Hier im Forum wurde ja häufig geschrieben, dass Film-oder Schauspielregisseure die Finger von der Oper lassen sollten. Sicherlich, das mag in vielen Fällen zutreffen, im Fall von Sandro Sequi, der für die Inszenierung des Rigoletto an der Wiener Staatsoper verantwortlich zeichnet, allerdings überhaupt nicht. Ich habe selten einen so stimmungsvollen und gut inszenierten Rigoletto erlebt. Zusammen mit den stilechten Kostümen von Giuseppe Crisolini-Malatesta sowie den Bühnenbildern von Pantelis Dessylas, von denen jedes einzelne einem Andrea Mantegna-Fresko ähnelt, kam die heutige Aufführung dem Ideal des Gesamtkunstwerks schon sehr nahe. Eine durchdachte Personenführung trug dazu natürlich nicht unwesentlich bei.
Der Mord an Gilda wurde in völliger Dunkelheit verborgen, die Librettoangabe "e tutto resta sepolto nel silenzio e nel buio" wurde hier also ganz konkret umgesetzt, was ich in dieser Art und Weise noch nie erlebt habe. Das schreckliche Geschehen bleibt also der Phantasie des Publikums überlassen, und die hochdramatische Musik Verdis wird zur Protagonistin.
Als sich das Dunkel lichtet, findet sich Rigoletto mit dem Sack vor einem vom Mondlicht beschienenen Mincio und der nachempfundenen Mantuanischen Silhouette wieder. Alles ist scheinbar wie vorher, es gab ja nur ein gewöhnliches Gewitter, der Frieden ist wiederhergestellt. Hier konnte man wirklich gut nachempfinden, wie einsam Rigoletto in seinem Leid ist - der Mincio fließt ruhig und friedlich weiter, der Duca geht wieder fröhlich singend neuen Liebesabenteuern entgegen - nur für Rigoletto ist nichts mehr wie vorher.
Wieder einmal waren Chor und Orchester sehr zu loben. Beim "Zitti, zitti" der Herren gab es keine Wackler, der Chorklang war rund und ausgeglichen, was auch für das von Jesús Lòpez Cobos ganz hervorragend geführte Orchester gilt.
Simon Keenlyside in der Titelrolle hat eigentlich alles, was ein echter Belcantist so braucht: Stil, gute Stimmführung, Variantenreichtum und eine solide Technik. ABER: Er ist für diese Partie nicht dramatisch genug. Die lyrischen Passagen wie etwas das "Piangi, piangi" gelangen ihm außergewöhnlich, aber "Si, vendetta" war schlichtweg zu "brav". Das war kein in der Seele verwundeter Vater, der die Schande seiner Tochter blutig rächen möchte, sondern eher ein gebrochener, zutiefst trauriger Mann, der keinen Gedanken mehr fassen kann. Die Kräften schwanden ihm auch bei der „Maledizioooone“, die er nicht in einer Phrase schaffte.
Eine echte Überraschung war der Duca von Matthew Polenzani, dessen lockerer, gut sitzender und attraktiver Tenor für Begeisterung sorgte. Die Stelle "È amor che agl'angeli più ne avvicina! Adunque amiamoci, donna celeste;D'invidia agli uomini sarò per te.." im Duett mit Gilda als eine der schwierigsten Klippen, die es zu umschiffen gilt, meisterte er mühelos, und mit wunderschönem Piano ließ er "La donna è mobile" ausklingen. Dass er nach der Stretta "Ossente amor mi chiama" kein hohes D einlegte, hat mich nicht gestört. Vorgeschrieben ist es sowieso nicht, und zugusten der anderen guten Leistungen verzichte ich gern auf einen hohen Ton.
Den meisten Applaus erhielt - völlig zu Recht - allerdings Olga Peretyatko, die in der Rolle der Gilda an diesem Abend debütierte. Glockenreine Koloraturen, eine sichere Höhe, ein edles, silbriges Timbre und tragfähiges Piano - da blieben wirklich keine Wünsche offen. Man kann nur hoffen, diese außergewöhnliche Sopranistin auch an anderen Bühnen noch oft zu hören sein wird.
KS Kurt Rydl zeigte als Sparafucile die Reste des einstigen, furchteinflößenden Hagen. Man konnte sich gut vorstellen, was das mal für ein überragender Wagner-Sänger gewesen sein muss. Als Sparafucile mangelte es ihm ein wenig an dessen dämonischer, raffinierter Ausstrahlung, denn der Auftragskiller, der sowohl seine Auftraggeber als auch seine Opfer mit List zu umgarnen weiß, ist ja alles andere als ein gewöhnlicher Straßenräuber. Wie passend die Dramaturgie Verdis bzw. Piaves ist, wurde an der tragikkomischen Szene im düsteren Gang vor Rigolettos Haus einmal mehr deutlich. Nur eine Mauer trennt Gilda von dem Mann, der sich als "Kleinunternehmer" harmlos, aber geschickt in Szene zu setzen weiß und der ihr Schicksal - einem Todesengel ähnlich - schließlich vollenden wird.
Die Maddalena von Elena Maximova war - zumindest stimmlich - der Schwachpunkt an dieser ansonsten doch sehr bereichernden Aufführung. Äußerlich hatte die verführerische Tänzerin einiges zu bieten, um den liebestollen Duca leicht zu umgarnen, aber gesanglich war da eine ziemliche Unausgeglichenheit hörbar. Für die berühmten "drei Stimmen", die man abgesungenen Altistinnen manchmal zuschreibt, ist die Sängerin noch um einiges zu jung. Bleibt zu hoffen, dass es sich um eine vorübergehende Indisposition handelt.
In einer Live-Aufführung sind aber nun einmal auch Abstriche zu machen, und die Freude an eineml solchen Opernabend mindert dies ganz bestimmt nicht.
Die Reise nach Wien hat sich aufgrund der von mir genossenen Aufführungen allemal gelohnt. Derartige Produktionen sucht man an vielen Weltbühnen vergebens, und ich verlasse die charmante Kunststadt sehr ungern, aber sehr zufrieden.