Vor "Neuer Musik" braucht man weder Angst noch scheu zu haben - deshalb ist dieser Thread als Anreiz und "Werbung" gemeint, daß man sich mit ihr auseinandersetzt und sich Zeit für sie nimmt, auch wenn sie manchen etwas "sperrig" erscheinen mag, was das Verständnis angeht.
Die Frage ist grundsätzlich: Was ist das "Neue" an der Neuem Musik? Eine natürlich richtige Antwort ist die "Komposition mit zwölf Tönen" - die Auflösung der Dur-Moll-Tonalität und ihre Ersetzung durch die Reihentechnik. Aber zur Neuen Musik gehört nicht nur serielle Musik im engeren Sinne. Deshalb finde ich einen anderen Definitionsversuch sehr hilfreich, daß die lange und im Grunde bis dahin ungebrochene Tradition, Musik als "Klangrede und Tonsprache" (Johann Mattheson) zu verstehen, hier gebrochen wird. Die musikalische Struktur orientiert sich zunehmend nicht mehr an der Sprache, dem Modell einer Phrase und der Imitation des Sprechtonfalls. Das führt zu "abstrakter Musik" - Musik als Wahrnehmung nicht von Melodien, sondern von elementaren Klängen, isolierten Tonereignissen und ihren Beziehungen zueinander. Das ruft natürlich immer wieder Irritationen hervor, aber wenn man sich einmal darauf einläßt, in diesem Sinne "anders" zu hören, dann ist das ein Gewinn, auf den man nie mehr verzichten möchte. Und all das ist nicht vom Himmel gefallen - es ist eine Entwicklung, die sich lange vorbereitet hat. Schon beim späten Liszt, bei Wagner, bei Debussy oder Scriabin deuten sich diese Tendenzen an - wer sich in solche Musik eingehört hat, der wird auch einen Weg zur "Neuen Musik" finden.
Mich haben immer die Aphorismen von Anton Webern ungemein beeindruckt - die äußerste Verdichtung von Musik. Wofür andere Musik eine halbe Stunde braucht, das sagt Webern in einer halben und einer Minute. Diese Dichte zieht einen wahrlich in ihren Bann - wie bei einer Hypnose. Die folgende Aufnahme kann ich nur wärmstens empfehlen:
Abbado ist fabelhaft und ebenso die Wiener Philharmoniker - sie haben eine Sternstunde. Das ist "Neue Musik" betörend sinnlich, sehr fein, genau und zugleich expressiv. Schönbergs "Ein Überlebender aus Warschau" geht wahrlich unter die Haut! Die Webern-Aphorismen dirigierte Abbado mal im Fernsehen mit dem Jugenorchester der EU - diese nachhaltig beeindruckende Vorstellung gibt es wohl leider nicht mehr zu sehen.
Schöne Grüße
Holger