DELIBES, Leo: SYLVIA ou La Nymphe de Diane

  • Clément Philibert Léo Delibes (1836- 1891):


    SYLVIA ou La Nymphe de Diane
    (Sylvia oder die Nymphe der Diana)
    Ballett in drei Akten, fünf Bildern - Libretto von Jules Barbier und Baron Jacques de Reinach nach Torquato Tasso


    Uraufführung am 14. Juli 1876 in der Opéra (Salle Garnier)


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG
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    Aminta, Schäfer
    Orion, der schwarze Jäger
    Erster Jäger
    Erster Satyr
    Zwei Satyrn
    Ein Bauer
    Sylvia, Nymphe der Diana
    Eros (Tänzerin)
    Zwei äthiopische Sklavinnen
    Ein junger Schäfer (Tänzerin)
    Eine Bäuerin - Eine Negerin
    Waldgeister - Satyrn - Faune - Najaden
    Dryaden - Nymphen
    Schäferinnen - Bäuerinnen
    Junge Mädchen mit Blumen
    Bacchus' Gefolge
    Volk - Sklavinnen - Seeleute


    INHALTSANGABE


    ERSTER AKT


    Ein geweihter Hain im Mondenschein; auf der einen Seite hinten ein Marmorschrein mit Erosstatue, auf der anderen Seite eine Wasserquelle inmitten von Felsen.


    Im Mondenschein treiben Dryaden, Faune und Waldgeister ihre neckischen Spiele. Als der junge Schäfer Aminta naht, brechen sie ihr tänzerisches Treiben ab und ziehen sich zurück. Aminta sucht hier ein hübsches Mädchen, das er in der letzten Nacht gesehen und in das er sich heftig verliebt hat. Er ruft also Eros um Hilfe an und wird, kaum, dass er es seinen Ruf ausgesprochen hat, auch erhört: Aminta hört Schritte und versteckt sich sofort hinter der Statue des Liebesgottes: Es ist tatsächlich seine Angehimmelte


    Sylvia, Dianas Lieblingsnymphe, erscheint mit ihren Gespielinnen, aber auch der schwarze Jäger Orion tritt, von den Mädchen und Aminta allerdings unbemerkt, auf die Szene und beobachtet das Geschehen aus seinem Versteck. Als die Nymphen Amintas Hirtenstab und seinen Mantel entdecken, sind sie überzeugt, dass ein Mensch in ihren Schrein gelangt ist. Sie suchen und finden Aminta schließlich hinter der Erosstatue, und der Schäfer erklärt der Nymphe ohne Umschweife seine Liebe. Das macht Sylvia wütend, hat sie doch in einem Gelübde der Liebe entsagt; sie zielt mit ihrem Pfeil auf den jungen Schäfer, beruhigt sich jedoch ebenso plötzlich, wie sie zuvor wütend geworden war: Könnte es sein, dass der junge (und hübsche) Schäfer schuldlos, der wahre Schuldige Eros ist? Diesen Gedanken verfolgend, richtet sie ihren Pfeil auf die Statue des Gottes, doch Aminta erkennt Sylvias Absicht, stellt sich dem Gottesfrevel in den Weg und wird getroffen. Sylvia ist entsetzt über ihr vorschnelles Handeln, aber Eros ist wütend, nicht nur über den Frevel der Nymphe an seinem Standbild, sondern auch über die Folge, Amintas Tod. Er schießt einen seiner goldenen Pfeile auf die Nymphe ab, die ihn jedoch ohne Problem abwehrt und in ihren Köcher steckt. Aber Eros' Pfeil hat trotzdem gewirkt...


    Morgenanbruch; die Geisterwesen verschwinden. Bauern kommen zur Weinlese, Schäfer folgen ihnen.


    Während die Schar der Bauern und Schäfer langsam weiterzieht, bleibt ein junger Schäfer zurück und beobachtet, dass ein ungewöhnlich starker Mann zielstrebig auf den Schrein zugeht: Es ist Orion, der schwarze Jäger. Als der den toten Aminta findet, sind seine Gesten für das Publikum eindeutig: Er ist froh über den Tod eines Nebenbuhlers um die Gunst der angebeteten Sylvia.


