Musik, Krankheit und Politik – Schumann und die Grenzlinie von 1850

  • Seit 1900 gibt es in Deutschland und Österreich ein weit verbreitetes Unbehagen an der neuen Musik. Die gilt schlicht als krank. Die Grenzlinie lässt sich sehr genau ziehen: Schumanns Werke bis zum „Album für die Jugend“ 1848 auf der einen Seite, Liszts h-Moll-Sonate von 1853 auf der anderen. Doch muss stutzig machen, dass Liszt diese Sonate – Schumann gewidmet hat.


    Schumann gehörte mit seiner 1843 gegründeten „Neuen Zeitschrift für Musik“ zu den Wegbereitern der neuen Musik und hat auf seine Art die Entwicklung hin zur bürgerlichen Revolution 1848-49 auf dem Gebiet der Kunst stark gefördert.


    In Schumann stoßen die Bruchlinien aufeinander. Seine Krankheit ist kein Zufall. Seine Kindheit in Sachsen stand noch unter den verheerenden Folgen der napoleonischen Kriege (er war zweieinhalb Jahre von seiner Mutter getrennt, die von einer Typhus-Epidemie in Folge des Krieges erkrankt war), in seinen Zwanzigern schwankte er zwischen traditionellem Burschenschaftsleben in Heidelberg und Begeisterung für die neuen Ideen aus dem revolutionären Paris (gemeint ist hier die revolutionäre Epoche von 1830-48 ), die Konflikte mit Clara zeigen bereits alle Züge des sich wandelnden Verhältnisses zwischen Mann und Frau, wobei Robert sich keineswegs so eindeutig patriarchalisch verhalten hat, wie oft dargestellt wird.


    Und gerade seine Krankheit macht ihn fast „modern“. Sie nahm viele Züge der typischen Zivilisationskrankheiten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorweg (Grandiosität, Depression, Fragmentierung der eigenen Persönlichkeit).


    So ist es kein Wunder, dass es seit 1990 geradezu einen Boom an Literatur über Clara und Robert Schumann gibt, die fast durchgehend fesselnd und sehr persönlich geschrieben ist. Sie sprechen gerade als Persönlichkeiten und nicht nur über die Musik unmittelbar an.


    Schumanns Krankheit – und eine Sonate ohne jeden gesunden Gedanken


    Im Grunde stellt sich die Frage, ob Schumann überhaupt krank oder einfach unglücklich war, und die Medizin den Blick auf den Menschen verloren hat. Seinen meisten Krankheiten (Alkoholismus, Depressionen, Verlust eines Fingers nach Selbstverletzung) gingen persönliche Schicksalsschläge voraus, häufig Todesfälle wie der Selbstmord der Schwester, der Tod von Bruder und der geliebten Schwägerin, Enttäuschungen durch fehlende Anerkennung als Komponist.

    Was sagten die Ärzte: Sein behandelnder Arzt Richarz vermutete Paralyse nach Syphilis. In der typisch trockenen medizinischen Sprache gibt es jedoch zahlreiche abweichende Meinungen: Keine Paralyse, sondern Dementia praecox (Möbius 1906). (Später wird oft wiederholt, Schumann hat an Schizophrenie gelitten). Keine Dementia praecox, sondern Zyklothymie (leicht manisch -depressiv) bis 1850; dann wahrscheinlich Paralyse oder schwere organische (vielleicht luetische) Hirnerkrankung (Gruhle 1906). Endogen krank (Möbius 1907). Manisch-depressiv (Nathan, Dupre). "Psychasthenie constitutionelle"; Angstneurose. Paralyse (Pascal 1908 ). Quelle Heute scheinen die Psychiater der Meinung zu sein: bipolare affektive Störung (früher „Zyklophrenie“, manisch-depressiv, heute Bipolar II nach ICD-10: F31) (so Kaper März 2005 in Link )


    Wird der Sache genauer nachgegangen, ergeben sich mehr Fragen als Antworten. Inzwischen wird für möglich gehalten (Eva Weissweiler), dass Clara die Krankheit dramatisiert hat, um ihn (wie später auch den Sohn Ludwig) in einer Anstalt loszuwerden. Sie hätte dann nach 1850 mithilfe der Medizin vollstreckt, was ihrem Vater vor 1840 nicht gelungen war. Sicher ist, dass sie ihn während der über 2 Jahre Klinikaufenthalt nur einmal kurz vorm Tod besucht hat. Als es nach seinem Tod mit Brahms nicht wie gewünscht lief, erkor sie sich bereits 1857 seinen früheren Freund Theodor Kirchner zum Liebhaber.


    Im Juni schickt Liszt seine h-Moll-Sonate mit einer Widmung an Robert nach Düsseldorf. Clara: „Das ist nur noch blinder Lärm – kein gesunder Gedanke mehr“. Brahms spielt sie ihr vor. Robert wird sie nicht erhalten haben.



    Liszt Klaviersonate


    Schumanns Krankheiten rühren an die Wurzeln der Musik: überwältigende akustische Halluzinationen; das sichere Gefühl musikalischer Eingebung entglitt zur Angst, von Dämonen- und Engelsstimmen und den Geistern verstorbener Vorgänger heimgesucht zu werden und darüber den Verstand zu verlieren. Da ist nach innen gekehrt, was ihm und anderen von außen als Krankheits-Vorwurf entgegenschlug.


    Der „deutsche“ Komponist?


    Nietzsche hatte ein feines Gespür für alles, was in Deutschland vorging. In seiner Jugend war er von Schumann begeistert, hat dann aber wohl unter dem Einfluss von Wagner und Cosima die Grundhaltung geändert. Was er über Schumann schrieb, muss nur richtig gelesen werden:


    „Schumann mit seinem Geschmack, der im Grunde ein kleiner Geschmack war (nämlich ein gefährlicher, unter Deutschen doppelt gefährlicher Hang zu stiller Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls), beständig beiseite gehend, sich scheu verziehend und zurückziehend, ein edler Zärtling, der in lauter anonymem Glück und Weh schwelgte, eine Art Mädchen und "noli me tangere" von Anbeginn: Dieser Schumann war bereits nur noch ein deutsches Ereignis in der Musik, kein europäisches mehr, wie Beethoven es war.“


    Schumann stand wie Wagner unter dem starken Druck, sich den ihm verhassten Spießern anzupassen. Während Wagner in großer Pose darüber hinwegging (und später machtlos um so stärker davon überwältigt wurde, was Nietzsche spät, viel zu spät bemerkte), durchschaut Nietzsche wunderbar, welchen faulen Kompromiss Schumann suchte.


    Ist er dabei „deutsch“? In Phasen der Depression war es für Schumann die beste Heilung, sich in die Fugen von Bach zu vertiefen und in deren Stil zu komponieren. Das ist weniger eine neobarocke Rückwendung, sondern der Versuch, in der Tradition deutscher Tonsetzer die Kraft zu finden, um den Konflikten des Alltags in einer Weise entkommen zu können, dass am Ende doch in den niedergeschriebenen Noten etwas Bleibendes festgehalten werden kann – und sich nicht alles verflüchtigt, wie mit sicherem Blick Nietzsche die wahre Gefährdung bei Schumann erkennt. Und so verstehe ich auch das Ideal, das dann auf je eigene Art Brahms, Reger, Hindemith und Schönberg in der Tradition Schumanns fortsetzen wollten.


    In diesem Sinn das „Deutsche“ bei Schumann zu verstehen und nach Möglichkeit die Verkleinerung zu vermeiden, die Nietzsche gespürt hat, das fällt bis heute schwer, seit der Nationalsozialismus nochmals auf seine Weise alles neu gemischt hat. Da wurden einfach Komponisten aufgrund der bloßen Tatsache verboten, dass sie Juden waren, so auch Mendelssohn und Schönberg (und von anti-semitischen Tönen waren auch Robert und Clara Schumann nicht frei, trotz ihrer Freundschaft mit Mendelssohn), um dann auf der anderen Seite das „deutsche Wesen“ politisch zu verordnen: Bei Großveranstaltungen wurden Wagner und Liszt zelebriert, für die Musikausbildung jedoch die Musikauffassung seit Schumann als Ideal gesetzt.


    So ging es nicht, und nun einfach spiegelbildlich zu sagen: Alles, was die Nazis machten, ist falsch, und alles, was sie nicht machten, richtig, erzeugt eine neue Abhängigkeit von ihrer Politik. Nicht besser ist es mit Vorwürfen, etwas sei nationalsozialistisch. Das ist eine ähnliche Art wie jemanden als krank zu bezeichnen, um sich nicht näher mit ihm beschäftigen zu müssen.


    Weitere Beiträge zum Thema Musik und Politik sollen folgen.


    Viele Grüße,
    Walter



    [Anmerkung: Siehe auch folgenden thread mit ähnlicher Thematik
    Wurde Robert Schumann zum Tode verurteilt? TB]

  • Hallo Walter,


    ein Zitat aus deinem Text:


    "Wird der Sache genauer nachgegangen, ergeben sich mehr Fragen als Antworten. Inzwischen wird für möglich gehalten (Eva Weissweiler), dass Clara die Krankheit dramatisiert hat, um ihn (wie später auch den Sohn Ludwig) in einer Anstalt loszuwerden. Sie hätte dann nach 1850 mithilfe der Medizin vollstreckt, was ihrem Vater vor 1840 nicht gelungen war. Sicher ist, dass sie ihn während der über 2 Jahre Klinikaufenthalt nur einmal kurz vorm Tod besucht hat. Als es nach seinem Tod mit Brahms nicht wie gewünscht lief, erkor sie sich bereits 1857 seinen früheren Freund Theodor Kirchner zum Liebhaber."


    Die Ansicht, Clara habe Robert "abgeschoben", halte ich nicht für vertretbar: Robert Schumann hatte 1854 versucht, sich umzubringen. Erst danach kam er in die Klinik, die damals übrigens als ausgesprochen fortschrittlich galt.


