Original von Alfred_Schmidt
Unermüdlich - und wie ich betonen möchte - musikalisch erstklassig - veröffentlicht derzeit Badura-Skoda immer wieder Neuaufnahmen.
Die vorliegende, sie enthält die beiden Klaviersonaten D 784 und D 959, ist erst 2008 im Wiener Tonstudio Zuckerkandl eingespielt worden, und ich muß sagen, selten konnte man einen Bösendorfer Imperial, so naturnah auf CD bewundern bewundern. Über Badura-Skodas Interpretation Lobeshymnen zu schreiben, das hieße Eulen nach Athen tragen....
Lieber Alfred, meine Lieben,
die mit CDs gut bestückte Uni-Bibliothek in meiner Stadt beglückt mich immer wieder mit lohnenswerten Ausleihen: In diesem Fall mit oben angepriesener Scheibe.
Ich höre unprätentiöses und wirklich sehr schönes, ausgesprochen klares Klavierspiel ohne jegliche Manierismen und Mätzchen, eine edle Qualität, mit welcher Badura-Skoda seit Jahrztehnten seine Einspielungen versieht. Er ist ein ganz Grosser in der Kunst des Klavierspiels!
Bestens in Erinnerung ist mir seine fulminante Exegese des 2. Klavierkonzertes von Frank Martin vor ein paar Jahren in Zürich. Dieses expressive Konzert ist ihm persönlich gewidmet, und er hatte lange Zeit quasi ein Aufführungsmonopol darauf! (Wird es deshalb so selten gespielt?)
Das technisch und musikalisch sauschwere Stück, eine wirklich herausragende Musik, hat der „Wiener Klassiker“ perfekt gemeistert: es ereignete sich ein nobler (aber durchaus nicht un- knackiger) typischer Frank Martin und nicht irgendein krachend-verpedalisierter „Genfersee-Prokofiew“, wie man dieses Konzert auch karikieren kann.
Doch nun zu Schubert:
Ich gestehe, dass ich persönlich mit dieser Aufnahme nicht so glücklich werde:
Das liegt für mein Empfinden zum einen am Klavier:
Der Bösendorfer klingt in meinen Ohren recht eigenartig: Ich liebe diesen Klang einfach nicht. Man mag mich kloppen: aber ich bevorzuge grundsätzlich die Klarheit des imperialen „Steinway“, und der hier gespielte bösendörfliche „Imperial“ spricht mich nicht an – aber das ist nur mein individuelles Geschmacksurteil.
Immerhin möchte ich anmerken, dass die Aufnahmetechnik den Klang sehr natürlich und ehrlich, ohne viel Hall und Manipulation konserviert.
Zum anderen wünschte ich mir persönlich etwas mehr Emphase bei der Ausführung der Partituren, etwas mehr Empfindung und Gefühl, vielleicht auch etwas mutigere Phrasierungen, mehr Fluss, mehr Zug, vielleicht sogar etwas mehr rechtes Pedal: „Mehr Romantik!“, fleht der Romantiker (auch bei Schubert :stumm

, der halt bei seinem Liebling, dem unvergleichlichen Grigory Sokolov (im Konzert) voll auf seine Kosten kommt: Sokolov realisiert etwa den skurrilen Wahnsinn im Andantino aus D 959 mit unvergleichlich mehr Pathos und Kraft und reitet den Flügel (Steinway) an seine Grenzen, was mir halt gefällt

.
Zudem irritieren mich bei Badura-Skoda einige m.E. unorganische Temposchwankungen im Mikrobereich (etwa im Schlussatz von D 959). Das Gleiche gilt auch für das Allegro vivace von D 784, wo ich eine gewisse Holprigkeit in den Triolen empfinde, ein Eindruck, der wohl auch durch das eher gemächliche, etwas wenig allegrovivacige (und gerade deshalb schwierig zu haltende) Tempo hervorgerufen wird. (Obwohl ich gestehe, dass mir das Gehetze in vielen anderen Aufnahmen dieses Satzes auch nicht behagt.)
Diese Anmerkungen sind aber Peanuts angesichts einer kristallinen, ehrlichen Exegese, auch wenn mir halt die "fetzige Dimension" etwas fehlt.
Wunderbar ist der langsame Satz von D 784, sehr karg und demütig zelebriert, für mich das Highlight der Produktion... wenn nur dieser ungewöhnliche Klavierklang nicht wäre..., aber andere werden es anders hören und gerade diesen schätzen, wie auch die sympathische Nüchternheit der Interpretation!
Mag sein, dass diese Exegesen sehr authentisch sind und Zeugnis ablegen vom historisch informierten Respekt für den Lebenshintergrund des Komponisten, aber sie treffen nicht meinen persönlichen Geschmack, und ich werde die Scheibe ohne Trauer wieder in die Bibliothek zurückbringen.
Aber natürlich ist es eigentlich fast eine Anmassung, den altmeisterlichen Paul Badura-Skoda zu beurteilen, und ich bin nur voller Hochachtung für diesen grossartigen, ehrlichen Klavierspieler: Einer der "Grossen"! Es ist ein Segen, dass er sein umfassendes Wissen immer noch in Aufnahmen einfliessen lässt. Alles in Allem hört man in der Neu-Aufnahme grosse Klavierkunst, auch wenn sie mich persönlich nicht so packt, wie dies vor Jahren beim Konzert von Frank Martin geschah (ein Ereignis, welches mir überhaupt erst den Zugang zu diesem Meister gewährt hat, der für mich seither zu den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts zählt).
(Täusche ich mich, oder gibt es tatsächlich noch keinen expliziten Frank Martin - Thread?!?)
Mit Grüssen aus Bern,
Walter