    In diesem Moment hört Orion Schritte, erkennt Sylvia und versteckt sich. Die Nymphe ist gekommen, weil sie sich auf eine ihr unerklärliche Weise zu Aminta hingezogen fühlt, und ihr Vorgehen gegen ihn ihr Gewissen schlagen ließ. Sie will sich bei dem hübschen Schäfer entschuldigen - wenn sich noch ein Lebenszeichen regen sollte. Als sie sich gerade zu ihm hinunterbeugt, kommt Orion aus seinem Versteck, ergreift Sylvia, fesselt sie mit einem Seil und trägt sie mit sich fort.


    Der zurückgebliebene Schäfer fühlt sich berufen, in das Geschehen einzugreifen; er ruft die Bauern herzu, von denen sich einige um Aminta kümmern, andere sich auf die Suche nach Orion machen wollen. Da kommt Eros als Zauberer auf die Szene, hält Aminta eine Rose vor die Lippen - und der erwacht tatsächlich zu neuem Leben. Kaum, dass Aminta die Augen aufgeschlagen hat, erklärt ihm der Zauberer, dass Sylvia von Orion entführt wurde. Der Entschluss des jungen Schäfers ist schnell gefasst: Er wird seine Liebste aus den Klauen Orions befreien. Diesen Schwur jedoch spricht Aminta ins Leere, der Zauberer ist verschwunden. Aminta kniet vor der Eros-Statue nieder, um für die Rettung aus der Unterwelt zu danken - da verwandelt sie sich in Eros, der ihm den Weg zu Orion weist.


    Die Musik zum ersten Akt besteht aus folgenden Sätzen:
    Prélude
    Faunes Et Dryades
    Le Berger
    Les Chasseresses
    Intermezzo
    Valse Lente
    Cortège Rustique
    Scène
    Entrée du Sorcier et Final
    Entr'Acte


    ZWEITER AKT


    Orions Höhle mit spärlichen Einrichtungsgegenständen wie Stühlen und Tisch. Sylvia liegt schlafend auf einer Lagerstatt.


    Orion betrachtet verliebt die schlafende Nymphe. Als sie erwacht, will sie sofort fliehen, wird jedoch von ihm zurück gehalten. Da sie ihr Vorhaben aber nicht aufgibt und immer wieder zu entkommen versucht, verschließt Orion den Ausgang mit einem Stein. Sylvia kommt in ihrer Verzweiflung auf den Gedanken, auf seine Liebesschwüre einzugehen. Sie nimmt zunächst Orions Aufforderung zu einem Mahl an, das auf sein Zeichen von zwei äthiopischen Sklavinnen aufgetragen wird. Sylvia fällt sofort auf, dass bei den Getränken der Wein fehlt, und kommt auf die Idee, dass der grobschlächtige Orion den Rebensaft und die möglichen Folgen nicht kennt; also bittet sie die Äthiopierinnen, Wein zu bringen. Den bietet sie Orion an, dem das Göttergetränk offensichtlich sehr behagt, nach nur wenigen Schlucken beschwipst reagiert und Sylvia gegenüber sogar zudringlich wird. Die hat aber kein Problem, sich den angesäuselten Orion vom Leibe zu halten. Außerdem kommt es so, wie sie es erhofft hat: Er schläft ein.


    Was aber nun? Sie kann unmöglich den schweren Stein vom Ausgang wegschieben; hier kann nur Eros helfen; Sylvia bittet den Liebesgott um Hilfe und verspricht ihm dafür alle Pfeile aus ihrem Köcher. Und der Gott erhört sie, trägt sie aus der Höhle, die sofort in der Tiefe verschwindet.


    Eine Felsenlandschaft bei Nacht.


    Sylvia sieht, wie Aminta die ganze Gegend nach ihr absucht. Sie will natürlich sofort zu ihm eilen, doch da ist Eros vor, er verhindert ihren Lauf zu Aminta. Verschiedene Choreographen, vor allen Dingen des vorigen Jahrhunderts, haben diese kurze Szene als eine Traumsequenz Sylvias angelegt.


    Die Musik des zweiten Aktes weist folgende Nummern auf:
    La Grotte D'Orion
    Danse des Ethiopiens
    Chant Bacchique
    Scène et Danse le La Bacchante
    Rentrée de Sylvia
    Scène Final


    DRITTER AKT


    Landschaft am Meer, mit einem Diana-Tempel im Hintergrund und einer Eiche in der Bühnenmitte.


    Die Landleute feiern ausgelassen die Weinlese; sie bringen eine Statue des Gottes Bacchus zum Fuß der Eiche. Währenddessen taucht Aminta auf; er ist enttäuscht und ratlos, dass er Sylvia nicht finden konnte. Da legt ein Schiff am Gestade an, und ein Pirat mit einer Schar Sklavinnen, offensichtlich ein Mädchenhändler, kommt an Land. Es ist Eros, der sich hier auf dem Fest zu Ehren seines Götterkollegen Bacchus vergnügen will, das Glück der beiden Verliebten jedoch keinesfalls aus den Augen verloren hat. Aminta, der unbedingt weiter nach seiner Liebsten suchen will, wird jedoch vom feiernden Landvolk festgehalten - dafür hat natürlich Eros gesorgt, denn er denkt an ein anderes Finale.


    Aminta hat währenddessen unter den Sklavinnen eine verschleierte Schönheit entdeckt, die ihn stark an Sylvia erinnert. Nun hält es Eros doch für angezeigt, für ein Happy-Ende zu sorgen: Er tritt, immer noch Pirat, hinzu, hebt den Schleier vom Gesicht der jungen Frau und - es ist tatsächlich Sylvia! Sofort fällt Aminta zu ihren Füßen nieder.


    Aber die beiden haben sich zu früh gefreut (und Eros hatte wohl nicht den notwendigen Weitblick), denn hier greift der Orion ins Geschehen ein: Er drängt sich zu den Verliebten, will Sylvia an sich ziehen, doch die kann behende in den Tempel der Diana fliehen; hinter ihr verschließen sich auf geheimnisvolle Weise die Tore. Aminta ist (aus Liebe mutig wie Herakles, konstitutionell Orion aber kaum gewachsen) zum Kampf mit dem schwarzen Jäger bereit. Doch der denkt nicht an einen Kampf mit dem Schäfer, er stürmt zum Tempel und hämmert gegen die wehrhaften Tore. Dieses Wüten empfindet der Götter-Himmel offensichtlich als einen strafwürdigen Frevel, denn er verfinstert sich, was alle Teilnehmer des Bacchus-Festes durchaus als beängstigendes Zeichen wahrnehmen. Nur Orion und Eros geben sich unbeeindruckt.


    Plötzlich öffnen sich die Tempeltore und die Jagdgöttin Diana erscheint mit Pfeil und Bogen. Diana macht nicht viel Federlesen: Sie erschießt Orion, wendet sich dann jedoch mit zornigem Ausdruck sofort ihrer Lieblingsnymphe zu: Sylvia hat ihren heiligen Eid, sich niemals zu verlieben, gebrochen. Die fühlt sich jedoch völlig unschuldig und macht Eros für diesen Zustand verantwortlich. Aminta will keinen Streit, er will endlich seine Sylvia und nimmt gegenüber Diana alle Schuld auf sich. Doch was kann schon ein Sterblicher gegen eine Göttin ausrichten? Das ist Eros' Gelegenheit: Er stellt sich mit einem gewaltigen Donnerschlag vor die Verliebten und damit Diana in den Weg; er erinnert sie hinterlistig an ihre einstige Liebe zu dem schönen Knaben Endymion. Damit hat er ein Thema angesprochen, dass der Göttin offensichtlich sehr unangenehm ist, denn sie gibt sofort ihre Haltung auf, verzeiht Sylvia und führt sie mit Aminta zusammen.


    Der prächtige Palast der Diana.


    Sylvia und Aminta knien in Demut vor Diana und Eros nieder, die dem Liebespaar ihren Segen geben.


    Im dritten Akt werden folgende Tänze ausgeführt:
    Marche
    Cortège de Bacchus
    Scène et Barcarolle
    Divertissement: Pizzicati
    Divertissement: Andante
    Divertissement: Pas des Esclaves
    Divertissement: Variation-Valse
    Divertissement: Strette-Galop
    Le Temple de Diane (Final)
    Apparition D'Endymion (Apotheose)


    INFORMATIONEN ZU KOMPONIST UND WERK


    Clément Philibert Léo Delibes wurde am 21. Februar 1836 in Saint-Germain-du-Val im Département Sarthe als Sohn eines Postbeamten und einer musikalischen Mutter geboren. Er verstarb am 16. Januar 1891 in Paris und wurde auf dem Friedhof Montmartre beerdigt.


    Mit seinen einprägsamen Musik, für die er eine äußerst farbige Instrumentierung schuf, wurde er zu einem der beliebtesten Bühnen-Komponisten der Romantik. Nach Lully und Rameau muss Delibes zu den bedeutendsten französischen Ballett-Komponisten gezählt werden. Auch die Oper „Lakmé“ erfreut sich in Frankreich noch immer großer Beliebtheit.


    SYLVIA war das erste Ballett, das nach der Einweihung des Pariser Opernhauses hier zur Uraufführung kam. Dass die Leitung des Hauses dieses Thema akzeptierte, wird immer wieder als „erstaunlich“ bezeichnet, denn Schäferspiele und antikisierende Stoffe waren schon lange „out“. Das Handlungsgerüst wird heute als Schwäche empfunden, weil es zu viele pantomimische, und zu wenig tänzerische Elemente enthält. Aber die Musik von Leo Delibes deckt diese Schwächen vollkommen zu.


    Zu den Bewunderern der Partitur gehörte auch Peter Tschaikowski, der gegenüber Tanejew gestand, sein Ballett „Schwanensee“ nicht komponiert zu haben, hätte er vorher SYLVIA gekannt.


    Das Ballett blieb 30 Jahre im Repertoire der Opéra und verbreitete sich schnell durch ganz Europa. Im vorigen Jahrhundert wurde es in verschiedenen Neuchoreographien vorgestellt, darunter 1941 von Sergej Lifar, 1922 in Berlin mit sehr stark verändertem Libretto durch Heinrich Kröller oder auch 1934 in Leningrad durch Leonid Lawrowski mit dem Titel „Fadetta“. Zu den Bearbeitern gehörten auch die Koryphäen Frederick Ashton (London 1952), László Seregi (Budapest 1972), John Neumeier (Paris 1997) und George Balanchine (New York 1950, mit dem Titel „Sylvia“).


    © Manfred Rückert für Tamino-Ballettführer 2013
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Beiheft der EMI-Aufnahme: Jean-Baptiste Mari leitet das Orchestre National de l'Opera de Paris
    Reclam-Ballettführer (Kieser-Schneider, 2002)

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    MUSIKWANDERER

  • Die noch immer anhaltende Beliebtheit der Ballette von Leo Delibes spiegelt sich in vielen Aufnahmen wieder. SYLVIA ist allerdings gegenüber von "Coppelia" etwas ins Hintertreffen geraten. Einige der bei den Tamino-Werbepartnern erhältlichen Einspielungen seien hier vorgestellt:



    Nebenstehend die Ballettmusik (ergänzt um Massenets „Le Cid“) mit dem New Philharmonia Orchestra und dem National Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Richard Bonynge



    Hier die Naxos-Produktion (gekoppelt mit Saint-Saens' Fete populaire aus „Henry VIII“; es spielt die Razumovsky Sinfonia unter Andrew Mogrelia



    Die EMI Aufnahme des Delibes-Balletts, gekoppelt mit „La Source“ und einem Pas de deux aus Ludwig Minkus' „Pasquita“, wird vom Orchestre National de l'Opera de Paris unter Jean-Baptiste Mari angeboten; Charles Mackerras leitet die Ausschnitte aus „La Source“, gespielt vom Orchester des Opernhauses Covent Garden, John Landberry das Sydney Symphony Orchestra bei Minkus



    Diese Einspielung bietet beide großen Delibes-Ballette; SYLVIA dirigiert Anatole Fistoulari, es spielt das London Symphony Orchestra; Antal Dorati und das Minneapolis Symphony Orchestra interpretieren „Coppelia“



    Decca hat alle drei Ballette von Leo Delibes eingespielt; Richard Bonynge leitet das National Philharmonic Orchestra, das New Philharmonia Orchestra und das Royal Opera House Covent Garden Orchestra.

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    MUSIKWANDERER

  • Der Ballettfreund, der sich gerne visuelle Eindrücke verschaffen will, hat auch eine Auswahl an DVD-Angeboten, das allerdings nicht so reichhaltig wie bei „Coppelia“ ist:




    Hier die Aufnahme von OpusArte mit dem Royal Opera House Covent Garden Orchestra unter Graham Bond und in der Choreographie von Frederick Ashton




    Arthaus bietet in der Choreographie von John Neumeier das Orchestre de l'Opera National de Paris unter Paul Connelly auf; als Bonus sind Interviews mit den Künstlern aufgenommen worden

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    MUSIKWANDERER