Superflumina von Salvatore Sciarrino im Stadttheater Aachen

  • Gestern war ich da und habe es mir angeschaut. So viel vorweg: Schon nach wenigen Minuten war mir klar, Sciarrino ist ein Name, den ich mir merken muss. - Damit ich nicht noch mal in ein Stück von ihm gerate.
    Was auch gesagt werden muss: Ich tue mich schwer mit modernen Opern, mir gefällt nicht viel, was jünger als 100 Jahre ist.
    Aber nun zum Stück: Eine Frau irrt durch einen BAhnhof und singt kryptische Texte. Da verwandelt sich jemand in einen Sperber, es geht um Tauben und Augen, ein Bett zerbarst und dann die ganze Welt, - einen Zusammenhang, ausser dass die Frau leidet, konnte ich nicht erkennen. Ab und zu antworten ihr andere, nun ja, Fahrgäste. Man hört Fetzen von Lautsprecherdurchsagen, Menschen gehen hin und her oder stehen herum. Es gibt 4 Bilder, zwei Intermezzi und drei Lieder, das erfährt man aber nur durch die Übertitelung. Das Orchester, der Chor und etliche Zuschauer sitzen auf der Bühne. Musikalisch geht es recht spartanisch zu. Melodien, Rythmen sind praktisch nicht zu erkennen. Manchmal blökt die Posaune mal ein Minütchen. Die Schlagzeuger sind relativ gut beschäftigt, sie schlagen auf Flaschen, Rohre und Blechplatten.
    Technisch ist das alles sehr extrem, Sänger und Musiker müssen Großes leisten, da sie sich ja nicht an Melodien und Rythmen entlanghangeln können.
    Die große Frage nach dem Ende: Warum? Warum schreibt man eine solche Oper? Warum führt man eine solche auf? Und warum bin ich da hingegangen? Die letzte Frage kann ich beantworten: Ich wollte mich nicht auf ein Vorurteil verlassen, sondern der modernen Oper eine Chance geben. Diese zumindest hat sich nicht genutzt. Es war nicht schön, es war nicht berührend, es war auch nicht verstörend, es war zu gr0ßen Teilen einfach langweilig.
    Und die beiden anderen Fragen? Ich kann sie nicht beantworten. Natürlich hat man so Phrasen im Ohr wie "Hörgewohnheiten aufbrechen", "Assoziationen zulassen", "den Zuhörer auf sich selbst zurückwerfen". Aber mal im Ernst: das ist doch ausgelutscht, da rennt man doch sperrangelweite Türen auf. Und Botschaften, dass der moderne Mensch in der technisierten Umwelt herumirrt, sind ja schön und gut, bedürfen aber doch irgendwie bitte dann einer Verpackung, die dem ganzen eine Relevanz verleihen.
    Tja, so war das gestern im Theater. Der Applaus kam mir persönlich eher höflich vor und die Gespräche im Foyer waren auch nicht wirklich von Begeisterung getragen.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Ich frage mich, wie der Titel zu verstehen ist. "Super flumina Babylonis" ist der Anfang von Psalm 137 ("An den Wasserflüssen von Babylon saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsre Harfen hängten wir in die Weiden..."). Dieser Psalm ist nach 589 v. Chr. entstanden, als Nebukadnezar Judäa eroberte und die Bevölkerung als Sklaven nach Babylon verschleppen ließ.
    In der Polyphonie des 16. Jh. hatten die vielen Messen ja alle einen Namen, z.B." L´homme armé", "Sicut lilium" usw., fast alles Zitate aus der Bibel. Auch "super flumina" war ein häufig komponierter Titel.
    Ich vermute mal, dass das aus der Oper selber nicht hervorging, sondern im Programmheft nachzulesen ist.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

    Einmal editiert, zuletzt von Dr. Pingel ()

  • Sehr gut geschlossen. Es soll da wohl eine Parallele geben, dass die Menschen in den Bahnhöfen irgendwie auch sich sehnen nach echter Heimat. Aber tatsächlich, aus der Oper selbst erschloss sich das keinesfalls.
    Irgendwie frage ich mich natürlich auch, ob ich einfach zu blöd bin, solche WErke zu verstehen. Das war zwar auch für meine Frau und meine Freunde so, aber wer weiß?

