WEBBER, Andrew Lloyd: EVITA

  • Andrew Lloyd Webber (*1948)


    EVITA
    Musical in zwei Akten - Orchestration von Webber und Hersh Kay
    Buch und Gesangstexte von Tim[othy Miles Bindon] Rice


    Uraufführung am 21. Juni 1978 im Prince Edward (vorher: Casino) Theatre, London


    DIE WICHTIGSTEN ROLLEN


    Eva Duarte, genannt Evita, später Frau Perón (Mezzo)
    Ché Guevara, (Tenor)
    Juan Perón (singender Schauspieler, Baritonlage)
    Mistress, Peróns Geliebte (Sängerin)
    Agustín Magaldi, Tangosänger (Tenor/Tänzer)
    Chor: Volk von Argentinien, Aristokraten, Militärs


    INHALTSANGABE


    ERSTER AKT


    Am 26. Juli 1952 in einem Kino in Buenos Aires.


    Es ist zunächst eine völlig normale Filmvorführung - die aber plötzlich unterbrochen wird: Eine Lautsprecherstimme gibt bekannt, dass die Frau des argentinischen Staatschefs Juan Perón, Eva (die allgemein nur Evita genannt wird und als „Spirituelle Führerin der Nation“ gilt), verstorben sei. Das Publikum , unter dem sich auch der Medizinstudent Ché Guevara befindet, zeigt sich bestürzt bis hysterisch (Song „Junín July 1952“). Obwohl auch er sich der emotionalen Stimmung nicht entziehen kann, versucht Ché, einen klaren Kopf zu behalten.


    Die Trauerfeier.


    Argentinien ist in tiefe Trauer versunken, das Volk nimmt tränenreich am Sarg der Toten Abschied. Ché, der die pompös zelebrierten Trauerfeierlichkeiten als Beobachter skeptisch beäugt, kommentiert das Geschehen mit zynisch-sarkastischen Worten und lässt den umstrittenen Werdegang von Evita in einer Rückblende noch einmal aufleben (Songs „Oh What A Circus“ und „Requiem For Evita“).


    1934 in einem Nachtclub in Evas Heimatstadt Junín.


    Die gerade fünfzehnjährige Eva bittet nach einer Liebesnacht mit dem aus Buenos Aires stammenden Sänger Agustín Magaldi, sie in die Hauptstadt mitzunehmen. Nicht nur der Sänger, auch Evas Familie warnen sie vor den Gefahren, denen sie in der Metropole ausgesetzt sein wird, doch alle Versuche, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, scheitern: Sie lässt sich nicht aufhalten, weiß ganz genau, was sie will (Songs „On This Night“, „Of A Thousand Stars“ und „Eva Beware Of The City“).


    Im "Big Apple" von Argentinien.


    In Argentiniens Hauptstadt blüht Eva richtig auf: Ihr Tatendrang und das notwendige Quäntchen Glück lässt sie schnell ihre eigenen Wege gehen; Magaldi steht ihr dafür im Wege. Sie wird zunächst ein gefragtes Model, hat viele Liebhaber und steigt mit jeder Affäre auf der Erfolgsleiter eine Sprosse nach oben. Eine Hilfe ist ihr ohne Zweifel auch ein gewisses schauspielerisches Talent, das sie erst zu einem beliebten Radiostar macht, und sich dann sogar der Film interessiert zeigt (Songs „Buenos Aires“ und „Goodnight And Thank You“).


    1943: Oberst Juan Perón mit Mitgliedern seiner Partei.


    Juan Domingo Perón, zunächst General und später Titularprofessor für Militärgeschichte an der „Escuela Superior de Guerra“, ist ein Bewunderer des Hitler-Faschismus, den er als Militärattaché Berlin kennen gelernt hatte; später strebte er als mächtiger Minister seine Kandidatur für das höchste Staatsamt an. Für seine Ziele kämpft er während einer hitzigen Debatte mit den anderen Führungskräften seiner Partei (Song „The Art Of The Possible“).


    Auf dem Wohltätigkeitskonzert.


    Ein Erdbeben in Argentinien lässt Perón ein großes Wohltätigkeitskonzert veranstalten, das Spenden für die vielen Opfer des Unglücks einbringen soll. Unter den Stargästen sind auch Magaldi und Eva. Hier treffen Eva und Perón zum ersten Mal aufeinander und die junge Berühmtheit strebt ebenso zielstrebig wie hemmungslos nach politischem Einfluss (Songs „Charity Concert“ und „I'd Be Surprisingly Good For You“).


    Evas neues Leben mit Juan Perón.


    Von nun an verlegt Eva ihre Aktivitäten von der Bühne auf die Politik. Sie geht ebenso zielstrebig wie hemmungslos vor: Als erste bekommt Peróns bisherige Geliebte Evas Durchsetzungsvermögen zu spüren und fliegt aus dessen Wohnung, und zieht statt derer sofort dort ein. Aber sie spürt auch von ganz bestimmten Seiten Gegenwind, denn die Aristokratie und das Militär wollen sie auf keinen Fall akzeptieren. Bis zu ihrem Tode wird sie von diesen gesellschaftliche relevanten Gruppen auch keine Unterstützung bekommen. Völlig anders verhält es sich mit den Arbeitern und Bauern, denn zu den Gewerkschaften und den Vertretern der Landbevölkerung hält Eva gute Kontakte. Als man Perón im Zuge seiner Wahlkampagne kurz verhaftet, bestärkt ihn Eva, unbeirrt an seinem Wahlkampf festzuhalten. Tatsächlich wird der Druck von der Straße, in dem sich die Wut der einfachen Leute gegen die Herrschenden ausdrückt, so stark, dass Peróns Freilassung nicht zu umgehen ist. Die Arbeiter und Bauern versprechen sich von einem Staatschef Perón eine Besserung ihrer Lebenssituation (Songs „Another Suitcase In Another Hall Perón's Latest Flame“ und „A New Argentina“).


    ZWEITER AKT

    Der 4. Juni 1946 auf dem Balkon der Casa Rosada.


    Die Wahlen für das Amt des Staatspräsidenten hat Juan Perón mit großer Mehrheit für sich entschieden; am Tag seiner Vereidigung tritt er vor das argentinische Volk, um sich bei seinen Anhängern zu bedanken. Auch Eva erscheint auf dem Balkon und hebt zu einer eigenen Rede an. Ihre strahlende Erscheinung und ihre bewegenden Worte, die ein Rückblick auf ihren eigenen Lebensweg sind, sollen dem Volk ihre Liebe und Solidarität beweisen. Der riesige Beifall, der weit größer ausfällt als die Huldigung für den Staatschef, macht klar, dass sie „angekommen“ ist (Songs „On The Balcony Of The Casa Rosada“ und „Don't Cry For Me, Argentina“).


    An der Spitze der Macht.


    Ché trifft auf Eva und fragt kritisch nach dem Preis, der gezahlt werden musste, um ihr diesen Ruhm und die Macht zu verschaffen. Doch Eva hat an einer Diskussion über diese Themen kein Interesse; als argentinische First Lady trifft sie stattdessen aufwändige Vorbereitungen für eine Europareise, auf der sie das Licht ihrer Heimat in neuem Glanz erstrahlen lassen will. Und so startet sie 1947 ihre „Regenbogen-Tour“, die ihr völlig neue Einsichten beschert, denn einen herzlichen Empfang bereiten ihr nur das befreundete Spanien, während man ihr in Italien, Frankreich und England kühl bis ablehnend begegnet (Songs „High Flying Adored“, „Rainbow High“ und „Rainbow Tour“).


    Die Fundación Eva Perón.


    Als Eva wieder in Argentinien ist, beschließt sie, von nun an nur noch den innenpolitischen Themen Raum zu geben. Da ihr die aristokratischen Gegner den Vorsitz der nationalen Wohltätigkeitsorganisation verweigern, bekundet sie öffentlich ihr Desinteresse an diesem Amt, und sucht nach einem anderen sozialen Engagement. Da das von Krisen geschüttelte Volk, daran wird sie auch von Ché Guevara erinnert, vergeblich auf die Einlösung der vom Präsidenten gemachten Wahlversprechen wartet, trifft sie die Entscheidung zur Gründung einer „Eva-Perón-Stiftung“. Und die Gerüchteküche brodelt sofort: Woher kommen die enormen Gelder für die „Fundaciòn Eva Perón“? Wie soll die der Wirtschaft auf die Beine helfen? Argentinien taumelt weiter dem Abgrund entgegen. Aber wo immer Eva auftaucht, und Mittel an die Armen verteilt oder verteilen lässt, weiß sie sich in Szene zu setzen. Bei den Bedürftigen, allen voran den Kindern, wird aus der üblichen Dankbarkeitsadresse eine Art Heiligenverehrung (Songs „The Actress Hasn't Learned the Lines“ [You'd Like To Hear], „And The Money Kept Rolling In“ [And Out]" und "Santa Evita").


    Die letzten Würfel fallen.


    Einer ist inzwischen völlig desillusioniert: Ché Guevara. Er trifft auf Eva und will noch einmal ihr Handeln erklärt haben, doch sie lässt sich nicht in die Karten schauen, erklärt, dass sie niemals die Absicht hatte, die Welt zu retten. Pragmatisch bezeichnet sie jedes Regierungssystem dieser Erde als schwächlich, das den Teufel im Detail versteckt hat und Sisyphusarbeit erfordert, ihn zu finden. Wenngleich ihr die großen wirtschaftlichen Probleme Argentiniens mit einer deutlichen Anti-Stimmung gegen die Regierung ihres Mannes durchaus bewusst sind, trägt sie mit sich selber einen ebenso deprimierenden wie aussichtslosen Kampf aus: Sie kennt inzwischen ihre unheilbare Krankheit, die sie nicht nach außen transportiert und die ihre Haltung als teilnahmslos erscheinen lässt. Als nun auch in Militärkreisen die Angriffe auf sie bedrohliche Züge annehmen, sieht sich ihr Gatte gezwungen, eine Verteidigungsstrategie gegen Eva zu entwickeln. In einer Rundfunkrede von ihrem Krankenbett aus verkündet sie der Nation den Verzicht auf die Kandidatur zur Vizepräsidentschaft, beschwört aber gleichzeitig ihre für alle Zeiten große Liebe für das Volk. Die letzten Stunden ihres Lebens benutzt Eva für den Rückblick auf ihr Leben - und auch Ché Guevara zieht noch einmal ein Resümee (Songs „Waltz For Eva And Che“, „She Is A Diamond“, „Dice Are Rolling“, „You Must Love Me“, „Eva's Final Broadcast“ und „Montage/Lament“). Das Volk, das sie immer noch wie eine Heilige verehrt, klagt in der Stunde ihres Todes; der Leichnam wird schließlich einbalsamiert - der Mythos lebt...


    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Eines muss man von Anfang an klar stellen: Es gibt keinen Beweis auf eine jemals zustanden gekommene Begegnung zwischen Ché Guevara und Eva Perón - die im Musical vorkommende Konstellation ist rein fiktiv. Ebenso war es bestimmt nicht die Absicht der Autoren, die Politik des lateinamerikanischen Landes zu beschreiben, höchstens, und das wäre schon viel, das Augenmerk des Publikums auf das politische Geschehen zu richten. Es darf aber unterstellt werden, dass der 1928 geborene Ché Guevara als ein Zeitzeuge seine Motivation zum Widerstand gegen politische Korruption aus dem argentinischen Geschehen aufnahm.


    Webber und Rice konzipierten EVITA zunächst für ein Schallplatten-Doppelalbum, und das nicht ohne gewisse Spannungen während der Studioaufnahmen 1976. Als dann zwei Songs daraus (Don't Cry for Me, Argentina [gesungen von Julie Covington] und Another Suitcase in Another Hall [gesungen von Barbara Dickson] zu einem dauerhaften Erfolg wurden, entschlossen sie sich, ein Buch für die szenische Version zu verfassen. Webber trug Harold Prince die Regie an, der auch Interesse zeigte, aber die Figur des Ché Guevara zu einem konkreten Revolutionär aufgewertet wissen wollte. Nach gut einem Jahr waren die Arbeit sowohl am Buch als auch an der Komposition und die ergänzende Neuinstrumentierung mit Hilfe des Broadway-Spezialisten Hershy Kay vollendet. Nur vier Wochen und neun Voraufführungen (Tryouts) genügten, um am 21. Juni 1976 die szenische Uraufführung herauszubringen. Die wichtigsten Protagonisten der Premiere waren Elaine Paige als Evita, David Essex als Ché Guevara und Joss Ackland als Perón. Das Bühnenbild stammte von Timothy O'Brien, die Kostüme schuf Tazeena Firth, die beide vom Londoner National Theatre kamen.


    Webber entwickelte für das Musical ausnahmslos eine geschlossene Form, ersetzte die Dialoge durch Rezitative, Melodrame oder Underscoorings - über Musik gesprochenen, rhythmisch gegliederte Textpassagen. Entscheidend für den großen Erfolg war Webbers Talent, eindringliche Songmusik zu entwickeln, die wie eine Leitmotivtechnik die Musical-Struktur bestimmt.


    Die Begeisterung wurde nicht von allen geteilt, wie aus den Rezensionen der Wochenzeitung DIE ZEIT und des SPIEGEL hervorgeht:
    http://www.zeit.de/1981/08/keiner-entkommt-dem-wohlklang
    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40616316.html


    Zu diesem Stück gibt es bereits einen Thread von Harald Kral im Musical-Forum, in dem auch Aufnahmen vorgestellt werden:
    "Wein' nicht um mich, Argentinien" - das Musical "EVITA"
    Auch der Komponist ist durch Harald mit einem Beitrag vertreten:
    Der Titan: Andrew Lloyd-Webber


    © Manfred Rückert für den Tamino-Musicalführer 2013
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Musical-Führer von Reclam und Schott
    Programmheft der Oberhausener Aufführung (mit Olivia Molina als Eva Perón)

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    MUSIKWANDERER