George Szell: Renaissance der Perfektion?


  • Es ist an der Zeit, sich wieder einmal George Szell zuzuwenden. Auch wenn es hier bereits einen Thread zu ihm gibt, gehe ich mit diesem (mit Freigabe von Alfred) in eine neue Betrachtung.


    Für die Eröffnung eines neuen Threads habe ich drei Gründe:
    - die Renaissance von Szells Aufnahmen auf dem Tonträgermarkt
    - die zumindest hier im Forum fehlende Analyse seines Interpretationsansatzes
    - last not least der Umstand, dass es einige Aufnahmen von ihm gibt, denen man den Status von Referenzaufnahmen zuspricht, welche hier bisher keine ausreichende Würdigung gefunden haben


    Der Reihe nach: Im Tonträgerbereich gibt es momentan eine Art von Szell-Renaissance zu konstatieren, die ihren Ursprung in Asien zu haben scheint - wo Szell in Tokyo 1970 sein letztes, als Aufnahme festgehaltenes Konzert gegeben hat und sein Name weiterhin Klang hat. Gerade ist in Südkorea eine 49-CD-Box erschienen, welche die wichtigsten der bei Sony erschienen Aufnahmen (Mozart, Beethoven, Brahms, Bruckner und einige mehr) umfasst.





    Auch in Europa ist Szell wieder verstärkt verfügbar: Nachdem in der Sony-Masters-Serie bereits die Mozart-Klavierkonzerte von Casadesus mit Szell und die Beethoven- und Brahms-Konzerte, die Leon Fleischer mit Szell eingespielt hat, erhältlich waren, erscheinen nun auch die Beethoven-Aufnahmen (Sinfonien und Ouvertüren) von George Szell mit seinem Cleveland Orchestra.



    Audite bringt soeben zwei historische Mitschnitte vom Luzern-Festival mit George Szell (Dvorak/Brahms):



    Und last not least ist 2011 eine neue Biographie über Szell erschienen:


    Michael Charry: "George Szell - A life in music"



    Genug Impulse für eine intensive Beschäftigung mit dem gestrengen Maestro aus Ungarn.


    Im Mittelpunkt soll dabei die Beschäftigung mit der musikalischen Substanz stehen - der Qualität seiner Interpretationen sowie der Qualität ihrer Abbildung auf Tonträger. Ich hoffe, meine Begegnung mit Szell inspiriert andere dazu, sich auch wieder mit ihm zu beschäftigen und ihre Eindrücke hier zu teilen. Wenn man die Suchfunktion bei Tamino zu Szell bemüht, gibt es fast nur enthusiastische Stimmen über seine Aufnahmen - da müsste es doch hier viele enthusiastische Beiträger geben?


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ich werde in den nächsten Tagen verstärkt Szell hören, es ist nicht allzuviel - aber doch einiges in meiner Sammlung, wenngleich ich eine gröbere Erinnerung daran habe, so möchte ich diese doch durch aktuelle Höreindrücke auffrischen. Sir Rudolf Bing, ehemals Generalmanager der Metropolitan Opera, New York sagte über George Szell: "Er war ein unangenehmer Mensch, möge er in Frieden ruhen". Aber das bezog sich natürlich nicht auf sein Dirigat, das sehr charakteristisch war, und das ich sehr schätze. Die Anschaffung des seit kurzem wieder erhältlichen Beethoven Sinfonien Zyklus mit dem Cleveland Orchester - obwohl es dann vermutlich mein fünfzehnter oder sogar zwanzigster wäre, ist überlegenswert und wird vermutlich noch dieses Jahr durchgezogen werden....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ein paar Worte zu dem Orchester, mit dem Szell berühmt wurde, bzw. das durch ihn berühmt wurde: Dem Cleveland Orchestra.



    Das Cleveland Orchestra wurde 1918 von Adella Prentiss Hughes gegründet; Nikolai Sokoloff war der erste Chefdirigent. Als Geburtsstunde gilt ein Benefizkonzert am 11. Dezember 1918 für die Kirche St. Ann's Parish in Cleveland Heights. Im Jahr 1931 wurde mit der Severance Hall ein eigener Konzertsaal für das Cleveland Orchestra gebaut.


