Richard Wagner als Textdichter: Dilettant oder Genie ?

  • Spitzfindige Taminos und Mitleser werden nicht zu Unrecht feststellen, daß sich die beiden Begriffe im Titel nicht notwendigerweise widersprechen - aber im üblichen Sprachgebrauch tun sie es dennnoch.
    Über Wagners "menschliche Qualtitäten" gehen ja die Meinungen auseinander, oder aber besser gesagt, die einen sind daran eigentlich nicht wirklich interessiert, die anderen kritisieren sie, aus vielerlei Gründen. Das ist aber hier sowieso nicht das Thema.
    Die Musik Wagners indes ist allgemein anerkann - auch von jenen, die sie eigntlich nicht besonders gern hören.


    Einen Sonderfall stellen indes die Libretti Wagners dar, die einerseits aus der deutschen Heldensagenwelt schöpfen - andrerseits Wagners eigene Ideen einbringen und - wo Wagner es für angebracht hielt - mit eigenen Wortschöpfungen - nur so gespickt sind. Eine gewisse Theathralik bzw Pathos haben oft zu Spott und Parodien Anlass gegeben - und dennoch - Wagners Opern sind (fast) die einzigen, welche im 21. Jahrhundert noch gespielt werden und das Publikum mobilisieren können (Ich meine jetzt - OHNE Entstelluingen durch das sogenannte Regietheater !!)
    Woran liegt das ?
    Nein - ich beziehe mich jetzt nicht auf die Musik, sondern auf die oft pseudoreligiösen Texte, welche immer noch auf Interesse stoßen - und ein Ende ist eigentlich nicht abzusehen.


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn ich Wagners Qualität als Textdichter untersuche, dann fällt mir auf, dass er auf der einen Seite zur Geschwätzigkeit neigt, auf der anderen aber mitunter wichtige Inhalte gar nicht erklärt. Die "Idee" dessen, was er mit seinen Werken inhaltlich ausdrücken will, steht hier mitunter über der Logik der Libretti.


    Folgende Beispiele seien hier kurz zur Erläuterung angeführt:


    Siegfried
    - Warum ist Fafner kein Riese mehr, sondern ein Drache?


    Götterdämmerung
    - Inhaltlich ist die Nornenszene überflüssig. Waltraute berichtet in ihrer Szene die für die Handlung relevanten Details später noch zur Genüge.
    - Der entscheidende Wendepunkt für das Verhalten Brünhilds - ihre Begegnung mit den Rheintöchtern - fehlt komplett.


    Die Meistersinger von Nürnberg
    - Wieso singt Beckmesser ein so offensichtlich gegen die Regeln verstoßendes Lied für Eva? Er weiß ja, dass Sachs ihn gleich einem Merker bewerten will. Ausserdem scheint dieses unsägliche Lied ja auch sein Beitrag für das Wettsingen gewesen zu sein, wie er im dritten Aufzug bemerkt. Einem solch regelversessenen Meister kann so etwas eigentlich nicht passieren.


    Parsifal
    - Inhaltlich ist der Karfreitagszauber zu vernachlässigen. Er drückt lediglich Wagners persönliche Ansichten aus, ohne, dass dies für die Handlung weiter von Belang wäre.


    Versteht mich nicht falsch: Musikalisch hat Wagner das alles fantastisch umgesetzt und gerade den Karfreitagszauber möchte ich nicht missen, aber würde man Wagners Dramen ohne Musik aufführen, würden hier viele Dramaturgen und Regisseure einiges einstreichen. (Das ist im Schauspiel üblich und hat nichts, aber auch gar nichts mit dem hier überstrapazierten Begriff des Regietheaters zu tun.)


    Mein Fazit wäre, dass die inhaltlichen Schwächen von Wagners Musikdramen von der Musik mehr als ausgeglichen werden und dass seine Texte trotzdem zu den interessantesten und tiefsinnigsten Erzeugnissen der Opernliteratur gehören - ob man mit ihren Inhalten und/oder Aussagen nun einverstanden ist oder nicht.

  • Lieber Alfred,


    führt diese Fragestellung nicht auf die falsche Spur? Wagners höchstes künstlerisches Anliegen war es, Gesamtkunstwerke zu schaffen. Dieses sollte aus Musik, Dichtung (Text), Bühnenbild, Kostümen, Licht zu einem künstlerischen Ganzen verschmelzen. Nehme ich aus dieser Gesamtheit nun den Text heraus und betrachte ihn isoliert, muss es nahezu zwangsläufig zu Fehldeutungen kommen. Allein aus dem Zusammenhang gerissen klingt z. B. der Text: "Weia! Waga! Woge, du Welle! Walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallal weiala weia!" (Rheingold erste Szene) unverständlich, nahezu komisch. Man könnte den Textdichter sicherlich auch des Dilletantismus bezichtigen. Ja - wenn die Musik und die anderen erwähnten Voraussetzungen nicht wären. Zusammengenommen wirkt der Beginn des "Rheingolds" ungeheuer wirkungsvoll, ja genial. Außerdem wollte Wagner mit seinen Texten und eigenen Wortschöpfungen Stimmungen schaffen, was gerade durch die Eigenart und Eigenwilligkeit der Dichtung erreicht wurde.
    Will man zu Urteilen über Wagners Musikdramen kommen, dürfen die Werke - die nur durch ihre Geschlossenheit ihre Suggestivkraft erhalten - nicht "zerlegt" und in ihren Einzelteilen betrachtet und beurteilt werden.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Gegenfrage: Kann man Wagners Texte ohne Musik, als Schauspiel, aufführen? Ich meine nein. Die Threadfrage stellt sich also nicht. Operus hat das exakt dargestellt, daß erst aus der Einheit von Text und Musik aus Wagners Ideen das wird, was es geworden ist - großartige Bühnenwerke.


