Sir Colin Davis — Meine Lieblingsaufnahmen

  • Der Tod von Sir Colin Davis ist ein guter, wenn auch trauriger Anlass, ihn bei Tamino mit einem Lieblingsaufnahmen-Thread zu ehren. Im Januar sagte er bereits alle Verpflichtungen in Dresden ab und musste sich ins Krankenhaus begeben, nachdem er bereits im Mai 2012 einen Schwächeanfall auf dem Podium erlitten hatte. Insofern kam sein Tod doch nicht ganz so überraschend, wie ich zunächst geglaubt hatte. Doch soll es hier jetzt vorrangig um das gehen, was die Zeiten überdauern wird: seine Aufnahmen.



    Eine besonders gelungene Aufnahme der Zweiten von Sibelius, noch dazu mit der sächsischen "Wunderharfe".




    Mahler war zwar nicht sein bevorzugter Komponist, aber dennoch handelt es sich hier um eine der überzeugendsten Interpretationen des Mammutwerkes.



    Stellvertretend für viele Aufnahmen der "Complete Mozart Edition" der auch sängertechnisch sehr überzeugende "Don Giovanni".

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Aufnahme: Nov. 1978, Studio
    Spieldauer: 127'18
    Dirigent: Colin Davis
    Academy of St. Martin-in-the-Fields
    John Alldis Choir
    Chorleitung: John Alldis


    Bassa Selim: Curd Jürgens
    Belmonte: Stuart Burrows
    Blonde: Norma Burrowes
    Konstanze: Christiane Eda-Pierre
    Osmin: Robert Lloyd
    Pedrillo: Robert Tear


    Unter den zahlreichen Aufnahmen dieses deutschen Singspiels nimmt diese Aufnahme eine Sonderstellung ein. Nicht, weil kein einziger Muttersprachler singt (die Sänger singen fast akzentfrei, die Dialoge werden von Schauspielern übernommen) - der einzige Deutsche ist Curd Jürgens in der Sprechrolle des Selim Bassa.
    Bemerkenswert ist die Leistung des kleinen Orchesters der Academy of St. Martin in the Fields. Meines Wissens die erste Opern-Gesamtaufnahme des Ensembles. Großartig, was Sir Colin Davis da mit dem Orchester leistet!


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Es erstaunt mich ein wenig, daß Colin Davis zu "Lebzeiten" keinen solchen Thread erhielt.
    Er galt, stellenweise komplett zu unrecht, wie Bernard Haitink, Wolfgang Sawallisch oder Herbert Blomstedt etwa als "solider Handwerker", als "Kapellmeister". Dabei war er jemand, der wie sehr wenige andere Dirigenten, seine Liebe zur Musik und zum eingespielten Werk vermitteln, hörbar machen konnte.


    Neben vielen anderen Aufnahmen, die ich noch erwähnen könnte, vielleicht auch werde, wenn es niemand anderes macht, fallen mir spontan drei ein:



    -Das 5. Klavierkonzert mit Claudio Arrau ist "meine Referenz" im Orchesterpart. Sir Colin Davis lässt das bestens disponierte Orchester "strahlen" und weiß durch eine liebevolle Detailbehandlung ibs. bei den Holz- und Blechbläsern zu gefallen.



    -Siehe oben. Viel Liebe zum Detail, eine fantastische Orchesterleistung und eine "positive Grundeinstellung" zu Beethoven kennzeichnen diesen Zyklus. Beethoven ist hier kein Titan, sondern wird in seiner Musik sehr sympathisch und warmherzig dargestellt. Der Zyklus sollte viel bekannter sein.



    Und dann, natürlich, Berlioz. Colin Davis hat Berlioz' Werk bekannt gemacht wie kaum ein anderer Dirigent. Exemplarisch, auch nach fast 40 Jahren, ist seine Interpretation der "Symphonie fantastique":

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich hätte die beiden Beethoven-Aufnahmen, die Norbert hier gewürdigt hat, auch genannt, ich habe zu den Symphonien hier auch schon Einiges gesagt, Wie gesagt, lieber Norbert, ich hätte es auch gemacht, aber ich habe es eben erst gelesen. Eines muss ich allerdings noch nachholen, das sind seine viel gerühmten Berlioz-Interpretationen.


    R.I.P.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich Eines muss ich allerdings noch nachholen, das sind seine viel gerühmten Berlioz-Interpretationen.