    In den Jahren 1946–1970, als George Szell Chefdirigent war, erlangte das Orchester zunächst überregionalen Rang, dann Weltruhm. Szell erneuerte das Cleveland Orchestra nach seinen Vorstellungen und stellte dabei sehr hohe Ansprüche an die Musiker. "Wer zu viele Fehler machte oder seine Autorität hinterfragte, wurde gefeuert." (Wikipedia). Es gibt viele Anekdoten über Szells strengen, autokratischen Stil. Bekannt geworden ist sein Ausspruch: „The Cleveland Orchestra gives seven concerts a week and the public is invited to two.“


    Über die Charakteristika dieses Klangkörpers und des Konzertsaals, der Severance Hall, wird noch zu reden sein.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Sir Rudolf Bing, ehemals Generalmanager der Metropolitan Opera , New York sagte über George Szell: "Er war ein unangenehmer Mensch, möge er in Frieden ruhen"


    Es gibt eine andere Anekdote: Laut eines Besuchers bei den Szells soll seine Ehefrau Helene zu Szell gesagt haben, er sei selbst sein größter Feind. Woraufhin dieser nur antwortete: "Nicht solange Rudolf Bing lebt".


    In der "Wagner at the MET"-Box gibt es übrigens die Tannhäuser-Einspielung von Szell an der MET (9 Januar 1954). Da die Box noch auf dem Weg zu mir ist, habe ich sie noch nicht gehört.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ich habe von Szell ziemlich wenig. Gerade unlängst habe ich mir allerdings seinen Schumann-Zyklus zugelegt und der ist wirklich ganz hervorragend. Für mich ist Szell ein typischer Vertreter dieser Generation ungarischer Dirigenten: emotional aber technisch sehr kontrolliert (wie z.B Ormandy oder Solti).

  • Beim ersten hören dieses Tannhäusers hatte ich im zweiten Akt gedacht Frau Traubel hätte sich einen Patzer in der Arie der Elisabeth erlaubt.
    Bei genauerem hinhören erkannte dann aber, daß es nicht ihr Fehler war, sondern der des Dirigenten, der sie die Schlußnote nicht aussingen, sondern nur für den Bruchteil einer Sekunde ansingen ließ.
    Wahrscheinlich mußte er seinen Flieger oder Zug haben und hat dafür in kauf genommen den zweiten Akt zu 100 Prozent zu ruinieren.
    Die Geschwindigkeit glich einer Zumutung hoch drei und das er im dritten Akt dann wieder wesentich getragener dirigierte läßt für mich die Vermutung aufkommen, daß ihn Helen Traubel und Lauritz Melchoir dannach zu einem sechs Augengespräch zur Seite genommen haben, daß sie bei diesem Tempo so nicht weiter singen werden.
    Ich glaube es gibt keinen zweiten Mitschnitt des 2. Aktes von Wagners Tannhäuser, der diesen im negativen Sinne toppen könnte.

  • In der Tat scheint die Tannhäuser-Aufnahme von 1942 keine gelungene zu sein. Die von Sven Godenrath erwähnte Arie der Elisabeth findet sich hier:



    Hier findet sich eine sehr kritische Rezension dieser Aufnahme, die sie nur für absolute Kipnis-Fans empfiehlt: http://www.wagnerdiscography.com/reviews/tan/tan42szell.htm.


    Szell hat später den Tannhäuser an der MET erneut dirigiert, 1953/1954. In Charrys Buch heisst es, dass Szell nicht Bings erste Wahl war, es aber nicht gelungen war, Erich Kleiber, Knappertsbusch oder Cantelli zu engagieren, und Furtwängler zu der Zeit noch nicht wieder politisch opportun war. Szells Ensemble bestand u.a. aus Ramon Vinay, Jerome Hines, Margaret Harshaw und Astrid Varnay. Die Kritiken für diese Dirigate waren sehr positiv, und als er unmittelbar nach der letzten Aufführung seinen Vertrag löste, soll das Publikum ihn gebeten haben, nicht zu gehen.


    Um der obigen Arie eine gelungene Wagner-Aufnahme entgegenzustellen: Hier ein ausgezeichnetes Siegfried-Idyll mit Szell und den Clevelandern:



    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Das hört sich eher an, als hätte Frau Traubel das B nicht halten können.
    Szell hat ihr nur helfen wollen, indem er nach ihrem fast Kickser rasch weiter dirigierte.


