Jean-Étienne Liotard

  • [timg]http://www.malerei-meisterwerk…traet-05465.jpg;l;310;400[/timg]


    Jean-Étienne Liotard (* 22. Dezember 1702 in Genf; † 12. Juni 1789 ebenda) war ein Genfer Pastell- und Emailmaler.


    Unter der Vielzahl seiner Gemälde dürfte unter Liebhabern und Kunstkennern sein "Schokoladenmädchen" wohl am bekanntesten sein.
    Ein Gemälde, was ich auch ganz sehr mag und schätze.
    Seit vielen Jahren hängt dieses Bild in unserem Wohnzimmer über dem Eßtisch. Natürlich nur eine Kopie. Das Original kann man in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister bewundern.



    Faszinierend die detailgetreue Darstellung der Kleidung mit den Falten und Schattierungen, die Maserung des Holzfußbodens. Ebenfalls das farbliche Muster auf Tasse und Teller. Aber besonders beeindruckend finde ich die Malkunst des Wassers im Glas. Das wirkt so frappierend echt, da kann man nur staunen. Alles in allem, ein wunderschönes Bild.


    CHRISSY


    (Besonderen Gruß an unseren "Kurzstueckmeister", der jetzt mal äußerte, daß ihm dieses Bild ebenfalls richtig gut gefällt und er beeindruckt ist).

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Aber besonders beeindruckend finde ich die Malkunst des Wassers im Glas. Das wirkt so frappierend echt, da kann man nur staunen. Alles in allem, ein wunderschönes Bild.


    Finde ich auch! Und beeindruckend ist auch die Natürlichkeit - die szenische Bewegung wirkt wie zufällig eingefangen (wie bei einem Schnappschuß, einem Foto) ohne irgendwie akademisch gestellt und inszeniert zu erscheinen. Zugleich zeigt sie aber auch so etwas wie Würde und Stolz einer selbstbewußten jungen Frau, was über das Photographisch-Realistische hinausgeht.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Und beeindruckend ist auch die Natürlichkeit - die szenische Bewegung wirkt wie zufällig eingefangen (wie bei einem Schnappschuß, einem Foto) ohne irgendwie akademisch gestellt und inszeniert zu erscheinen.
    Zugleich zeigt sie aber auch so etwas wie Würde und Stolz einer selbstbewußten jungen Frau,

    So ist es. Schön hier eine Meinungsübereinstimmung in der Betrachtung dieses Bildes zu lesen.
    Ergänzend möchte ich noch auf eine vermeintliche Kleinigkeit hinweisen, man beachte den echt wirkenden Schatten, den der Teller auf das Tablett wirft. Auch die Körperproportionen der Dame stimmen. Solche Detailtreue und Genauigkeit, einfach genial.
    Ich fände es auch generell gut und interessant, wenn sich an diesem Thread mehr Mitglieder beteiligen würden. Ich bin überzeugt, daß unter uns auch hier richtige "Kenner und Liebhaber" sind.


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Gerne, nur wird dann die idyllische Meinungsgleichheit gestört werden.
    "Würde und Stolz einer selbstbewußten jungen Frau" ist ein völlig an den Haaren herbeigezogener Versuch, ein heute in Politik und Medien propagiertes Idealbild auf ein historisches Kunstwerk zu projizieren. Ausgerechnet dadurch Liotards Leistung nobilitieren zu wollen, tut weh.

  • Gerne, nur wird dann die idyllische Meinungsgleichheit gestört werden.


    Aber nein, keine Sorge. Warum sollte die gestört werden? Jeder hat doch, egal zu was, seinen berechtigten eigenen Geschmack, seine Meinung und Betrachtung. Und ich finde, es ist schon interessant, auch mal andere Sichtweisen zu ein- und derselben Sache zu hören, bzw. zu lesen. Uns alle eint doch auch die Liebe und Leidenschaft für Musik. Und auch da gibt es unterschiedliche Vorlieben. Selbst bei einem gemeinsamen Favoriten und der Übereinstimmung, kann der Grund für die Empfindung unterschiedlich sein.


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ich finde, man kann aus Gesichtsausdruck und Körperhaltung nichts über die Psychologie der Dargestellten ablesen.


    Wenn ich mir vorstelle, es handelt sich um eine durch die strenge Herrschaft gedemütigte und gebrochene Person, deren aufrechte Haltung aus der Aufforderung, sich ordentlich zu halten, damit's hübsch ausschaut, resultiert, so ist für mich die Darstellung genauso passend, wie bei einer selbstbewussten, glücklichen Frau, die sich in ihrer untergeordneten Stellung wohl fühlt und der Herrschaft ihre Position ebenso selbstverständlich zubilligt wie dem König und dem Papst, womöglich stolz ist, bei ihrer Herrschaft dienen zu dürfen. Ich kann mir hinter den Lidern sowohl eine Strohdumme wie eine Hochintelligente imaginieren.
    :hello:

  • Ergänzend möchte ich noch auf eine vermeintliche Kleinigkeit hinweisen, man beachte den echt wirkenden Schatten, den der Teller auf das Tablett wirft.


    Ich finde diesen "Schatten" gar nicht echt wirkend. Man betrachte den Schatten, den die Figur auf Boden und Wand wirft. Es ist ein weicher Schatten, was auf eine große Lichtquelle schließen lässt (Fenster?) und dass Licht kommt von links vorne. Dazu passt der "Schatten" des Tellers von der Position schon nicht und er ist viel zu hart und zu dunkel. Mein Fazit: es ist kein Schatten sondern eine kleine Schokolade-Pfütze!


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Nein, es ist eine Spiegelung. So wie sich die Finger auf der Tablettoberseite spiegeln so auch der Teller.


    Ich habe im Netz ein Bild mit höherer Auflösung gefunden. Der Eindruck beim obigen Bild täuscht, der Fleck ist im Vergleich zur Wirklichkeit viel zu dunkel und ohne Durchzeichnung. Schatten kann es ob des Lichteinfalls eigentlich nicht sein, eine Spiegelung wäre im Bereich des Möglichen, wenn man ein auf Hochglanz poliertes Tablett voraussetzt. Allerdings ist die Untertasse auf der Unterseite sicherlich weiß, so dass eine Spiegelung eigentlich nicht so dunkel sein sollte. Aber solche Details sind ohne wirklich hochwertige Reproduktion kaum zu klären.


    :hello:

    Ciao


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  • Mein Fazit: es ist kein Schatten sondern eine kleine Schokolade-Pfütze!

    Ein interessanter Gedanke, den ich allerdings nicht teile.
    Ich habe mir gerade mein häusliches Bild in zeitlichem Abstand 2 x intensiv betrachtet und bin überzeugt und meine, so wie auch KSM, es ist doch eine Spiegelung, bzw. ein Schatten.



    Nein, es ist eine Spiegelung. So wie sich die Finger auf der Tablettoberseite spiegeln so auch der Teller.

    Aus zeitlichen Gründen werde ich später noch mal darauf eingehen.


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

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  • Man muss nur die Technik ausreizen! Jetzt ist die Spiegelung schön erkennbar. Und sogar sehr gut gemacht - was heißt sehr gut, das ganze Tablett ist hinreißend gelungen! Man sieht jetzt, dass es vermutlich eine metallene Unterschale mit Halterung für das Keramikhäferl ist, auch das Wasserglas ist phantastisch gearbeitet.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Würde und Stolz einer selbstbewußten jungen Frau" ist ein völlig an den Haaren herbeigezogener Versuch, ein heute in Politik und Medien propagiertes Idealbild auf ein historisches Kunstwerk zu projizieren. Ausgerechnet dadurch Liotards Leistung nobilitieren zu wollen, tut weh.


    Weh tut die Ignoranz und fehlendes historisches Bewußtsein, die aus diesen Sätzen sprechen. Lyotard ist Zeitgenosse von Jean-Jacques Rousseau - der übrigens genau wie Lyotard in Genf geboren wurde. Die Tätigkeit, die diese junge Frau ausübt, ist die einer Dienstmagd - in dieser Zeit eine sozial untergeordnete Position. Rousseau hat das Bewußtsein dafür geschaffen, daß alle Menschen von Geburt an frei und gleich sind. Wenn ein Maler dieser Epoche einer solchen im sozialen Rang niedrig stehende Person, einer Dienstbotin, eine solche Würde gibt, dann ist das bemerkenswert, zeigt, daß da ein Wandel des Bewußtseins im Gange ist. Der Mensch wird nicht mehr nach seiner sozialen Position beurteilt, sondern nach dem, was er ist. Man muß sich nur mal in einen Zeitgenossen hineinversetzen, der dieses Bild sieht. Der wird von dieser Haltung aus eben diesen Gründen verblüfft gewesen sein.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Du schriebst zuerst etwas von "selbstbewußter junger Frau". Das ist etwas anderes als Deine jetzige Deutung, dass der Maler der Dienstmagd die Ehre zuteil werden lässt, bildfüllend dargestellt zu werden.

  • Du schriebst zuerst etwas von "selbstbewußter junger Frau". Das ist etwas anderes als Deine jetzige Deutung, dass der Maler der Dienstmagd die Ehre zuteil werden lässt, bildfüllend dargestellt zu werden.

    Nein. Die Haltung, die sie einnimmt, paßt nicht zu der Unterwürfigkeit einer Dienstmagd. Das ist eine kleine Revolution, die sich in diesem Bild vollzieht - es zeigt eine emanzipatorische Tendenz in der Art des Auftretens, die für genau den Zeitenwandel steht, der sich in dieser Epoche ereignet.

  • Nein. Die Haltung, die sie einnimmt, paßt nicht zu der Unterwürfigkeit einer Dienstmagd. Das ist eine kleine Revolution, die sich in diesem Bild vollzieht - es zeigt eine emanzipatorische Tendenz in der Art des Auftretens, die für genau den Zeitenwandel steht, der sich in dieser Epoche ereignet.


    Ich freue mich ja für Dich, dass Du so genau weißt, welche Haltung 1745 die Dienstmagd beim Servieren der Schokolade einnehmen musste.
    Ich weiß das nicht so genau. Eventuell genau die auf diesem Bild dargestellte.

  • Ich freue mich ja für Dich, dass Du so genau weißt, welche Haltung 1745 die Dienstmagd beim Servieren der Schokalade einnehmen musste.
    Ich weiß das nicht so genau. Eventuell genau die auf diesem Bild dargestellte.

    Entscheidend ist, daß der Maler von dieser Haltung fasziniert war und sie so dargestellt hat. Ohne Einfühlung und das Risiko der Deutung bleibt Kunst nichtssagend. In meinem Kopf ist z.B. ein Bild von Brueghel, da stehen die Mägde, welche die Gesellschaft am Tisch bedienen, in einer gebückten Haltung, ganz in ihrer Tätigkeit aufgehend. Hier präsentiert sich eine Figur selbst!



    Schöne Grüße
    Holger

  • Ohne Einfühlung und das Risiko der Deutung bleibt Kunst nichtssagend.


    Da ticken wir zwei wohl sehr unterschiedlich. Mir geht jede Deutung, die mir spekulativ erscheint, gegen den Strich. Sofern dann nicht ein vorsichtiges "eventuell könnte" dabei steht, rebelliere ich sofort.
    ;)
    Kunst sagt mir auch ohne Deutung viel. Einfühlung ist wieder was anderes. Die will ich nicht missen. Aber es kommt eben bei jedem etwas anderes dabei heraus.

  • In meinem Kopf ist z.B. ein Bild von Brueghel, da stehen die Mägde, welche die Gesellschaft am Tisch bedienen, in einer gebückten Haltung, ganz in ihrer Tätigkeit aufgehend. Hier präsentiert sich eine Figur selbst!


    Auf dem ersten Bild des 17. Jahrhunderts, das ich auf der Suche nach Personen mit Dienstmagd gefunden habe, steht die Dienstmagd ganz aufrecht. Ich vermutete, dass bei de Hooch Dienstmägde schnell aufzutreiben seien, und wurde auch sofort fündig:
    http://www.wga.hu/art/h/hooch/3/50hoocb.jpg
    Das Bild wird um 1670 datiert.

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  • Man muss nur die Technik ausreizen! Jetzt ist die Spiegelung schön erkennbar.

    Schön, daß Du das jetzt bildlich so deutlich darstellst. Ich kann mir da weitere Hinweise, die ich aus dem genauen Betrachten meines privaten Bildes gewonnen habe, ersparen. Eins aber doch noch. Beim genauen Betrachten erkennt man, daß es sich nicht um einen Teller, sondern um eine Art silberne Schale, in der Form fast wie ein Tiegel handelt. Rechtsseitig ist da ein Griff oder Henkel. Auch dieser spiegelt sich, bzw. wirft Schatten auf das Tablett.
    Es gibt noch weitere Gründe, aber die erübrigen sich jetzt, es ist ja alles diesbezüglich geklärt.



    Und sogar sehr gut gemacht - was heißt sehr gut, das ganze Tablett ist hinreißend gelungen!

    Sage ich doch. Das ganze Bild ist sehr gut gemacht. Nicht umsonst habe ich es zu Hause.



    das Wasserglas ist phantastisch gearbeitet...

    ... einschließlich des wie echt wirkenden Wassers und auch hier die Spiegelung darin. Phantastisch und genial.


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • ... einschließlich des wie echt wirkenden Wassers und auch hier die Spiegelung darin. Phantastisch und genial.


    Das Wasserglas beweist auch die Richtigkeit einer meiner Vermutungen. Man sieht nämlich in der Vergrößerung deutlich die Spiegelung eines Fensters. Damit wäre die Lichtquelle identifiziert. Wirklich eine erstaunliche Leistung.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Weh tut die Ignoranz und fehlendes historisches Bewußtsein, die aus diesen Sätzen sprechen


    Wenn ich solche Sätze lese, dann fühle ich mich unweigerlich an diese köstliche Szene erinnert:



    Man verzeihe mir den offtopic-Ausflug, aber die Ausführungen des Dottore schreien danach...

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Ich mische mich nicht gerne in Euer Geplänkel ein, halte mich aber für einigermaßen intellektuell bemittelt und auch sehfähig. KSM traue ich das übrigens auch zu ( ... :stumm: ).


    Es wäre mir nicht klar, inwiefern die Person der Dienstmagd in dem einen Bild in ihrer Tätigkeit aufgeht und sich im anderen als Person präsentiert.


    Ich würde noch nicht einmal einen Standesunterschied zwischen der sitzenden Person, die bedient wird, und der Bedienenden ausmachen wollen. Ich könnte mir in der präsentierten Situation bestens ein vertrauliches Gespräch zwischen beiden vorstellen.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Auch wenn die Last des Gedecks eine leichte sein mag, so läßt sich vermuten, daß sie eher in der linken, verdeckten Hand ruht, während die rechte mehr balancierend am Rand des Tabletts anliegt. Auffällig ist auch der Kontrast zwischen der Detailliertheit der fast craquelierten Leinenschürze zur beinah nichtssagend porzellanenen Glätte des Teints. Hierzu gehört auch, daß die randvoll eingeschenkte Tasse eine delikate Servierangelegenheit darstellt, was sich ebenso in der Miene der jungen Frau ausdrückt wie eine rätselhafte Trauer der geistesabwesenden Augen, die mit keiner Regung die Achtsamkeit der Tätigkeit erkennen lassen. Die ganze Haltung erhält dadurch etwas Angespanntes, Widersprüchliches und Verschlossenes.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Hierzu gehört auch, daß die randvoll eingeschenkte Tasse eine delikate Servierangelegenheit darstellt, was sich ebenso in der Miene der jungen Frau ausdrückt wie eine rätselhafte Trauer der geistesabwesenden Augen, die mit keiner Regung die Achtsamkeit der Tätigkeit erkennen lassen. Die ganze Haltung erhält dadurch etwas Angespanntes, Widersprüchliches und Verschlossenes.

    Das finde ich sehr gut beobachtet, lieber Farinelli. Auch das beeindruckende Selbstportrait von Lyotard zeigt dieses Ausdruck eines verschlossenen Inneren - ein Einblick in die intime Seele. (Ich möchte dieses wirklich tief bewegende Bild wirklich gerne im Original sehen!) Das ist im 18. Jhd. neu und zunächst verstörend. Als Rousseau seine Bekenntnisse vorlas mit seiner schonungslosen Offenbarung seiner inneren Seelenkonflikte, waren die Zuhörer schockiert und einige verließen den Saal - Rousseau war zu dieser Zeit wohlgemerkt einer der populärsten Autoren seiner Zeit. Später ist diese Offenheit dann selbstverständlich geworden. Die älteren Abbildungen zeigen die Dienstmagd in ihrer Tätigkeit, zusammen mit den eigentlich "wichtigen" Personen. Hier wird die Magd erst einmal alleine gezeigt, sie ist die Hautperson, und in sich versunken, wie abwesend - anders als im Bild von de Hooch, wo die Magd als Nebenfigur wissend auf das blickt, was sie tut und was ihre Aufgabe ist: einen Krug ausschütten. Dann ist auch die Körperhaltung eine ganz andere: Die Person bei Lyotard schreitet wie eine antike Göttin ungebeugt mit hohen, geraden Schultern - das ist die Würde, von der ich gesprochen habe, die Schiller als eine "erhabene Gesinnung" definierte. Sie ist in dem, was sie fühlt, über das, was sie in ihrer Rolle tut, erhaben, gerade indem sie darunter leidet.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Auffällig ist auch der Kontrast zwischen der Detailliertheit der fast craquelierten Leinenschürze zur beinah nichtssagend porzellanenen Glätte des Teints.


    Gerade das ist gar nicht "nichtssagend", wie ich finde. Der Teint und das Gesicht wirken sehr edel und könnten im Verbund mit entsprechender Kleidung auch einer adeligen Dame gehören. Ob Liotards Modell nun wirklich so eine erhabene Ausstrahlung hatte, sei dahingestellt. Wenn er aber ein Dienstmädchen wie eine Prinzessin malt, dann ist das schon bedeutsam. Es ist nicht geklärt, um wen es sich bei der dargestellten Dame handelt. Adelig könnte sie aber schon gewesen sein, denn es war jedenfalls nicht unüblich, dass gerade am Wiener Hof Mädchen aus verarmten/niederen Adel rekrutiert und als Zofen ausgebildet wurden, um ein Auskommen zu haben.
    Die Qualität des Bildes besteht auch darin, dass man es wohl kaum "überhaben" kann - jedenfalls geht es mir so. Egal, wie oft es zu Werbezwecken eingesetzt oder in Cafès als Standard-Einrichtungsgegenstand benutzt worden ist.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Ich werde jetzt ein wenig den Kunsthistoriker spielen, da mir die im Raum stehende Aussage, in diesem Bild würde eine Dienstmagd sich selbstbewusst präsentieren, was um 1745 eine Revolution in der Kunst sei, nach wie vor Zahnschmerzen bereitet.


    In dem Bild sieht man nicht eine Frau, die sich präsentiert, sondern eine, die ihrer Tätigkeit nachgeht: Die Dienstmagd posiert nicht oder nimmt Kontakt mit dem Betrachter auf, sondern blickt vor sich hin.


    Da wir aus der Darstellung der Dienstmagd zuerst einmal nur das Alltägliche herauslesen können, müsste die Revolution, wenn sie denn stattfinden sollte, durch den Vergleich mit dem malerischen Vorfeld ersichtlich werden. Revolutionär könnte etwa sein, dass eine Dienstmagd als Bildthema in repräsentativem Vormat und detailverliebter Darstellung dienen darf. Wer jedoch ein wenig sich in Museen herumgetrieben hat, wird da angesichts des Entstehungsdatums 1745 seine Zweifel haben müssen. Betrachten wir daher die Produktion der vergangenen Jahrhunderte in Hinblick auf das Schokoladenmädchen, sein Thema und die Art seiner Ausführung.


    Als im 16. Jahrhundert sich die Gattungen Genre und Stillleben etablierten, dominierte eine Mischform, in der Gemüse und Fleisch mit den Personen dargestellt wurden, die durch ihre Arbeit damit verbunden waren. Die bekanntesten Vertreter sind die Flamen Pieter Aertsen und Joachim Beuckelaer und der Italiener Passarotti (Fleischerei, 1580er, Galleria Nazionale d'Arte Antica, Rom). Für unsere Betrachtung am interessantesten ist hierbei eine Köchin von Beuckelaer im Kunsthistorischen Museum in Wien aus 1574, die bildfüllend sich und ein paar gerupfte Hühner präsentiert - in diesem Falle ist die Formulierung tatsächlich angebracht, da sie nicht einer bestimmten Tätigkeit nachgeht, sondern dem Betrachter durchaus selbstbewusst ins Auge blickt.


    Das 17. Jahrhundert sah eine Vielzahl von Genrespezialisten und eine Ausdifferzierung der Gattung. In Hinblick auf unser Bild wird wohl zuerst die berühmte Milchausgießerin Vermeers aus dem Rijksmuseum (1658) im kollektiven Gedächtnis auftauchen. Gemeinsam ist die Beschränkung auf eine Dienstmagd, die ihrer Tätigkeit nachgeht, gemeinsam ist der möglichst realistische Zugriff, wobei sich Vermeer mehr auf Raum- und Lichtwirkungen und Liotard mehr auf Details konzentriert. Es ist ja bekannt, dass Vermeer mit der Camera Obscura so eine Art Vorläufer des Photoapparates benutzte, um die Wirklichkeit möglichst korrekt abzubilden. Aufschlussreich ist nun der Vergleich mit dem im Rijksmuseum danebenhängenden Vermeer, der eine höhergestellte Dame in ähnlichem Verhältnis zum Raum darstellt wie die Milchausgießerin: Vermeer berücksichtigt die unterschiedliche soziale Stellung durch einen feinen glatten Farbauftrag bei der Dame versus pastoser Körperlichkeit der Ölfarbe bei der Milchmagd. Wenn wir an Beuckelaer zurückdenken, finden wir auch dort eine vergleichsweise grobe Pinselführung vor, die wir als dem Milieu der Dargestellten angepasst deuten könnten.


    Ein anderer Aspekt, der bislang nicht zur Sprache kam, ist die Haltung, die der Maler dem Modell gegenüber einnimmt. Die niedere Schicht wurde häufig benutzt um niedere Triebe und mangelnde Bildung, schlechte Verhaltensformen anzuprangern, besonders deutlich bei Adriaen van Ostade zu beobachten, der seine groben Bauerntölpel auch mit einem gröberen Pinselstrich bedenkt. Als im fortschreitenden 17. Jahrhundert die hypergenaue Leidener Feinmalerei berühmt wurde, breitete sich der delikate Farbauftrag auch über die Subgattungen aus, und der Ostade-Nachfolger Cornelis Bega behandelt in einem Bild der Galerie der Akademie Wien aus ca. 1660 den Tavernenlüstling mit seinem besoffenen Objekt der Begierde mit derselben Feinheit als Kabinettstück, die sonst eher der gehobenen Gesellschaftsschicht anstund. Andererseits war es auch möglich, selbst die unterste Schicht mit anteilnehmendem Blick in bildfüllender Portraithaftigkeit zu zeigen, wie ein Bettler von Michiel Sweerts aus der Sammlung Hohenbuchau zeigt.


    Vor diesem Hintergrund ist das Revolutionspotenzial unseres Schokoladenmädchens als schon sehr eingeschränkt anzusehen. Was mir im Vergleich besonders auffällt ist das, was auch ohne kunstgeschichtlichen Hintergrund ins Auge fällt: die delikate Detailtreue, die sich über das ganze Bild erstreckt und die geschickte und logische Wahl eines weitgehend "nackten" Hintergrundes, von dem sich die Dienstmagd abheben kann: Weder erhält sie durch architektonische noch stilllebenhafte Elemente, die nicht auf dem Tablett stattfänden, Konkurrenz, dennoch versinkt der Hintergrund nicht in ein undurchdringliches Dunkel, wie es im 17. Jahrhundert gerne vorkommt, was jedoch der "photografischen" Auffassung zuwiderliefe, die Wand ist hell und der Holzfußboden nicht abstrahiert. Gemeinsam mit dem Detailrealismus spielt also die sorgfältige Abwägung, was in dem Bild ist und was nicht, eine entscheidende Rolle, die das Bild etwa im 17. Jahrhundert von überfüllten flämischen Stillleben abhebt und an die spartanischen französischen von Lubin Baugin denken lässt (Le Dessert de Gaufrettes, 1630er, Louvre).

  • Vielleicht ist Holger auch ein wenig von seiner Frau aus Bulgarien geprägt, denn den Gesichtsausdruck der Dienstmagd habe ich oft bei Frauen aus Südosteuropa gesehen (indifferent und reserviert). Und meiner Einschätzung nach soll er schon Würde ausstrahlen. Allerdings ist das eben ein anderer Kulturraum.

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