    Über die Frage, warum Clara ihn so wenig besucht hat, ist oft spekuliert worden. Wie wäre es damit, die einfachste Lösung zumindest in Erwägung zu ziehen? Robert Schumann litt an den Folgen einer unbehandelten Geschlechtskrankheit. Wenn er sich nicht bei ihr angesteckt hat, dann woanders - also war er ihr untreu. Das mag eine Ehe im 19. Jhdt. schon mal in eine Krise gestürzt haben, und dazu geführt haben, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte.


    Freundliche Grüße


    Heinz

  • Hallo,


    Zitat

    Original von heinz.gelking
    Über die Frage, warum Clara ihn so wenig besucht hat, ist oft spekuliert worden.


    Vielleicht ist das ganz naheliegend. Von irgendwas mußten Clara und die Kinder leben und Clara ist m.W. viel gereist und hat Konzerte gegeben. Ich meine, sie hat sogar vorwiegend Kompositionen ihres Mannes gespielt.


    Sophia

  • Salut Walter und die anderen,


    schöner Beitrag! Wahrlich ein gefundenes Fressen für Phantasie, Spekulation und Wahrheit!


    Ich hab's schon einmal irgendwo hier gepostet: Im Schumannhaus [Endenich] befindet sich ein Brief Robert's, wenige Tage vor seinem Tod an Clara geschrieben: Es ist dort absolut nichts von einer Krankheit zu erkennen, weder am Schriftbild noch inhaltlich [also keine geistige Verwirrtheit oder soetwas].


    :yes:


    Addio
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Heinz,


    Du triffst den heikelsten Punkt, der mich auch am meisten geschockt hat bei der Vorbereitung dieses Beitrags. Am auffallendsten ist für mich, dass in dieser Frage im Grunde nichts als gesichert gilt. Ulli, Du hast recht: Dies ist „wahrlich ein gefundenes Fressen für Phantasie, Spekulation und Wahrheit!“ Und die These meines Beitrags ist: Es ist kein Zufall, dass gerade um Robert Schumann solche Vermutungen über Krankheit und Genie ranken. Daher das Thema: „Musik, Krankheit und Politik“.


    Aber mir ging es wie Euch, dass ich überhaupt erst einmal verstehen wollte, was von den üblicherweise bekannten Bruchstücken über die Biographie sicher ist.


    1. Bis heute ist umstritten, ob Schumann überhaupt Syphilis hatte. Es wird vermutet, dass er sich 1831 angesteckt hat, also lange vor seiner Heirat mit Clara. Friedrich Wieck wusste genau um Schumanns Lebenswandel, schließlich lebte dieser in den kritischen Jahren in dessen Haus und war 1834 mit seiner Schülerin Ernestine von Fricken verlobt. Im Grunde ist dem alten Wieck nicht ganz zu verdenken, was er gegen eine Heirat seiner Tochter mit einem Mann hatte, dessen Ausschweifungen er aus nächster Nähe miterleben konnte. Allerdings hätte er sehen müssen, was noch in Schumann steckte und warum sich seine Tochter trotzdem in ihn verliebt hatte. --- Die wichtigste Quelle ist Schumann selbst, der nach einem Bericht des behandelnden Arztes Dr. Richarz in der Nerven-Heilanstalt am 12.9.1855 aufgeschrieben hat, dass er sich an Syphilis angesteckt hat. Aber ist sicher, ob das nicht nur eine Angst war? Ist sicher, dass er das wirklich aufgeschrieben hat: Um diese Zeit wurden Stimmen laut, die an seiner Krankheit zweifelten, z.B. von Bettina von Arnim, die ihn im Mai 1855 besucht hatte. - Ich habe auch eine Spekulation gelesen, die Lähmung des Fingers könne auf eine Arsenik-Behandlung gegen Syphilis 1832 zurückzuführen sein.


    2. Nach seinem Selbstmordversuch ist Schumann eingeliefert wurden, weil er „Melancholie mit Wahn“ hatte. Wären die Nervenheilanstalten nicht etwas voller, wenn jeder mit diesem Krankheitsbild dort sitzen würde? Clara verwies zur Begründung auf die Berichte in ihrem eigenen Tagebuch über seine Halluzinationen. Einen ausführlicher Bericht über die Halluzinationen hat sie jedoch erst Wochen später ergänzt, als er bereits in Bonn-Endenich war. Im übrigen hat sie dies Tagebuch später verbrannt, und außer dem ersten Biographen Berthold Litzmann hat es niemand eingesehen.


    3. Es gibt verschiedene Berichte, die Schumann als völlig gesund bezeichnen. Auch Ullis Eindruck von Schumanns spätem Brief bestätigt das.


    4. Sophia: Clara hat Robert nicht wenig, sondern bis kurz vor seinem Tod nie besucht, nicht einmal zu seinem Geburtstag. Weihnachten 1854 gingen weder sie noch Brahms mit, als Joseph Joachim Schumann nicht allein lassen wollte und ihn besuchte.


    5. Der andere Schock bezieht sich auf die Kinder. Julie, 1845 geboren, starb bereits 1872. Das junge Mädchen war Brahms von Anfang an ans Herz gewachsen. Clara hatte sie dann schon 1854 nach Berlin zu ihrer Mutter gegeben und nicht einmal zu Weihnachten eingeladen. Felix, der der Sohn von Brahms sein könnte, starb 1879. Clara schrieb im Brief mit der Todesnachricht an Brahms: „Felix hatte eben Talent zu Vielem, aber in keiner Sache besondere Begabung“. Ludwig, 1848 geboren, kam wie sein Vater in eine Nervenheilanstalt. Als Clara ihn dort 1873 besuchte, wirkte er so gesund, dass der Anstaltsdirektor ihr anbot, ihn wieder abzuholen. Sie ging darauf nicht ein. Er sollte sie bis zu seinem Tod 1899 nicht mehr sehen.


    Das klingt alles so extrem, dass es kaum zu glauben ist. Auf persönlicher Ebene verbirgt sich eine tiefe Ehekrise dahinter, die aber sicher auch anders hätte gelöst werden können. Scheidungen gab es auch schon im 19. Jahrhundert. Claras Eltern hatten sich scheiden lassen, als sie 4 oder 5 Jahre alt war (danach war sie dann ganz der Erziehung ihres Vaters ausgeliefert).


    All diese biographischen Details haben angeregt zu dem Boom an Schumann-Literatur, der seit einiger Zeit zu beobachten ist. Aber um an den Anfang zurückzukommen: Meine These geht weiter, und die mindestens ebenso großen Fragen bei Schumann schließen sich an das an, was Nietzsche geschrieben hat, wie Schumann von den anderen Komponisten und den von ihm bekämpften Philistern gesehen wurde.


    Viele Grüße,
    Walter

  • Salut,


    dies ist ersteinmal der Gründer der Heil- und Pflegeanstalt in Bonn-Endenich [Heute Schumannhaus]:



    [Sanitätsarzt Dr. Franz Richarz eröffnete am 26. Oktober 1844 die Heil- und Pflegeanstalt in Endenich]


    Es gibt weitere Größen, welche sich in Endenich behandeln liessen, darunter auch die Maler Carl Gehrts [1853-1898], Alfred Rethel [1816-1859] und Mihaly Munkaczie [1844-1909].



    [Alfred Rethel: Der Tod auf der Barrikade, 1849]



    [Mihaly Munkaczie, Ölbild, Ausschnitt]


    Auf diese Maler wurde ich aufmerksam, nachdem ich heute mit meiner besten Freundin telefonierte. Es klingt zwar etwas merkwürdig, aber je älter diese Dame wird, desto Interessanteres gibt sie von sich. Mittlerweile ist sie auf dem besten Wege, 83 Jahre alt zu werden. Sie ist Ungarin - ihr früh verstorbener Mann ist der Cousin von András Szöllösy, dem Verfasser des Bartók-Werkeverzeichnisses. Sie erzählte mir von einer Ausstellung in Ungarn zu dem ungarischen Maler Munkaczie, welcher in Endenich gestorben ist - sofort kombinierte ich.


    Dr. Richarz verstab übrigens im Januar 1887, vor ihm demnach nur Rethel, quasi "unter seiner Leitung".


    Was Ihr daraus macht, ist Euer Bier.


    Noch was: Das Schumannhaus sollte einst abgerissen werden. Eckhard Hachfeld, ein Kabarettist, rettete es durch folgende am 14.April 1956 veröffentlichte Verse:


    Robert Schumanns Sterbehaus
    sieht nicht neo-prächtig aus,
    und das Bonner Stadtbauamt
    hat's zum Abbruch drum verdammt.


    Ob Ministerwagen fahren,
    wo er starb vor hundert Jahren?
    baut man eine Notenbank
    zu des Notenkünstlers Dank?


    Deutschlands auserwählte Söhne
    geben nichts auf zarte Töne,
    denn wie käme sonst dazu man
    zu der ,,Räumerei von Schumann!"


    Amadeus aber schreibt:
    Liebes Bonn, als Erbe bleibt
    dir bei näherer Betrachtung
    Schumanns geistige Umnachtung.



    Addio
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Vielleicht ist das ganz naheliegend. Von irgendwas mußten Clara und die Kinder leben und Clara ist m.W. viel gereist und hat Konzerte gegeben. Ich meine, sie hat sogar vorwiegend Kompositionen ihres Mannes gespielt.



    Zum Teil auch ihre...

