Große Wagner Dirigenten der Gegenwart

  • Und hier nun der dritte Teil der Trilogie, er befasst sich mit derzeit lebenden und auch noch aktiven Wagner-Dirigenten.
    Ob sie ihren berühmten Vorgängern ebenbürtig sind oder ob sie unter den (angeblich) schwächeren Sängern leiden, oder unter dem die Stücke entstellenden Regietheater - das alles ist Thema in diesem Thread.


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hier wäre m. M. n. an erster Steller nach wie vor James Levine zu nennen. Er hat zwanzig Jahre nach Knappertsbusch in Bayreuth bewiesen, dass man den Parsifal immer noch sehr weihevoll-breit dirigieren kann. Nicht ohne Grund gehörte Levine zwischen 1982 und 1998 zu den "Hausdirigenten" auf dem Grünen Hügel, die dafür sorgten, dass die hohe orchestrale Qualität erhalten blieb. Sein Weggang war umso schmerzlicher, als es keinen adäquaten Nachfolger gab.


    Zu den ganz großen Alten gehört sicherlich auch Lorin Maazel. Seine Bayreuth-Erfahrungen liegen zwar schon ewig zurück (Lohengrin 1960, Ring 1968 und 1969), aber auch danach wirkte er ja nicht selten als Wagner-Dirigent (Tannhäuser 1982 aus Wien, Tristan 1996 aus München usw.). Mit dem Ring ohne Worte hat er sich ohnehin ein Denkmal gesetzt und wohl so manch einen Skeptiker zu Wagner bekehrt.


    Sehr positiv würde ich auch Sir Antonio Pappano und Donald Runnicles bewerten, die bewiesen haben, dass es auch unter den jüngeren Dirigenten noch große Wagner-Interpreten gibt.


    P.S.: Wo sind jetzt Dirigenten wie Wolfgang Sawallisch einzuordnen, die zwar noch leben, aber nicht mehr aktiv sind?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Große Wagner-Dirigenten der Gegenwart:


    1. Daniel Barenboim
    2. James Levine
    3. Marek Janowski
    4. Antonio Pappano
    5. Claudio Abbado
    6. Lorin Maazel
    7. Donald Runnicles
    8. Kent Nagano


    Marek Janowski nimmt nicht nur die wichtigsten Wagner-Opern konzertant auf. Er ist außerdem der erste Dirigent der Plattengeschichte, der zwei komplette kommerzielle Stereo-"Ring"-Einspielungen vorlegt.


    Claudio Abbado hat in Berlin auch einen konzertanten "Tristan" dirigiert, der auch mitgeschnitten worden ist. Ob der wohl jemals veröffentlicht wird??



    :hello: LT

  • Neben den unvermeidlichen großen Alten und schon sehr Alten wären an dieser Stelle vielleicht mal ein paar etwas weniger naheliegende Namen zu nennen:


    Der Naheliegenste der weniger naheliegende ist sicherlich Marek Janowski, der sich mit immerhin über siebzig noch an die Großtat wagt, alle Wagner-Opern des Bayreuth-Kanon einzuspielen und dabei scheinbar die Qualität, welche er bereits vor Jahrzehnten mit seinem Ring bewiesen hat, beibehalten kann. Weiter wäre Sebastian Weigle zu nennen, der mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester für Oehms classics neben dem Ring z.B. Die Feen eingespielt hat. Auch die Hamburger Opern-GMD Simone Young sorgt mit ihren Wagner-Aufführungen sowohl in Hamburg, als auch z.B. in Wien immer wieder für einiges Aufsehen; wenngleich mir persönlich ihr Zugang manchmal etwas zu "kraftvoll" erscheint. Last but not least Thomas Hengelbrock, der mit seinem Bayreuth-Tannhäuser zumindest für mich eine der interessantesten Wagner-Lesarten der letzten Jahre abgeliefert hat. Aktuell gibt es dieser Tage einen konzertanten Parsifal in Essen/Dortmund (oder war es Düsseldorf?), welchen m.W. Mit-Taminoianer William besucht und dessen Bericht ich bereits mit Spannung entgegenfiebere. Und apropo Parsifal : Andris Nelsons, der ja 2016 das Bühnenweihfestspiel auf dem Grünen Hügel dirigieren soll, wird bis dahin sicherlich noch unter scharfer Beobachtung der Musikkritik stehen ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Claudio Abbado hat in Berlin auch einen konzertanten "Tristan" dirigiert, der auch mitgeschnitten worden ist. Ob der wohl jemals veröffentlicht wird??


    Im Netz gibt es diesen Tristan:
    Wagner: TRISTAN UND ISOLDE - Berlin- 11/29/98 - Heppner- Polaski- Lipovsek- Dohmen- Salminen; C. Abbado. - 4 CDs

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Wo bleibt Pierre Boulez? Ist das Nennen dieses Namens unter deutschen Wagnerianern etwa unschicklich? ?(


    Keineswegs. Wenn man die Mitschnitte des Bayreuther Rings von 1976 kennt (ich rede nur von dem Ton, die Inszenierung ist eine andere Sache), muss man ihn sogar zu den besten Wagner-Dirigenten zählen. Die später offiziell herausgebrachten Aufnahmen ohne Publikum sind dagegen fast harmlos.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nun kenne ich nicht so viele lebende Wagner-Dirigenten, dass ich behaupten will, irgendwie übersehen zu können, wer es denn wie macht.


    Aber ich kann sagen, dass ich den Lohengrin und Parsifal unter Kent Naganos Leitung als hervorragend musiziert und dirigiert empfinde. Ich habe einige stichprobenartige Vergleiche angestellt und war aus verschiedenen musikalischen Gründen sehr froh, die Nagano-Aufnahmen zu besitzen. Es hört sich für mich so an, dass er sich sehr gut in das Genre hineingearbeitet hat.


    Weiterhin höre und sehe ich mich gerade in die Oper "Das Rheingold" unter Barenboims Leitung ein, und zwar in dieser Produktion aus Bayreuth:



    Auch hier muss ich sagen, dass mir bisher sein Dirigat gut gefiel, auch nachdem ich einige Vergleiche auf Youtube anstellte. Die Anfangsszene nach der Ouvertüre hat z.B. viel Schwung und Drive und das Orchester klingt gross, warm und sehr klangschön.
    Nachdem er ja nahezu alles von Wagner wohl auch schon mehrfach gemacht hat, darf man ihn wohl zu den grossen der Wagner-Dirigenten rechnen, denke ich.
    Ob er so detailliert arbeitet wie Nagano, kann ich noch nicht einschätzen. Im Sommer werde ich ja - hoffentlich- den Ring unter Nagano live erleben können. Dann weiss ich mehr...



    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • In Bayreuth scheint man auch den GMD der Rheinoper, Axel Kober , für einen bemerkenswerten Wagner-Dirigenten zu halten. Er wird in diesem Jahr den Bayreuther Tannhäuser dirigieren.


    Sein Vorgänger John Fiore, jetzt GMD in Oslo, hat sich an der Rheinoper ebenfalls um Wagner verdient gemacht und u. a. mehrere Ring-Zyklen dirigiert, die beim Publikum und der lokalen Kritik sehr gut ankamen.


    Der Vorvorgänger beider, Hans Wallat, war ein ausgemachter Wagner-Spezialist, der auch in Bayreuth gearbeitet hat. Auf seine Empfehlung ist Axel Kober GMD in Düsseldorf geworden.


    LG
    Portator

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  • Ich sehe folgende Dirigenten als Mitglieder diese hehren Zirkels:


    Pierre Boulez (von ihm habe ich den Chereau-Ring),
    Marek Janowski (von ihm habe ich den Ring mit der Staatskapelle Dresden),
    Günter Neuhold (von ihm habe ich den Ring mit der Badischen Staatskapelle),
    Daniel Barenboim (dessen Ring ich leider noch nicht habe) und
    Christian Thielemann.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Er ist außerdem der erste Dirigent der Plattengeschichte, der zwei komplette kommerzielle Stereo-"Ring"-Einspielungen vorlegt.

    Na ja. Er wird mit zwei Einspielungen in die Geschichte eingehen. Aber die Pentatone-Aufnahmen sind alles Live-Mitschnitte, so dass man einen Studio-Ring und einen Live-Ring hat. Das gibt es aber auch schon von Karajan, wenngleich der Live-Ring von ihm nicht die offiziellen Weihen bekommen hat und ähnliches kann man von Solti sagen. Und Furtwängler hat auch zwei Live-Ringe, Knappertsbusch vielleicht sogar mehr...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Lieber Theophilus,


    man(n) müsste halt lesen können...


    ich sprach ja zum einen:
    von kommerziellen Einspielungen (d.h. es war bereits vor dem Projektbeginn klar, dass sie von einer bestimmten Firma in einer hohen Aufnahmequalität veröffentlicht werden und es wurden eben nicht im nach hinein irgendwelche Rundfunkmitschnitte bearbeitet (Solti/Karajan). Und ich kenne keine solide namhafte Plattenfirma, bei der ich den Solti- oder den Karajan-"Ring" erwerben kann. Das ist schon ein Unterschied!


    zum zweiten:
    sprach ich ja von Stereo-Einspielungen... -- was sollen da bitte schön Furtwängler und Knappertsbusch??



    :hello: LT

  • Auch wenn ich mich immer mehr von ihm distanziere (musikalisch): auch heute lautet die Antwort klar Christian Thielemann.

    Ganz anders verhält es sich bei mir mit Marek Janowski.

    Inzwischen sollte man hier - wie bei Bruckner - Markus Poschner auf dem Radar haben. Leider gibt es bisher keine Konserven von ihm, den Tristan aus Bayreuth kann man allerdings auf Youtube nachhören.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • Ich möchte hier Axel Kober nennen. https://axelkober.com/de/


    Ich kann sein Dirigat technisch nicht beurteilen, aber der Ring-Zyklus, den er im Stadttheater in Minden gegeben hat, war nicht nur respektabel, sondern musikalisch hochwertig.


    http://www.ring-in-minden.de


    Gutes Hören

    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Kober dirigierte einen musikalisch sensationellen Ring 2019 in Wien - leider kam ich bei der Götterdämmerung ein paar Minuten zu spät, sodass ich den ersten Akt im Foyer über einen Bildschirm schauen musste - auch ein Erlebnis. Konieczny sang damals Wotan und Gunther, Falk Strukmann Hagen, Stephen Gould Siegfried, Irene Theorin Brünnilde - die Inszenierung der Staatsoper hält man auch ganz gut aus.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • Der Name Christian Thielemann drängt sich auf. Wobei ich, je mehr ich darüber nachdenke, zu der Conclusio komme, dass Thielemanns ganz große Zeit eher in den 1990er und 2000er Jahren war. Es gibt bezüglich Wagner da einige Tondokumente, die das unterstreichen, etwa seine Bayreuther "Meistersinger"-Dirigate in den Jahren 2000 bis 2002 in der letzten Wolfgang-Wagner-Produktion. Auf Tonträger ist das offiziell nie gelangt, die Rundfunkmitschnitte kursieren aber. Thielemann erzielte da eine solche Festlichkeit, wie man das wirklich nicht mehr häufig hört. Dagegen fällt seine spätere Wiener Produktion von 2008, die auf Video erschienen ist, m. E. bereits ab. Die kürzlich auf CD gelangte Aufnahme der "Meistersinger" mit der Staatskapelle Dresden von den Salzburger Festspielen ist klanglich ein Desaster und für 2019 eine Zumutung.


    Interessanterweise trifft diese Tendenz für mein Dafürhalten auch auf den "Ring" zu, der Thielemann in Bayreuth (2008) überzeugender gelungen ist und klanglich gut eingefangen wurde. Dagegen lieber den Mantel des Schweigens über das, was da später (2011) aus der Wiener Staatsoper zur Veröffentlichung freigegeben wurde. Ein mulmiger Klang, den Live-Mitschnitte aus den 60er Jahren übertreffen, vom sängerischen Niveau ganz zu schweigen, welches eigentlich des Hauses am Ring teilweise unwürdig ist.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Der Name Christian Thielemann drängt sich auf. Wobei ich, je mehr ich darüber nachdenke, zu der Conclusio komme, dass Thielemanns ganz große Zeit eher in den 1990er und 2000er Jahren war. Es gibt bezüglich Wagner da einige Tondokumente, die das unterstreichen, etwa seine Bayreuther "Meistersinger"-Dirigate in den Jahren 2000 bis 2002 in der letzten Wolfgang-Wagner-Produktion. Auf Tonträger ist das offiziell nie gelangt, die Rundfunkmitschnitte kursieren aber. Thielemann erzielte da eine solche Festlichkeit, wie man das wirklich nicht mehr häufig hört. Dagegen fällt seine spätere Wiener Produktion von 2008, die auf Video erschienen ist, m. E. bereits ab. Die kürzlich auf CD gelangte Aufnahme der "Meistersinger" mit der Staatskapelle Dresden von den Salzburger Festspielen ist klanglich ein Desaster und für 2019 eine Zumutung.


    Interessanterweise trifft diese Tendenz für mein Dafürhalten auch auf den "Ring" zu, der Thielemann in Bayreuth (2008) überzeugender gelungen ist und klanglich gut eingefangen wurde. Dagegen lieber den Mantel des Schweigens über das, was da später (2011) aus der Wiener Staatsoper zur Veröffentlichung freigegeben wurde. Ein mulmiger Klang, den Live-Mitschnitte aus den 60er Jahren übertreffen, vom sängerischen Niveau ganz zu schweigen, welches eigentlich des Hauses am Ring teilweise unwürdig ist.

    Thielemann war lange Zeit eine Art Hausheiliger. Ich hab ihn schon unzählige Male live erlebt - was mich inzwischen stört ist, dass seine Dirigate immer langatmiger werden. Berlin war diesbezüglich bisher ohne Zweifel ein Tiefpunkt. Die Art wie er Höhepunkte zelebriert, beeindrucken mich nach wie vor aber als Zuhörer muss man sich zb Wotans Abschied schon recht schwer ersitzen. In dem Zusammenhang lobe ich mir eben wie oben erwähnt zb Marek Janowski, Markus Poschner oder Axel Kober, die zwischendurch ein bisschen aufs Gas treten.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • Ein Nachsatz: als besonders schlimm und zäh empfinde ich Thielemanns Beethoven-Zyklus und seine Aufnahme von Schuberts “Großer”. Langsam allein reicht eben nicht.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

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  • "Der nächste Superlativ im Berliner „Ring“ heißt Guggeis [...] eine Sensation" (Peter Huth, "Die Welt")

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    – Luís de Camões