    Im Gegensatz zu Richard Strauß´Werken, da wäre jedes Libretto auch ohne Musik ein geniales Kunstwerk (bei Salome war das ja schon vor der Komposition so)!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich hatte nie ein Problem mit Operntexten, wenn sie auch manche unerklärliche oder auch unlogische Stellen enthielten. Insofern sind Wagners Prosatexte mir auch nie zweifelhaft vorgekommen. Das schließt nicht aus, daß ich manchmal versucht habe, zu hinterfragen, aber ich gestehe, daß ich das immer schnell aufgegeben habe. Aber wichtig war mir immer die Musik - obwohl ich möglicherweise an einem „genetischen Defekt“ leide, weil mein Vater Wagners Musik zwar mochte, sie aber wegen „Überlänge“ der Opern immer ablehnte und das sich auf mich übertragen hat.


    In diesem Zusammengang muß ich gerade an den philharmonischen Secondgeiger Johann Czapauschek denken, der in der Ära Gustav Mahlers im Hofopernorchester spielte. Der scheint auch nicht mit diesen „Überlängen“ klar gekommen zu sein, denn er notierte in seiner Stimmenausgabe von „Lohengrin“ an der Stelle, wo der Schwanenritter Elsa seine Liebe gesteht, den Satz: „Hier empfiehlt Czapauschek Tusch in A-Dur und Ende der Oper.“


    Nach dieser hoffentlich als „lustig“ empfundenen Einlage zurück zum Thema: Wagner hat, wie ich gelesen habe, zunächst Prosatexte geschrieben, die als Schauspiel konzipiert wurden, beispielsweise „Leubald“. Erst als das Musikinteresse wuchs, wurde ihm klar, daß er seine Libretti selber schreiben mußte. Anlaß soll E.T.A. Hoffmanns „Der Dichter und der Komponist“ gewesen sein; darin vertritt der Komponist Ludwig die Meinung, daß eine „wahrhafte Oper“ nur die ist, deren Musik „aus der Dichtung entspringt“. Das hat Wagner offensichtlich übernommen.


    Wenn ich richtig informiert bin, hat Wagner seine Texte, die er immer „Dichtungen“ genannt hat, immer vor den Vertonungen, zumindest aber vor den Aufführungen der fertigen Opern, veröffentlicht. Und er hat, da bin ich mir sicher, es gelesen zu haben, die Veröffentlichung zu keinem Zeitpunkt als unabhängige dichterische Werke präsentiert, sondern sein Publikum auf spätere Opernaufführungen vorbereiten wollen. Dem entspricht auch, daß er, eine ebenfalls revolutionäre Neuerung, in Bayreuth während der Aufführungen die Beleuchtung ausschalten ließ, um die Zuschauer am Mitlesen des Textes zu hindern.


    Für mich ziehe ich den Schluß, daß man Wagners Libretti nicht als Literatur beurteilen sollte, sondern als integrale Bestandteile seines musikalischen Werkes.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Siegfried
    - Warum ist Fafner kein Riese mehr, sondern ein Drache?

    Warum ist Gollum kein Hobbit mehr, warum sind die Ringgeister so geworden, wie sie sind? Weil mächtige Zaubergegenstände den Träger korrumpieren und letztlich vernichten.
    Fafner verwandelt sich mit der Tarnkappe in den Drachen (der ja in der Sage auch schon vorkommt), weil er so das Gold am besten bewachen kann. (Dass er gleichzeitig als Drache in der Höhle mit Gold und seiner Macht gar nichts anfangen kann, ist das bekannte Paradox der meisten Drachen und ihrer Horte.)



    Zitat

    Die Meistersinger von Nürnberg
    - Wieso singt Beckmesser ein so offensichtlich gegen die Regeln verstoßendes Lied für Eva? Er weiß ja, dass Sachs ihn gleich einem Merker bewerten will. Ausserdem scheint dieses unsägliche Lied ja auch sein Beitrag für das Wettsingen gewesen zu sein, wie er im dritten Aufzug bemerkt. Einem solch regelversessenen Meister kann so etwas eigentlich nicht passieren.