    Lieber Willi,


    da überlasse ich Dir gerne den Vortritt. ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich hätte die beiden Beethoven-Aufnahmen, die Norbert hier gewürdigt hat, auch genannt …


    Das möchte ich ebenfalls unterschreiben.


    Sein SCHUBERT-Zyklus mit den Dresdnern möchte ich auch in Erinnerung bringen – m.E. leider unterschätzt …


    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Sein SCHUBERT-Zyklus mit den Dresdnern möchte ich auch in Erinnerung bringen – m.E. leider unterschätzt …


    Wohl wahr, lieber Maurice. Vor fast fünf Jahren hatte ich den Zyklus etwas intensiver vorgestellt.


    Auch hier spürt man wieder Davis' Liebe zur Musik und erfreut sich an der fruchtbaren Partnerschaft mit der Staatskapelle Dresden.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Er galt, stellenweise komplett zu unrecht, wie Bernard Haitink, Wolfgang Sawallisch oder Herbert Blomstedt etwa als "solider Handwerker", als "Kapellmeister".


    Das ist interessant, lieber Norbert. Ich hätte Davis auch in einer Reihe mit den genannten Dirigenten genannt, sogar ohne böse Absicht und ohne irgendeine Abwertung.


    Seltsamerweise wurde Sir Colin Davis nie zum "Pultstar", dabei prägte er das klassische Musikleben in London ein halbes Jahrhundert lang nachhaltig. Mit dem London SO debütierte er bereits 1959. 1964, nach Monteux' Tod, lehnten sie ihn als neuen Chefdirigenten noch ab, dabei wurde seine Berufung schon damals erwartet. Erst sage und schreibe 30 Jahre später "krönte er seine Karriere mit diesem Posten" (The Guardian), den er elf Jahre lang inne hatte, so lange wie keiner vor und (bisher) nach ihm. Das besonders innige Verhältnis belohnte das LSO nach seinem Rücktritt 2006 mit der Berufung zum President des Orchesters im Jahre darauf, eines Postens, der vorher nur einmal, 1987, an Leonard Bernstein vergeben worden war. Als solcher stand er gewissermaßen noch über seinem Nachfolger Valery Gergiev.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das ist interessant, lieber Norbert. Ich hätte Davis auch in einer Reihe mit den genannten Dirigenten genannt, sogar ohne böse Absicht und ohne irgendeine Abwertung.


    Ich habe ebenfalls keine negative Wertung mit der Nennung verbunden, lieber Joseph.


    "Solides Handwerk" ist erst einmal das Rüstzeug, mit dem man erfolgreich tätig werden kann. Bloß wird bei den "zurückhaltenderen Zeitgenossen" wie Davis und Co. die Klasse des Handwerks zu selten wahrgenommen zu Gunsten der schon von Dir erwähnten "Pultstars".


    Davis brauchte keinen Zahnstocher als Taktstock, er benötigte keine "Hüpfer für die Damen" (wie es Lorin Maazel einmal ausdrückte), über seine angebliche oder tatsächliche politische Gesinnung füllte er keine Feuilletonseiten.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose

  • Sir Colin Davis interpretierte die Sinfonien von Jean Sibelius mit viel Engagement. Er hatte in seinem Leben drei Mal eine Gesamteinspielung vorgelegt, woran man erkennt, dass diese Musik ihm besonders am Herzen lag. Ich besitze alle seine Einspielungen. Die Aufnahmen aus den frühen Siebzigern und Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Boston Symphony Orchestra und dem London Symphony Orchestra gefallen mir am besten. Die Box mit dem London Symphony Orchestra (1992-96) in der Mitte wird nächstens erscheinen. In der Box rechts sind Live Aufnahmen mit dem London Symphony Orchestra enthalten (2002-08).


    Seiner Einspielung aller Sinfonien Franz Schuberts verleihe ich das gleiche Prädikat wie meine Vorgänger in diesem Thread: unterschätzt, mit Hingabe und Liebe zur Musik umgesetzt.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ich glaube, allgemein wird Davis' Bostoner Sibelius-Zyklus als der insgesamt gelungenste angesehen, gefolgt vom LSO Live. Der dritte mit dem LSO im Studio wurde auch im Forum eher unter "ferner" erwähnt.


