Nicht nur Händel - der Dirigent Joachim Carlos Martini

  • Eine TV-Dokumentation über die NAPOLA (Nationalpolitische Lehranstalten, die nach der nationalsozialistischen Machtergreifung als Internatsoberschulen entstanden) und ihre Schüler ließ einige der Ehemaligen zu Wort kommen: beispielsweise die Publizisten Theo Sommer und Hellmuth Karasek, aber auch den Dirigenten Joachim Carlos Martini - neben anderen.


    Die Liste der Napola-Schüler ist lang und weist einige prominente Namen auf: So Hardy Krüger, Manfred Ewald (Sportfunktionär der DDR), Alfred Herrhausen, Heinz Dürr (Großaktionär der Dürr AG), Leopold Gratz (SPÖ), Werner Leich (ehemals evangelischer Landesbischof in Thüringen), Udo Proksch (österreichischer Unternehmer und im Fall „Lukona“ wegen sechsfachen Mordes verurteilt) und Hans Klein (CSU-Politiker) - um nur einige aufzuzählen. Interessieren soll an dieser Stelle aber nur der Dirigent Joachim Carlos Martini, der durch seine bei Naxos vorgelegten Aufnahmen von Händel-Oratorien bundesweit ein Begriff ist.


    Martini kam am 4. Mai 1931 als Sohn deutscher Eltern im chilenischen Valdivia zur Welt; hier arbeitete der (bereits in Chile der NSDAP beigetretene) Vater als Studienrat an der Deutschen Schule. Im Herbst 1937 kehrten die Martinis zurück ins Reich, zunächst nach Berlin, wo der junge Joachim Carlos in die Volksschule kam. In der TV-Dokumentation erinnerte er sich an diese Zeit u.a. mit den Worten: „Pimpf zu sein, missfiel mir sehr. Um von den allwöchentlichen Gemeinschaftsabenden befreit zu werden, erfand ich einen ‚Schwarzen Mann‘, der mich auf dem Weg zu diesen Abenden belästigte.“ Tatsächlich wurde er von den Gemeinschaftsabenden freigestellt.


    Im Jahre 1942 kam der Elfjährige nach Zwischenstationen im westpreußischen Deutschkrone und dem schleswig-holsteinischen Heiligenhafen in die Napola Stuhm (heute Wojewodschaft Pommern). Und hier, so erinnerte sich Martini, kam er „allerdings vom Regen in die Traufe“. Das Leiden endete für ihn im Frühjahr 1944 nur „mit Hilfe ständiger Sport-Verweigerungen“ durch die Versetzung nach Plön. Von hier aus wurde er im Herbst 1944 entlassen, kam auf die Freiherr-vom-Stein-Schule in Oldenburg und war bei Kriegsende wieder bei den Eltern in Heiligenhafen.


    Nach Schule und Abitur im Jahre 1951 studierte Martini Geschichte, Musikwissenschaft, Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Göttingen und Frankfurt am Main. Es folgten Stationen als Studienreferendar, Studienassessor, Studienrat und Oberstudienrat, die einen Lehrberuf vorzuzeichnen schienen. Doch die Liebe zur Musik ließ den jungen Mann auch weiter an musikalische Ausbildung denken; dazu gehörten das an der Frankfurter Kirchenmusikschule abgelegte Kantorenexamen, Dirigierkurse am Salzburger Mozarteum bei Dean Dixon und Hermann Scherchen.


    Seit 1958 hatte Martini den Studentenchor der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität geleitet, der sich einen guten Ruf durch die Aufführung sakraler Werke, hauptsächlich der Romantik, erwarb. Dieser Chor ging 1968, wie die 1961 mit dem Landesjugendpfarrer der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, Fritz Eitel, aufgebaute „Hessische Schülerkantorei“, in der „Jungen Kantorei“ auf. Dieser Chor ist der Hauptträger der bei Naxos publizierten Händel-Oratorien unter Martini. Den Schuldienst beendete er übrigens 1976 und widmete sich nunmehr voll und ganz der Arbeit mit dieser Chorgemeinschaft.


    Für die auf Konzerte gerichtete Chorarbeit hielt Martini die Gründung eines Orchesters, das die Arbeit mit der „Jungen Kantorei“ adäquat begleiten sollte, für unerlässlich; so entstand 1968 aus einer Gruppe von befreundeten Musikern das „Barockorchester Frankfurt“. Und mit diesem Klangkörper sind bei Naxos etliche Oratorien Händels, dessen Werke ein Schwerpunkt der musikalischen Arbeit Martinis bilden, erschienen. Darunter sogar die Pasticcios „Nabal“ und „Gideon“ sowie „Tobit“ des Händel-Schülers und -Assistenten John Christopher Smith jr. 2002 kam unter Martinis Leitung Händels Oper „Amadigi di Gaula“ in Frankfurt am Main zur konzertanten Aufführung.


    Martini hat sich aber auch der Musik der Klassik, der Frühromantik und zeitgenössischer Komponisten mit seinem Chor und Orchester angenommen. Vor allen Dingen ist es ihm ein Anliegen, Werke jüdischer Komponistinnen und Komponisten aufzuführen, die lange als verschollen galten. Nicht vergessen werden soll die Frankfurter Reihe „Auf der Suche nach dem verlorenen Klang“, die jedes Jahr im Januar weitgehend unbekannte Werke von Meistern der Spätrenaissance und des Frühbarock, bisher aus Italien, Frankreich, England, Spanien und Portugal, zu Gehör bringen.


    Es gibt aber auch noch den Musikwissenschaftler Joachim Carlos Martini, der gemeinsam mit der Konzertmeisterin seines Orchesters, Judith Freise, das dortige Archiv „Verfolgtes Musikleben in der NS-Zeit“ einrichtete. Hier wird in Biographien Leben und Arbeit der jüdischen Musikerinnen und Musiker während der Zeit des nationalsozialistischen Terrors
    vorgestellt. Drei Ausstellungen dieses Archivs sollen hervorgehoben werden: „Musik in Auschwitz“, „Musik als Form geistigen Widerstands - jüdische Musikerinnen und Musiker in Frankfurt 1933 bis 1945“ und „Der Südwestdeutsche Rundfunk und seine jüdischen Mitarbeiter“. Die Ausstellungen wurden in der Frankfurter Paulskirche, im Wiesbadener Landtag, in den Universitäten von Frankfurt, Leipzig und Erfurt, in Straßburg, Chicago und an anderen Orten gezeigt.


    Für seine Verdienste um das Musikleben wurde Joachim Carlos Martini im Dezember 2002 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.


    Hier die Vorstellung der bei den Tamino-Werbepartnern erhältlichen Audio-CDs:



    Als Quellen dienten Publikationen der Goethe Universität Frankfurt, Booklets der Naxos-CDs, Zeitungsartikel der FAZ und Frankfurter Rundschau.

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    MUSIKWANDERER