    Warum versagt Max beim Sternschießen und braucht Freikugeln für den Probeschuss? Beckmesser ist überfordert; er kennt die Regeln, kann aber nicht gut dichten.


    Die anderen Beispiele habe ich nicht so präsent. Die Schwierigkeiten, die viele mit Wagners Libretti haben, beruhen allerdings meistens, so dachte ich, eher auf der Sprache als auf den Plots.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Gegenfrage: Kann man Wagners Texte ohne Musik, als Schauspiel, aufführen? Ich meine nein.


    Das Gegenteil wurde bereits bewiesen. Marcel Prawy hat in Wien sehr erfolgreiche Lesungen mit bekannten Schauspielern veranstaltet, die gezeigt haben, dass die Wagner-Texte sehr wohl auch für sich alleine bestehen können.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • An anderer Stelle wies ich schon einmal darauf hin, dass sich Wagner selbst für einen Dichter hielt. Den "Ring" nannte er ja ein "tetralogisches Gedicht". Zwar dementierte er das auch mal wieder, etwa mit der Bemerkung: "Ich bin kein Dichter, und es ist mir ganz gleich, ob man meiner Diktion Vorwürfe macht." Das war aber eine eher polemische Abwehrhaltung Kritikern gegenüber.


    In Wirklichkeit glaubte er sehr wohl an seine poetischen Fähigkeiten. Wie anders wäre es zu erklären, dass er im Jahre 1853 den ganzen "Ring" im Hotel Baur du Lac in Zürich vor geladenen Gästen rezitierte. Wirklich den ganzen!


    Und hatte er nicht einige sprachschöpferische Fähigkeiten? Steckt in folgenden Versen nicht wirklich Poesie: "Winterstürme wichen dem Wonnemond..."? Auch seine wunderlich altertümelnden, stabreimaufgeladenen und syntaktisch invertierten Texpassagen weisen doch auf eine gewisse sprachliche Kreativität hin. "Blühenden Lebens / labendes Blut / träufelt´ich in den Trank" ... ist so etwas nicht sprachlich ungeheuer plastisch? Von einer hochkonzentrierten metaphorischen Dichte?


    Ich gebe ja zu, dass das manchmal etwa konstruiert wirkt und aus heutiger Sicht schwer erträglich ist. Insofern kann man eigentlich Thomas Mann nur zustimmen, wenn er feststellt: "Seine Texte ... sind denn auch wunderlich genug. (...) als sprachliche Gebilde nicht haltbar."


    Aber noch einmal: Ohne eine gewisse sprachschöpferische Kraft wären diese "sprachlich nicht haltbaren Gebilde" nicht zustandegekommen.

  • Zitat von "Johannes Roehl"
    Fafner verwandelt sich mit der Tarnkappe in den Drachen (der ja in der Sage auch schon vorkommt), weil er so das Gold am besten bewachen kann.


    Das ist denkbar (und auch schon so inszeniert worden), ist aber anhand von Wagners Libretto nicht eindeutig zu belegen. Fafner müsste ja spätestens nachdem Siegfried die Tarnkappe erbeutet hat wieder zum Riesen verwandelt werden.


    Zitat von "Johannes Roehl"
    Beckmesser ist überfordert; er kennt die Regeln, kann aber nicht gut dichten.


    Das leuchtet mir ein - das ist eine absolut schlüssige Interpretation. Danke.

  • Es tut mir Leid, aber die meisten Texte im Ring mit den zwanghaften Stabreimen gehören ins komische Fach, genauer gesagt in das der unfreiwilligen Komik. Bitte jetzt nicht gleich loslegen, denn ich spreche nicht von der genialen Musik. Ich erinnere mich gut, wie ich in Gelsenkirchen den konzertanten Ring verfolgt habe und bei den Übertiteln immer wieder lachen musste. Statt das Ganze als Gesamtkunstwerk zu sehen, kann man ja auch die These vertreten, dass die Texte die Musik doch sehr beeinträchtigen. Wagner ist übrigens kein Einzelfall. Auch unser Dichterfürst Goethe hat da einiges verbrochen, ich denke da an das "Schauspiel" "Der Bürgergeneral", das viel bekannter sein sollte, weil es Goethes politischen Eiertanz zur französischen Revolution unfreiwillig komisch darstellt. Das unfreiweillig komischste Drama in deutscher Sprache ist für mich "Die Familie Schroffenstein" von Kleist. Als Kleist dies seinen Freunden vorlas, haben die sich auf die Schenkel gehauen und sind vor Lachen vom Stuhl gefallen. Kleist schrieb an seine Familie: Lest diese Scharteke auf keinen Fall.
    Ich möchte Wagners Musik auf keinen Fall missen, aber die Texte...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Das ist denkbar (und auch schon so inszeniert worden), ist aber anhand von Wagners Libretto nicht eindeutig zu belegen. Fafner müsste ja spätestens nachdem Siegfried die Tarnkappe erbeutet hat wieder zum Riesen verwandelt werden.


    Ich meine, ich hätte auch schon einmal von einer Inszenierung gehört, bei der sich der erschlagene Fafner zurückverwandelt. Das Gimmick Tarnhelm ist dabei aber m.E. sekundär. Die Verwandlung erfolgt durch die Machtgier und die entsprechende Korruption, der der dumme Riese nicht viel entgegenzusetzen hat.
    Lt. Wikipedia (Stichwort Fafnir) ist die Verwandlung in der nordischen Sage auch schon drin. Näher an dieser Urversion ist der Nibelungen-Roman "Rheingold" von Stephan Grundy (1992).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich finde eigentlich Wagners Texte nicht ganz so schlimm, wie immer behauptet wird. Gerade im Ring soll diese Sprache ja das Mythologische der Thematik unterstreichen. Allerdings finde ich Wagners Formulierungen in manchen Fällen so frappant daneben, dass es mich wirklich stört, z.B wenn Isolde singt :


    Wie sie schwellen,
    mich umrauschen,
    soll ich atmen,
    soll ich lauschen?
    Soll ich schlürfen,
    untertauchen?
    Süß in Düften
    mich verhauchen?


    Das Wort "schlürfen" finde ich hier im allerhöchsten Maße deplaziert! Schlürfen tut ein dreijähriges Kind seinen Orangensaft. Ich bin bei Texten ziemlich unempfindlich, z.B ertrage ich auch Bachs Kantatentexte ohne Murren, aber das geht mir zu weit. Das konterkariert die ganze Erhabenheit des Abschiedsgesangs.

  • Lieber Helmut Hoffman,


    Deiner Analyse stimme ich gerne und wie so oft zu.


    Mir verbleibt nur das Statement, dass ich Wagners Texte eben gerade wegen ihrer heute eigenartigen "altmodischen" Anmutung, ihrer Plastizität und ihrer eingebauten Musikalität mag. Diese Texte schreien für mich nach der Vertonung. Man lese sich nur einmal mit einem gleichmässig trochäischem Rhythmus den Text "Weia! Waga! Woge du Welle!" selbst vor. Der Schritt vom rhythmischen Sprechen bis zum Gesang ist dann nur noch klein.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Beckmesser ist überfordert; er kennt die Regeln, kann aber nicht gut dichten.


    Das ist ja genau DAS, was Interpreten den Kritikern immer wieder vorwerfen - zu Unrecht übrigens - denn der Kritiker sollte ürteilsfähig sein - er muß das Beurteilte nicht selbst können um kompetent zu sein. Wagner wollte DAS indes NICHT sagen, sondern er wollte die (angebliche) Unfähigkeit EINES Kritkers auf die Bühne bringen, nämlich jenes Mannes, der als Vorbild für dei Figur des "Sixtus Beckmesser" gedient hatte, nämlich der ihm feindlich gesonnene Eduard Hanslick. Die Figur sollte ursprünglich übrigens Hans Lick heissen. Wagner entschied sich indes letztlich dann doch, die historisch belegte Figur des Sixt Beckmesser zu verwenden, über den aber so gut wie nichts bekannt ist, ausser dass er im Nürnbern 15 Jahrhundert gelebt haben soll. Die reale Person gehörte selbst zu den Meistersingern und war nicht negativ belegt - bis Wagner sich ihrer annahm....


    Zitat

    Es tut mir Leid, aber die meisten Texte im Ring mit den zwanghaften Stabreimen gehören ins komische Fach, genauer gesagt in das der unfreiwilligen Komik. Bitte jetzt nicht gleich loslegen....


    Ich lege nicht gleich los, sondern weise darauf hin, daß Dr. Pingel zugleich 2 weitere Dichter ob ihrer Sprache (in ausgewählten Stücken) kritisiert: Goethe und Kleist. (Welche Ehre für den Dichter Wagner !!)


    Ich gehe davon aus, daß hier einmal mehr gewisse Eigenheiten vergangener Jahrhunderte mit dem Regelwerk der Gegenwart gerichtet werden.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "Weiala waga" usw. ist offenbar als "Naturlaut" konzipiert und das erfüllt es auch ausgezeichnet.
    Das Stabgereime gibt es ja nur im Ring. Es passt auf manches gut, wie etwa die Zaubersprüche: "Nur wer der Minne Macht entsagt" etc., anderswo wirkt es häufig unbeholfen und geschraubt.


    Insgesamt (wobei ich die Texte sicher nicht so gut kenne wie manch anderer) gibt es neben den geschraubt wirkenden Passagen auch ziemlich natürlich fließende (zB die Erzählung Sieglindes wie Wälse/Wotan das Schwert in der Esche plaziert) und sogar poetische, für mich durchaus gelungene, zB. Wotans Abschied.