    Erwähnt werden sollte durchaus auch der Wagner-Dirigent Davis. Sein Bayreuther "Tannhäuser" von 1978 darf mit Fug und Recht unter die allerbesten Aufnahmen gerechnet werden. Die Besetzung ist grandios: Spas Wenkoff in der Titelrolle ist kaum zu toppen, die herrliche Dame Gwyneth Jones in der Doppelrolle Venus und Elisabeth, zudem Bernd Weikl und Hans Sotin. Die Inszenierung ist außerdem stimmig.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ob du es glaubst oder nicht, lieber Joseph, aber diese Aufnahme hatte ich schon auf meinem Einkaufszettel, aber da steht sie immer noch.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Diese schöne Gesamtaufnahme von Hänsel und Gretel, die ich vor vielen Jahren meiner Tochter zu Weihnachten schenkte, ebenfalls aus Dresden, (samt beiliegendem Puzzle), möchte ich an dieser Stelle auch in Erinnerung rufen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Angesichts dieses neuen Threads möchte ich gerne meine unter dem vorausgegangenen Thread "Sir Colin Davis ist tot" aufgeführrten Lieblingsaufnahmenn hier nochmals wiederholen.


    Zunächst möchte ich doch noch feststellen, daß es sich auch in diesem Fall wieder einmal zeigt, daß man sich der Qualitäten und Verdienste eines Künstlers und Menschen häufig leider erst dann erinnert, wenn er tot ist. In dem Votum "DIE TAMINO-LIEBLINGSDIRIGENTEN 2012" vermißte ich schon die eine oder andere Stimme für diesen Dirigenten, und ich meine, mit "solider Handwerker" oder "Kapellmeister", würde man seinem Können und seiner Lebensleistung doch nicht voll gerecht (übrigens ganz sicher auch nicht WOLFGANG SAWALLISCH), obwohl ein dem Werk dienender Kapellmeister natürlich erst einmal auch ein Kompliment sein kann, wenn es positiv gemeint ist.


    Da die großen Werke schon genannt wurden, mit deren Interpretation bzw Einspielung sich SIR COLIN DAVIS einen bleibenden Namen gemacht hat, möchte ich noch einige wenige Einspielungen von Werken etwas kleineren Zuschnitts nennen, die in der Interpretation dieses Dirigenten für mich kleine Preziosen darstellen:


    Sinfonie Nr. 34 KV 338 mit der SINFONIA OF LONDON


    Das Oboenkonzert KV 314 mit dem fantastischem Oboisten LEON GOOSENS und mit der SINFONIA OF LONDON


    Die Missa brevis Nr. 9 (Credo-Messe) KV 257 mit dem LONDON SYMPHONY ORCHESTRA und dem JOHN ALLDIS CHOIR, sowie den hervorragenden Gesangssolisten HELEN DONATH, GILLIAN KNIGHT, RYLAND DAVIES und CLIFFORD GRANT


    Die Missa Nr. 14 (Krönungsmesse) KV 317 in der gleichen Besetzung wie die Missa brevis, aber mit STAFFORD DEAN statt CLIFFORD GRANT, Baß.


    Ferner gibt es mit ihm eine ganz ausgezeichnete Einspielung von JOHANN CHRISTIAN BACH's Symphonie für Doppelorchester (Ouvertüren) op. 18,1 und op. 18,3 mit dem ENGLISH CHAMBER ORCHESTRA.


    Viele Grüße
    wok

  • An Feinsinnigkeit, Farbigkeit, Sinnlichkeit, Genauigkeit, aber auch Dynamik und Leidenschaft nicht zu übertreffen - zudem mit der einzigartigen Jessye Norman:



    Die Orchesterstücke von Alban Berg klingen so, als spielten mehrere Mahlersche Märsche gleichzeitig. In vielen Aufnahmen wirkt das einfach überkomplex, so daß man der Musik kaum mehr folgen kann. Colin Davis läßt die Phrasen atmen und sprechen - und siehe da, die Musik bekommt einen nachvollziehbaren Sinn. Verstanden habe ich Bergs großartiges Werk erst durch Colin Davis´ Aufnahme:



    Colin Davis und der altersweise und gelassen gewordene Claudio Arrau - eine ideale Paarung (siehe auch den Thread über das 5. Klavierkonzert):



    In sehr guter Erinnerung habe ich auch seinen Dvorak - die Aufnahmen mit dem Concertgebouw Orkest. Aber schon ewig lange nicht mehr gehört:



    Beste Grüße
    Holger

  • Ab morgen im Handel: Eine CD zum Gedenken an den verstorbenen Dirigenten und Berlioz-Spezialisten:


    Hector Berlioz (1803–1869)
    Ouvertüren:

    Les Francs Juges;Le Roi Lear;Römischer Kar-
    neval;Beatrice et Bendedict;Le Corsaire;
    Benvenuto Cellini


    Staatskapelle Dresden,
    Dir.: Colin Davis
    RCA 1997


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Heute neu bei jpc:



    Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
    Ouvertüren

    Figaro; Bastien & Bastienne; Schauspieldirektor; Lucio Silla; Cosi fan tutte; La finta giardiniera; Entführung; Il re pastore; Idomeneo; La clemenza di Tito; Don Giovanni; Zauberflöte


    Staatskapelle Dresden,
    Dir.:Colin Davis

    (24bit/96kHz RCA-Serie "Sound Dimension")

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Ich möchte hier noch etwas aus dem Davis'schen Kernrepertoire in den Ring werfen: das Te Deum von Hector Berlioz.



    (Sir Colin Davis / London Symphony Orchestra & Chorus, 1969)


    Ich kenne keine anderen Aufnahmen, von daher fehlt mir ein Vergleichsmaßstab, aber Schwachpunkte konnte ich keine ausmachen - alles ist wunderbar dirigiert, gespielt und natürlich auch gesungen. Ich habe jedenfall unmittelbar viel Gefallen an dieser Einspielung gefunden.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Mir war ja Colin Davis vor allem als Berlioz- unf Mozartdirigent ein Begriff. Als Mozart Dirigenten mocht ich ihn irgendwie nicht, obwohl ihm Rosen gestreut wurden
    Und mit Berlioz hatte ich nicht viel am Hut . ausser der berühmten "Sinfonie fantastique" und "Harold en Italie". Wohl aber wusse ich seine leicht versonnen Interpretationen in Kooperation mit Claudio Arrau zu schätzen, die mitte der achziger Jahre in den Handel kamen (Philips) Damals waren das ZWEI separate Vollpreis CDs - Heute wird das auf eine CD gepresst- und unter 6 Euro abverkauft..... strange
    Vielleich ist meine positive Einstellung zu dieser CD auch dadurch bedingt, daß ich zeitnah Claudio Arro live im Wiener Musikverein erleben durfte....



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Davis hat für mich drei der besten Britten-Einspielungen vorgelegt, nämlich "Peter Grimes", "The Turn of the Screw" und "A Midsummer Night's Dream".
    "Peter Grimes" ist noch auf DVD erhältlich.

    Auf CD ist sie schon schwieriger aufzutreiben.


    Die Aufnahme ist glänzend gesungen, die Inszenierung ist abgespeckt konservativ mit einem überragenden Jon Vickers, der den Grimes zwischen Psychopath und bemitleidenswerter Kreatur anlegt. Für mich ist das die beste "Grimes"-Aufnahme überhaupt, man muß nur akzeptieren, daß sie mit Brittens eigener lyrischer Auffassung, die der Komponist selbst am Pult mit Peter Pears in der Titelrolle realisierte, absolut nichts gemein hat.


    Davis hat den "Grimes" ein zweites Mal eingespielt:


    Abermals fulminant, aber die Dramatik ist nicht mehr ganz so aufgewühlt wie in der früheren Aufnahme. Davis läßt sich für die Lyrismen nun etwas mehr Zeit. Glenn Winslade singt den Grimes "schöner" als Vickers, insgesamt ist diese Aufnahme aber opernhafter als die frühere, deren Dramatik fast schon an Film erinnert und über weite Strecken vergessen läßt, daß man es eigentlich mit der stilisiertesten aller Theaterformen zu tun hat.


    "A Midsummernight's Dream" liegt unter Davis in einer perfekten Einspielung vor, für mich ist sie die schönste von allen:


    Der Klangzauber, den Davis im Orchester in den Elfenszenen entfacht, ist unvergleichlich, und doch ist da die gewisse Schärfe dabei, denn Brittens Elfen, sind, no na, sehr englische Elfen, und die sind gar nicht lieblich, sondern zwicken und Kneifen. Anders gesagt: Britten wußte, warum er sie vor allem mit Schlagzeugen charakterisiert, auch wenn diese noch so zart und parfümiert klingen mögen. Daß Davis die Musiken der Liebespaare auskostet, ist ein Gewinn, denn bei schnellerem Tempo (das Britten selbst wählt) klingt das seltsam blutleer rezitativisch; bei Davis mutet es nach dem Schwelgen in der Art der romantischen Oper an, leicht gebrochen, gewiß, aber deutlich zu spüren. Bei den Handwerkern triumphiert dann die Parodie: Davis läßt die verbeulten Marschrhythmen ordentlich poltern - und wenn einer von ihnen im Zwischenspiel des Dritten Akts von der breit strömenden Melodie für Theseus und Hippolyta abgelöst wird, ist das so auf den Punkt gebracht, daß man als Zuhörer einfach nur beglückt ist. Eine Ideal-Aufnahme!


    "The Turn of the Screw" ist ebenso gut.


    Davis erzeugt eine ungeheure Intensität und treibt das Geschehen auf eine Weise voran, daß man nur noch atemlos dieser unheimlichen Gespenstergeschichte + Psychostudie zu folgen vermag. Natürlich legt Brittens hohe Kunst der Instrumentierungstechnik eine entsprechende Grundlage, dennoch: Was Davis aus diesen dreizehn Musikern an Klangfülle herausholt, wie die Solostreicher nervös vibrieren, die Holzbläser ihre Linien spielen (und manchmal geradezu angstvoll ertasten), ist unvergleichlich. Wie beim "Grimes": Britten selbst wählt einen lyrischen (gleichwohl intensiven) Zugang, der in der Ausdruckssphäre ganz Oper ist. Davis hingegen interessiert sich nicht für die Stilisierung, bei ihm ist das eben eine Schauergeschichte, die entsprechend erzählt werden muß: so beklemmend ist Oper nur selten. Und wenn die wunderbare Helen Donath schließlich dem toten Miles sein "Malo, malo" nachweint, ist das einer der Momente, in denen ich Tränen in den Augen habe.

    ...

  • Hier kommt die Subtilität von Colin Davis wirklich zum Tragen:



    Die Berg-Aufnahme ist für mich von exemplarischer Bedeutung gewesen. Denn durch sie habe ich die Berg-Orchesterstücke überhaupt erst verstanden. Denn Colin Davis hat Gespür für die rhetorischen Elemente bei Berg.



    Schöne Grüße
    Holger

  • Schubert: Sinfonien mit der Staatskapelle Dresden
    Beethoven: Klavierkonzerte mit Stephen (Bishop) Kovacevich
    Mozart: Violinkonzerte mit Arthur Grumiaux


    (Eine meiner frühen LPs waren Mozarts Sinfonien A-Dur und (kleine) g-moll mit Davis; diese Philips LP ist anscheinend nie auf CD erschienen.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • (Eine meiner frühen LPs waren Mozarts Sinfonien A-Dur und (kleine) g-moll mit Davis; diese Philips LP ist anscheinend nie auf CD erschienen.)



    Zumindest die kleine g-Moll-Sinfonie, von der du schreibst, ist in dieser Box möglicherweise enthalten, wenn wir von derselben Aufnahme sprechen.
    Es ist eine Einspielung mit dem LSO vom November 1963. Auf dieser CD (CD 11 der Box) finden sich noch die Symphonien 32 und 40 und das Kk 15 mit Ingrid Haebler. Alles entstand zwischen 1961 und 1964.

    Grüße
    Garaguly

  • Auf CD ist sie schon schwieriger aufzutreiben.


    In dieser Ausgabe finde ich sie vorrätig:



    "Peter Grimes" ist neben den ersten Berlioz-Einspielungen für mich das Beste, was Davis hinterlassen hat.


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Der Berlioz ist der typische Fall des Kampfes um ein Werk. Das wird meistens entweder grotesk (weil mit zu viel Druck) oder grandios - dann nämlich, wenn es den Interpreten gelingt, ihre Überzeugung, ihre Mission glaubhaft zu machen. Diese frühen Berlioz-Einspielungen gehören für mich zu den tragenden Säulen der Aufnahmegeschichte. Spannend finde ich dabei, daß die "Fantastique" eine gute, aber keineswegs überragende Interpretation erfährt - das Werk mußte ja auch nicht mehr durchgesetzt werden. Aber die Aufnahme von "Roméo", der "Troyens" und des "Requiem" hat nichts Vergleichbares.

    ...

  • Diese frühen Berlioz-Einspielungen gehören für mich zu den tragenden Säulen der Aufnahmegeschichte. Spannend finde ich dabei, daß die "Fantastique" eine gute, aber keineswegs überragende Interpretation erfährt - das Werk mußte ja auch nicht mehr durchgesetzt werden.


    Das kann ich unterstreichen. Sir Colin war vielleicht insgesamt der größte aller Berlioz-Interpreten. Allein, seine Symphonie fantastique hat mich nie in dem Maße überzeugt wie die anderen Werke unter seiner Stabführung. Da stehen bei mir Markevitch (Orchestre Lamoureux) und Cluytens (Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire, live in Japan) an erster Stelle.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner