hilfe von Minister Ximenes eingefädelt.


    Jetzt aber geschieht Unglaubliches: Aus dem Vorzimmer wird Lärm hörbar und Präsident wie Minister wissen, was das bedeutet - der Kriegsminister General Conchaz ist im Palast. Mendez und Ximenez würden sich am liebsten verstecken, der General ist beiden nämlich nicht geheuer, ehrlicherweise muss man sagen: sie fürchten ihn. Und da ist auch noch der Besucher, vor dem man sich ja nicht blamieren kann.


    Und da tritt der General, sozusagen als „Ein-Mann-Armee“, mit Brachialgewalt ins Zimmer - und legt mit dem „Auftrittslied“ los: Er ist der starke Mann, der alles, was er will, auch erreichen kann! „Und wer nicht pariert, wird füsiliert, weil der Soldat den Staat regiert!“ Stolz erinnert er sich, dass er als Junge auf einer einsamen Straße einen Mann mit einem Pferd sah, dass er mit eben jenem Mann „kurzen Prozess“ machte - dann war das Pferd seins, und der Mann war tot! Dieses resolute Durchsetzungsvermögen half ihm auch beim Heer bis zum Generalsrang. Aber das ist Conchaz noch nicht genug, es muss weiter aufwärts gehen, wenn auch der „beste Platz in diesem Land“ momentan noch besetzt ist – vorderhand aber nur. „Ein Schlag, ein Stoß mit starker Hand, der Platz ist leer“. Die Angst von Präsident Mendez scheint wirklich nicht unbegründet zu sein.


    Momentan geht aber noch alles gut, auch deshalb, weil die drei Verhandlungspartner den General finanziell am Waffendeal beteiligen, der im übrigen das Geschäft aus der Sicht des aktiven Militärs nur begrüßen kann - und dann verschwindet. Ach, es könnte alles so schön sein: hätte Mendez nicht das Problem, dass die Staatskasse leer ist. Woher sollen also die Gelder für die Firma Waterkeyn und den General nur kommen? Aber, Herr Präsident, das ist doch wirklich kein Problem - eine neue Steuer, die Wohlfahrtssteuer, soll dem Volk auferlegt werden. Prima gelaufen, Fall erledigt.


    Viertes Bild: Eine Dorfstraße.


    Der Hochzeitstag von Juan und Juanita ist angebrochen und wie es Volksbrauch ist, finden sich alle Dorfbewohner ein. Der Bräutigam muss nämlich aus dem Hause der Brauteltern seine Liebste „entführen“. Aber hier spielt ein Gerichtsvollzieher Schicksal und verhindert Entführung und Trauung: Juan soll, wie es die neue Abgabenordnung verlangt, seinen Beitrag für die beschlossene „Wohlfahrtssteuer“ entrichten. Das geht Juan aber gegen den Strich und er weigert sich. Da ist nun der Vollziehungsbeamte in seinem wahren Element, er pfändet Juans Milchkuh und nimmt ihm damit seine Lebensgrundlage. Es bleibt Juan nichts anderes übrig, als in die Stadt zu gehen, um dort Geld zu verdienen. Mit Wehmut, aber nicht ohne Hoffnung auf eine gemeinsame glückliche Zukunft, verabschieden sich die fast Verheirateten voneinander.


    Fünftes Bild: Der Bahnhof von Baloma.


    Juan hat die erstbeste Arbeit angenommen, die er bekommen konnte: er muss mit vielen anderen Packern Ladearbeiten am Bahnhof ausführen. Die Gruppe vergleicht sich mit altägyptischen Sklaven, die für den Gottkönig schufteten; ihr Arbeitslied ist die „Ballade vom Pharao“. Der Komponist hat in den großartigen Gruppengesang auch eine Arie von Juan eingefügt; darin erinnert er sich an die glückliche Zeit in seinem Dorf („Seit ich in diese Stadt gekommen bin“), die trotz aller Not mit der schweren Arbeit in der Stadt nicht zu vergleichen ist.


    Sechstes Bild: Das Schlafzimmer im Präsidentenpalast.


    Der Präsident hat einen aufregenden Tag hinter sich und will zu Bett gehen, doch da tritt wieder General Conchaz auf - er stürmt wütend in das Präsidenten-Schlafzimmer und erzählt dem erschrockenen Mendez, er sei in den Cafés der Stadt verhöhnt und ausgelacht worden, weil er seine Schulden bisher nicht begleichen konnte. (Merke: Datenschutz ist in Santa Maria kein Thema.)


    Informationsminister Ximenes wird gerufen und als er eintrifft, fordert Conchaz ultimativ vom Präsidenten seinen Anteil am Waffendeal und der Präsident gewährt mit Ximenes' Rückendeckung dem General ein Staatsgeschenk. Genauso wichtig ist für den Militär aber auch das genehmigte Manöver an der Staatsgrenze zu Ucqua, damit die dortigen Militärs ja nicht übermütig werden.


    Nachdem Conchaz durch diese Maßnahmen ruhig gestellt wurde, möchte Mendez mit einer pazifistischen Geste, die auch nach außen hin Wirkung zeigen soll, sein Gewissen beruhigen und schlägt vor, die Staatsführung von Ucqua zu einer Friedenskonferenz nach Santa Maria einzuladen. Nachdem Ximenes und Conchaz diesem Vorschlag zugestimmt haben, blicken sie mit gemischten Gefühlen, die sie mit dem Terzett „Schlafe, Santa Maria“ ausdrücken, aus dem Fenster des Palastes auf die friedlich vor ihnen liegende Hauptstadt.


    Siebtes Bild: Die Dorfstraße, wie im vierten Bild.


    Juan ist aus Baloma mit einem Batzen Geld zurückgekommen und hat auch sofort eine neue Kuh mitgebracht. Damit kann endlich die ausgefallene Hochzeit nachgeholt werden. Als sich das Brautpaar jedoch in die Kirche begeben will, kommt (wer wohl?) erneut der Gerichtsvollzieher und beschlagnahmt auch die neue Kuh. Juan hat nämlich die nächste Rate der Wohlfahrtssteuer nicht bezahlt. Nun rastet der Steuersünder aus und stellt sich dem Gerichtsvollzieher in den Weg, wird aber von dem Staatsbeamten (mit dem Lied „Triffst du mich abends in der Schenke“) in die Schranken gewiesen. Juan hat sich wohl doch etwas übernommen...


    Es kommt für ihn aber noch viel dicker, denn soeben wird die „Allgemeine Wehrpflicht“ bekannt gegeben - Juan muss also Soldat werden. Schon wieder keine Hochzeit und schon wieder Trauergesang, diesmal als Quartett von Juan, Juanita und ihren Eltern. Juanita fasst sich nach Abgang ihres verhinderten Bräutigams als erste: Wenn ihr Juan schon kein Geld für eine neue Kuh verdienen kann, dann muss sie für die Familienkasse sorgen, und das geht, wie sie glaubt, am besten, wenn sie es ihrer Freundin Rosa nachmacht und im Etablissement von Madame Odette in der Stadt als Animiermädchen arbeitet. Gedacht, gesagt und getan!


    Achtes Bild und Finale des ersten Aktes: Festsaal im Präsidentenpalast.


    Präsident Mendez gibt für die haute société von Santa Maria und der Delegation von Ucqua einen Galaempfang. Hier kommt die Stunde von Waffenhändler Jones, der vom Präsidenten soeben die Begleichung längst fälliger Rechnungen für die gelieferten Waffen einfordert. Mendez gerät ins Stottern und muss dann kleinlaut gestehen, dass die neue Steuer nicht die gewünschten Einnahmen erbracht hat, Santa Maria also nicht zahlen kann. Mit gespielter Entrüstung (und einem erheblichen Scheckbetrag für Conchaz) schafft es Jones, den General zum Eingreifen zu bewegen. Dieser ruft noch während der Gala die Machtübernahme durch die Armee und die Mobilmachung gegen den Nachbarstaat Ucqua aus - Staatsstreich!


    ZWEITER AKT


    Neuntes Bild: Im Etablissement der Madame Odette, das zunächst noch hinter einem Prospekt verborgen ist. Davor sieht man eine Straße.


    Unter den Klängen eines Militärmarsches zieht eine Militärkolonne durch die Straße, unter den Soldaten auch Juan.


    Nach dem Durchmarsch der Militärs wird der Prospekt hoch gezogen und gibt jetzt den Blick in den „Salon Odette“ frei.


    Es ist an diesem Abend sehr ruhig in Odettes plüschigem Salon und die Animierdamen sind in der Überzahl, unter ihnen auch Juanita. Plötzlich aber wird es laut, denn mit der von ihm schon bekannten Brachialgewalt tritt Conchaz auf. Sofort stehen Madame und ihre Damen wie Soldaten stramm und singen die Nationalhymne von Santa Maria („Wehe über Land und Meer“).


    Conchaz, der schon ziemlich angeheitert das Etablissement betrat, hat sofort die „Neue“ entdeckt und er fordert Juanita auf, ihm etwas Unterhaltendes vorzusingen. Nach kurzem Überlegen stimmt sie die „Ballade vom Räuber Esteban“ an, die Conchaz, der weiterhin gehörig dem Alkohol zuspricht, so richtig zu Herzen geht. Betrunken, wie er ist, stimmt er nun auch ein Lied an („Weiß fällt aufs Feld der Schnee“), wird aber schon kurz danach vom Informationsminister Ximenes unterbrochen: Am kommenden Tag ist eine Militärparade angesetzt worden und der Herr General hat natürlich dabei zu sein – nüchtern. Also ab nach Hause.


    Der Prospekt senkt sich wieder herab und zeigt abermals die Straße.


    Die Soldaten ziehen - jetzt aus der Gegenrichtung - über die Bühne; sie haben inzwischen Tornister auf dem Rücken und tragen Maschinengewehre. Während des Vorbeimarsches singt Juan ein Lied von seiner Kuh, die er für ein Maschinengewehr tauschen musste.


    Zehntes Bild: Das Schlafzimmer im Präsidentenpalast.


    Das Zimmer hat sich nicht verändert, wir kennen es aus dem sechsten Bild, allerdings hat es einen neuen Bewohner: General Conchaz, der neue Herr über Santa Maria. Geblieben in seiner alten Funktion als Informationsminister ist auch Ximenes, der soeben ins Zimmer tritt und dem Staatschef eine vom Informationsministerium lancierte Pressemeldung zeigt, wonach der frühere Präsident Mendez sich aufs Land zurückgezogen hat. Danach erklärt Ximenes dem General die für den Mittag angesetzte Propagandakundgebung in der Hauptstadt, die der Welt beweisen soll, dass der Präsidentenwechsel in Santa Maria vom gesamten Volk unterstützt wird. Außerdem soll auf dieser Kundgebung ganz offiziell die Kriegserklärung gegen die Nachbarrepublik Ucqua ausgesprochen werden.


    Bevor sich Ximenes verabschiedet kommt Jones zu seinem Abschiedsbesuch. Als er von der bevorstehenden Kriegserklärung hört, stellt er sich prompt auf eine neue Reise in die Republik Ucqua ein - ist doch für ihn klar, dass da noch Dollars abzustauben sind! Aber er spricht auch noch einmal die ausstehenden Zahlung für seinen Konzern an und General Conchaz verspricht die sofortige Begleichung der Schuld.


    Kaum ist Jones gegangen, lässt der Präsident seinen Sekretär kommen und diktiert ihm einen Brief an die Waterkey Armaments Corporation of Cleveland mit dem Inhalt, dass die neue Staatsführung von Santa Maria keinesfalls die Bestellungen des vom Volk abgesetzten alten Regimes zu bezahlen gedenkt.


    Elftes Bild: Vor dem Arsenal von Santa Maria steht Juan als Wachtposten; vis à vis das Etablissement von Madame Odette.


    Juanita hat gesehen, dass ihr Liebster als Wache vor dem Arsenal steht und rennt deshalb hinaus, umarmt und küsst ihn. Das ist zwar gegen jegliche militärische Vorschrift, aber das nimmt man hier nicht so genau. Insofern wundert es auch nicht, dass die beiden sich sehr viel zu erzählen haben, von der „Bewachung“ eines militärischen Objektes durch Juan also keine Rede sein kann. Für die Verliebten ist „Geld zählen“ viel wichtiger, denn Juan hat von Ximenes „Fünf Duros“ bekommen (dafür soll er bei der Parade als Stellvertreter für alle Soldaten dem neuen Präsidenten Conchaz mit dem obligatorischen „Ja“ die Treue der Armee versichern). Als nun Juanita ihre bei Madame Odette verdienten Duros hinzurechnet, stellen sie fest, dass es auf jeden Fall für eine neue Kuh ausreicht.


    Zwölftes Bild und Finale des zweiten Aktes: Der Platz vor dem Präsidentenpalast.


    Vor Präsident Conchaz paradieren die Streitkräfte (was man sich bitte nicht als zackige Veranstaltung vorstellen darf) und Abordnungen aus verschiedenen Gruppen des Volkes. Als nun der große Augenblick des Treueeides naht und Juan von zwei Soldaten auf die Tribüne gebracht wird, lässt Juan anstelle des von allen erwarteten „Ja“ seine Hand empor schnellen und gibt Conchaz eine schallende Ohrfeige! Nach einer Schrecksekunde wird er verhaftet und Conchaz befiehlt seine Erschießung. Das aber erweist sich als undurchführbar, denn die von Waterkeyn gelieferten Gewehre sind unbrauchbar - es sind verrostete Altbestände.


    Aber das ist für Präsident Conchaz überhaupt kein Problem: er passt sich einfach der neuen Situation an und verkündet anstelle der Kriegserklärung die Vorzüge einer friedlichen Koexistenz mit Ucqua. Das Volk jubelt und Conchaz verzeiht Juan den persönlichen Angriff - und gibt Juan und Juanita seinen Segen zur Hochzeit. Ende gut, alles gut.


    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Ich habe jetzt angefangen, mit Vambery zu arbeiten, weiß aber noch nicht, ob es geht. Es wäre eine Erlösung, wenn endlich einer da wäre, der das machen kann, was ich brauche. Es ist so nervösmachend, zu wissen, was man leisten könnte - und seine Kräfte zu verbrauchen auf der Suche nach einem Libretto.


    Das schrieb Weill am 12. Januar 1934 aus Paris an seine Frau Lotte Lenya. Der erwähnte Robert Vambery, früherer Chefdramaturg des Theaters am Schiffbauerdamm, hatte sich Weill als Partner für ein neues Bühnenprojekt angeboten und schlug im Januar 1934 eine Operette („im Geiste Offenbachs“- für den Weill nach eigenen Worten eine „Affinität“ hatte) mit sozialpolitischem Hintergrund vor. Unzweifelhaft lässt sich als Vorlage Heinrich von Kleists Novelle „Die Verlobung von St. Domingo“ ausmachen. Unzweifelhaft auch die geographische Zuordnung auf die Insel Hispania mit den Staaten Santo Domingo und Haiti; dort hatte sich 1930 ein gewisser Herr Trujillo zum Diktator aufgeschwungen. Aber auch die damals aktuellen deutschen Politiker lassen sich eindeutig erkennen: General Conchaz erinnert an Göring (andere Kommentatoren denken an Mussolini), Ximenes ist eindeutig Joseph Goebbels nachgezeichnet.


    Auch der in dieser Operette eine wichtige Rolle spielende Waffenhandel hat eine damals aktuelle (südamerikanische) Parallele, denn 1934 wurde durch die internationale Presse ein Vorfall publik, bei dem ein Konflikt zwischen Paraguay und Bolivien von der internationalen Rüstungsindustrie mit der Belieferung von Waffen an beide Seiten zu einem lohnenden Geschäft ausgebaut.


    Am 27. Februar 1934 berichtete Kurt Weil abermals an Lotte Lenya:


    Ich beschäftige mich jetzt mit der Operette, die sehr schön werden wird. Ich habe schon drei Nummern gemacht, die ganz schlagend sind (...) Ich verspreche mir viel von dem Stück, weil ich so leicht daran arbeite, wie seit langem nicht.

    Und nochmals zwei Wochen später hat Weill schon sieben Nummern“ fertig, die außerdem gut geglückt sind, in einem sehr schönen, neuartigen Stil. Ich habe eine sehr gute Arbeitssträhne, es geht ungeheuer leicht, und es fällt mir viel ein.“


    Entsprechend seiner Praxis, bereits während der Arbeitsphase Aufführungsmöglichkeiten zu prüfen, wandte sich der Komponist an mehrere Bühnen mit der Frage, ob Interesse an der Operette „Die Verlobung von Santa Maria“ (so der damalige Titel) bestehe. Doch aus Paris, aus Wien, Prag und London kamen Absagen. In dieser Zeit einigten sich die Autoren auch auf den neuen Titel DER KUHHANDEL, den sie in seiner aphoristischen Zuspitzung als „dem Werk gerechter“ ansahen.