    Und natürlich hat das seit je zur Parodie eingeladen. Man kann natürlich alles parodieren, aber je ungewöhnlicher und pathosgeladener die Vorlage desto weniger bedarf es zur Parodie. Und gewiss kippt es manchmal im Original schon in diese Richtung um.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Nennt mich einen hartgesottenen Wagnerianer, aber ich habe an Wagners Libretti nichts auszusetzen. Unfreiwillig komisch oder gar lächerlich erscheinen sie mir ganz und gar nicht. Wie bereits angedeutet wurde, müssten uns aus heutiger Sicht ja auch berühmte Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts dergestalt vorkommen. Hier wurde auch geschrieben, dass die Komik in den Meistersingern heute nicht mehr herüberkäme. Kann ich auch nicht nachvollziehen. Gerade der Zweite Aufzug ist doch an (gewolltem) Witz kaum zu überbieten. Scheinbar geht es nicht nur mir so, denn regelmäßig kommen auch Lacher aus dem Publikum, besonders natürlich bei Beckmessers Auftritt vor der vermeintlichen Angebeteten. Mag aber sein, dass modernes Regietheater diese Stellen unkenntlich macht und unwitzig verunstaltet.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat von "Johannes Roehl"
    Beckmesser ist überfordert; er kennt die Regeln, kann aber nicht gut dichten.


    Das leuchtet mir ein


    Mir aber gar nicht.


    Auf die Kraft und Wucht der Beckmesserschen Dichtung weist sogar der Text in subtiler Weise hin.
    "Gold und Frucht - Bleisaft und Wucht"


    Dazu kommt noch die blitzesschnelle und dennoch korrekte Analyse der dramatischen Situation:
    "Mich holt am Pranger - der Verlanger
    auf luft´ger Steige kaum - häng´ ich am Baum.


    Schließlich noch die neuesten Erkenntnisse über ungeahnte Fähigkeiten aus dem Reich der Tierwelt:
    "die Augen zwinkend - der Hund blies winkend"


    und den Tipp für die ratlose Hausfrau:
    "was ich vor langem verzehrt -
    wie Frucht, so Holz und Pferd"


    Gegen die originelle Dichtung Beckmessers, der seine sprachliche Kunstfertigkeit nicht an täppisches, überspanntes Liebesgesäusel vergeudet,
    nimmt sich Walters Preislied geradezu hausbacken aus:


    "Abendlich dämmernd umschloss mich die Nacht
    In himmlisch neu verklärter Pracht
    Am lichten Tag der Sonnen.


    Erfüllung kühn verhieß
    Dort unter einem Lorbeerbaum
    Mich netzend mit dem Nass
    Mit heilig holden Mienen
    Von Sternen hell durchschienen
    Die lockend mir gelacht
    Die Apfelmuse des Parnass.

  • Mich freut dieser Thread, weil er eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen Wagner ist. Besonders im Wagner-Jahr 2013 ist das sehr passend. In der laufenden Diskussion sind auch schon bedenkenswerte Argumente, einleuchtende Beispiele und überzeugende Beweise für den jeweiligen Standpunkt gebracht worden. Wir können es meines Erachtens drehen und wenden wie und solang wir es wollen. In dem Moment, wo wir die Texte von Richard Wagner aus dem von ihm konzipierten und geschaffenen Rahmen des Gesamtkunstwerkes herauslösen , wird es problematisch. Wagner schuf keine Dichtung, die allein für sich stehen und wirken soll und kann. Sie ist untrennbar symbiotisch mit der Musik verbunden, erst dadurch erhält das Werk seine suggestive Kraft und deshalb können Wagner Musikdramen nur in der Gesamtheit ihren unvergleichlichen Zauber und ihre grandiose Wirkung entfalten.
    Auch mit der Elle der Logik kann der Geist von Opern kaum erfasst werden. Diese Kunstform ist märchenhaft, fantasievoll, kreativ, verzaubernd, rätselhaft und bezieht aus dieser Traumwelt ihre Faszination und regt gerade durch die Möglichkeit der vielfältigen Deutung und der rationalen Nichterklärbarkeit zum Nachdenken,Nacherleben und zur Nachwirkung an. Um nur ein einziges Beispiel anzuführen: Wer kann die Logik und den wirklichen Sinn von Mozarts "Zauberflöte" erklären? Auch bei diesem Werk muss man bereit sein, sich auf das Märchen "Zauberflöte" einzulassen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • In dem Moment, wo wir die Texte von Richard Wagner aus dem von ihm konzipierten und geschaffenen Rahmen des Gesamtkunstwerkes herauslösen , wird es problematisch.


    Anscheinend geht es doch, wie Theophilus berichtet. Auch Helmut Hofmann hat auf die gelungene Dichtung als Eigenständigkeit mit "Winterstürme wichen dem Wonnemond" hingewiesen. Man könnte ruhigen Gewissens den ganzen Text dieser "Arie" nennen.
    Gerade im Ring finden sich viele solcher Beispiele, erstaunlich wie Wagner den Stabreim zu solcher Meisterschaft führen kann, ohne dass es - von einigen Ausnahmen abgesehen - störend oder gar lächerlich wirkt.
    Die Todesverkündigung in der Walküre wirkt immer ergreifend, sie entschärft das Heldenepos und macht es menschlich durch Siegmunds Weigerung, die Liebe auf Erden dem Heldenleben in Walhall zu opfern.


    Kein Zweifel aber, erst Wagners Musik bringt den Text zur vollen Entfaltung, wie es zum Beispiel am Ende des Rheingolds geschieht:
    "Abendlich strahlt
    der Sonne Auge;
    In prächt´ger Glut
    prangt glänzend die Burg"


    Noch einmal wir Walhalls Herrlichkeit in triumphalen Tönen beschworen, noch einmal genießt Wotan den Rausch der Macht in strahlendem Dur und wieder ein Beispiel für - wie es Operus nennt - die suggestive Kraft, begründet in der symbiotischen Untrennbarkeit des Textes von der Musik.

  • Lieber Hami1799, liebe Diskussionspartner,


    bringt uns die nachstehende Aussage von Leonard Bernstein in unserem Disput weiter?


    "Kunstwerke beantworten keine Fragen: Sie verursachen sie; und ihre wesentliche Bedeeutung liegt im Spannungsfeld der widersprüchlichen Antwortmöglichkeiten".


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • "Kunstwerke beantworten keine Fragen: Sie verursachen sie; und ihre wesentliche Bedeutung liegt im Spannungsfeld der widersprüchlichen Antwortmöglichkeiten".

    Lieber Operus,


    schick das mal zum Wagner-Thread "Wer ist dieser Richard Wagner"


    Herzlich

  • Fafner müsste ja spätestens nachdem Siegfried die Tarnkappe erbeutet hat wieder zum Riesen verwandelt werden.


    Wird er auch. Das ist in älteren Inszenierungen, in denen es einen "Wurm" gegeben hat, durchaus auch zu sehen gewesen.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat von "Johannes Roehl"
    Ich meine, ich hätte auch schon einmal von einer Inszenierung gehört, bei der sich der erschlagene Fafner zurückverwandelt.


    Zitat von "Theophilus"
    Wird er auch. Das ist in älteren Inszenierungen, in denen es einen "Wurm" gegeben hat, durchaus auch zu sehen gewesen.


    Das ist ja alles schön und gut - aber in Wagners Libretto nicht zu finden. Darum geht es mir. Der geschwätzige Sachse hat sich in seinen Texten endlos über Gott und die Welt ausgelassen, aber wichtige Details oder Zusammenhänge eben oft nicht ausgeführt, wie ich in meinem früheren Beitrag "Ein überdurchschnittlicher Librettist mit Macken" versucht habe darzustellen. Aber ohne in den Krümeln suchen zu wollen, hat "hami1799" natürlich recht, wenn er schreibt "erst Wagners Musik bringt den Text zur vollen Entfaltung" und - möchte ich hinzufügen - lässt solche Lücken und Ungereimtheiten meist nebensächlich erscheinen.

  • Ich verstehe nicht ganz, warum die Verwandlung Fafners zum Drachen, die ja ohnehin nicht auf der Bühne stattfindet, so zentral sein soll, dass sie ausführlich erklärt werden müsste (zumal sie eben ein Import aus der Sage, keine neue Wagnersche Zutat ist). Die Riesen sind schließlich nur Nebenakteure, auch wenn sie die ersten Opfer des Ringes/Fluches und der Trickserei von Wotan und Loge sind
    Wir sollten Wagner schon zutrauen, dass er selbst wusste, was er in seinem Stücken für wichtig hielt und es nicht als Geschwätz über "Gott und die Welt" herabsetzen. (Mir ist die Auseinandersetzung Wotan-Fricka in Walküre, II. Akt auch zu lang, aber ich sehe ein, warum das wichtig ist.) Obwohl ich selber die Beispiele von Tolkien usw. gebracht habe, ist der Ring eben keine Fantasy Saga.


    Weil das in anderen Postings anklang: Mir scheint es doch eine deutliche Verkennung von Wagners Libretti zu sein, wenn man meint, dass sei bloß aus heutiger Sicht altmodische Sprache, genauso wie heutige Schüler Goethe altmodisch finden. Ich beanspruche kaum, Experte für deutsche Literatur des 19. Jhds. zu sein, aber dessen bedarf es m.E. auch nicht, um die stellenweise (besonders eben im Ring) extreme sprachliche Eigenwilligkeit Wagners festzustellen, die auch seinerzeit ganz klar herausgestochen hat.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Das ist ja alles schön und gut - aber in Wagners Libretto nicht zu finden. Darum geht es mir. Der geschwätzige Sachse hat sich in seinen Texten endlos über Gott und die Welt ausgelassen, aber wichtige Details oder Zusammenhänge eben oft nicht ausgeführt,...

    Es erhebt sich zuerst die Frage, ob dies ein wichtiges Detail ist. Ich denke nicht, außerdem gibt es im Ring durchaus wichtigere Ansatzpunkte der Kritik.