    :hello: Herbert :hello:

    Tutto nel mondo è burla.


  • Die gesamte hier abgebildete Box besitze ich leider (noch ?) nicht, wohl aber 2 Einzel-Cds aus dieser Serie - Ich beziehe mich hier auf die abgebildete mit den Klavierkonzerten Nr 23 KV 488 und 24 KV 491 von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Dirigat lag in den Händen George Szells, der Klavierpart in jenen von Robert Casadesus. Es ist schwer zu sagen , wem in erster Linie das Verdienst zufällt, einige der beeindruckensten Einspielungen von Mozart Klavierkonzerte zustande gebracht zu haben. Hier halten sich guter Geschmack, Sensibilität, Perfektionismus und zugleich fester Zugriff die Waage. Vermutlich gilt das auch für die anderen Aufnahmen dieser Edition - mit Sicherheit jedoch für die Klavierkonzerte Nr. 21 und Nr. 26 Krönungskonzert. Die Frage nach HIP oder NON Hip tritt hier völlig in den Hintergrund, wird quasi nicht existent.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • George Szell hat in den Jahren 1954 bis 1957 regelmäßig bei den Festspielen in Salzburg dirigiert - die Mitschnitte der Opern sind bis heute gesuchte Aufnahmen.
    Ein Beispiel von vielen ist diese "Entführung" mit einem Rudolf Schock in Höchstform:



    Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
    Die Entführung aus dem Serail

    Laubenthal, Köth, Otto, Schock, Dickie, Böhme
    Wiener Philharmoniker
    George Szell

    AAD/m, 1956, 2 CDs

    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Mir war Szell schon ziemlich am Beginn meines Klassikhörens ein Begriff und seine Aufnahmen waren meiner Erinnerung nach in den frühen 1990ern beinahe durchweg auf "Sony Essential Classics" präsent. Mit dem Verschwinden dieser Serie fielen dann auch wohl etliche seiner Aufnahmen aus dem Katalog, aber das Meiste hat man irgendwie gekriegt. Ungeachtet dessen besitze ich nicht sehr viele seiner Einspielungen: Etwas mehr als die Hälfte der Mozart-Konzerte mit Casadesus, die Brahms-KK mit Fleisher, Dvorak-Konzert mit Fournier, die Schumann-Sinfonien, Tschaikowskys 5. Sinf. und die Box mit den Decca/Philips-Aufnahmen.



    Mir gefällt hier vieles schon gut; allerdings sehe ich die Alleinstellungsmerkmale Szells nicht mehr so deutlich. Perfekt gedrilltes Orchester, "lean and mean" findet man (wenigstens teilweise) ebenso auch bei Toscanini, Reiner, Solti, Fricsay, Markevitch und vielen jüngeren Dirigenten. Der Gegensatz zu "Romantikern" wie Furtwängler oder Laissez-faire wie Szells Mentor Strauss mag in den 1930ern bis 50ern noch frappierend gewesen sein, seitdem ist Szell vielleicht eine extreme Ausprägung seines Stils, aber nicht so ungewöhnlich.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich hab mir vor Jahren alles mit Szell zugelegt, was mich interessiert.
    :angel: Und freue mich heute diese herausragenden Aufnahmen, für die es wenige Vergleiche gibt zu haben. Das Einzige Manko ist manchmal die Aufnahmequalität der 60er-jahre, die nicht ganz so exakt war, wie man es heute gewöhnt ist.


    Ich möchte mal die herausragensten Auzfnahmen aus meiner Sicht vorstellen:


    Brahms: Klavierkonzerte mit Serkin und Fleicher (SONY) - darüber brauche ich keine weiteren Worte zu verlieren !


    Brahms: Sinfonien - exqusite Int, aber leider klanglich etwas verfärbt. Mein Eindruck nach einem Hördurchgang ist immer: "Man ist das ne Interpretation !"


    Mendelssohn: Sinfonie: Nr.4 - es ist die Einzige die er aufgenommen hat - aber wie - Hammeraufnahme in jeder Hinsicht mit purem Feuerwerk, dass er abbrennt.