    Zunächst legte Weill den KUHHANDEL aber wegen anderer Projekte beiseite. Im Frühjahr 1935, als Weill sich in London aufhielt, entschied sich dann das Schicksal seiner Operette: Es kam zu einem Vertragsabschluss mit einer Londoner Produktionsgesellschaft, die aber eine Umarbeitung notwendig machte. Vambery passte das Libretto mit den damals berühmten Songtextern Reginald Arkell und Desmond Carter englischem Standard an und Weill revidierte den musikalischen Part, um dem West-End-Stil nahezukommen. So wurde aus DER KUHHANDEL jetzt „A Kingdom for a Cow“ und so kam am 28. Juni 1935 im Londoner Savoy-Theater die Uraufführung zustande. Trotz guter Presse blieb der Erfolg aus; das Aus für die Produktion kam nach drei Wochen.


    Weill zog schließlich 1936 gegenüber dem Verleger Heugel in Paris „A Kingdom for a Cow“ mit der Begründung zurück, er beabsichtige, den KUHHANDEL in der Originalgestalt zu vollenden. Bei der Absicht blieb es allerdings, woran die Wirren des Exils Hauptgrund gewesen sein dürften. Als Weill im Jahre 1950 an den Folgen eines Herzinfarktes starb, war DER KUHHANDEL, ein bedeutendes Werk im Œuvre Weills, immer noch unvollendet, und das Genre der Operette um ein bedeutsames Werk ärmer.


    Robert Vambery dagegen nahm sich 1970 sein Libretto noch einmal vor, arbeitete es grundlegend um und übergab es 1978 dem Verlag Schott. Diese Version war die Grundlage für eine Bühnenversion, für die Lys Symonette die Partitur Weills rekonstruierte und vervollständigte - diese Fassung wurde am 18. Juni 1994 in Bautzen unter Anwesenheit von Symonette und Vambery uraufgeführt (Lys Symonette war Assistentin von Kurt Weill und Ehefrau des zeitweise an der Rheinoper in Düsseldorf engagiert gewesenen amerikanischen Opernsängers Randolph Symonette).


    Eine weitere, sich am überlieferten Material (Original-Libretto und der vom Komponisten selbst instrumentierten Nummern) orientierende Fassung kam am 22. März 1990 während des „Weill-Festival Nordrhein-Westfalen“ konzertant in Düsseldorf zur Aufführung; hierfür mussten zwei Nummern von Robert Dennis instrumentiert werden, die nur im Klavierauszug vorlagen: das „Quartett“ (An das Volk von Santa Maria) und die „Ballade vom Pharao“.


    © Manfred Rückert für Tamino-Operettenführer 2012
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Aufsatz von Jürgen Schebera im Booklet der Capriccio-Einspielung
    Wikipedia über Kurt Weill und DER KUHHANDEL

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    MUSIKWANDERER

  • Zwei Aufnahmen von Weills Operette sind derzeit bei den Tamino-Werbepartnern jpc und Amazon erhältlich. Der Musikfreund, der Weills Musiksprache zu kennen glaubt, wird von der Musik dieses Werks überrascht sein und zugleich bedauern, dass der Komponist seine Absicht der Vervollständigung nicht mehr in die Tat umsetzen konnte:



    Die obige Aufnahme bietet lediglich einen Querschnitt aus DER KUHHANDEL; als Solisten sind Lucy Peacock, Eberhard Büchner, Walter Raffeiner, Oscar Hillebrandt, Christian Schotenöhr, Udo Holdorf, u. a. eingesetzt; es singt der Kölner Rundfunkchor, es spielt das Kölner Rundfunkorchester unter Jan Latham-König. Diese Einspielung entstand mit der Besetzung der in den Werkinformationen erwähnten Düsseldorfer Aufführung.




    Die DVD ist eine Adaption aus der Wiener Volksoper mit Ursula Pfitzner, Dietmar Kerschbaum, Michael Kraus, Carlo Hartman, Wolfgang Gratschmaier, Ralf Haunstein, Josef Ferstner und Regula Rosin; ferner Chor und Orchester der Volksoper Wien unter der Leitung Christoph Eberle.

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    MUSIKWANDERER