    Die Geschichte mit der Tarnkappe und einer allfälligen Rückverwandlung Fafners hängt mit der genauen Funktionsweise zusammen, über die wir nichts wissen. Vor allem wissen wir nicht, wann die Wirkung aufhört. Der lebende Fafner bleibt solange in seiner Gestalt, bis er sich anders entschließt. Bei einem gewaltsamen Tod kommt es quasi zu einer Unstetigkeit - und damit fängt die Raterei an. Wird er im Zeitpunkt des Todes gegen seinen Willen zurückverwandelt, oder bleibt er in der letzten Gestalt? Wagner lässt das bewusst und m.E. auch richtigerweise offen. Darüber könnte man ausgiebig und fruchtlos diskutieren - es ist einfach für das Stück völlig unerheblich und sollte es auch für uns sein. Schließlich findet es in einer Realität statt, die für uns grundsätzlich nicht erfahrbar ist, in die wir uns nur bis zu einem gewissen Grad hineinversetzen können oder die wir für uns zurecht biegen. Wollten wir uns mit wissenschaftlichem Denken den Wagner-Werken nähern, müssten wir neben dem Ring auch Holländer, Tannhäuser, Lohengrin und Parsifal aussortieren. Es geht eben nicht um diese Details, sondern um ganz andere Fragen.


    Nebenbei bemerkt sind Opernlibretti fast generell gezwungen, die jeweiligen Sachverhalte auf möglichst knappe Weise zu vermitteln. Dem fallen sehr oft logische Details zum Opfer, deren (sinnvolle) Rekonstruktion dem Rezipienten überlassen bleibt. Wollte man die Opernlibretti nach derartigen "Fehlern" durchforsten, hätte man lange zu tun und brächte jede Menge Fundstellen zusammen...


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Natürlich sollte ein gutes Libretto dennoch eine dramatische Schlüssigkeit aufweisen, auch wenn Wahrscheinlichkeit und Logik mitunter arg strapaziert werden.


    Verfehlt ist es sicher, pseudowissenschaftliche Logik der Art anzuwenden, wie das in entsprechenden Fantasy-Fanforen geschieht. Da ergeben sich dann nämlich solche Fragen, wie genau ein Tarnhelm funktioniert und warum er einmal so, ein andermal so funktioniert. Zwar habe ich vor Jahren Gundrys Buch gelesen, aber sonst kann ich mich für die Vorlage nur auf den genannten wikipedia-Artikel berufen. Danach scheint der Helm ursprünglich nicht in erster Linie zur Tarnung, sondern zur Abschreckung von Feinden ("Schreckenshelm") gedient zu haben und es ist keineswegs klar, ob er die Ursache der Verwandlung Fafners ist, selbst wenn die Schrecklichkeit des Drachen durch den Helm noch gesteigert wird. Bei Wagner trägt der Drache weder Helm noch Ring am Leibe, die holt Siegfried auf den Rat des Waldvogels erst aus der Höhle (bei Gundry ist meiner Erinnerung nach der Helm in den verwandelten Fafner quasi eingewachsen).


    Für Wagner ist so etwas weitgehend irrelevant; die gängige Deutung ist meines Wissens, dass auch all die Tränke usw. nur Verdeutlichungen sind. Dass Tristan und Isolde auf dem Schiff aufgrund des Tranks sich plötzlich ineinander verlieben, wäre wohl ein grobes Missverständnis, oder?

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Bei Wagner trägt der Drache weder Helm noch Ring am Leibe, ...


    Da fängt der Eiertanz ja schon an. Aus der Szene bei den Nibelungen geht hervor, dass der Tarnhelm offenbar für einen menschlichen (nun ja - zwergenhaften) Träger geschmiedet wurde. Was passiert mit ihm bei der Verwandlung? Offenbar dematerialisiert er sich, denn die Kröte würde unter ihm verschwinden bzw. würde der riesige Drache ein lustiges Krönchen tragen. Beim Tod des Besitzers muss - oder sollte - er sich wieder irgendwie materialisieren. Siegfried muss ihn also irgendwo finden können. Tatsächlich sind solche Fragen - wiewohl die Gedankenspiele durchaus Unterhaltungswert besitzen mögen - völlig belanglos, denn in Wirklichkeit sind Ring und Tarnhelm nur Sinnbilder für inhärente Fähigkeiten des "Besitzers" (die Zaubertränke beim Tristan sind ja ebenso mehr Bilder als Realität - wie JR richtig bemerkte) .


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Fafner war halt der erste große Magier , lange vor Copperfield und Siegfried und Roy :) . Er hatte nur das Pech das es in seiner Zeit noch keinen Fernseher gab.

  • Mein Einwand richtet sich nicht gegen einzelne Formulierungen, sondern die Dramatrugie.


    Die Götterdämmerung etwa bezieht ihre stärkste Bühnenspannung aus retrospektiven (Nornen) oder retardierenden Momenten ("Zu neuen Taten"; Waltraute, Hagen-Alberich, Rheintöchter usw.)


    Der eigentliche Handlungsknoten aber - Siegfrieds Ankunft bei den Giebichungen, der Zaubertrank, die räuberische Eroberung Brünnhildes, Siegfrieds Hochzeitszug und Ermordung - sucht an Schwerfälligkeit und Unbalance seinesgleichen.


    Siegfrieds Trauermusik ist eine der hohlsten Klanggesten, die ich kenne. Nicht einmal Brünnhilde empfindet Mitleid mit ihrem Helden. Ihre gemeinsam mit Gunther gesungenen Racheschwurformeln:


    Allrauner, rächender Gott!
    Schwurwissender Eideshort!
    Wotan! Wende dich her!
    Weise die schrecklich heilige Schar,
    hieher zu horchen dem Racheschwur!


    wirken in ihrer kalkulierten Zuspitzung hilflos und nichtssagend. "Sühn er die Schmach, die er mir schuf!" klingt nach drittklassigem Pennälerdrama. Dieses langatmig aufgeblasene Machwerk einer Racheintrigue unterster psychologischer Glaubwürdigkeit, mit Statistenstentorpathos und kalter Routine ist eine der schlimmsten Heimsuchungen dessen, was Oper nicht sein dürfte.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Die Götterdämmerung etwa bezieht ihre stärkste Bühnenspannung aus retrospektiven (Nornen) oder retardierenden Momenten ("Zu neuen Taten"; Waltraute, Hagen-Alberich, Rheintöchter usw.)

    Das ist die fast unvermeidliche Folge, wenn du mehrere Handlungsstränge zusammenführen willst. Es steckt aber schon einiges Können dahinter, den Hörer trotzdem bei der Stange zu halten. Bei einem schwächeren Komponisten wäre der Bandwurm Ring hoffnungslos in der immerwährenden Versenkung verschwunden.



    Der eigentliche Handlungsknoten aber - Siegfrieds Ankunft bei den Giebichungen, der Zaubertrank, die räuberische Eroberung Brünnhildes, Siegfrieds Hochzeitszug und Ermordung - sucht an Schwerfälligkeit und Unbalance seinesgleichen.

    Das ist wohl auch eine Frage der persönlichen Empfindung. Mein Problem mit der Götterdämmerung liegt darin, dass der hehrste aller Helden - und irgendetwas Besonderes muss wohl an ihm dran sein, sonst würde man nicht 15 Stunden Musik für ihn erfinden wollen - auf eine derart plumpe Weise düpiert und in der Folge zur Strecke gebracht werden kann. Das bedeutet letztlich, dass der eigentliche Zweck der Tetralogie - die Erfüllung von Siegfrieds Schicksal - nicht recht befriedigt und die Vorgeschichte das Interessantere ist. Das Ziel ist enttäuschend, also muss der Weg herhalten.



    Siegfrieds Trauermusik ist eine der hohlsten Klanggesten, die ich kenne.

    Mit dieser Einschätzung befindest du dich aber wohl in einer eher kleinen Minderheit. Wer bis dorthin durchgehalten hat und von der Trauermusik nicht zutiefst erschüttert ist, dem ist in Sachen Wagner wohl nicht mehr zu helfen.



    Nicht einmal Brünnhilde empfindet Mitleid mit ihrem Helden.

    Das schließt du woraus?



    Ihre gemeinsam mit Gunther gesungenen Racheschwurformeln:
    ...
    wirken in ihrer kalkulierten Zuspitzung hilflos und nichtssagend.

    In denke, auch dies liegt im Auge des Betrachters. Auf der anderen Seite: bei solch plakativen Schwüren wird man immer irgendetwas vorbringen können. Wir leben in einer Zeit, die mit Schwüren nicht viel anfangen kann - sie sind ein nicht mehr gebräuchliches, antiquiertes Konstrukt und werden sehr leicht als unfreiwillig komisch empfunden. Dennoch erreicht Wagner sehr gute Wirkung, wenngleich Alberichs Schwur noch eindringlicher ist.



    Dieses langatmig aufgeblasene Machwerk einer Racheintrigue unterster psychologischer Glaubwürdigkeit, mit Statistenstentorpathos und kalter Routine ist eine der schlimmsten Heimsuchungen dessen, was Oper nicht sein dürfte.

    Genau. Deswegen heißt es auch Musikdrama und nicht Oper. Entweder man lässt sich auf die geänderte Auffassung Wagners ein und kritisiert sie auf der Ebene dessen, was sie anstrebt, oder man lässt es bleiben. Aber Kriterien einer guten Oper auflisten und damit "Schwächen" der Wagnerischen Musikdramen anzuprangern zielt nicht einmal haarscharf an einer brauchbaren Kritik vorbei. Außerdem wird man auf diese Weise niemals auch nur in die Nähe der Erkenntnis dessen kommen können, was an Wagners Musikdramen außerordentlich und schätzenswert ist.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose