Georg Friedrich Händel (1685-1759):
SAMSON
Oratorium in drei Teilen, HWV 57
Libretto von Newburgh Hamilton nach John Miltons Poem „Samson Agonistes“, das auf dem 16. Kapitel des Buches Richter im Alten Testament beruht
Uraufführung am 18. Februar 1743 in Covent Garden
DRAMATIS PERSONAE
Samson, Richter in Israel, Tenor
Delila, Philisterin, Sopran
Manoah, Samsons Vater, Bass
Micah, Samsons Freund, Alt
Harapha, Bass
Eine Israelitin, Sopran
Ein Israelit, Tenor
Eine Philisterin, Sopran
Ein Philister, Sopran
Die Handlung geht ca. 1000 v. Chr. in Israel vor sich.
DIE GESCHICHTE NACH DEM BUCH RICHTER
Im Alten Testament wird Samson als Richter vorgestellt; zwar ein gerechter Mann, der aber wegen seiner enormen Stärke auch als Draufgänger erscheint. Sein Handeln wird mit dem alttestamentarischen „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ beschrieben, aber gleichzeitig mit der Überzeugung, Gott auf seiner Seite zu haben. Die Geschichte spielt zu einer Zeit, als es in Israel noch keine Könige gab und sie ist (unter Berücksichtigung der anderen Händel-Oratorien) nach „Deborah“ und „Jephta“, jedoch vor „Saul“, dem ersten König Israels, anzusetzen. Außerbiblische Zeugnisse für die Existenz dieses Königs gibt es bisher nicht, weshalb auch eine exakte Angabe seiner Regierungszeit ebenso unmöglich ist.
Als sich Samson in die Tochter eines Philisters verliebt, ist er seit ungefähr zwanzig Jahren Richter. Aus nicht näher definierten Gründen verhinderte Samsons Schwiegervater den häuslichen Zugang zur Gemahlin, worauf sich Samson mit Morden rächte. Dann erreichen „dreitausend“ Juden, dass sich Samson, unter der Zusage der Philister, ihn nicht zu töten, gefangen nehmen ließ; allerdings hielten sich die Besatzer Israels nicht an ihren Schwur, worauf sich Samson von seinen Ketten befreite und über „eintausend Philister“ erschlug.
Nach einiger Zeit der Ruhe umstellten eines Nachts Philister das Haus einer Prostituierten, bei der sich Samson aufhielt, aus dem er sich jedoch befreien konnte. Abermals einige Zeit später verliebte sich Samson in Delila (Dalila) und das Unheil nahm seinen Lauf: Delila hatte nämlich nur den Auftrag ihrer Landsleute im Sinn, Samsons Stärke zu erforschen. Das erwies sich jedoch als schwierig, denn der erkannte alle Finten und gab Delila mehrere falsche Antworten, weshalb die auf ihn verübten Anschläge fehlschlugen. Dann aber verriet Samson doch aus Liebe zu Delila den wahren Grund seiner Stärke: Sie lag in den noch nie geschnittenen Haaren.
Während er in Delilas Schoß schlief, konnte ein Philister ihm die Haare abschneiden, ein anderer ihn blenden, ein dritter Delila das Silbergeld auszahlen. Samson wurde in Ketten gelegt, musste wie ein Tier Mühlsteine drehen - aber seine Haare wuchsen wieder, die Kraft kehrte allmählich wieder zurück - und genau an dieser Stelle setzt das Libretto von Newburgh Hamilton ein.
INHALTSANGABE
Ouvertüre
Erster Teil
Erste Szene
Nach der im französischen Stil gehaltenen tänzerischen Ouvertüre, die den Hörnern eine herausragende Rolle zuweist, lässt Samson rezitativisch seine Freude über einen Ruhetag in seinem arbeitsreichen Leben erkennen. Darauf folgt ein ebenso schwungvoller wie feierlicher Chorgesang (den Händel mit festlichem Trompetenklang füllt) der Philister, die ihrem Gott Dagon huldigen:
Erschallt Trompeten hehr und laut! Im Feierlied, im Jubelsang
schall Dagons Preis mit lautem Klang, dass alle Welt vernimmt den Freudenschall.