    Schumann: Sinfonien - eine der besten Int die ich kenne - aber auch hier nicht immer klanglich so zufriedenstellend, wie zum Beispiel Solti (Decca), oder die Ausgewogene perfekt anmutende vom Fachmann Karajan (DG) !


    Prokofieff: Sinfonie Nr.5 - nach Szell möchte ich eigendlich gar keine Andere mehr hören - selbst die Russischen nicht - das ist der Hammer schlechthin !


    Beethoven: Klavierkonzerte mit Gilels (EMI) - eine wunderbare GA der KK mit der alleine man auf Ewig zufrieden sein könnte.
    Das gleiche würde auf für die Beethoven-Sinfonien-GA (SONY) gelten, wenn es hier nicht so massig viele fabelhafte und auch natürlicher klingenden Alternativen gäbe.


    Sibelius: Sinfonie Nr.2 mit dem CGBO (Philips) - neben Bernstein (SONY) und Karajan/Philharmonia Orch (EMI) eine der spannensten Aufnahmen dieser grossen Sinfonie. Seine ältere Cleveländer Aufnahme soll noch besser sein- leider hat mich diese aus Kostengünden(wird nur zu Wucherpreisen angeboten) noch nicht erreicht.


    Ich höre jetzt auf, sonst wird´s unglaubwürdig, aber ich könnte mit Werken von R.Strauss-Sinf-Dichtungen, Dvorak 9 und Slaw.Tänze, Prokofieff-KK 1+3 mit Graffmann, Wagner und Beethoven-Ouvertüren, Hindemith: Metharmorphosen, Walton: Hindemith-Var, Janacek: Sinfonietta und Taras Bulba, Bartok: Konzert für Orchester, Mozart: letzte Sinf. weiter machen - :thumbsup: ohne Ausnahme alles TOP-Int/Aufnahmen, die ich nicht mehr missen möchte !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Heute aus der Szell-Edition gehört: Mozart, Sinfonie KV. 385 D-Dur "Haffner". Aufnahme 8. - 10. Januar 1960.


    Im ersten und im letzten Satz dieser herrlichen Sinfonie brennt Szell ein Feuerwerk ab. Er hat seine Clevelander absolut auf Agilität getrimmt, der Drive hier tut Mozart richtig gut. Der zweite Satz ("Andante") ist mir anfänglich ein wenig zu schnell, das relativiert sich aber. Im Vergleich: Szell braucht hier 4:31, Böhm 4:50, Marriner 8:55 (mit Wiederholungen). Der Klang der Streicher zT sehr silbrig, insgesamt guter Klang.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Lieber Christian,


    wie "angedroht": hier bin ich also.
    Wie seinerzeit auf der Suche im Internet nach Neuem von und über George Szell.


    Nachdem ich jetzt zwei Tage lang mit Schuberts D944 befasst war-dazu später ausführlicher-genieße ich im Moment einen Mitschnitt aus Berlin von '67 mit Haydns Sinfonie Nr.93.


    Besonders Szells Haydn-Interpretationen sind es, die mich über alles begeistern.
    Es bedarf eben doch eines wirklich "großen" Dirigenten, Haydns Musik gerecht zu werden!
    Abgesehen von all den bekannten Tugenden Szells, seiner Präzision, der Transparenz der Orchesterbalance, bei Haydn genügt das allein nicht.
    Hier gelingt es Szell, diesen feinen, zuweilen skurrilen Humor zu Gehör zu bringen, aber auch Haydns manchmal Beinahe-Verstummen, weil oft genug die Pausen wichtiger sind als die Noten.


    Dass Haydn vielleicht mein Lieblingskomponist ist, wegen der Vielschichtigkeit des Gesagten ebenso wie wegen seiner Art der Beherrschung des Handwerks, verdanke ich nicht zuletzt den Aufnahmen Szells.


    Soweit hier mein Einstieg, wortreicher bald!
    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Lieber Mike,


    schön, einen der größten Szell-Fans hier bei Tamino zu wissen! Ich bin sicher, du kannst und wirst hier vieles beitragen.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Lieber Christian,
    danke.
    Wie weiter? Du hattest angekündigt, über das Orchester zu schreiben und über Szells geliebte "Schuhschachtel", die Severance Hall.
    Es existieren ja reichlich Äußerungen von Orchestermitgliedern, die "unter(?)" ihm spielten,
    nicht nur seitens der Stahlarbeiter aus Cleveland.
    Der Onkel eines meiner besten Freunde spielte mit in Berlin bei den Strauss-Aufnahmen mit der Schwarzkopf, ich kenne auch noch einen Vertreter der EMI, der seinen Bruder persönlich kannte, der aber oft nur äußerte:"Was für ein Schrank von Mensch!".
    Derart agil, wie sein Dirigat klingt und man ihn hier und da zu sehen bekommt: Szell wirkt gar nicht wie dieser "Schrank".
    Sicher, präsent immer.


    Darf ich Dir vorgreifen?
    Seine Clevelander musizieren Kammermusik, egal wie stark besetzt.
    Das Aufeinander-Hören ist ihr Geheimnis, ihre Kunst, die Szell gefordert und gefördert hat.


    Und die "Schuhschachtel"? Tja, man hört alles. Wenn auch beileibe nicht unbedingt schön.


    Abschweifungen in musikalische fremde Themen sind nicht erwünscht: Szells Äußerung, ein Cembalo klinge wie zwei Skelette bei sexueller Vereinigung...die "Addams Family" lässt grüßen.


    Szell: weder "hantig" noch mit "Biss", sondern stets im Dienste der Musik, die er dirigiert hat.
    So oft, Ende der 60er noch, mit Schleifern. So oft auch kompromisslos nicht auf Schönheit bedacht und diese gerade darum erzielend.
    Er, der stets über allem stehen konnte, weil er sich dem Werk unterordnete.


    Sein Motto: "Mit dem Kopf fühlen, mit dem Herzen denken".


    Und, wie ein Foto zeigt, angetrunken schwankend jemanden begrüßend, so ist lebendiges Musizieren.
    Musikalische Lebendigkeit.
    Das Wunder des Alltags - sofern man sich dessen bewusst wird.


    Auf sein Wohl!
    Mike

  • Auch ich darf mich hier als Szell-Verehrer outen. Eine der ersten Klassikplatten, die ich überhaupt gekauft habe, war diese hier:




    Inzwischen dürfte ich so ziemlich alle CBS-Studioaufnahmen von Szell im Regal stehen haben (Vinyl natürlich). Jedenfalls alle die bisher genannt wurden. Kürzlich dazu gekommen ist diese hier, die ich aber noch nicht gehört habe.


    P.S. Jetzt habe ich sie gehört. Die Aufnahme des Barber Klavierkonzerts wurde hier (4) schon von teleton gewürdigt. Dem ist nichts hinzuzufügen. A song of orpheus von William Schuman ist ein wenig bekanntes Stück für Cello und Orchester (ich habe nur eine naxos CD finden können) und wurde für Leonard Rose geschrieben. Elegisch beginnend, ein etwas munterer sehr amerikanisch daher kommender Mittelteil und wieder elegisch ausklingend. Warum so wenig gespielt? Für Cello und Orchester gibt es doch nicht so viel. Der Widmungsträger + Szell dürften wiederum als Referenz betrachtet werden. Die Aufnahmen sind aus den frühen 60ern, das Cellokonzert klingt deutlich besser als das Klavierkonzert.


    Die Szell-Biografie steht auch schon im Bücherregal, aber vermutlich komme ich erst über die Weihnachtstage dazu, sie zu lesen.

    3 Mal editiert, zuletzt von lutgra ()

  • Ich bin leider zu wenig gekommen in letzter Zeit, vor allem zu wenig zum Musikhören. Gerade Szells Strauss-CD mit der "Sinfonia domestica", dem 1. Hornkonzert und "Don Juan".


    Fand ich jetzt nicht "hässlich" vom Klang her, durchaus süffig und aus dem Vollen, dabei immer luzide und klar.


    Die häusliche Sinfonie ist ja ein eher eigenwilliges Werk, zT drollig, ein wenig Filmmusik, bisweilen sentimental auf eine Weise, die auch Szell in seiner Art nicht ausbügeln kann. Hat dennoch Vergnügen bereitet.


    Gute Nacht


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Schumann: Sinfonien - eine der besten Int die ich kenne - aber auch hier nicht immer klanglich so zufriedenstellend, wie zum Beispiel Solti (Decca), oder die Ausgewogene perfekt anmutende vom Fachmann Karajan (DG) !


    Diesem Urteil schließe ich mich gern an, wobei ich aus rein klanglichen Gründen nicht auf Solti oder Karajan ausweichen würde. Damit will ich aber nichts gegen deren Interpretation gesagt haben. Ich verstehe teleton ja auch in diesem Sinne. Für mich ist der entscheidende Moment jeder Einspielung der Schumann-Sinfonien, wie der Übergang von dritten zum vierten Satz der Nummer vier gelingt. Szell baut eine sehr starke Spannung auf, die Steigerung ist atemberaubend. Einfach hinreißend. Besser ist das für meinen Eindruck nur noch Furtwängler gelungen, wenngleich Karajan ihm hart auf den Fersen ist. Mich hat immer sehr stark bewegt, dass der alte Karajan die Überlegenheit Furtwänglers - diesen musikalischen Moment betreffend - sogar eingeräumt hat in einem Interview. Ich liebe an Szell, dass er musikalische Genauigkeit und Rauschhaftigkeit offenbar nicht als Gegensätze empfindet. Ein strenger Handwerker mit der Neigung, sich auch gehen lassen zu können. Ganz unerreicht finde ich ihn mit den Orchesterliedern von Richard Strauss, gesungen von Elisabeth Schwarzkopf. Dagegen kommt bei mir keine andere Interpretation an. Es ist mir schleierhaft, wie es möglich ist, einem Orchester so viele Farben zu entlocken. Dirigent und Sängerin werden eins. So große Übereinstimmung muss man erst mal erzielen können. Walter Legge, der allmächtige EMI-Produzent, der auch diese Einspielungen zu verantworten hat, wollte mit Szell Mozartopern aufnehmen. Schade, dass es dazu nicht gekommen ist.



    Das von Christian eingestellte Siegfried-Idyll kannte ich gar nicht. Herzlichen Dank dafür wie für den Thread. Es ist wunderbar musiziert. Inzwischen sagt mir aber die sinfonische Fassung des Stückes nicht mehr so zu. Ich höre fast nur noch die Originalbesetzung mit dreizehn Musikern, so wie das Idyll beim ersten Mal in Triebschen erklungen ist. Leider gibt es nicht sehe viele Aufnahmen davon. Haitink hat es vor nicht sehr langer Zeit in Berlin dirigiert, bei Youtube sind davon allerdings lediglich Bruchstücke zu finden, die magisch sind. Ein Geheimtipp ist eine Rundfunkaufnahme aus Leipzig unter Keilberth aus dem Jahr 1939 in ansprechendem Klang. Es ist auf einer CD, die im Shop des Deutschen Rundfunkarchivs für 7,50 Euro zu haben ist. Obwohl ich das Thema Szell nicht sprengen will, frage ich noch ganz schnell und am Rande: Hat wer noch andere Idyll-Empfehlungen für mich?


    Beste Grüße von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Goulds letzte und einzige Aufnahme als Dirigent war das Siegfried-Idyll. Sehr langsam und "röntgenologisch" transparent mit einem Kammerensemble von 13 Musikern. Ansonsten dürfte es etliche Einspielungen von dirigentenlosen Kammerensembles (wie dem Linos Ensemble) geben (da ich das Stück nicht besonders mag, kann ich keine konkreten Empfehlungen aussprechen).


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Lieber Rheingold,


    eine kammermusikalische Einspielung des Siegfried-Idylls findet sich bei Klemperer, z.B. auf dieser Zusammenstellung:




    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ganz lieben Dank euch beiden für die Empfehlungen. :)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Gerade folgende Aufnahme bei ebay geschossen:



    Ein Bootleg? Muss ich mal recherchieren.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • On the other hand, I must include a plea for one "live" recording to be given wider circulation. This is by Georg Szell and the Cleveland Orchestra, recorded in Cleveland in 1969. This is an intense and dramatic performance that can be found in a large Cleveland Orchestra commemorative box and so is very expensive to acquire. I believe it deserves to be released separately and hope Sony can see their way to doing so. It has been available on a hard-to-find Stradivari issue (STR 10012) but in inferior sound recorded "off-air" by what sounds like one microphone positioned in front of a radio. The official master tape in the Cleveland box reveals it to be of splendid quality to suit the orchestra's performance.

  • Genau, in der Cleveland-Jubiläums-Box enthalten.
    Doch sollen zwei Versionen existieren, divergierend um einen Tag.
    Eine im Bewusstsein des Mitschnitts, die andere ohne Wissen.
    Welche nun welche ist, selbst ein "Szell-Fan" wie ich blicke nicht mehr durch.
    Was ja beiden Aufführungen keinerlei Abbruch tut!
    Für mich die sensibelste Lesart des Werkes.
    Hässliches inbegriffen!
    Musik muss nicht immer "schön" sein.


    Darüberhinaus wirklich bedauerlich, dass Szell Mahler erst so spät "entdeckt" hat!
    Und dass es ihm dann auch noch unmöglich war, die von ihm geschätzten Werke einzuspielen, weil EPIC/CBS eben doch Bernstein den Vorzug gab.
    Christian: "Das Lied von der Erde" von 1970!
    Ein Wunder, das uns glücklicherweise erhalten ist, wenn auch derart inoffiziell.


    Niemend, so fühle ich es, hat je die Schönheit des Werkes so erkannt wie Szell.
    Dessen Sinnlichkeit, die aus der Perfektion wachsen kann, aus dem Nichtgesagten.


    Mike

  • Ich liebe an Szell, dass er musikalische Genauigkeit und Rauschhaftigkeit offenbar nicht als Gegensätze empfindet. Ein strenger Handwerker mit der Neigung, sich auch gehen lassen zu können. Ganz unerreicht finde ich ihn mit den Orchesterliedern von Richard Strauss, gesungen von Elisabeth Schwarzkopf. Dagegen kommt bei mir keine andere Interpretation an. Es ist mir schleierhaft, wie es möglich ist, einem Orchester so viele Farben zu entlocken.


    Lieber Rheingold,


    das ist sehr schön ge- und beschrieben!



    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • ...gerade höre ich:
    https://www.youtube.com/watch?v=4JpbYzKka6A&html5=1


    Im Detail nicht perfekt, Kiekser sind drin und viele falsche Töne.
    Und doch eine berührende Aufführung. Was bei Szell oft passiert: es gibt keine Zeit mehr.
    Was bleibt, ist Schönheit und Perfektion im Ganzen.
    Und die Verantwortung des Hörers, selbst zu empfinden und zu denken, ein "Hampelmann" nimmt es ihm nicht ab.
    Ja, so schmerzt Mahlers Musik und ist doch nie erfüllter.
    Mike

  • Lieber Mike,


    apropos "Kiekser": Ist dir eigentlich bei Szells an sich großartiger Einspielung von Schuberts D944 die "froschmäßige", sich eigentlich nicht recht ins Klangbild einfügende Posaune im zweiten Satz aufgefallen? Man kann es hier ab 5:43 und dann sehr stark ab 6:14 hören. Man wundert sich ein klein wenig: Ging das damals nicht besser?



    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Lieber Christian,
    hmmmmmm...eine ganz schwierige Frage. Klemperer war der Meinung, dass Beethoven zu Beethovens Zeit ganz schrecklich geklungen haben muss.
    Warum also ging man damals dennoch gern ins Konzert?
    Die Posaune hier: aus meiner Sicht trägt sie den Rhythmus weiter und ist darum so "unpassend". Einheitlich "schön gebügelter" Klang ist weder Schuberts noch Szells Absicht. Dieser spezielle Rhythmus wird hier durch alle Gruppen des Orchesters getragen, nur bei Szell kann man dem auch folgen.


    Ist jetzt alles "richtig" was Szell macht? Frage da keinen Szell-Fan. Hier aber entscheidet für mich die Logik, die Struktur, die Schubert notiert hat.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Interessante Sicht. Nehmen wir die Posaune also als gezielte Störung Schuberts an (von Szell nicht kaschiert), welche in den schönen Bögen der umgebenden Passagen aufwecken und erneut zum Hinhören motivieren soll...



    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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