HÄNDEL, Georg Friedrich: HERCULES


  • Georg Friedrich Händel (1685-1759):


    HERCULES
    Musikalisches Drama in drei Akten für Soli, Chor und Orchester, HWV 60
    Libretto nach Sophokles' „Die Trachierinnen“ und Ovids „Metamorphosen“ von Thomas Broughton,
    deutsche Übersetzung von Georg Gottfried Gervinus


    Uraufführung am 5. Januar 1745 im King's Theatre am Londoner Haymarket


    DRAMATIS PERSONAE


    Hercules, Beiname Alcides, Baß
    Dejanira, seine Gemahlin, Mezzosopran
    Hyllos, beider Sohn, Tenor
    Lichas, ein Herold und Vertrauter Dejaniras, Alt
    Iole, Tochter des Königs von Oechalia, Sopran
    Ein Zeus-Priester, Bass
    Chor: Trachinier und Oechalier darstellend


    Das mythische Geschehen ereignet sich um 700 v. Chr. in Griechenland.



    INHALTSANGABE


    Handlung bei Sophokles:


    Herkules hat die ihm von Eurytos, dem Enkel des Peseus (König von Mykene, Tiryus und Medea), aufgegebenen zwölf Arbeiten erledigt und ist auf dem Weg nach Hause. Wie aber bei dem Helden üblich, gerät er immer wieder in Streitereien und Kämpfe, diesmal bei dem König von Oechalien, dessen Tochter er gefangen nimmt; sie soll ihm sowohl Sklavin als auch Konkubine sein. Das Herkules bereits verheiratet ist, er mit Iole also Ehebruch begeht, ist bei Sophokles Teil der Handlung. Die im Palast von Trachis wartende Ehefrau von Herkules, Dejanira erfährt auf eine nicht näher geschilderte Weise von den Taten des Gatten, auch die Ausschweifungen mit anderen Frauen, und sinnt auf Rache. Sie erinnert sich an Gewebe, das ihr der (von Herkules getötete) Kentaur Nessos einst gab; es würde ihr, so sein Versprechen, die verlorene Liebe des Gatten zurückgeben, sobald Herkules als Kleidung trage. Obwohl Dejanira inzwischen weiß, dass jenes Netz vergiftet ist, schickt sie es Herkules, der es tatsächlich anlegt und dadurch einen qualvollen Tod erleidet, weil er es nicht mehr von der Haut bekommt. Dejaniras reue über ihr Verhalten ist so groß, dass sie sich den Tod gibt.


    Die dreiteilige Ouvertüre besteht aus einem festlichen Marsch, dem ein fugiertes Allegro und ein zartes Menuett folgen. Sie ist nicht spezifisch, lässt sich im Grunde vor jedes Oratorium als Vorspiel setzen und findet, wie so manche Ouvertüre von Händel, auch als Konzertstück Verwendung.


    Erster Akt


    Erste Szene: Ein Gemach im Palast des Herkules in Trachis.


    Lichas bedauert in einem Arioso seine Herrin, die von Trauer überwältigt den im Kriege kämpfenden Gemahl beweint:


    Sieh, mit kummervoll gesenktem Haupt,/vertieft in Gram, die Fürstin trauernd weilt.



    Lichas bittet Zeus den Helden zu schützen und ihn zu seiner Gattin heimkehren zu lassen; Händel vertont die Arie wie eine kantable italienische Opernarie:


    Führ' ihn zurück, mit Rum gekrönt,/Erhalt' ihn seinem treuen Weibe dort.



    Die musikalisch liebevoll gezeichnete Dejanira beklagt zunächst in einem Accompagnato-Rezitativ die lange Abwesenheit des Gatten ,und äußert dann in einer mit graziösen Violinfiguren umspielten Arie ihre tiefe Trauer:


    Die Welt, wenn sich gesenkt der Tag,/Blickt trauernd stumm der Sonne nach.
    So ich, dem treuen Licht entrückt,/Das mich erwärmt, das mich erquickt,
    Bewein den Tag in herbem Gram,/Der mir den starken Helden nahm.



    Auffällig ist das aufrüttelnde Orchesternachspiel wegen seiner chromatischen Pianissimo-Klage in den Violinen, die von energischen Schlusstakten jäh abgeschnitten wird.


    Weil Lichas' Trostversuch bei Dejanira nicht anschlägt, und der hinzukommende Hyllos, Herkules' und Dejaniras gemeinsamer Sohn, auch keine guten Nachrichten bringt, verharrt Dejanira in traurigem Zustand. Hyllos berichtet nämlich von einem Orakel, das er nach seinem Vater befragte, und das ihm Tragik verhieß:


    Vor meinem Aug' enthüllt die Zukunft sich:/Ich seh den Helden tot dahin gestreckt.


    Händel vertont die Orakel-Antwort als ein aufgeregtes, von Skalenläufen des gesamten Streicherensembles wild durchzucktes Rezitativ.


    Der Orakel-Spruch quält Dejanira noch mehr und in Verzweiflung denkt sie nur noch an den Tod. Dieses erhoffte Ende hat Händel in ihrer Arie jedoch in eine merkwürdig liebliche Form gebracht, die sich der Hörer nur mit der Freude auf himmlisch-elysäische Freuden erklären kann:


    Dort im Myrthenhain versteckt,/Ruhn wir am Quell dahingestreckt;
    Wo uns in holder Einsamkeit/Für Ewigkeit das süße Glück der Liebe freut.



    Ganz anders Hyllos: Dejaniras Sohn ist nicht bereit, alle Hoffnung fahren zu lassen und verspricht, des Vaters und Gatten Schicksal aufzuklären und ihn zurückzubringen oder aber selbst unterzugehen. Der Chor, hier als Palastgemeinschaft zu denken, ermuntert ihn zu seinem Vorhaben:


    O Sohn voll Kindespflicht! O tapfre Glut!/Geh, junger Held, prüf deinen Mut!



    Jetzt kommt Lichas mit der neuesten Nachricht: Er hat gehört, dass „der edle Herkules“ lebt, und auf dem Weg von Oechalia, das er mit „starkem Arm“ zerstört hat, in die Heimat ist. Dejanira atmet nicht nur erleichtert auf, sie schimpft auch auf das lügenhafte Orakel. Kaum das Lichas seine Nachricht ausgesprochen hat, sieht er den Zug von gefesselten Gefangenen vorbeiziehen, darunter Iole, Oechalias Prinzessin, die in ihm Bewunderung auslöst. Die Prinzessin so gedemütigt zu sehen, ist für Hyllos ein Drama; er hört aber von Lichas, dass Herkules Ioles Vater im Kampf getötet hat. Dejanira aber ist überglücklich und geht davon, um den siegreichen, endlich wiedergewonnenen Gatten zu begrüßen.


    Zweite Szene: Platz vor dem Palast des Herkules.


    Nach einem die Szene einleitenden Marsch preist Herkules die Macht der Götter, lobt aber gleichzeitig den „Lenker des Alls“ für den ihm zuteil gewordenen Zuwachs an Ruhm und Ehre. Dann tröstet er Iole mit dem Versprechen, dass sie in Trachis genauso frei sein soll, wie sie es in ihrer Heimat war. Doch die Prinzessin kann vorerst den Tod ihres Vaters nicht verwinden: In ihrer Arie „Mein Vater! Weh!“ durchlebt sie den Tod des Vaters nochmals, wünscht ihm „sanfte Ruhe“ und gelobt, ihn stets als Vorbild anzusehen. Dann geht sie ab und Herkules bleibt alleine zurück.


    Der Held äußert in einem Rezitativ mit Arie seine Absicht, das Kriegshandwerk endgültig aufgeben zu wollen, um zukünftig in Liebe und Glück an der Seite Dejaniras zu verbringen. Dem Chor des trachischen Volkes ist es bestimmt, den ersten Teil mit einem Jubelgesang auf die Götter, auf Herkules und den Frieden zu beschließen:


    Krönt den Tag mit Festesglanz,/Und schwärmet sel'ger Freuden voll!
    Bringt dem Gott des Danken Zoll./Stellt den Reihen, schlingt den Kranz.
    Zu frohem Tanz und Flötenklang/Schalle laut Jubel und Gesang.