Eine Bewohnerin Gazas fordert in einer Arie die Mitbewohner zum Lobe und Preis Dagons auf. Händel bildet die im Arientext erwähnten „Flöten und Fiedeln“ mit Verzierungen in den Soloviolinen, aber auch mit Koloraturen in der Solostimme klanglich nach. Das Volk wiederholt ebenso begeistert wie zustimmend den Eingangschor:
Erschallt Trompeten hehr und laut!
Zweite Szene
Während Samson also über sein Schicksal nachsinnt, tritt sein Freund Micah zusammen mit weiteren Israeliten hinzu. Micah beklagt „für sich“ die aussichtslose Situation seines Freundes, der doch ein tapferer Held war, den kein Mensch, nicht mal ein Löwe bezwingen konnte, und der jetzt dahinvegetiert. Als er dann Samson anspricht, dankt der Blinde allen für ihre Freundschaft. Auf die Frage Micahs, ob ihn eher die Ketten oder doch vielmehr die Blindheit quälen, antwortet Samson in einer intimen Arie eindeutig, dass er den Verlust des Augenlichts „am meisten“ beklage. Händel zeichnet Samsons verlorenes Augenlicht durch eine äußerst sparsame Begleitung, die sogar mehrmals aussetzt, nach.
Darauf erinnern die Israeliten, die sich der Hörer als hinzugekommen denken muss, in einem Gebetschor an den Allmächtigen, der in der Schöpfungsgeschichte das Licht gab:
O du zuerst erschaffener Strahl! Und du großes Wort:"Es werde Licht!"
Ja, Licht ward überall; ein einziges himmlisches Strahlen ging um den ganzen Erdball: Schenke deinem blinden Knecht neues Leben durch Licht!
Für den Fugenteil dieses Chores benutzt Händel sinnigerweise das Thema des Luther-Chorals „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“.
Dritte Szene
Mit Samsons Vater Manoah kommt nun eine weitere Figur hinzu, die am Unglück des früheren Helden Anteil nimmt, als Vater sogar mit besonderer Traurigkeit: Er hat um Kinder gebetet und einen Sohn bekommen, noch dazu einen, um den man ihn beneidete. Nun ist alles verloren - will jemand an seine Stelle treten, ihm die schwere Last abnehmen? Samson ist das Gespött der Besatzer geworden und Manoah klagt:
Deine ruhmreichen Taten beflügelten mich, Freudengesänge entströmten meiner Zunge.
Jetzt ist Kummer der Grundton meiner Lieder,
und meine Harfe stimme ich nach dem Klang der Klage.
Und wieder passt Händel seine Musik genau dem Inhalt der Arie an: Weit ausladende Koloraturen stellen die Freudengesänge anlässlich der ruhmreichen Taten des Sohnes dar, dann schwenkt Händel in tiefe Traurigkeit um, Samsons Gefangenschaft und Blindheit musikalisch nachzeichnend.
Samson hat seines Vaters Klage gehört und er stellt unmissverständlich klar, dass ihm das Unheil zu Recht widerfahren sei, denn er hat sich gegen Gott versündigt; aber er hat einen Entschluss gefasst: Er will noch einmal die Überlegenheit Jahwes gegenüber dem Götzen Dagon beweisen. Hier steht eine einerseits emotionale, andererseits aber große Zuversicht ausstrahlende Arie, in der Samson Gott um aktive Hilfe bittet:
Warum schläft der Gott Israels?
Erhebe Dich mit furchtbarem Getöse und entsetzlichen Wolkenbergen,
dann sollen die Heiden Deinen grollenden Donner vernehmen.
Lass doch das Unwetter Deiner Wut losbrechen,
lass Wirbelstürme voller Rache sie überwältigen,
bis alle Deine Feinde Scham und Verwirrung packt.
Der folgende Chor der Israeliten zeigt deutlich, dass sie Samsons Stimmung in sich aufgenommen haben und Händel unterstreicht das durch nacheinander einsetzende Chorstimmen, um sie dann zu den Worten der letzten Textzeile wieder in einem Klangrausch zu vereinigen:
Dann werden sie erfahren, dass Er, Jehova, allein Herr über alle Welt ist,
der Höchste von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Samson aber sieht das Ende seiner irdischen Laufbahn gekommen; die Jagd nach dem Ruhm ist dann ebenso vorbei, wie die Schande, die er über sich gebracht hat: „Der Tod, schon oft gerufen, soll meine Leiden enden und mich freundlich zu den Entschlafenen führen.“ Der den ersten Teil des Oratoriums beendende Chorsatz drückt ebenso Mitleid wie Abschied aus:
Hoch hinauf zum Sternenthron, zu Ihm, der allezeit allein regiert,
wird dann deine Seele aufsteigen.
