Aktive Pianisten unserer Tage - Andrei Valdimirovitsch GAVRILOV – Ein Leben, drei Karrieren

  • Da ich bisher noch keinen Eintrag zu ihm gefunden habe, möchte ich mit diesem thread auf einen weiteren großen Pianisten unserer Tage hinweisen, der zudem über eine außergwöhnliche Biographie verfügt, die ebenfalls erwähnenswert ist, da Gavrilov in seinem Leben eigentlich bereits drei Karrieren als Pianist vorzuweisen hat.
    1955 in Moskau geboren, wurde er im Jahre 1961 an der Zentralen Musikschule in Moskau aufgenommen. 1974 gewann er den Tschaikowski-Wettbewerb und wurde noch im selben Jahr bekannt. Er sprang nämlich für keinen geringeren als Sviatoslav Richter bei den Salzburger Festspielen einsprang. Frenetisch gefeiert wurde dies Gavrilovs internationaler Durchbruch. In den folgenden Jahren trat er in den wichtigsten Musikzentren im ehem. Ostblock, aber auch im Westen auf. Aufgrund regimekritischer Äußerungen wurde Gravilovs Karriere 1979 jedoch jäh beendet. Die angestrebten Aufnahmen der Rachmaninoff Klavierkonzerte unter Herbert von Karajan konnten nicht stattfinden, da Gavrilov aufgrund seiner Äußerungen seine Ausreise verweigert wurde. Später wurde er unter Hausarrest gestellt und zeitweise sogar in eine psychiatrische Klinik zwangseingewiesen. Die Fortsetzung seiner Karriere (seine "Zweite Karriere") konnte erst nach seiner Rehabilitation 1984 erfolgen, an derMichail Gorbatschow maßgeblich beteiligt war. Er erhielt einen Paß und durfte frei reisen. Erst dadurch wurden eine erneute Konzerttätigkeit und neue Tonaufnahmen möglich. Nach seinem Umzug nach London und Bad Carnberg erlebte Gavrilov 1989 trotz seiner großen Erfolge eine schwere Lebenskrise. Bei einem Konzert in Wien verließ er die Bühne und trat in der Folge nicht mehr öffentlich auf. Auch alle Studioaufnahmen wurden abgesagt. Erst im Jahre 2001 tauchte Gavrilov wieder auf und zog in die Schweiz, wo er auch heute noch lebt. 2001/ 2002 begann er auch erneute mit der Konzerttätigkeit (seine "dritte Karriere"), die ihn 2009 durch die russischsprachigen Staaten führte.
    Sein virtuoses, kraftvolle Spiel prädestinieren Gavrilov für die Werke Tschaikowskis und Rachmaninoffs, doch geht sein Repertoire weit darüber hinaus. Mir persönlich gefallen auch seine Goldberg-Variationen sehr gut. Angesichts seiner umfänglichen Anzahl an Einspielungen besitze ich nicht viele seiner Werke, sondern nur folgende:


    [timg]http://ecx.images-amazon.com/i…K5L._SX355_.jpg;n;300;300;http://www.amazon.de/exec/obid…N/taminoklassik-21;Amazon[/timg]


    Eine weitere Aufnahme aus dem Jahre 1990, die ich besitze, ist eine Zusammenstellung von Bach, Chopin, Ravel, Scriabin, Rachmaninoff, Prokofiev, ... sehr reizvoll (leider bei jpc ohne Bestellnr.).
    Daher ist der thread zugleich eine Frage an die Klavierexperten hier im forum: welche weiteren Aufnahmen Gavrilovs haltet Ihr für hörenswert?
    PS Irgendwie hat es es mit der amazin ASIN beim Mittelbild nicht funktioniert.


    APUT

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber JLang,


    schön, daß Du Gawrilow einen Thread widmest - den hat er wahrlich verdient. Ich hörte ihn zuletzt hier in Bielefeld mit dem 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky. Das war ein anderer Gawrilow, als den man ihn kennt mit seinem etwas harten Klavierklang. Statt dessen ein fast schon Volodos-verdächtiges sinnliches Piano und Pianissimo. An seiner Klangkultur hat er in den letzten Jahren viel gearbeitet. Eine sehr durchdachte und hochpoetische Interpretation. Leider hat die Studio-Aufnahme Ricardo Muti regelrecht versaut - die miserabelste Orchesterbegleitung, die ich von diesem Konzert kenne. Aussteiger mag die Branche nicht - bedauerlich, aber wahr. Gawrilow, Richters Ziehsohn und von den Plattenfirmen zunächst gehätschelt (die EMI-Leute holten ihn mit dem Rollce Royce vom Flughafen ab) haben ihn inzwischen nahezu vergessen. Seine verschiedensten Platten sind kaum noch zu bekommen. Wirklich überragend die Scriabin-Preludes (wahrlich meisterhaft) sowie ebenfalls die Rachmaninow-Stücke. Prokofieff kann er - sehr schön auch das Ravel-Klavierkonzert für die linke Hand mit Simon Rattle. Er ist stets ein ungemein intelligenter Interpret, in seinen besten Aufnahmen ein "Architekt" am Klavier, der überlegen Klangregie führt. Ungemein klar gezeichnet mit einer immensen Dynamikspanne. Seine Aufnahmen der Chopin-Sonate b-moll gefallen mir allerdings weniger - viel zu glatt und harmlos, das liegt ihm einfach nicht.


    Schöne Grüße
    Holger

  • P.S. Leider ist vieles von ihm wieder vergriffen und gar nicht mehr zu bekommen. Z.B. der Scriabin (Preludes u. Sonate Nr. 4) gab es in einer preiswerten Box von EMI (Sonaten und Preludes) zusammen mit J. Ogdon u.a. Ebenfalls verschwunden aus dem Angebot die Rachmaninow-Platte.

  • Wie schön, daß Gavrilov sofort auf Resonanz gestoßen ist und dazu noch auf eine so positive eines der Klavierexperten hier.
    Vielen Dank Holger, für die wichtigen Nachträge zur Person, Sviatoslav Richter hat Gavrilov ja in der Tat sehr gefördert.


    Daß Gavrilov jetzt einen anderen Klavierklang hat (ich habe ihn leider noch nicht im Konzert erleben dürfen, ich hoffe sehr, dazu noch einmal Gelegenheit zu haben) scheint eine Folg seiner Auszeit zu ein, in der er sich nach eigenen Angaben nicht nur selbst finden mußte, sondern auch sein Klavierspiel von Grund auf hinterfragte. Daß die Plattenindustrie nicht so gut auf ihn zu sprechen st liegt vielleicht auch an seinem plötzlichen Ausstieg. Aber was für ein Pianist geht ihnen (und damit leider auch uns) "durch die Lappen".


    Den Hinweis auf die Scriabin-Preludes nehme ich auf und erweitere liebend gern meine Wunschliste.

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    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich besitze mit Gavrilov wohl nur die Händel-Suiten, bei denen er sich mit Richter (der nur eine bestimmte Auswahl dieser Werke spielte) abwechselt und Bachs französische Suiten (EMI; er hat sie auch noch mal für die DG aufgenommen). Das Bach-Double würde ich empfehlen, zumal man noch ein paar tolle Füller mit dem im Westen kaum mehr präsenten Stanislav Bunin (er lebt seit langem in Japan) dazu bekommt.
    Die Händel-Aufnahmen sehe ich inzwischen eher kritisch. Der Klang ist durchweg nicht besonders toll (live) und Gavrilov dehnt einige Sätze (so die aus "Barry Lyndon" oder der Levi's Werbung berühmte d-moll-Sarabande) über die Maßen. Und insgesamt bevorzuge ich bei dieser Musik in höherem Maße als bei Bach) das Cembalo. (Das spät- und nachromantische Repertoire ist nicht so mein Ding und wie schon gesagt wurde, sind die EMI-Aufnahmen Gavrilovs oft nicht mehr erhältlich.


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Wer Gavrilov einmal live erleben möchte, der hat am 7. Dezember 2013 dazu Gelegenheit
    Er gastiert im Gewandhaus mit folgendem Programm


    Fryderyk Chopin
    Nocturne b-Moll op. 9/1
    Nocturne Des-Dur op. 27/2
    Nocturne cis-Moll op. KK VI a No 16 Post
    Nocturne Fis-Dur op. 15/2
    Nocturne H-Dur op. 32/1
    Nocturne F-Dur op. 15/1
    Nocturne f-Moll op. 55/1
    Nocturne As-Dur op. 32/2
    Nocturne c-Moll op. 48/1


    Fryderyk Chopin
    2. Ballade F-Dur op. 38
    4. Ballade f-Moll op. 52


    Alexander Skrjabin
    Sonate Nr. 4 Fis-Dur op. 30


    Sergej Rachmaninow
    Prélude gis-Moll op. 32/12
    Moments musicaux h-Moll op. 16/3
    Prélude g-Moll op. 23/5
    Moments musicaux C-Dur op. 16/6


    Ein schönes Programm, zumal Gavrilov mit Rachmaninoff und Skrjabin sicher sehr gut wird (weniger schön, daß ich nicht hingehen kann, weil ich Karten für die Premiere des Walküre habe :()


    Mit besten Grüßen
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • 1. Nachtrag:


    Aus irgendeinem unerfindlichen Grunde habe ich gestern unsere Pianisten vergessen. Als ersten möchte ich an Andrei Gavrilov erinnern, der gestern einen runden Geburtstag hatte. Ich habe dazu Folgendes ausgesucht;




    Andrei Gavrilov feierte gestern seinen 60. Geburtstag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).