    Zweiter Akt


    Erste Szene: Ein Gemach im Palast von Trachis.


    Iole beneidet Dejanira in einer Arie über ihr Glück, ruhig leben zu können:


    Ein selig Los ist ihr gewährt,/die friedlich lebt am stillen Herd,
    dem Glanz der Welt entrückt,/An kühler Flut auf Wiesen weilt,
    Der Herde Hut mit Hirten teilt,/In stiller Lust beglückt.



    Als Dejanira hinzutritt, wird Iole schnell klar, dass nicht alles Gold ist, was glänzt: Dejanira
    beschimpft sie nämlich rücksichtslos als Ehebrecherin. Iole lässt das natürlich nicht auf sich sitzen, weist diese Unterstellung zurück. Das stachelt wiederum Dejanira noch mehr zur Eifersucht an; sie behauptet der „Alkide“ (wie Herkules auch genannt wird) habe den Kampf gegen Oechalia nur geführt, um ihrer habhaft zu werden. Quatsch, würde die moderne Frau antworten, Iole aber sagt „O nein“, nicht „eitle Liebe“ sei der Grund für Oechalias Untergang, sondern Herkules' brennender Ehrgeiz, und der habe sie noch dazu zur Waise gemacht. Sie rät Dejanira arios zu mehr Gelassenheit:


    Ach, flieh die Qual des Argwohns du!
    Dahin dein Glück, dahin die Ruh,/Vertauscht für endlos Leid.
    Vergiftet wallt dein siedend Blut,
    Dein Haus zerstört der Zwietracht Wut,/Wo Friede sonst erfreut.



    Dejanira aber lässt sich nicht überzeugen, sie versteigt sich sogar zu der Behauptung, der „Alkide“ spiele falsch (eine Beschuldigung, die einem der Begründer der Olympischen Spiele nicht gut zu Gesicht steht!). Genau diese ungeheuerliche Anschuldigung hat auch für den hinzukommenden Lichas keinen Bestand: „Unmöglich!“ sagt er zu Dejanira. Doch die geht, weiterhin von der Schuld ihres Gatten überzeugt, davon. Das Volk aber stimmt Lichas zu, hält Dejaniras Argwohn für völlig falsch:


    Eifersucht, o Höllenfluch,/Folter der gequälten Brust,
    Die erschafft aus eitlem Trug/Eigne Pein mit schnöder Lust!
    Schatten, leicht wie Luft verscheucht,/Ist der Wahn, der dich erzeugt!



    Zweite Szene: Ein anderes Gemach im Palast.


    Hyllos beklagt, zunächst allein, Ioles Abneigung ihm gegenüber - Herkules' Sohn hat sich in die Prinzessin verliebt. Als Iole hinzukommt und Hyllos abermals um sie wirbt, weist sie ihn wieder zurück, und sie hat auch Gründe dafür: Den Sohn des Herkules, den Mörder ihres Vaters, und den Zerstörer ihrer Heimat kann sie nicht lieben. Hyllos erklärt jedoch, dass die Götter auch der Liebe wegen den Olymp verließen, deshalb möge doch auch sie diese Flamme nicht schmähen seien: Der Chor bestätigt:


    Holder Gott der Liebesglut,/Sehnsucht, Lust und süßer Qual,
    Was lebt und webt, umschlingt Dein Band!



    Dritte Szene: Gemach der Dejanira.


    Herkules trifft mit seiner Gemahlin zusammen und es entspinnt sich zwischen den beiden Gatten ein geradezu klassisches Eifersuchtsgespräch. Dejanira wirft ihrem Mann vor, dass sein Ruhm verdunkelt worden sei, allen ruhmreichen Taten zum Trotz. Er versteht sie nicht und erklärt stattdessen, dass sein Name immer ruhmvoll durch alle Zeiten glänzen werde. Diese stolz-abwehrende Haltung stachelt Dejanira noch mehr an: Sie wirft ihm vor, dass er zwar Heras zwölf Aufgaben gelöst habe, die Liebe zu Iole, der Gefangenen, ihn aber niederdrücken werde. Mit Sarkasmus fordert sie:


    Leg ab die Keul' und Löwenhaut/ Und flieh vom Kampf zum Weibertand!
    Für den blinkenden Speer und Schild/Nimm Rocken und Spindel zur Hand!



    Herkules bestreitet diesen Vorwurf, nennt ihn Verleumdung durch einen falschen Freund, und geht zu einem Dankopfer in den Tempel. Dejanira fühlt sich bestätigt, dass Herkules untreu ist und kommt auf eine Idee: Der Kentaur Nessos, von Herkules besiegt, hatte ihr einst sein Blut getränktes Netzgewebe übergeben, das, wie er beteuerte, ihr das Herz ihres Gemahls wiedergewinnen könne. Diese Wundergabe will sie nun einsetzen, und Lichas soll es Herkules überbringen. Der nimmt den Auftrag mit den Worten


    O schöne Pflicht! O sel'ger Herkules!


    nur zu gerne an. Nach Lichas' Abgang kommt Iole ins Zimmer und findet Dejanira völlig verändert vor: Sie ist überzeugt, die Liebe von Herkules wieder zu erringen und gibt sich Iole gegenüber großzügig. Dazu gehört die Bitte um Vergebung und das Versprechen, ihr das Königreich ihres Vaters zurück zu geben. Überrascht durch diese Kehrtwendung des Schicksals, dankt Iole weinend nicht nur Dejanira, sondern auch Zeus für die Rettung aus ihrer Seelenqual. Beide stimmen ein Duett an (Dejanira: Glanz der Freiheit, Glanz der Macht; Iole: O freundlich holder Klang voll Lust), das die Zuversicht auf eine ruhige Zukunft ausdrückt.


    Der Chor des Volkes von Trachis beendet den zweiten Akt mit dem Wunsch nach einer Versöhnung des Paares, gleichzeitig auch Zufriedenheit vermittelnd:


    Lieb' und Eintracht, Hand in Hand,/Schlinget neu der Treue Band!
    Und mit jungem Glücke krönt/Das Paar, das Friede neu versöhnt.



    Dritter Akt


    Sinfonia

    Erste Szene:
    Ein großer Platz vor dem Palast.


    Lichas tritt vor das Volk und berichtet Entsetzliches vom Dankopferfest: Herkules hat das überbrachte Netzgewand dankend und freudig übergestreift. Plötzlich begann er zu schreien - die Haut verbrannte mit „der Flamme Glut“ und „durch grause Kunst getränkt“ vergiftete sich der Held. Er sank in bittrem Todeskampf auf den Boden des Tempels und war nicht in der Lage, sich das tödliche Gewand auszuziehen, denn mit dem Netz zog er sich gleichzeitig das „blut'ge Fleisch“ ab. Sein Jammergeschrei erfüllte den gesamten Tempelbau. Lichas sieht das Ende des Herkules nahen:


    O Bild des Jammers, nie gesehn,/O eitler Ruhm, der so verfällt!
    Wer kann ermessen unser Weh!/Fahr wohl, unsel'ger, tapfrer Held!



    Auch das Volk ist über diese Tragödie entsetzt, beklagt die Folgen und denkt weiter in die nun unvorhersehbare Zukunft:


    Nicht mehr schützt dein Arm hinfort/Vor der Tyrannen Zwang und Mord!
    Ungetüm in Schreckgestalt/Erfüllt rings die Erde bald!
    Furcht und Götterscheu entfliehn:/Der Menschheit Rächer sank dahin.



    Zweite Szene: Im Tempel des Zeus.


    Doch Herkules ist noch nicht tot, noch kämpft er, hat die Kraft, seine Frau zu verfluchen, die er für seine Qualen verantwortlich macht, bittet die Götter, ihn von den schlimmen Schmerzen zu erlösen, und wünscht sich „Poseidons Wasserfluten“ über seinen Körper. Da stürmt Hyllos in den Tempel, ungläubig, dass der Abkömmling von Zeus und Alkmene, der Held des Volkes, der Starke, aber auch der Vater, im Sterben liegen soll. Als er den vor Schmerzen sich windenden Todgeweihten sieht, ruft er mitleidig aus:


    O Zeus, erlöse ihn bald!



    Seinen Sohn vor sich zu sehen gibt Herkules nochmals einen Kraftschub, um sozusagen noch eine testamentarische Auflage zu erteilen: Hyllos soll ihn auf den heiligen Berg Oetas führen! Dort soll „der Eich' und Zeder schlanker Stamm“ gefällt, zu starken Scheiten geschichtet und, sobald er hinaufgestiegen ist, angezündet werden. So will er im Glanz der Flammen, von einem Adler geholt, in den Olymp „entschweben“- für Hyllos ein glorreicher Tod, wie er meint, würdig des Sohnes von Zeus. Herkules drängt seinen Sohn „zu rascher Tat“, denn der Schmerz ist ihm unerträglich. Hyllos fordert die umstehende Menge in der Arie „Schweigt, o schweigt“ auf, das tragische Geschehen nur ja nicht nach Oechalia dringen zu lassen. Dann wird Herkules fortgetragen und Hyllos folgt mit dem Volk nach.


    Dritte Szene: Dejaniras Gemach im Palast des Herkules.


    Dejanira weiß inzwischen, was sich im Zeus-Tempel ereignet hat. In einem aufrüttelnden Accompagnato wird durch ihr Selbstgespräch deutlich, dass sie sozusagen der Racheengel für den von Herkules getöteten Nessos war. Rasend vor Schmerz und wie verwirrt ruft sie die Erinyen, die sie mit „Schlangengeißeln“ schlagen sollen: Megära und Tisyphone nahen mit Schwefeldampf, Alekto trägt das schreckliche Schlangenhaupt - ihre Schuld, ihre große Schuld ist eine einzige Qual, aus der sie nicht entkommen kann.


    Vierte Szene: Gleiches Bild.


    Dann aber wendet sich das Blatt: Iole kommt hinzu und schon wird aus der gebeugten Dejanira eine Furie, die ihre Schuld nur zu gerne an die oechalische Prinzessin abtritt. Ist nicht das ganze Drama Ioles Schuld? Hat die „verhasste Zaub'rin“ nicht ihren Gemahl zu sich gezogen? Doch ebenso plötzlich wird Dejanira bewusst, dass Iole unschuldig ist und die Prinzessin zeigt tiefes Mitleid mit Herkules' Frau.


    Fünfte Szene: Unverändertes Bild.


    Ein Priester tritt ein und berichtet von der Verbrennung von Herkules' Leichnam auf dem Berg Oeta, wo tatsächlich ein Adler die Seele des Helden in den Olymp erhoben habe, so, wie er es vorausgesagt hat. Danach wendet sich der Priester direkt an Iole und gibt ihr Zeus' Wunsch weiter, dass sie Hyllos heiraten soll. Der verliebte Sohn des Herkules ist über diese Nachricht natürlich hocherfreut und ebenso will sich auch Iole dem Willen des Göttervaters nicht widersetzen: „Was Zeus gebeut, wie dürft ich widerstehen?“ Das Paar findet sich zu einem Liebesduett, in dem nicht nur Zeus gewürdigt, sondern auch an eine glückliche Zukunft gedacht wird. Der Priester ruft, vor dem Schlusschor, alle Männer des Landes auf, die frohe Kunde von einer Hochzeit hinauszutragen in die Welt. Und das Volk stimmt einen Jubelgesang an, der mit Pracht das Werk beschließt:


    Stimmt an den Preisgesang, von Dank durchglüht,
    Dem Freiheitsgründer ein unsterblich Lied!
    Vor ihm entschwand der Willkür Eigenmacht,/Gewalttat birgt ihr Haupt in tiefe Nacht,
    Und selig lebt das Volk, das er beriet,/Im Segen, der aus Fried' und Freiheit blüht.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Händel begann die Komposition zu HERCULES am 19. Juli 1744 und beendete den ersten Akt am 30. Juli, den zweiten am 11. August und den dritten wahrscheinlich am 21. August. An diesem Tag schrieb er nämlich an seinen Librettisten Charles Jennens, und bat ihn um den dritten Teil des „Belshazzar“, dem neuen Oratorium, von dem bis dahin nur die ersten beiden Teile fertig und Händel übersandt worden waren. Selbst unter Berücksichtigung der bei Händel nicht ungewöhnlichen Kompositionsweise ist die Arbeit an zwei Oratorien nebeneinander schon erstaunlich.


    Für die Uraufführung von HERCULES hatte Händel eigens das King's Theatre angemietet; umso schmerzhafter muss ihn die Ablehnung seines neuen Werkes getroffen haben. Die ins Auge gefassten vierundzwanzig Aufführungen in den Wintermonaten 1744/1745, die durch Subskriptionen finanziert werden sollten, mussten sämtlich abgesagt werden.


    So schnell gab Händel allerdings auch nicht auf: Seine Planung sah für den 5. Januar 1745 eine Aufführung von HERCULES vor, doch auch diese Vorstellung, die eigentlich das Blatt hatte wenden sollen, führte zu einem Fiasko, weil die überaus beliebte Mezzosopranistin Susanna Cibber krankheitsbedingt absagen musste. Händel kam nun auf die Idee, die Rezitative der Cibber durch den Bassisten Gustav rezitieren zu lassen, damit das Publikum wenigstens den Handlungsablauf verstehen konnte. Am 5. Januar 1745 war allerdings auch Waltz durch eine Erkältung gehandicapt und konnte den Text nur krächzend vortragen. Es versteht sich von selbst, dass der Rezitator damit einen Heiterkeitserfolg erzielte - das Oratorium jedenfalls war sozusagen erledigt.


    Daran vermochte auch die Vorstellung vom 12. Januar, bei der die genesene Mrs. Cibber wieder dabei war, nichts mehr zu ändern. Händel entschloss sich daher, die weiteren Vorstellungen abzusagen und den Subskribenten ihre Ausgaben zu erstatten. Eine Anzeige im „Daily Advertiser“ führte jedoch zu einer unerwarteten Reaktion von Musikfreunden: In einer öffentlichen Anzeige wurde gebeten, die Rückzahlung „with Justice to the Character of the Nation, and the Merit of the Man“ abzulehnen. Tatsächlich fand diese Anzeige Widerhall, denn Händel offerierte daraufhin sechzehn der ursprünglich vierundzwanzig Konzerte: neben „Samson“ auch „Saul“, „Joseph“, „The Messiah“ und die Premiere des „Belshazzar“ am 27. März (die abermals ein Misserfolg war).


    Die Ablehnung von HERCULES wurde, wie es sich schon bei „Semele“ gezeigt hatte, vom Publikum dem Sujet zugewiesen, es mochte nämlich in Oratorien biblische Themen, nicht aber mythologische, die man nur in Opern akzeptierte. Dass es daher 1749 nur noch zwei und 1752 lediglich eine Wiederaufnahme von HERCULES gab, kann daher nicht wirklich verwundern. Die Popularität der biblischen Oratorien Händels, die in Großbritannien bis ins 19. Jahrhundert reichte, konnte an der Ablehnung der weltlichen Werke nichts ändern.


    Dafür kam im zwanzigsten Jahrhundert der von Händel selbst durch szenische Hinweise intendierte Gedanke einer Bühnen-Realisation auf. Erstmals wurde am 4. März 1925 in Münster eine Bühnenfassung von Hans Niedecken-Gebhard (mit dem Bühnenbild von Hein Heckroth) aufgeführt; als Nachahmer wären beispielsweise William Christie und Luc Bondy in Paris (2004), in Wien (2005), in New York und London (2006) oder im Jahre 2005 bei den Händel-Festspielen in Halle durch Alessandro De Marchi und Fred Berndt zu nennen.


    Verschwiegen werden soll auch ein Kuriosum nicht: Anlässlich der Olympischen Spiele 1936 wurde HERCULES in der Berliner Waldbühne (damals bekannt als Dietrich-Eckart-Freilichtbühne) als kultureller Beitrag der Stadt Berlin mit elf Chören und zwei Sinfonieorchestern aufgeführt (wobei eine SA-Standarte einen Bewegungschor abgab und durch mehrere Chöre der NS-Frauenschaft Unterstützung angeboten wurde). Dirigent der Mammut-Besetzung hatte der Theologe und Kirchenmusiker, Musikwissenschaftler und Dirigent Fritz Stein (1879-1961). Als Mitglied der Reichsmusikkammer hatte Stein maßgeblichen Anteil an der Gleichschaltung des Musikwesens, und bearbeitete mehrere Werke Händels durch die Eliminierung von christlich-jüdischen Formulierungen in den Libretti.


    © Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Libretto in der Partitur der Chrysander-Ausgabe von 1859:
    http://www.digitale-sammlungen…/0001/bsb00016729/images/
    Oratorienführer von Scheibler/Evdokimova
    Händel-Handbuch II

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    MUSIKWANDERER

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  • Auch zu diesem oratorischen Werk Händels seien hier einige Einspielungen vorgestellt. Auch wenn es als Wiederholung von bereits Bekanntem vorkommt: Es ist kein Werturteil, kein Ranking:




    Nebenstehend Gardiners von der DGG für die Archiv-Produktion produzierte Aufnahme mit Tomlinson, Rolfe Johnson, Walker, Smith, Denley und den English Baroque Soloists




    Marc Minkowskis Dirigat für die Archiv-Produktion ist die zweite Aufnahme für das Label und wurde von den Solisten von Otter, Dawson, Daniels, Saks, Pujol gestaltet, gespielt von Les Musiciens du Louvre




    Für Naxos hat der inzwischen bekannte Joachim Carlos Martini "Hercules" eingespielt. Hier sind die Solisten Nicola Wemyss, Gerlinde Sämann, Franz Vitzhum, Knut Schoch; es singt die Junge Kantorei, es spielt das Barockorchester Frankfurt.

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    MUSIKWANDERER

  • Ich sah das Werk neulich in Karlsruhe (Händel-Festspiele) und bin der gleichen Meinung wie der Komponist: Das ist kein Oratorium, sondern eine Oper. "A New Musical Drama" in Händels Worten, also Musiktheater, d.h. Oper. So sieht es auch der renommierte Opernführer Avant-Scene Opéra, der auch Semele und Belshazzar als Opern behandelt, nicht aber Messiah.


    Zentrales Motiv ist das zerstörerische Wirken der Eifersucht. In Karlsruhe erzählt als Rückblende: Dejanira wird der Prozess gemacht, sie endet in der Klapsmühle. Das Ganze spielt in den frühen 50er Jahren, Hercules ist eine Art General, der siegreich vom Kriegseinsatz kommt, aber ansonsten nicht sehr sympathisch erscheint. Generell sind die beiden Frauenrollen (Dejanira, Iole) deutlich gewichtiger als die der Männer (Hercules, Hyllus, Lichas). Im Libretto - wie auch in Karlsruhe - gibt Hercules eigentlich wenig Anlass zur Eifersucht, aber man muss sich halt eine Iole (geschätztes Alter: 17-20) als deutlich attraktiver vorstellen als eine Dejanira (geschätztes Alter: 35-40 Jahre). War auch in Karlsruhe so: Ann Hallenberg (56 Jahre, 10-15 kg Übergewicht) als Dejanira gegenüber Lauren Lodge-Campbell (ca. 23 Jahre, megahübsch) als Iole. Bei letzterer wurden auch 7-minütige Arien, die aus nur 4 Zeilen bestehen ("My breast with tender pity swells") nicht langweilig. Wobei das auch das Verdienst des Regisseurs (Floris Visser) war: Während der Arien gab es durchweg Handlung, mit der die Geschichte weitererzählt wurde. Eine konzertante Aufführung dieser 3-Stunden-Oper würde ich mir dagegen nicht antun.


    PS: Der o.g. Opernführer empfiehlt ganz klar die Minkowsi-Aufnahme.