Vom Himmel geleitet, wird sie, ledig der Erdenschwere und mit Herrlichkeit gekrönt,
auf ewig dort sein und frohlocken über den Tod und über Dich, o Zeit!
Zweiter Teil
Erste Szene
Samson ersehnt sich, damit an den Schluss des ersten Teils anlehnend, den Tod herbei und sein Freund Micah wendet sich in einer innigen Gebets-Arie mit Worten an Gott, die an ein Klagelied des Psalmisten erinnern:
Kehre zurück, o Gott der Heerscharen!
Sieh Deinen Knecht in seinem Elend an! Nimm seinen ungeheuren Kummer hinweg,
lass nicht zu, dass sich die Heiden damit brüsten.
Diesen Klageton übernimmt der Chor der Israeliten (Sie treten deinen Ruhm in den Staub) gebetsartig und rufen zu Gott, seinem Knecht Hilfe zu geben.
Zweite Szene
Doch plötzlich schlägt die Stimmung um, denn Delila, Samsons Frau, kommt in Begleitung ihrer Freundinnen hinzu. Als der Geblendete das hört, verlangt er, sie hinweg zu schicken. Aber Delila lässt nicht nicht abweisen, macht in zwei direkt aufeinander folgenden Arien ihrem Gatten liebevolle Avancen. Wie eine Turteltaube umgarnt sie ihn in der ersten Arie:
Mit Wehmut und verliebtem Stöhnen
gurrt auch die Turteltaube, die man im Stich gelassen hat.
Dann greift sie noch weiter in die weibliche Trickkiste:
Prüfe doch, Samson, meine Treue und Aufrichtigkeit, und hör auf mich,
hör auf die Stimme der Liebe!
Die Liebe bereitet keinem Sterblichen je Überdruss, alles Glück ist gelebte Liebe.
Händel überträgt Delilas (gestellte) Liebessehnsucht in die Solostimme, die er mit Trillern ausschmückt und die zusätzlich mit einer solistisch geführte Violine korrespondiert. Trotz dieser (auch musikalisch verdeutlichten) verführerischen Bemühungen erreicht Delila ihr Ziel nicht. Aber sie gibt nicht auf, und zieht ihre Begleiterinnen zu einem schönen Menuett als Unterstützerinnen hinzu, was aber auch nicht verfängt (bei einem Blinden auch wohl vorhersehbar). Es kommt, im Gegenteil, zu einem Ehekrach, in dem sich beide in einem Duett gegenseitig als Verräter beschuldigen. Einerseits des Streits müde und andererseits der Erfolgslosigkeit ihrer Bemühungen einsichtig, geht Delila mit ihren Gespielinnen ab.
Dritte Szene
Eine kontemplative Unterbrechung des Handlungsablaufs lässt Samson äußern, dass nur ein Mann mit einem liebenden Weib Ruhe finden kann, und er hat dieses Glück nicht. Der Chor der Israeliten bringt zeitgemäße Weisheit zum Ausdruck:
Gottes allumfassendes Gesetz verlieh dem Manne die Macht,
Ehrfurcht sein Weib zu lehren.
So soll er niemals voll Bestürzung spüren müssen,
dass ein anmaßendes Weib sein Leben lenkt.
Vierte Szene
Eine weitere Figur erscheint, durch Micah sorgenvoll angekündigt, der riesige Philister Harapha. Er bedauert, Samson niemals im Kampf begegnet zu sein, um das prahlerische Gerede über seine Stärke ausprobiert zu haben. In einer kriegerischen Arie bekräftigt er aber seine herablassende Haltung:
Ehre und Waffen verschmähen solchen Feind,
obgleich ich dich zerschmettern könnte mit einem Streich;
es wäre ein schäbiger Sieg, dich zu bezwingen,
eine Schande, mich deiner Niederlage zu rühmen!
Einen Kerl zu besiegen, der halb tot ist: solch billiger Triumph ist unter meiner Würde.
Das Rededuell der Kontrahenten wird fortgesetzt: Samson bietet dem „eitlen Prahlhans“ einen Kampf an, und Harapha überlegt tatsächlich (sozusagen „für sich“ gesprochen) in einem Rezitativ, noch dazu unter Anrufung seines Gottes Dagon, ob er sich die Frechheiten des blinden Kettenträgers gefallen lassen soll. Die Kraftmenschen erhalten hier ein Duett, in dem Samson seinem Gegenüber rät, schleunigst zu verschwinden, wenn ihm das Leben lieb ist, während Harapha den Gegner mit dem Hinweis verhöhnt, er solle sich nicht auf seinen Gott verlassen, der habe ihn doch schon längst in den „Staub“ getreten.
Micah mischt sich ein und schlägt den Kampfhähnen vor, die Entscheidung doch mit Hilfe des Gottes Dagon und Jahwe herbeizuführen. Sofort ergreifen die Israeliten das Wort und bitten Jehovah um Hilfe (Händel verwendet in diesem Chorsatz eine sechsstimmige Komposition von Giacomo Carissimi). Darüber erbost, ruft Harapha Gott Dagon zu seiner Ehrenrettung auf, und findet bei seinen Landsleuten umgehende Zustimmung, von Händel textunterstützend mit einem tänzerischen Ostinato-Bassthema komponiert:
Dem Singen und Tanzen ist dieser Tag geweiht, so rühmen wir Deine Allmacht.
Schütze uns nun mit deiner mächtigen Hand und verjage dieses Volk aus unserem Land.
Beide Chöre, Israeliten und Philister repräsentierend, vereinigen sich im Lobpreis zu ihrem jeweiligen Gott, damit gleichzeitig den zweiten Teil schließend:
Auf seinem ewigen Thron herrscht Jehova/der große Dagon über die Welt mit Macht. Sein Donner grollt, der Himmel bebt, die Erde erstarrt,
die Sterne sind zutiefst erstaunt und bleiben unverwandten Blickes stehen;
Jehova/der große Dagon ist unter den Göttern der Erste und der Letzte.
Dritter Teil
Erste Szene
Micah kündigt Harapha an, der mit „eiligen Schritten“ und „drohendem Blick“ auf sie zukommt. Samson bleibt jedoch völlig ruhig, äußert sich unaufgeregt, vor Harapha und seiner Sippe keine Angst zu haben. Aber Harapha kommt ohne Umschweife zur Sache: Die Philister-Fürsten befehlen, dass Samson am Fest des Dagon eine Probe seiner angeblich übermenschlichen Kraft abgibt. Das lehnt Samson jedoch entschieden aus religiösen Gründen ab; außerdem will er sich nicht zum Narren machen. Durch diese Absage fühlt sich Harapha schwer beleidigt und droht ihm, vor seinem Abgang, für diese „unheilvollen“ Worte den Tod an.
Kaum ist Harapha weg, macht Micah seinen Freund auf die gefährlich angespannte Lage aufmerksam: Die Fürsten des verhassten Volkes der Philister könnten tatsächlich mit dem Todesurteil reagieren. Es bleibt, wie Micah meint, nur das Vertrauen in den Allmächtigen, der Samson noch retten kann. Die Israeliten beten zu Jahwe:
Mit gewaltigem Donner, allmächtiger Gott, erhebe dich!
Hilf, Herr, oder Israels Held stirbt!
Nimm Deinen Diener in Deinen Schutz und rette, o rette uns um Deines Dieners willen.
Nochmals unterstreicht Samson, dass er keiner anstößigen und keiner sündigen Bitte der Philister nachzukommen gedenkt. Dennoch wird er die falschen Götter mit Jahwes Hilfe schlagen: Offensichtlich hat inzwischen ein Gedanke von ihm Besitz ergriffen, den er in die Tat umzusetzen gedenkt. In einer mit Andante überschriebene Arie (eine der schönsten Tenor-Arien aus der Feder Händels) verrät er zwar dem Hörer seinen Gedanken nicht, hält aber gebetsartige Zwiesprache mit seinem Gott:
So, wenn die Sonn' dem Meer enttaucht,/von leichtem Morgenduft umhaucht,
lieblich ihr Haupt auf sanfte Welle wiegt:
Entfliehn die nächtgen Geister bleich/hinab ins finstre Schattenreich.
Samson lässt sich nun mit einem kurzen Segen seines Freundes Micah zu den Philistern bringen.
Zweite Szene
Manoah kommt aufgeregt auf Micah zu und bittet ihn, seinen Sohn aufzusuchen und mit guten Nachrichten zurück zu kommen.
Dann muss sich der Hörer einen Schwenk zum Dagon-Fest vorstellen: Die Festlichkeiten gehen ihrem Höhepunkt entgegen. Eine Philisterin behauptet triumphierend, dass der „große Dagon“ seinem Volk den Sieg über Israel und die damit verbundene Unterjochung geschenkt, sich Israels Gott Jehova dagegen klar als machtlos erwiesen habe. Und genau das verkündet ein Triumphchor der Philister:
Der große Dagon hat den Feind unterjocht
und ihren hoch gerühmten Helden gedemütigt;
So kündet seine Macht in himmlischen Tönen,
lobt ihn mit heiterem Sinn, mit lautem Beifall und mit Wein!
Plötzlich schlägt die Stimmung um: Händel fügt an dieser Stelle eine Sinfonia ein, die Verwirrung und Schrecken gleichermaßen ausdrückt, und die Samsons Vater Manoah entsetzt aufhorchen lässt: Was ist geschehen? Warum ist der Triumphgesang verstummt? Aus der Ferne sind die Hilfeschreie der Philister zu ihrem Gott zu hören:
Höre uns, o Gott! Höre unser Schreien!
Tod, Verderben, Zerstörung, keine Hilfe ist da, o Himmel, hab Erbarmen!
Wir gehen zugrunde, wir sterben!
Dritte Szene
Ein zu denkender Szenenwechsel führt zu den Israeliten zurück. Micah, der vom Dagon-Fest zurückgekehrt ist, berichtet den entsetzten Menschen, dass Samson tot ist, dass er den Tempel zum Einsturz brachte und dabei allen Versammelten, aber auch sich selber den Tod brachte. Mit einer Klage-Arie, die von den Umstehenden übernommen wird, drückt er als Freund und als Israelit seine Anteilnahme aus:
Ihr Söhne Israels, nun klaget laut;/euer Speer ist zerbrochen,
euer Bogen ohne Sehne/und euer Ruhm dahin!
Unter den Toten liegt der große Samson,/für immer hat er seine Augen geschlossen!
Chor der Israeliten:
Weine, Israel, weine noch mehr - Samson, deine Kraft, dein Held, ist tot!
An dieser Stelle erklingt der zu Recht berühmte Trauermarsch (den Händel aus „Saul“ übernommen hat), während sich alle auf die Ankunft von Samsons Leichnam vorbereiten. Manoah ruft die tapfere Jugend Israels auf, Samson als vollgültiges Vorbild anzusehen und zu seinen Ehren einen Gesang anzustimmen. Als dann der Leichnam vorbei getragen wird, setzt der Chor ein, der Samson ewigen Frieden und Ruhe wünscht:
Ruhmreicher (Glorreicher) Held, möge nun dein Grab
Frieden und Ehre allezeit genießen;
nach all dem Leiden und dem Weh/finde nun ewige Rast und süße Ruh!
Einen letzten Gruß äußern auch zunächst die Jünglinge, danach die Jungfrauen, loben den Verstorbenen als Helden Israels, der aus eigenem Willen den Tod ging. Eine Reprise des Gesamtchores beendet sodann das Oratorium in seiner ursprünglichen Fassung.
Innerhalb eines Jahres nach der Uraufführung fügte Händel dann das endgültige Finale hinzu, das jetzt von der Klage über Samsons Tod in den Jubel über seinen dauerhaften Ruhm übergeht.
So ruft Manoah das Volk auf, alle Klagen einzustellen, denn, so meint er, es sei jetzt keine Zeit für Trauer, und Samson sei schließlich so gestorben, wie er gelebt habe: Als ein wahrer Held. Den Feinden, da ist sich Manoah auch sicher, werde nur das Verderben bleiben, während seinem Sohn ewiger Ruhm beschieden sei. Sodann gibt eine Israelitin in einer mit Andante überschriebenen Arie den neuen, jubelnden Grundton vor, dass nämlich die Seraphim ihre Engelstrompeten blasen und alle „Cherubim in vollen Chören ihre unsterblichen goldbesaiteten Harfen spielen“ mögen. Das übernimmt der Gesamtchor für seinen Schlussgesang:
Lass ihre himmlischen Harmonien allesamt verschmelzen
und sein Lob verkünden in der Fülle ewigen Lichtes!
