Vorgeschichte:
Vor etwa einem Jahr habe ich „Die Hochzeit des Figaro“ in Baden-Baden, mit Anna Netrebko (Gräfin) und Erwin Schrott (Graf) sowie einer guten Besetzung in den anderen Rollen, gebucht. Eines Tages erhielt ich die Mitteilung, dass Frau Netrebko nicht Willens ist und/oder sich nicht in der Lage fühlt diese Rolle zu singen. Statt einer Umbesetzung wurde dann gleich die ganze Oper getauscht. Obwohl zwei Jahre vorher in Baden-Baden ein hervorragender konzertanter Don Giovanni gegeben wurde, wurde wieder diese Oper, aber diesmal szenisch ins Programm genommen.
Auf dem Weg nach Baden-Baden habe ich eine Kritik im Internet, gelesen in der die gesangliche und darstellerische Leistung aller Sänger so gelobt wurde, dass ich mit einer Jahrhundertaufführung rechnen durfte. Auf dem Rückweg hat mir die Bahn heute netterweise eine FAZ spendiert, in der ein Bericht dieser Aufführung stand. Dazu später mehr –erst einmal zur Inszenierung von Philipp Himmelmann:
Das Bühnenbild bestand im wesentlichen aus einem Baum im Winter, einigen Stühlen und diversen Marmorfiguren, die auf der großen Bühne verteilt waren. Bedeutend war noch ein Sternenhimmel (Vorhang) und dahinter ein gleicher, er allerdings segmentweise geöffnet werden konnte (Türen, Durchgänge und Fenster in einem Haus).
Die Kostüme waren neuzeitlich und als Requisiten sind zu nennen: Eine Pistole, ein Akten-Rollkoffer, darin Aktenordner, eine Digitalkamera sowie Weinflaschen und Drogen (Pillen) für die Feier in Don Giovannis „Villa“ bzw. Popcorn- und Chipstüten und wieder Wein für das Essen mit dem Comtur.
Leporello, hervorragend gesungen und gespielt durch Luca Pisaroni, hätte eigentlich in Digitalo oder Aktero umbenannt werden müssen. Statt die Eroberungen von Don Giovanni in einem Leporello zu notieren, hat er von allen Frauen Akten mit Photos hergestellt und diese in Ordnern archiviert, die er in dem Rollkoffer fast die ganze Zeit hinter sich her zog. Donna Elvira fand ihre Akte mit Photo, einer Kette und einem Slip in einem der Ordner. Einige Szenen mit Leporello waren so amüsant, dass es
zumindest teilweise auch etwas zu lachen gab.
Erwin Schrott hatte als Don Giovanni wohl die Regieanweisung bekommen, bei jeder Frau, die in Reichweite ist, alle Körperregionen unsittlich zu berühren und diese Frauen intensiv zu küssen und zwar so oft wie nur irgend möglich. Dies hat er mit einer grandiosen Leistung und Intensität umgesetzt, selbst dann wenn es gar nicht in die Szene passte. In der FAZ war ein Bild von Erwin mit seiner Anna (innige Umarmung) mit folgender Bildunterschrift: „Zur Sache, Schätzchen: Anna Netrebko (als Donna Anna) und Erwin Schrott (als Don Giovanni) in Don Giovanni, erster Akt – der Komtur ist da schon tot.“
Erwin Schrott hat eine schöne Baritonstimme, der aber die Anpassungsfähigkeit an die Szenen fehlte. Zum Beispiel vermisste ich einfach den Schmelz in der Stimme, der zu dem Ständchen unter dem Fenster gehört. Schön anzusehen in dieser Szene war eine Akrobatin, die sich von oben an einem Schal herunter turnte. Nach der Arie hat das Publikum begeistert geklatscht – ich auch, denn das hatte die Akrobatin wirklich verdient.
Zur Darstellung des Don Giovanni zitiere ich noch einmal die FAZ: „Mit wenigen stereotypen Gesten macht Schrott aus dem berühmten Verführer einen billigen Strizzi. ......... Rasch taucht die Frage auf, was Donna Anna und Donna Elvira an dem Flachmann so interessant finden.“
Natürlich hat Don Giovanni die Akrobatin ausgiebig befummelt und lang anhaltend geküsst, selbst bis in die nächste Szene hinein.
Die anderen Sänger Malena Ernman als Donna Elvira, Charles Castronovo als Don Ottavio, Jonathan Lemalu alsMasetto, Mario Luperi als Komtur und Katija Dragojevic als Zerlina sangen auf einem hohen Niveau. Darstellerisch hat mich Letztere am meisten überzeugt, während Masetto doch deutlich abfiel. (Deshalb durfte er wohl auch Zerlina selbst dann nicht befummeln, als diese ihn dazu aufforderte.)
Nun zu Anna Netrebko als Donna Anna: Ihr Non mi dir… hat sie vor dem Vorhang gesungen. Das hat mich wirklich begeistert. Wobei eigentlich alle Arien, die vor dem Vorhang gesungen wurden, zu dem Besten dieser Aufführung gehörten.
Bevor ich die sonstige Leistung der Anna Netrebko beurteile, möchte ich noch mal die FAZ zitieren: „Sie (Anna Netrebko) hatte sich nun mal den Don Giovanni (statt Figaro) in den Luxuskopf gesetzt, mit der Paradegockelrolle für Ehemann Schrott. Alle übrigen Partien (von Pisaroni abgesehen) sind mit Mittelmaß besetzt, damit um so heller der Stern des Ehepaars Netrebko/Schrott aufgehen möge. Zur Hälfte zu Recht!“
Weder was das Mittelmaß, noch was die Netrebko betrifft bin ich mit der Frau Eleonore Büning (FAZ) einer Meinung. Natürlich hat die Netrebko alle anderen Teile der Oper auf allerhöchstem Niveau gesungen, leider allerdings oft auch sehr undeutlich und - das ist vielleicht mein spezielles Problem – mir hat ihre Darstellung nicht gefallen. Ihre CD’s und ihre Galas bzw. Arienabende gehören zu dem Besten das es gibt. Allerdings konnte sie mich selbst in den Opern, die einhellig bejubelt wurden (z. B. Traviata, Boheme oder Manon) nie vom Hocker reißen (gesehen als DVD oder im Kino).
Wenn ich diese Aufführung mit der konzertanten von 2011 vergleiche, dann hat mir Letztere durchgängig besser gefallen. Die Interpretationen durch die Musik, Mimik und Körpersprache hat mich damals begeistert, diesmal nicht. Da das auch Luca Pisaroni betrifft, der ja in beiden Aufführungen mitgewirkt hat, liegt das vielleicht auch daran, dass ich die Interpretation der Musik von Thomas Hengelbrock mit seinem Balthasar-Neumann-Ensemble nicht so gut (weniger dramatisch, langsamer) finde, wie die von Yannik Nezet-Seguin mit dem Mahler Chamber Orchestra. Der Szenen-/ Arienapplaus war damals wesentlich lauter und länger.
In Gesprächen (geführten und belauschten) in der Pause, nach der Aufführung und in der Hotelbar konnte ich feststellen, dass ich mit meiner Kritik an der Inszenierung und insbesondere auch an der Leistung von Anna Netrebko und ihrem Schrott nicht alleine war. Obwohl die überwiegende Mehrheit wohl begeistert war. Wobei ich nicht beurteilen kann, wie groß der Anteil der Leute war, die gedacht haben: „Da singt ja Anna Netrebko, dass muss ja gut sein!“
Obwohl die Pfingstfestspiele für mich zur Tradition geworden sind, werde ich im nächsten Jahr nicht hinfahren. 270€ (Premiere 310€) für den Faust (Gounod) mit der Starbesetzung Netrebko/ Schrott (plus Charles Castronovo) ist mir eindeutig zuviel Geld.