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • Hallo Walter,


    durch die unter den Punkten 1-5 aufgeführten Informationen, habe ich viel dazu gelernt. Ich mache mal ein paar Anmerkungen, die mir einfallen, ohne dass ich sie begründen kann:


    zu 1: Was spricht eigentlich - den Hinweis von Ulli auf den offenbar von keiner gesundheitlichen Beeinträchtigung beeinflussten Brief einmal ausgenommen - dagegen, die Diagnose desjenigen Arztes, der Schumann behandelt hat, ernst zu nehmen? Sollte man nicht eher an späteren Diagnosen (die nicht mehr auf der Begegnung mit dem Patienten, sondern auf der Auswertung von "totem" Quellenmaterial beruhen) zweifeln, weil sie vielleicht auch durch nicht-medizinische Motive geprägt sind, und damit meine ich Motive wie "Erhaltung des Nachruhms durch Leugnung der Geschlechtskrankheit", "Aufwertung Schumanns zum Nachteil Claras" etc. (Musik-)Historiker müssten hier so etwas wie Quellenkritik betreiben, bevor sie so weit gehen, Clara den Vorwurf einer "Abschiebung" zu machen (machen sie bestimmt auch - ich kenne nur wenig Schumann-Literatur und kann das gar nicht beurteilen, habe nur gerade den Reclam-Band über Schumann und seine Sinfonien gelesen).


    zu 2: Eine Einlieferung in ein psychiatrisches Krankenhaus nach dem Versuch, sich selbst zu töten, ist auch heute noch die Regel, insofern: Die "Nervenheilanstalten" (heute tragen sie andere Namen und sind anders konzipiert) sind voller Patienten, die - gegen ihren Willen, aber zu ihrem Schutz - eingewiesen wurden. Das geht in unserem Rechtsstaat allerdings nur auf Anordnung eines Richters. Ich weiß nicht, wie das Verfahren in den 1850er-Jahren war, aber ist es vorstellbar, dass Schumann nur auf Grund von Claras Betreiben eingewiesen wurde? Das stärkste Argument für die berechtigte Einlieferung bleibt der Selbstmordversuch!


    zu 3: Gegen die Annahme, dass Schumann völlig gesund war, spricht sein Versuch, sich zu töten - ich bewerte das nicht "moralisch", doch wer sich derartig selbst gefährdet, steckt zumindest in einer tiefen Krise. Nein, die Annahme, dass Schumann völlig gesund war, klingt mir doch zu sehr nach einer "Verschwörungstheorie". Und wer sollte sich "verschworen" haben? Clara? - Die hätte sich scheiden lassen können. Der Staat? - Lortzing und Wagner waren damals "Staatsfeinde". Schumann nicht.


    zu 4: Ja, diese menschliche Kälte ist erschreckend und unbegreiflich. Es sei denn, man unterstellt, dass Robert sie zuvor mindestens ebenso verletzt hat oder die Ehe wirklich nur noch de jure existierte. Das stützt eher die Annahme, dass Robert sich tatsächlich irgendwo eine Geschlechtskrankheit zugezogen hat. Aber es beweist das natürlich nicht.


    zu 5: Ja, schrecklich --- dieser Umgang mit den Kindern! Aber um das zu be- oder verurteilen müsste man überprüfen, was damals ein "normaler" Umgang mit Kindern war. Sie in die Obhut von Fremden oder Beauftragten zu geben, scheint nicht so ungewöhnlich gewesen zu sein - völlig abgesehen von der Kinderarbeit (der Kinder der unteren Klasse) im Bergbau, der Textilindustrie und der Landwirtschaft. Aber Du sagst es mit Recht: Da tun sich Parallelen im Verhalten Claras gegenüber Robert und gegenüber ihren Kindern auf. Hier findet sich das stärkste Argument dafür, Clara etwas genauer "auf die Finger zu sehen". Es wird Zeit, dass ich mal eine fundierte Biografie über sie lese!


    Walter, Du hast bestimmt viel über Robert und Clara Schumann gelesen. Hast Du nicht Lust, hier eine Literaturliste mit Kurz-Empfehlungen (oder auch Warnungen) einzustellen? Man könnte dann das eine oder andere lesen und "fundierter" weiter diskutieren!


    Freundliche Grüße und vielen Dank für die beiden langen Beiträge!


    Heinz Gelking

  • Salut,


    falls ich das Photo des bereits mehrfach erwähnten Schumannbriefes, welchen er kurz vor seinem Dahinscheiden an Clara schrieb [ich meine, mir gemerkt zu haben: 5. oder 9. Mai], noch finde, werde ich es posten. Andernfalls: Der Brief ist im Schumannhaus in Endenich ausgestellt und sicher irgendwo abgedruckt.


    Meine Aussagen bezügl. dieses Briefes sind keine Erklärungs- oder Deutungsversuche, sondern nur mal so Überlegungen gewesen, die man eben anstellt, wenn man soetwas sieht und liest betreffend des entsprechend Nachfolgenden, was bekannt ist.


    sans, souci
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ein möglicher Grund für Schumanns melancholisches und ,angesichts des Selbstmordversuches, zutiefst verzweifeltes Gemüt:


    1.

    Zitat

    So schnell sich die Schumanns von der rheinischen Mentalität fesseln ließen, so schnell kam die Ernüchterung: Die im Wortsinn praktizierte kommste heut nicht, kommste morgen-Einstellung des Orchesters machte ihm zu schaffen. War es dann mal vollständig, kämpfte er gegen verpatzte Einsätze. Als die Blechbläser einmal aus Achtlosigkeit das in eine falsche Tonart transponierende Instrument gegriffen hatten, gab es statt eines Einsehens gleich eine Diskussion. Und der Chor schwatzte und lachte während der Proben. Schumann fühlte sich nicht ernst genommen.Schon Ende 1851 überlegte er, das Amt niederzulegen, aber ein sechstes Kind (Eugenie) hatte sich angekündigt.


    Nachdem Schumann nach einer Pause im Dezember 1852 wieder als Dirigent auftrat, gab es erste Rücktrittsforderungen. Schumann war zutiefst verletzt. An Pfingsten 1853 überarbeitete er seine Sinfonie in d-Moll, sie wurde dieses Mal wohlwollend vom Publikum aufgenommen.


    oder auch:


    2.

    Zitat

    1843 war Schumann für kurze Zeit Lehrer am Leipziger Konservatorium. Aber die Geldsorgen wuchsen. Clara begab sich wieder auf Konzerttournee, u.a. nach Russland, was ihr 6000 Taler einbrachte. Schumann begleitete sie, in den Augen der Bewunderer Claras als Gatte einer europaweit bekannten Pianistin, für ihn eine furchtbare Demütigung. Manche steckten ihm diskret Geld zu, zutiefst gekränkt notierte Schumann dies in sein Tagebuch mit dem Zusatz. Und Klaras Benehmen dabei.


    3.

    Zitat

    1844 zerschlug sich Schumanns Hoffnung, Nachfolger von Mendelssohn-Bartholdy am Leipziger Gewandhaus zu werden.Schumann zog daraufhin mit seiner Familie nach Dresden. Die Folgezeit bis 1846 war geprägt von Krankheiten, er klagte über Abspannung, Nervenschwäche, Angstzustände, Schwindelanfälle und er wurde schwerfällig.


    4.

    Zitat

    Einige Bemühungen, eine Festanstellung bei einem Konzert- oder Opernhaus in Sachsen zu erhalten, scheiterten. Erst ab Dezember 1849 erhielt Schumann ein reelles Angebot: Die Nachfolge von Ferdinand Hiller als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf. Die Schumanns haben gezögert. Sachsen war ihnen vertraut, das Rheinland so fern. Aber am 1. September 1850 verließen sie Dresden Richtung Westen.


    Ich denke schon, dass es bei diesem Punkt eine Verbindung in die Moderne gibt, schließlich haben Enttäuschungen in Bezug auf Beruf und Arbeit sehr negative Auswirkungen auf die Psyche (5 Millionen Arbeitslose heutzutage).


    Aber: Auch Positives ist zu berichten:


    Zitat

    Lichtseiten


    Der Empfang Schumanns in Düsseldorf war herzlich: Das Orchester sowie der Chor hatten einige Stücke von ihm einstudiert und es gab eigens für ihn einen Ball sowie ein Souper. Schumann wurde von Hiller höchstpersönlich in künstlerische Kreise eingeführt. Die Begeisterungsfähigkeit der Rheinländer steckten die Schumanns förmlich an: Robert komponierte wie versessen und entwarf innerhalb eines Monats seine 3. Sinfonie in Es-Dur, die sogenannte ?Rheinische?. Der Beethovenschen Stimmungsempfindung folgend (Es-Dur steht für heroisch) beschreibt Schumann mit ihr seine ersten Eindrücke, die er von der Fremde hat, die Sätze 1, 2 und 4 sind beschwingt und voller Enthusiasmus. Der 3. Satz spiegelt seinen Eindruck von einer Zeremonie, die Schumann am 12. November 1850 im Kölner Dom erlebte: Die Weihung des damaligen Erzbischofs Johannes von Geissel zum Kardinal.


    Starke Stimmungsschwankungen deuten aber auch nicht auf eine sehr gesunde Psyche hin. Im Vergleich zu Bach könnte man meinen, dass Schubert ein fester Bezugspunkt fehlte(z.B. Religion). Und die Ausführungen von Walter T. (


    Zitat


    3. Es gibt verschiedene Berichte, die Schumann als völlig gesund bezeichnen. Auch Ullis Eindruck von Schumanns spätem Brief bestätigt das.


    4. Sophia: Clara hat Robert nicht wenig, sondern bis kurz vor seinem Tod nie besuchtClara hat Robert nicht wenig, sondern bis kurz vor seinem Tod nie besucht, nicht einmal zu seinem Geburtstag. Weihnachten 1854 gingen weder sie noch Brahms mit, als Joseph Joachim Schumann nicht allein lassen wollte und ihn besuchte.


    5. Der andere Schock bezieht sich auf die Kinder. Julie, 1845 geboren, starb bereits 1872. Das junge Mädchen war Brahms von Anfang an ans Herz gewachsen. Clara hatte sie dann schon 1854 nach Berlin zu ihrer Mutter gegeben und nicht einmal zu Weihnachten eingeladen. Felix, der der Sohn von Brahms sein könnte, starb 1879. Clara schrieb im Brief mit der Todesnachricht an Brahms: „Felix hatte eben Talent zu Vielem, aber in keiner Sache besondere Begabung“. Ludwig, 1848 geboren, kam wie sein Vater in eine Nervenheilanstalt. Als Clara ihn dort 1873 besuchte, wirkte er so gesund, dass der Anstaltsdirektor ihr anbot, ihn wieder abzuholen. Sie ging darauf nicht ein. Er sollte sie bis zu seinem Tod 1899 nicht mehr sehen.