INFORMATIONEN ZUM WERK
Die Kompositionsarbeit zu SAMSON begann Händel unmittelbar nach dem Abschluss des „Messias“, d.h. nach dem 14. September 1741. Berücksichtigt man das bei ihm übliche Arbeitstempo, wundert es nicht, dass der erste Teil am 20. September, der zweite am 11. Oktober und der dritte am 24. Oktober, das gesamte Werk am 29. Oktober fertig vorlag; so jedenfalls weisen es die handschriftlichen Hinweise im Autograph aus. Das Erstaunliche ist jedoch, dass Händel in diesen Monaten gleich an zwei Oratorien arbeitete: Der „Messias“ entstand innerhalb von 21 Tagen, fallweise zeitgleich mit SAMSON. Eine bewundernswerte Leistung, die noch gesteigert wird, wenn man bedenkt, dass Händel nach Irland reisen, dort den „Messias“ einstudieren und am 13. April 1742 zur Uraufführung bringen konnte.
Nach der Rückkehr nach London im August 1742 überarbeitete er SAMSON und brachte dieses Oratorium am 18. Februar 1743 im Covent Garden Theatre (das dafür angemietet wurde) zur Uraufführung. In der Pause spielte Händel ein Orgelkonzert, wahrscheinlich das kurz zuvor vollendete A-Dur-Konzert (HWV 307).
Dieses Jahr 1741 hatte für den Komponisten nicht gerade gut begonnen: Die Premiere der letzten Oper „Deidamia“ am 10. Januar war ein Reinfall, es gab daher auch nur zwei Wiederholungen. Händel hatte begriffen, dass der Niedergang der italienischen Oper nicht mehr aufzuhalten war und er verabschiedete sich von seinem Publikum mit einem Benefiz-Konzert. Allerdings bedeutete dieser Abschied nur eine Umorientierung, denn Händel wandte sich nun vollends dem Genre des Oratoriums zu und setzte sich damit ein Denkmal für alle Zeiten.
Aus zeitgenössischen Berichten ist ersichtlich, dass SAMSON kein spektakulärer Erfolg war, beim Publikum dennoch bleibende Eindrücke hinterlassen hat. Anders lässt sich nicht erklären, dass es während der Lebzeiten Händels insgesamt dreiundfünfzig Aufführungen gab, davon noch 1750 zwei, 1752 drei, 1755 eine und 1759 (Händels Todesjahr) nochmals drei Wiedergaben. Interessant ist, dass der „Messias“ nach der Dubliner Uraufführung eine gewisse Zeit brauchte, um zunächst von London aus in England, später dann auch auf dem Kontinent seinen Siegeszug anzutreten, ist es bei SAMSON genau umgekehrt. Die positive Mund- und Zeitungspropaganda wirkte so schnell, dass die Wiederholungen stets vor vollem Haus gegeben wurden und sich zu großem Zuspruch ausweiteten. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Covent Garden über mehr als dreitausend Plätze verfügte, kann man sich vorstellen, dass hier keine Aufführungen für musikalische Puristen stattfanden. Dann aber brach das Interesse am Oratorium ab, und das Werk verschwand schließlich ganz aus dem Gedächtnis. Erst das zwanzigste Jahrhundert erinnerte sich wieder des SAMSON, vornehmlich bei der Schallplattenindustrie.
Das Libretto von Newburgh Hamilton basiert auf Miltons „Samson Agonistes“ aus dem Jahr 1671, das der Autor als „dramatic poem“ bezeichnet hatte (für das er im Buch der Richter Anleihen gesucht und gefunden hatte), und das mit seinen 1750 Zeilen in etwa fünf gleiche Abschnitte eingeteilt war. Daraus formte Hamilton ein dreiteiliges, sogar bühnentaugliches Werk, dessen Handlung sich, wie schon bei John Milton, an einem Tag abspielt: dem Festtag zu Ehren des Philister-Gottes Dagon. Auch die Szenerie ist einheitlich zu denken: Die Ereignisse spielen sich auf dem Platz vor dem Gefängnis in Gaza ab.
© Manfred Rückert für den Tamino-Oratorienführer 2013
unter Hinzuziehung folgender Quellen:
Partitur der Chrysander-Ausgabe: http://www.digitale-sammlungen…/0001/bsb00016736/images/
Libretto bei http://www.jvogelsaenger.de/samson_d.htm
Scheibler/Evdokimova: Georg Friedrich Händel, Oratorien-Führer