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  • Ich könnte mir auch vorstellen, dass das Stück relativ kurz war und es vor allem keine Pause gab, in der man hätte gehen können.
    Vor 2 Jahren habe ich ein Konzert des Hilliard - Ensembles mit dem Arditti - Quartett in Duisburg besucht. Sie spielten ein Stück von Wolfgang Rihm, das mit einer Stunde angesetzt war. Es war nicht so schlecht, aber 55 Minuten zuviel. Wegen meiner klackenden Schuhe wollte ich nicht rausgehen, zog dann noch die Option in Erwägung, die Schuhe auszuziehen und rauszugehen, habe mich aber nicht getraut. Heute würde ich das machen!

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • 1 Stunde 40 Minuten, gefühlte 4 Stunden und ein Auditorium, das andauernd auf die Uhr schaute, ich glaube, wenn die 10 Minuten überzogen hätten, hätte es Krawall gegeben.

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  • Ich habe mal eine andere Sciarrino-Oper gesehen, die mir sehr gut gefallen hat.
    So etwas wie einen spannenden Plot sollte man natürlich nicht erwarten und Melodien auch nicht.
    Aber "schöne Musik" oder von mir aus "geschmackvolle Geräuschmontagen" - deshalb geht man ja hin ...

  • Aber "schöne Musik" oder von mir aus "geschmackvolle Geräuschmontagen" - deshalb geht man ja hin ...


    1 Stunde und 40 Minuten "geschmackvolle Geräuschmontagen"? Hast du wirklich so viel Zeit totzuschlagen?


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich kann mich noch an eine Aufführung im Concertgebouw in Amsterdam erinnern, da gab es vor jahren eine Uhraufführung und auf dem Konzetpodium stand jede Menge Metronom Zähler die 10 Minunten lang getickt haben. Die 10 Minuten kamen uns vor wie Stunden.

  • Ich finde das schon interessant, was Kurzstückmeister da schreibt, denn es gibt ja diese Kompositionen und sie werden aufgeführt. Ich würde schon gern da ein bisschen rangeführt. Also ganz im Ernst Kurzstückmeister: Überzeuge mich! Ich kann da nur dran wachsen.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Das Problem mit dieser Art Musik ist immer die zweite Aufführung, weil die so gut wie nie stattfindet! Wer Spaß an Satire hat, den verweise ich auf meine ironische Abhandlung "Fraktale 11" im thread Satire. Dort geht es um die prätentiösen Titel der Neuen Musik. Die Musik ist natürlich genauso!

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Das war bei uns aber m.W. keine Uraufführung.


    Die Oper ist 2009 entstanden, wurde in Mannheim 2011 uraufgeführt.
    Die Sängerin der Hauptrolle, Anna Radziejewska, wurde auch für die Aachener Aufführungen verpflichtet (wahrscheinlich kann oder will die Rolle sonst keiner singen).


    Die Premierenkritik aus Mannheim kann man hier nachlesen.


    Unter diesem link der Bericht des Aachener Stadtmagazins vom Dezember anläßlich der Premiere im Aachener Stadttheater: http://www.klenkes.de/kultur/b…tenznot-superflumina.html


    Es gibt auch einen trailer bei youtube, hier zu sehen:



    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Das Programmheft sagt, dass Sciarrino der Sängerin die Oper auf den Leib geschrieben habe.
    Und was ich mittlerweile glaube ist, dass ja doch was dran sein musste, wenn ich mich damit so lange beschäftige und sogar hier im Forum eine spürbare Resonanz entsteht. - Eine neue Diskussion über moderne Opern? Mir wärs recht. Ich habe da noch viel zu lernen.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.