    ) deuten nicht darauf hin, dass Clara, zumindest später, ein fester Bezugspunkt und Ruhepol für das empfindsame Genie darstellen konnte.


    Alles Spekulationen. Aber hey, was wissen wir schon wirklich?

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  • Hallo zusammen,


    die vielen Beiträge haben mich sehr gefreut und treffen gut die Gefühle, wie es mir bei diesem Thema gegangen ist, auch dann, wenn sie in der Beurteilung in eine andere Richtung gehen.


    Heinz, hier ist die Liste der Literatur, die ich in den letzten Wochen aufgegriffen habe. Die ersten beiden Beiträge von Schnebel und Härtling hatte ich schon viel früher gelesen und jetzt nochmals vorgenommen. Am meisten beeindruckt hat mich das Buch von Eva Weissweiler, auch und gerade, weil es so deutlich Partei ergreift. Klare Standpunkte gefallen mir, wenn die Bereitschaft zu erkennen ist, die eigene Meinung auch in Frage stellen zu lassen, und diesen Eindruck habe ich bei ihrem Ansatz.


    Verblüffend gut als Einstieg ist übrigens der Artikel in Wikipedia mit weiterführenden Links und Literaturhinweisen.


    Peter Härtling: Schumanns Schatten, 1999



    Eine subjektive Sicht, die jedoch sehr zum Nachdenken und zum Einfühlen in die Person anregt. Gerade als Einstieg sicher gut geeignet. Vieles darf nicht allzu wörtlich genommen werden und zeigt stärker eine Gegenwartsbiographie denn Schumann. Das macht es aber auch wieder so anregend. Der Leser muss halt mitdenken und das rechte Maß an Distanz wahren.


    Dieter Schnebel: Rückungen - Ver-rückungen


    Psychoanalytische Betrachtungen zu Schumanns Leben und Werk
    in: Musik-Konzepte, Sonderband Robert Schumann I, 1981



    Enthält sowohl eine klare Übersicht über das Leben wie zahlreiche Werkanalysen und eine ungewöhnlich ausgearbeitete Zeitübersicht


    Eva Weissweiler: Clara Schumann: Ein Biographie, 1991



    Dort finden sich all die Fragen, die sonst nicht gestellt werden.


    Das provozierte natürlich Vorwürfe, z.B. http://www.die-tonkunst.de/dtk…Neuerscheinungen/ind.html


    Ein Interview mit der Autorin über die Biographie: http://www.vordenker.de/kollegen/evaw.htm


    Barbara Meier: Robert Schumann, rowohlt monographie, 1995



    Habe ich mehr oder weniger nur der Vollständigkeit halber angeschaut. Sehr schön wie immer in dieser Reihe die vielen Fotos.


    Dieter Kühn: Clara Schumann, Klavier – ein Lebensbuch, 1998

    Steht auf meiner Leseliste, habe ich bisher nur durchgeblättert.


    Tolstoi: Tod des Iwan Iljitsch


    In meiner insgesamt eher kritischen Haltung zu den Ärzten wurde ich nochmals bestätigt durch Tolstoi. Das hat nichts mehr direkt mit Schumann zu tun, aber sehr viel mit dem Verhältnis von Krankheit und Politik. (Sehr preiswert zu erhalten bei Reclam.)


    Beim Surfen durch das Internet fand ich diese Seiten mit zum Teil recht konträren Standpunkten:

    http://www.medical-tribune.at/…dsmid=65758&dspaid=499666


    http://www.wissdok.com/medhis/psychpath.html


    http://www.poxhistory.com/work4.htm


    http://zeus.zeit.de/text/2005/07/R_Schumann


    http://www.geocities.com/Athens/Rhodes/9533/facts.html


    http://people.morehead-st.edu/students/bk/bakalb01/


    http://www.pharmazeutische-zeitung.de/pza/2003-23/meran1.htm


    http://bird.musik.uni-osnabrueck.de/hcs/biographie.html


    http://www.diegeschichteberlin…lichkeitenhn/joachim.html


    http://www.geocities.com/Vienna/7710/brahms.html


    Lieber Ulli, die Botschaft mit dem Foto von Schumanns Sterbehaus und der 83-jährigen besten Freundin ist angekommen. Ich bin sicher, dass eine solche Umgebung eine tiefe Wirkung ausübt. Es würde mich interessieren, falls Du in Worte fassen kannst, was davon an Eindrücken zurückgeblieben ist. Eva Weissweiler erwähnt die anderen – fast hätte ich gesagt: Insassen – auch. Clara und Robert kannten Alfred Rethel schon aus Dresden und hatten ihn nach 1851 in Aachen besucht, wo er die Decken des Kaisersaals ausmalte.


    „Seine Holzschnittfuge über die Revolution von 1848 war zu einem regelrechten Volksbuch geworden. Er hatte darin die Revolution als Tod und die Revolutionäre als Verführte dargestellt. Das Bild, wie sich der Tod die Kapuze vom Kopf reißt und den nackten Schädel zeigt, war von schauerlicher Ausdruckskraft, hatte aber den Vater von Rethels Braut, Herrn Professor Grahl, zu der Überzeugung gebracht, er sei nicht ganz richtig im Kopf und gehöre eigentlich in ein Irrenhaus, jedenfalls nicht an die Seite seiner Tochter.“ (S. 277)


    Das Bild hat mich angeregt, im Internet nach weiteren Darstellungen zu suchen, und einen wahren Reigen von Totentänzen eröffnet, vom tiefsten Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Ein ganz anderer Aspekt zum Thema Musik, Krankheit und Politik. Ich greife nur ein Beispiel heraus, wo der Bezug zur Musik besonders deutlich ist:



    Salomon Rusting: Het Schouw-Toneel Des Doods. Amsterdam 1707



    Ihr seht, das Thema lässt mich nicht los,


    Viele Grüße.
    Walter

  • Hallo,


    den Härtling lese ich gerade. Noch einmal ein dickes Danke für den Tipp! Mit deiner Anmerkung liegst Du völlig richtig. Das ist eine vollkommen subjektive Annäherung an Schumanns Biographie (stilistisch findet das ja auch seinen Ausdruck in "Ich stelle mir vor wie Schumann..."-Formulierungen).


    Gibt's übrigens als TB bei dtv - 10 bestens angelegte Euro!


    Freundliche Grüße


    Heinz Gelking

  • Nachdem ich tiefer in die Quellen (Briefausgaben, ärztlicher Verlaufsbericht, Litzmann) eingestiegen bin, ist schließlich weniger erschütternd, wie fast das gesamte Material vernichtet wurde (von den Tagebüchern, einem großen Teil des Briefwechsels bis zu den Briefen des behandelnden Arztes, dem ärztlichen Bericht über die ersten Monate Schumanns in der Irrenanstalt und Schumanns eigenen Aufzeichnungen während der Krankheit), oder wie selten Schumann besucht wurde, was alles grausam genug ist, sondern mit welcher Hartherzigkeit alle Anzeichen einer Besserung Schumanns negativ interpretiert wurden.


    Litzmann gibt sicher wieder, was ihm Marie, die älteste Tochter und ständige Begleiterin Claras, erzählt hat, und was offenbar in den Jahrzehnten von 1856 bis 1900 zum allgemeinen Konsens geworden war. Zwei Beispiele:


    April 1855: „Ein Besuch, den Brahms am selben Tage in Endenich abstattete, brachte nicht nur durch die Erzählungen, sondern besonders durch die erneute Bestätigung, dass Schumann darauf dringe, Endenich zu verlassen, Unruhe und Schatten."


    Anfang Mai 1855 schrieb Schumann den letzten Brief an Clara, aus Anlass von Brahms' Geburtstag, den dieser in Düsseldorf feierte. Litzmann kommentiert:


    "Die Schriftzüge sind, wie überhaupt die meisten Briefe aus der Krankheit, gegen früher auffallend klar und deutlich und dabei durchaus im Charakter der Handschrift. Und doch gilt, wie von dem nicht mehr abgeschickten Briefe, von diesem Blatt und allen vorangegangenen Grüßen: 'Es wehet ein Schatten darin.' Man kann ihn nicht fassen, nicht mit Händen greifen, aber er ist da."


    Je mehr ich aber über diese Zeit und andere Texte im Umfeld gelesen habe, etwa die Briefe von Clara, desto schwerer fällt es, moralische Vorwürfe an sie richten. Es scheint noch viel schlimmer zu sein, dass sie tatsächlich unfähig war, sich anders zu verhalten. Wenn überhaupt persönliche Vorwürfe gerechtfertigt sein sollten, dann eher in Richtung des damals allerdings noch sehr jungen Brahms, der zweifellos sehr gut verstanden hat, was vorging, und dennoch in beispiellosem Egoismus zusah, wie die von ihm geliebte ältere Frau in eine unlösbare Krise geraten musste, und erst recht ihre Kinder, als deren Ersatzvater er sich einige Zeit sicherlich gesehen hat.


    Schon viel früher hatte Schumann am 12.8.1831 in sein Tagebuch geschrieben: „Ich sah gestern einen Auftritt, dessen Eindruck unauslöschlich sein wird. Meister Raro (Wieck) ist doch ein böser Mensch; Alwin hatte nicht ordentlich gespielt ‚Du Bösewicht, Bösewicht, ist das die Freude, die du Deinem Vater machen solltest’ – wie er ihn auf den Boden warf, bei den Haaren zauste, selber zitterte und schwankte, stille saß, um auszuruhen zu neuen Taten, auf seinen Beinen kaum mehr stehen konnte und deshalb seine Beute niederwarf, wie der Kleine bat und flehte, er solle ihm die Violine geben, er wolle spielen, - ich kann nicht sagen, - und zu allen diesen – lächelte Zilia (Clara) und setzte sich mit einer Weber’schen Sonate ruhig an’s Klavier. Bin ich unter Menschen?“ Damals waren Robert 21 Jahre und Clara 12 Jahre alt.


    Das gibt vielleicht am meisten zu denken, wie Musik zu einem Mittel der völligen inneren Unbeteiligtheit werden konnte. Wie stark konnte das dann im ausgehenden 19. Jahrhundert die Ausbildung der bürgerlichen Musikkultur prägen? Was ist dann noch von dem Faust-Mythos zu halten, den Thomas Mann von der teuflischen Verführung auf die syphilitische Ansteckung übertrug, - bestimmt mit Schumann, Nietzsche oder Hugo Wolf vor Augen - , der gerade auch die musikalischen Genies in Deutschland („Deutsche Meister – böse Geister?“, so ein neuerer Buchtitel) geschlagen haben soll? Schumanns Schicksal regt an, über die deutsche Mythenbildung ganz neu nachzudenken. Sie scheint mir mehr zu verbergen als zu erklären.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Zitat

    Original von Walter.T
    Nachdem ich tiefer in die Quellen (Briefausgaben, ärztlicher Verlaufsbericht, Litzmann) eingestiegen bin, ist schließlich weniger erschütternd, wie fast das gesamte Material vernichtet wurde (von den Tagebüchern, einem großen Teil des Briefwechsels bis zu den Briefen des behandelnden Arztes, dem ärztlichen Bericht über die ersten Monate Schumanns in der Irrenanstalt und Schumanns eigenen Aufzeichnungen während der Krankheit), oder wie selten Schumann besucht wurde, was alles grausam genug ist, sondern mit welcher Hartherzigkeit alle Anzeichen einer Besserung Schumanns negativ interpretiert wurden.
    ......
    Schumanns Schicksal regt an, über die deutsche Mythenbildung ganz neu nachzudenken. Sie scheint mir mehr zu verbergen als zu erklären.


    Inzwischen hat sich ja einiges getan, was die Forschung über Schumanns letzte Lebensjahre in Düsseldorf und Endenich angeht. Unverzichtbare Lektüre sind:



    Robert Schumann in Endenich (1854-1856)
    Krankenakten, Briefzeugnisse und zeitgenössische Berichte
    Schott Verlag, 2006



    Zwischen Poesie und Musik. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung
    Robert Schumann - früh und spät
    Stroemfeld Verlag 2006


    Leider haben diese sehr ausführlich auf die angeschnittenen Problematiken eingehenden Bücher kein sehr großes Echo in der Öffentlichkeit gefunden - offenbar lebt man lieber mit Halbwahrheiten und Spekulationen als den wenn auch unvollständig erhaltenen Fakten.
    Im ersten Buch sind sehr differenzierte Analysen der Krankenakte aus Endenich, die im Besitz von Aribert Reimann, der mit Dr. Richarz verwandt ist, wieder aufgetaucht ist, bzw. was davon übrig ist. Offensichtlich wurden einige sehr wichtige Seiten am Anfang entfernt, die Vernichtung oder Unterdrückung von Dokumenten, inkl. Schumanns Romanzen für Violoncello und Klavier durch Clara, zieht sich durch die ganze Geschichte.


    Einerseits ist Clara mit ihrem Besuchsverhalten durchaus in der Norm, was damals den Umgang mit psychiatrischen Patienten betrifft. Andererseits ist der Konflikt der beiden und der Ablauf von Suizidversuch und Einlieferung eine seltsame Sache, die m.E. Dieter Kühn am scharfsinnigsten analysiert hat - seine Deutung der Ereignisse halte ich für die plausibelste. Man lese und staune. Und man lese die Schumann-Tagebücher, vor allem über die Zeit, in der Robert den schwarzen Pädagogen Wieck und seine Tochter kennenlernte. Dann ist einiges an Claras Verhalten verstehbar.


    Schumanns Schicksal bleibt eines der tragischsten in der ganzen Geschichte der Musik. Ich verstehe und Teile das Interesse an seiner Krankengeschichte, kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß hier einigen Autoren ein gewisses Maß an Respekt vor der Person Schumann verlorengegangen ist. Die beiden von mir angegebenen Bücher sind hier wohltuende Ausnahmen.

  • Hallo Miguel,


    ja, insbesondere im Schumann-Jahr ist einiges an Literatur dazugekommen. Da damals die Diskussion in diesem Thread eingeschlafen war, habe ich hier keine weiteren Beiträge mehr geschrieben.


    In dem Buch über Schumann in Endenich fand ich besonders interessant den Beitrag von Henrik Peters "Erläuterungen zum Endenicher Krankenbericht Schumanns". Dort ist er Punkt für Punkt der Frage nachgegangen, ob von einer Syphilis-Erkrankung ausgegangen werden kann: Über Halluzinationen wird 14mal berichtet, doch meistens nur sehr ungenau. Von Depression ist nirgends, von Melancholie nur am 25.12.1854 (einen Tag nach dem ersten Besuch durch Joachim) und am 12.9.1855, dem Hochzeitstag, die Rede. Die Sprechstörungen entsprechen nicht dem bei Progressiver Paralyse typischen Bild. Die Pupillenstörungen sind ungesichert. Die Befunde an Schumanns Leiche entsprechen nicht wie von Richarz dargestellt dem syphilitischen Bild, wie es Guislain beschrieben hat. Die Tagebuch-Berichte von 1831 deuten eher auf eine Ansteckung mit Herpes oder den weichen Schanker denn auf Syphilis.


    Von Peters gibt es einen weiteren Beitrag "Depression oder schöpferische Krise? Etwas Grundsätzliches am Beispiel von Rilke und Schumann" in: Herman Lang, Hermann Faller, Marion Schowalter (Hg.): Struktur - Persönlichkeit - Persönlichkeitsstörung, Würzburg 2007


    Peters versteht Schumanns "Schwermut" als die minder schwere, schöpferische Melancholie, wie sie seit der Antike von der schwarzen Melancholie unterschieden wurde. Erst in der amerikanischen Psychiatrie wurde diese Unterscheidung zugunsten einer einheitlichen, mittleren Melancholie aufgegeben.


    Die von Litzmann herausgegebenen Tagebücher sind nach wie vor die umfassendste und einzig verfügbare Quelle, trotz aller Bedenken, dass seine Herausgabe von Schumanns Töchtern überwacht wurde und die Tagebücher (also die Originalquelle) anschließend vernichtet wurden.


    Ein ergänzendes Wort zu Litzmann: Er lebte 1857 - 1926, war der erste Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte in Bonn. Litzmann hatte Werke von Hölderlin herausgegeben, verehrte früh Thomas Mann und zog nach seiner Emeritierung nach München, um sich dort bis zu seinem Tod 1926 dessen Freundeskreis anzuschließen. Da schließt sich die interessante Frage an, in welchem Maß Thomas Mann später Material oder Wissen aus den Gesprächen mit Litzmann im "Doktor Faustus" verarbeitet hat.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Hallo Walter,
    das ist eine interessante Spekulation mit Litzmann und Thomas Mann. Man sollte Litzmann und auch Wasiliewski, der Schumann in Endenich besuchte,als Zeitzeugen nicht unterschätzen.
    Was auf der medizinisch-psychiatrischen Ebene genau geschehen ist, werden wir wohl nie genau wissen. Daß Schumann sich mit etwas infiziert hat, ist nach seinen Tagebucheinträgen naheliegend. Was es war und welche Auswirkungen es hatte, und wie es mit den familiären Dispositionen interagiert hat - immerhin ist sein Vater früh verstorben und seine Schwester nahm sich in jungen Jahren das Leben - ist aus unserer Perspektive mit so vielen dokumentarischen Lücken schwer zu beurteilen. Mir scheint nur sicher, daß es 1. eine psychische Disposition in Schumann gab, die ihn sehr belastet hat; 2. die Ehe dadurch und durch die von Beatrix Borchard so gut beschriebene existentielle Situation ebenfalls stark belastet war; 3. Clara m.E. wegen der extremen Sozialisation im Hause Friedrich Wiecks sicher zu einer inneren Härte in der Lage war, die wir heute als unmenschlich empfinden würden - die von Dir zitierte Szene im Hause Wieck, die Schumann zu seinem Tagebucheintrag "Bin ich unter Menschen?" veranlasste, beschreibt das sehr gut. Alles zusammen spitzte sich zu Schumanns Selbstmordversuch und seiner Einweisung zu - ich schließe mich Dieter Kühns Schlußfolgerungen an und glaube ebenfalls nicht, daß dies auf Schumanns Wunsch hin geschah, sondern von Clara gegen seinen Willen durchgesetzt wurde. Zu vieles sieht einfach danach aus, daß etwas vertuscht oder beschönigt werden sollte.


    Hast Du Kühns Buch gelesen?


    :hello: Miguel

  • Lieber Miguel und lieber Walter , das ist ein serh interessanter Thread, in den ich mich noch weiter einlesen will, aber erstmal eine Frage: was ist konkret damit gemeint , dass des jungen Brahms Verhalten in der Situation, die er -nach Walters Worten- klar durchschaute, eher zu verurteilen ist?


    Meinst du evtl , er habe insgeheim oder sogar unbewusst, den Ehemann aus dem Weg haben wollen, weil er Clara liebte?


    Ich habe die angegebene Literatur leider noch nicht gelesen und spekuliere nur mal wild herum:
    Wenn sich Schumann ausserehelich mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hat, wird das nciht gerade eheförderlcih gewesen sein, von der Ansteckungsgefahr für Clara mal ganz abgesehen. Lässt sich ihre "Härte" nicht auch dadurch ein bisschen erklären, ohne Vater Wieck heranziehen zu müssen?
    Wobei natürlich wie fast immer multikausale Reaktionen wahrscheinlich sind.


    Ich kann mir zumindest theoretisch vorstellen, dass eine dauerschwangere Frau, die nciht ihrer Kunst nachgehen darf oder kann wie sie es möchte , nicht sonderlich erfreut ist, wenn ihr Mann dann auch noch durch aussereheliche Kontamination eine Gefahr für ihre Gesundheit wird.




    Was das ungeklärte Krankheitsbild an sich angeht: falls das keine Geschlechtskrankheit war, gibt es eine ganze Menge psychischer Störungen mit verschiedensten Abstufungen, die in manisch-depressiven Schüben auftreten und immer wieder von gesunden Phasen unterbrochen werden . zu Schumanns Zeiten war das noch vollkommen unbekannt bzw unbenannt.


    Fairy Queen

  • Liebe Fairy,
    die Ansteckung Schumanns hat, wenn ich mich recht erinnere, vor der Eheschließung stattgefunden. Clara war ja noch ein junges Mädchen, als er sie kennenlernte, und wann er sich genau in sie verliebt hat, weiß ich jetzt nicht mehr auswendig, die zahlreichen Tagebücher durchzusehen fehlt mir gerade die Zeit. Soweit ich mich erinnere, war Schumann nach der Eheschließung ein treuer Gatte. Den ehelichen Geschlechtsverkehr hat er mit Achtelnoten im Ehetagebuch festgehalten.
    In einem der beiden von mir abgebildeten Bücher ist die Chronologie der Ereignisse, soweit sie sich rekonstruieren lässt, aufgeführt.


    Brahms' Verhalten ist genauso schwer einzuschätzen - leider hat er auch zahlreiche Briefe an und von Clara vernichtet - ich habe den Briefwechsel der beiden vor einigen Monaten endlich zu einem bezahlbaren Preis kaufen können, und war enttäuscht, daß die Briefe gerade der wichtigen Zeit alle fehlen. Aus dem, was noch vorhanden ist, kann man schließen, daß Brahms unsterblich in Clara Schumann verliebt gewesen sein muß. Ob er jetzt aus inneren Hemmungen heraus, oder weil es Ehebruch gewesen wäre, solange Robert noch lebte, sich letzten Endes gegen eine Verbindung der beiden entschieden hat, oder wegen eines Strebens nach "Freiheit,ähnlich wie Joseph Joachims Motto "Frei aber einsam" - daß er darüber viel und verzweifelt nachgedacht hat, liegt auf der Hand - oder wegen des dann unvermeidlichen Geredes, oder einer Kombination aus allem, ist kaum sicher zu sagen. Daß er sich gegen eine Verbindung entschieden hat, ist klar, daß er mit seinen Gefühlen auf der einen und seiner Loyalität gegenüber dem Förderer Robert Schumann im Konflikt gewesen sein muß, ebenso. Er hat dann im Schumannschen Haushalt gewohnt und das Ehetagebuch weitergeführt, als Robert nach Endenich kam! Auch zu dieser Konstellation hat Kühn Interessantes zu sagen ... Sowohl er als auch Clara haben zur Verschleierung der ganzen Sache beigetragen. Daß er unbewußte Motive hatte, liegt nahe, in wieweit er ihnen nachgegeben hat, ist schwer zu sagen. Beide werden zwiespältig gewesen sein und haben sich offensichtlich auch so verhalten. Ob er es so klar durchschaute, wie Walter meint?

  • Hallo, liebe ‚Fairy', lieber Miguel,


    schön, dass dieser Thread nochmal ein wenig wachgerufen wurde und Anlass für einen Rückblick gibt. Markus hat recht: Vor 3 Jahren gab es in verschiedenen Threads Fragen zur Biographie von Schumann, und zugleich den sich bis heute durchziehenden Bruch in der Beurteilung der modernen Musik, wo vom eigenen Geschmack abweichende Stile bisweilen als krankhaft, entartet, unnatürlich etc. empfunden werden. So argumentieren nicht nur verschiedene Kritiker der Moderne, sondern auch Adorno warf der Richtung von Strawinsky Hebephrenie vor. Hier wollte ich einsetzen. Wie kam es zum Vorwurf der Geisteskrankheit und wie konnte das als innere Rechtfertigung für ein ungewöhnlich herzloses und bis ins Extrem ausschließendes Verhalten gegen Schumann und dessen Kinder führen. Um sich in der äußerst emotional geführten Diskussion zurechtzufinden, war es notwendig, zum einen bis ins Detail nachzuvollziehen, was geschehen ist, und zugleich den Wirkungen nachzugehen.


    Zur Rolle von Brahms, soweit es aus den wenigen erhalten gebliebenen Unterlagen nachweisbar ist: Er forderte in Briefen an Clara Schumann am 15. und 16.12.1854, dass sie bei den behandelnden Ärzten "strengste Zeitungszensur" für Schumann durchsetzt, damit er nicht von ihren öffentlichen Auftritten liest. --- Von März bis Weihnachten 1854 besuchte niemand Schumann, bis als erster Joseph Joachim kam. (Da klingt es seltsam, wenn auch kürzlich wieder Caspar Franzen im Ärzteblatt 2006 schreibt, Brahms habe ihn regelmäßig besucht.) Clara verbringt nach dessen Rückkehr und Berichten wenige Tage später den 29.12.1854 "fast ausschließlich mit Ordnen und Verbrennen vieler Briefe zu, wobei Johannes mir treulich half! Ihm macht das Verbrennen freude, das 'sich krümmen' so mancher Namen!" (Litzmann Bd. 2 S. 361) Am 1.1.1855 wurde Felix Schumann getauft, dessen Vater Brahms sein könnte. Schumann war über dessen Geburt im Juni 1854 nicht benachrichtigt worden. --- Anschließend besucht Brahms erstmals Schumann am 11.1.1855. Laut Krankenbericht war Schumann ruhig, geriet aber wenig später in eine Krise. Schumann will jetzt aus der Anstalt heraus, beginnt mit den Verlagen über die Herausgabe neuerer Werke zu verhandeln. Brahms möchte ihm das aus der Hand genommen wissen (siehe seinen Brief an Clara vom 14.3.1855). Ganz kalt hat ihn das alles aber nicht gelassen. In dieser Zeit schrieb er sein 1. Klavierkonzert d-Moll, auch wenn es erst später fertiggestellt und uraufgeführt wurde.


    Die lebenserfahrene Bettina von Arnim bekam alles mit. Sie besuchte mit ihrer Tochter Gisela die Schumanns im Oktober 1853. Brahms war damals ebenfalls für längere Zeit in Düsseldorf. Nur wenige Monate später kam Schumann nach Endenich. Bettina von Arnim war buchstäblich die einzige, die sich von Clara, Brahms oder den Ärzten nicht von einem Besuch abhalten ließ und im April 1855 bei ihm war. So ist von ihr das einzige Zeugnis überliefert, das nicht von Clara, Brahms, Joachim oder den von Clara beauftragten Ärzten stammt. Recht diplomatisch schrieb sie an Clara:


    "Man erkennt deutlich, daß sein überraschendes Übel nur ein nervöser Anfall war, der sich schneller hätte beenden lassen, hätte man ihn besser verstanden oder auch nur geahnt, was sein Innerstes berührt; allein dies ist bei Herrn Richarz nicht der Fall, er ist ein Hypochonder ... der eher Schumanns Seelenadel nicht so wohl versteht, als ihn für ein Zeichen seiner Krankheit annimmt. Ich höre mit Freuden, daß Sie ihn recht bald wieder im Kreis seiner Familie erwarten, doch Sie werden wohl auch den Wunsch haben, ihn vor aller zu heftigen Erschütterung zu hüten, und diese Rückkehr zu den Seinigen, die seine ganze Sehnsucht erfüllt, könnte leicht zu stark auf ihn wirken, da er bisher ohne Teilnahme war; ich habe darüber nachgedacht, vielleicht ließe sich's zuvörderst vermitteln, ihn mit einigen seiner Kinder zusammen zu bringen, wo er auch Musik hören könnte, ich werde darüber dem Joachim schreiben." (Litzmann, Bd. 2, S. 376)


    Mir scheint dies die überzeugendste Darstellung zu sein, wobei zu einem vollen Verständnis aller Beteiligten sicher noch weiter auf die Beziehungen zwischen Liszt, Schumann, Bettina von Arnim und Joseph Joachim einzugehen wäre (siehe hierzu Joseph Joachim). Vorsichtig wollte sie Clara sagen, dass Robert zu den Kindern zurückwollte, aber nicht zu ihr. Clara war unfähig, darauf einzugehen. Wenn es ein "Todesurteil" gab, dann in diesem Moment, als auf Bettina nicht gehört wurde. Die Krankenberichte zeigen, wie Schumann alle Hoffnung verlor, als sich nach ihrem Besuch nichts änderte, und allen inneren Widerstand aufgab. Aber der Vorwurf gegen "Herrn Richarz" saß. Bis heute will die Psychiatrie nicht auf sich sitzen lassen, dass einer ihrer Vertreter möglicherweise weniger Verständnis für Schumann gehabt haben könnte als eine psychologisch nicht ausgebildete Frau wie Bettina von Arnim.


    Das Buch von Kühn habe ich gelesen. Nirgends sonst fand ich so deutlich das bedrückende Schicksal von Clara und Robert Schumanns Kindern beschrieben. Wenn gesagt wird, dass Robert in einer für seine Zeit fortschrittlichen Anstalt untergebracht war, wird das verständlich, wenn zu lesen ist, wie ihr Sohn Ludwig im sächsischen Colditz behandelt wurde. Obwohl Clara ihn besucht und den Zustand der Anstalt gesehen hat, hat sie nichts unternommen, ihn dort wieder herauszuholen.


    Dagmar Hoffmann-Axthelm "Robert Schumann ‚Glücklichsein und tiefe Einsamkeit'", 1994 bei Reclam als Taschenbuch erschienen, ist eine unbedingt empfehlenswerte Einführung in die Biographie von Schumann, auch wenn bisweilen sehr psychologisch geschrieben. Nur was die Zeit in Endenich betrifft, ist sie wie blind.


    Offenbar gibt es innerhalb der Psychiatrie und der Musikwissenschaft bis heute ein großes Interesse, an diesen Fragen nicht weiter zu rühren. Alle greifbaren Dokumente scheinen aber jetzt öffentlich zugänglich zu sein und jeder kann sich ein eigenes Urteil bilden, das ist ein ganz großes Verdienst der Herausgeber des Buches über Schumann in Endenich. Die Frage ist jetzt, in welchem Maß dies unterschwellig auf die Geschichte der Musik gewirkt hat. Die meisten Kreativen, seien es Komponisten oder Künstler, kennen Phasen des Selbstzweifels und der Ängste, nicht verstanden zu werden. Gerade wenn sie sich vom vorhandenen Trend abwenden und neue Wege gehen müssen ("neue Bahnen", die Schumann bei Brahms und Joachim als erhofften Mitstreitern begrüßt hatte), sind sie ungeschützt und brauchen Rückhalt. Insofern haben eine richtig verstandene Psychologie und Psychiatrie eine sehr wichtige Aufgabe. Alle großen Kulturen verehren das Schützende und Empfangende nicht weniger als das Schöpferische. Das Beispiel von Schumann zeigt jedoch, wie ihm dies nachhaltig von seiner näheren Umgebung und den späteren Biographen verweigert wurde, und diese dafür noch bis heute von allen Seiten entschuldigt werden und oft sogar Anerkennung bekamen. Das war ein Exempel und musste auf alle Späteren den Druck erhöhen, keine Symptome zu zeigen, die wie im Fall von Schumann als krankhaft interpretiert und bis zur letzten Konsequenz "behandelt" werden könnten. Niemand soll daran rütteln. Wer es wie Eva Weissweiler wagte, den vorgegebenen Konsens zu brechen, musste sich dem Vorwurf aussetzen, damit nur ähnlich gelagerte eigene psychische Probleme zum Ausdruck zu bringen, also schon fast ein ähnlich pathologischer Fall zu sein wie Schumann selbst.


    Viele Grüße,
    Walter

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Walter.T
    Offenbar gibt es innerhalb der Psychiatrie und der Musikwissenschaft bis heute ein großes Interesse, an diesen Fragen nicht weiter zu rühren. Alle greifbaren Dokumente scheinen aber jetzt öffentlich zugänglich zu sein und jeder kann sich ein eigenes Urteil bilden, das ist ein ganz großes Verdienst der Herausgeber des Buches über Schumann in Endenich. Die Frage ist jetzt, in welchem Maß dies unterschwellig auf die Geschichte der Musik gewirkt hat. Die meisten Kreativen, seien es Komponisten oder Künstler, kennen Phasen des Selbstzweifels und der Ängste, nicht verstanden zu werden. Gerade wenn sie sich vom vorhandenen Trend abwenden und neue Wege gehen müssen ("neue Bahnen", die Schumann bei Brahms und Joachim als erhofften Mitstreitern begrüßt hatte), sind sie ungeschützt und brauchen Rückhalt. Insofern haben eine richtig verstandene Psychologie und Psychiatrie eine sehr wichtige Aufgabe. Alle großen Kulturen verehren das Schützende und Empfangende nicht weniger als das Schöpferische. Das Beispiel von Schumann zeigt jedoch, wie ihm dies nachhaltig von seiner näheren Umgebung und den späteren Biographen verweigert wurde, und diese dafür noch bis heute von allen Seiten entschuldigt werden und oft sogar Anerkennung bekamen. Das war ein Exempel und musste auf alle Späteren den Druck erhöhen, keine Symptome zu zeigen, die wie im Fall von Schumann als krankhaft interpretiert und bis zur letzten Konsequenz "behandelt" werden könnten. Niemand soll daran rütteln. Wer es wie Eva Weissweiler wagte, den vorgegebenen Konsens zu brechen, musste sich dem Vorwurf aussetzen, damit nur ähnlich gelagerte eigene psychische Probleme zum Ausdruck zu bringen, also schon fast ein ähnlich pathologischer Fall zu sein wie Schumann selbst.


    Lieber Walter,
    das kann ich alles nur unterschreiben.
    Wobei ich bei Frau Weissweiler ein wenig zwiespältig bin, weil sie gerade in ihrem Buch über Clara Schumann etwas tendenziös wirkt - eine leichte Übertragung/Identifikation bei den Parallelen zwischen ihrer Biografie und der Clara Schumanns ist nicht von der Hand zu weisen. Das gleiche gilt entsprechend für die Zunft der Psychoanalytiker und Psychotherapeuten, die in den letzten dreißig Jahren mit zahlreichen Aufdeckungen von Fragwürdigkeiten in den Biografien von z.B. Freud und Jung nicht gut umgegangen sind - da scheint eine ziemlich große Angst zu bestehen, Fehler oder Widersprüche zuzugeben, vielleicht aus Angst vor einem Vertrauensverlust der Klientel. Man vergleiche mit der Art, wie manche Mediziner mit Kritik schlecht umgehen können.
    Hinzu kommt im 19. Jhdt. die Angst vor der Darstellung in der Öffentlichkeit - die Kritiker müssen z.T. fürchterlich selbstherrlich gewesen sein. Von einer differenzierteren, nicht wertenden Biografik, die Widersprüche in der Person und dem Werk zulässt, ohne ein verallgemeinerndes Gesamturteil zu fällen, sind wir noch weit entfernt. Da wirkt die Genien- und Heroenbiografik noch lange nach,scheint mir.

  • Lieber Walter, danke für diesen wunderbaren Beitrag, der mir Dinge eröffnet, von denen ich wahrlich ncihts geahnt habe. Und mich sehr berührt hat.


    Es scheint tatsächlich in hervorragender Weise gelungen zu sein, diese erschütterndenVorgänge vertuscht und vor der Nachwelt verborgen zu haben.


    Leider ist Bettine von Arnim sicher in der Welt der "Wissenschaft" nciht als glaubwürdigste Zeugin betrachtet worden.
    Ihre emotionalen Verwicklungen im Hinblick auf Goethe (und ihr Buch "Goethes Briefwechsel mit einem Kinde") wurden/werden ja vielfach als reine Wunsch-Fiktion abgetan.


    Was auch immer es damit auf sich hatte, bin ich mir jedoch sicher, dass sie in einem solchen Brief an Clara eher untertrieben hat, so diskret wie möglich war und Schumann tatsächlich in grosser Verzweiflung vorgefunden hatte.
    Welch ein Mut und welch ein Mass an sensibler Herzensbildung zeigen sich da wieder einmal- wie so oft in ihren Lebensweg.


    Dass Schumann nciht einmal von der Geburt eines Kindes benachrichtigt wurde und 9 Monate ohne jeden Besuch war, ist geradezu unfassbar. Wie kommst Du darauf , dass dieses Kind von Brahms sein könne?
    Ich dachte bisher, es sei relativ eindeutig, dass die Beziehung zwischen Clara und Brahms keine sexuelle Komponente hatte?



    In jedem Fall liegt dein Beitrag den Schluss nahe, dass Clara und Brahms Schumann aus verschiedenen Gründen loswerden wollten und beiden sein Klinikaufenthalt "nicht ungelegen" kam.
    Ich meine damit auch im Hinblcik auf Claras eigene Konzerte und künstlerische Tatigkeit.
    Könnte es nciht sein, dass für Clara ihre Kunst, die ihr ja (angeblich???) untersagt wurde, so existentiell wichtig war, dass nicht nur ihr Mann sondern vor allen Dingen auch ihre( für sie sicher viel zu vielen...) Kinder in Wahrheit nur zweite und dritte Plätze in der Prioritätenskala hatten?



    Eine Künstlerin im inneren Notstand sozusagen, die sich mit allen rechten und unrechten Mitteln, bewusst wie unterbewusst, freizuboxen versuchte?


    Zumindest würde das ihr Verhalten in ein etwas weniger grausames Licht rücken, au h wenn die Resultate für Robert Schumann natürlich gleich bleiben.


    Was die Psychiatrie und ihre düstere Geschichte angeht: mein Vertrtauen ist da SEHR eingeschränkt.
    Wieviel menschenunwürdige Folter sich da im Laufe der Jahrhundere angesammelt hat, würde ganze Gruselkabinette füllen.
    Brahms und die Schumanns als Ikonen deutscher Muskgeschichte können und dürfen natürlch nciht befleckt werden-das erklärt eine ganze Menge.


    Wenn man angesichts Schumanns Schicksals, wie es hier beschrieben wird, dann seine Dichterleibe wieder hört... oder Opus 39... mich schaudert's da wirklich!!!!!



    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Wie kommst Du darauf , dass dieses Kind von Brahms sein könne?
    Ich dachte bisher, es sei relativ eindeutig, dass die Beziehung zwischen Clara und Brahms keine sexuelle Komponente hatte?


    Ohne irgendjemandem irgendetwas unterstellen zu wollen:
    Das Ist ein nicht totzukriegendes Thema und scheint auch eine Vorstellung zu sein, die in vielen Köpfen in geradezu voyeuristischer Färbung herumspukt, sich Brahms und und Clara Schumann im Bett vorzustellen ..... 1. geht es uns nichts an, 2. werden wir es nie genau wissen, 3. ist durch einen Eintrag im Tagebuch der Schumanns - "Claras Gewißheit", nämlich daß sie schwanger war, am 3. Oktober 1853, belegt, daß Felix von Robert Schumann gezeugt wurde. Brahms taucht am 30. September erstmals im Haushalt der Schumanns auf, da steht im Tagebuch "Hr. Brahms a. Hamburg". Haut also nicht so ganz hin ...
    Wie ich schon weiter oben geschrieben habe, fehlen gerade die wichtigsten Brahms-Briefe, die da vielleicht etwas schließen lassen würden, aber letzten Endes ..... was soll's, was geht's uns an?


    Für mich immer noch die differenzierteste Darstellung der Ehe Schumann:


  • Ein Aspekt, den Kühn sehr genau beschreibt, ist Schumanns belegte Abneigung gegenüber psychiatrischen Einrichtungen - Kühn kann sich deswegen nicht vorstellen, daß Schumanns Einweisung von diesem selbst gewünscht war. Das wirft auch kein gutes Licht auf die ganze Sache - zugeben, man hatte einen Fehler gemacht ..... Schumann hatte eine Krise, das war ihm wohl auch bewußt, und deshalb aus großer Verzweiflung der Suizidversuch. An die Folgen eines möglichen Überlebens hat er wohl nicht gedacht, also war es eine spontane Tat. Denn ich neige dazu, Kühn zuzustimmen, daß Schumann das, was dann geschah, auf keinen Fall gewollt hätte.
    Die Deutung einiger sehr ungewöhnlicher und progressiver Momente in seinen Werken der Jahre zuvor - man denke an die lange Unterdrückung des Violinkonzerts - wurde dann gerne als Zeichen seiner, wie man noch bis weit ins 20. Jahrhundert formulierte, "geistigen Umnachtung" genutzt. Vielleicht waren die von Clara vernichteten Romanzen für Cello und Klavier einfach Zeichen eines Komponisten im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte, und durften deshalb von niemandem gesehen und gehört werden?

  • Lieber Miguel,


    zu den Spätwerken gibt es ein umfangreiches Werk von Michael Struck "Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns", Hamburg 1984, in denen umfassend alles Material zusammengetragen ist. Zu den "Romanzen für Violoncell und Pianoforte": Sie entstanden am 2.-4. Nov. 1853 und wurden noch mit Freunden gemeinsam musiziert. Schumann wollte sie veröffentlichen. 1893 hat Clara Schumann sie verbrannt, was von Brahms in einem Brief an Heuberger ausdrücklich begrüßt wurde ("Mir hat das sehr imponiert", zitiert bei Struck, S. 562). Clara Schumann und Brahms konnten bis zu ihrem Lebensende kein normales Verhältnis mehr zu Robert Schumann gewinnen.


    Die Biographie von Eva Weissweiler kenne ich nicht. Wichtiger wäre wohl auch, die Biographie derjenigen zu verstehen, die 150 Jahre lang ein einseitiges Schumann-Bild geschaffen haben. Aber auch ich hatte den Eindruck, dass Weissweiler teilweise sehr emotional schreibt und sich dadurch zu Fehlern verleiten und Formulierungen hinreißen ließ, die sie angreifbar machten. Wahrscheinlich war es anders nicht möglich, ein solches Tabu zu brechen und der Leser muss ein zutreffendes Gesamturteil finden.


    Wie schnell das geht, habe ich mit meiner eigenen Formulierung zu Felix Schumann gesehen. Er wurde am 11. Juni 1854 geboren, wobei die von dir genannten Termine die Spekulationen nicht entkräften. Aber ich gebe Dir recht, das sollte nicht weiter verfolgt werden. Dass Robert und Clara Schumann eine Ehekrise durchmachten, ist unumstritten und hat zum Selbstmord-Versuch beigetragen.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Danke, von dem Buch von Struck habe ich schon gehört, kommt auf meine Anschaffungsliste! Wird aber erst mal ein Gang in die Bibliothek werden,weil es € 68,00 kostet .....

  • Auf mich wartet jedenfalls eine Riesenlektüre hochinteressanter Art, scheint mir und ich danke für diesen Thread!!!! :jubel:



    Bitte aber auch um ein bisschen Verständnis für Clara Schumann. Wer nach einer so romantischen von aller Öffentlichkeit mystifizierten Liebesgeschichte mit schliesslichem Happy End dann in der harten Lebensrealität landet, ein Kind nach dem anderen bekommt und im Grunde des Herzen vielleicht ncihts sehnlicher will und braucht als Klavier zu spielen und zu komponieren, verliert viellleicht auch manche Illusuionen im Hinblick auf den einst geliebten Ehemann und gerät in einen inneren Notstand, der solche Verhaltensweisen produzieren kann.


    Das entschuldigt zwar nicht das in diesem Thread beschriebene Verhalten , aber zeigt doch evtl einen möglichen anderen Blickwinkel.


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Bitte aber auch um ein bisschen Verständnis für Clara Schumann. Wer nach einer so romantischen von aller Öffentlichkeit mystifizierten Liebesgeschichte mit schliesslichem Happy End dann in der harten Lebensrealität landet, ein Kind nach dem anderen bekommt und im Grunde des Herzen vielleicht ncihts sehnlicher will und braucht als Klavier zu spielen und zu komponieren, verliert viellleicht auch manche Illusuionen im Hinblick auf den einst geliebten Ehemann und gerät in einen inneren Notstand, der solche Verhaltensweisen produzieren kann.


    Liebe Fairy Queen, genau diese Aspekte sind in Beatrix Borchards Buch sehr differenziert behandelt. Clara Schumanns Leistung als Ernährerin der Familie vor und nach Robert Schumanns Einweisung und Tod ist beachtlich! Allerdings zahlte sie den Preis, ihre Kinder z.T. bei anderen Familienmitgliedern unterzubringen, vor allem während ihrer Konzertreisen. Unter den Umständen der damaligen Zeit ...

  • Lieber Miguel, zur damaligen Zeit war es durchaus üblich, seine Kinder wegzugeben und von Anderen erziehen zu lassen-so schlimm uns das heute auch als Eltern erscheinen mag.
    Ich finde es sehr schwierig, von einer Künstelrin zu verlangen, auf ihre Kunst verzichten zu müssen,weil sie EhefrauM und Mutter ist.
    Wer wirklich Künstler ist(und das war Clara m.E. ohne jeden Zweifl) braucht die Kunst wie die Atemluft und dreht irgendwann durch, wenn es kein Ventil gibt.
    HEUTE kann man sagen: dann darfst du eben keine Kinder in die Welt setzen. Eine Clara Schumann hatte aber keine Wahl, wenn sie nicht hre Ehe ruinieren wollte.


    Ich könnte es ihr nciht ganz verdenken, wenn ihr Schumanns Abwesenheit über einen längeren Zeitraum nicht so ungelegen war, und sie zumal bei den gegebenen ärztlichen Ratschlägen eben nicht Himmel und Hölle für seine Entlassung in Bewegung setzte.


    Auf das von dir empfohlene Buch bin ich sehr gespannt.


    Fairy Queen

  • Liebe Fairy Queen :


    Du hast auf einen schon vor Clara Schumann gegebenen Sachverhalt hingewiesen, ohne dass Du - dies ist in der seit über 150 Jahre währenden Diskussion über die Eheleute Schumann sehr erfreulich zu lesen - eine bestimmte Tendenz mit Deinen Ausführungen verfolgst .


    Es gab damals wie heute meist wirtschaftlich gut dastehende Ehepaare, die ihre Kinder in Privatschulen, Internate usw. geschickt haben. Nicht nur weil diese dort eine fundiertere Ausbildung bekommen ( haben ), sondern auch um ihre eigenen Karrieren verfolgen zu können.


    Dies ist heute unter dem Grundgedanken der Emanzipation der Frau noch wesentlich deutlicher sichtbar.


    Ich kenne mehrere Ehepaare oder auch Allerziehende (Väter wie Mütter), die geradezu gezwungen sind, ihre Kinder mindestens auf öffentliche Ganztagsschulen zu schicken, um ihrem Beruf alleine des erfoderlichen Gelderwerbes nachgehen zu können .


    Erst vor wenigen Wochen hat mir eine Dame (Mutter einer inzwischen 23jährigen studierenden Tochter) , die ich über viele Jahre kenne, geschrieben, dass sie wieder ein Bühnenbild fertiggestellt habe. Sie brauche diese Theaterluft, das Theater sei ihre Passion , hier könne sie sich selbst erfüllen und ihre Vorstellungen zu wesentlichen Teilen realisieren .


    Clara Schumanns Leben vor ihrer Ehe, ihre Ehe selbst und ihre jahrzehntelange Arbeitsleistung wäre es sicherlich wert, dies unter Einbeziehung ihrer sicherlich aufälligen Verhaltensweisen gegenüber ihren Kindern, zu Johannes Brahms, den vor allem von ihr recht wenig gespielten Werken ihres verstorbenen Mannes genauer zu analysieren.


    Clara Schumanns Verhalten, dies hat Walter T. in einem beeindruckenden Eingangstext gerade auch zu der damaligen poltischen und kulturellen Lage in Deutschland, hervorgehoben, ist weder aus damaliger noch aus heutiger Sicht einfach zu verstehen und nachzuvollziehen.


    Aufgrund der Arbeitsmaterialien in der Schumann - Forschung stimme ich Walter T. zu, dass die Ehe von Robert und Clara Schumann schon weit vor seinem Selbsttötungsversuch in Düsseldorf innerlich tief zerrissen gewesen ist. Er hat auch recht, wenn er schreibt, dass es damals Ehescheidungen gegeben hat .


    Meiner Meinung nach kann man die "Schuldfrage", die zu einer Trennung der Schumanns geführt hat nahezu gegeneinander aufwiegen. Die Ehe war über einen längeren Zeitraum hinweg immer stärker zerrüttet gewesen .


    Eine möglichst einvernehmliche Trennung wäre wahrscheinlich die beste Lösung für beide gewesen. So litt die berühmte Pinaistin Clara unter dem Verfall ihres kranken Mannes und Robert unter sich selbst wie dem Ruhm seiner pianistisch hocherfolgreichen Ehefrau .


    Unter Berücksichtigung des Kindeswohles hätte sich für jedes einzelne Kind eine bessere Lösung gefunden als einige der Kinder dies nachweislich anders erleben mussten .


    Es wäre erfreulich, wenn Walter die Zeit fände, noch einige Anmerkungen und Hinweise über die Schumann - Kinder zu schreiben .


    Grüsse,


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

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