HINDEMITH, Paul: MATHIS DER MALER

  • Paul Hindemith (1895-1963):


    MATHIS DER MALER
    Oper in sieben Bildern - Libretto vom Komponisten


    Uraufführung am 28. April 1938 im Stadttheater von Zürich


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Albrecht von Brandenburg, Kardinal und Erzbischof von Mainz (Tenor)
    Mathis, Maler in seinen Diensten (Bariton)
    Lorenz von Pommersfelden, Mainzer Domdechant (Bass)
    Wolfgang Capito, Rat des Kardinals (Tenor)
    Riedinger, ein reicher Mainzer Bürger (Bass)
    Hans Schwalb, Führer der aufständischen Bauern (Tenor)
    Truchsess von Waldburg, Befehlshaber des Bundesheeres (Bass)
    Sylvester von Schaumberg, einer seiner Offiziere (Tenor)
    Der Graf von Helfenstein (stumme Rolle)
    Der Pfeifer des Grafen (Tenor)
    Ursula, Riedingers Tochter (Sopran)
    Regina, Schwalbs Tochter (Sopran)
    Gräfin von Helfenstein (Alt)
    Chor: Antoniterbrüder, päpstliche und lutherische Bürger, Landsknechte, Studenten, Bauern, Offiziere und Truppen des Bundesheeres, Dämonen


    Das Geschehen ereignet sich in Mainz und Umgebung, zur Zeit der Bauernkriege 1525-30.



    INHALTSANGABE


    Erstes Bild: Im Antoniterkloster zu Mainz.


    Matthias, den alle nur Mathis rufen, malt für seinen Dienstherrn, den Kardinal-Erzbischof von Mainz, an einem großen Wandbild. Einiges an dieser Arbeit ist Routine, erfordert nur wenig Aufmerksamkeit. Das ist möglicherweise der Grund, warum sich Mathis plötzlich in Gedanken mit seinem künstlerischen Wirken auseinandersetzt: Kann er, angesichts des Kampfes der Bauern gegen die Herrschenden, abseits stehen und nur seiner Kunst leben? Er hält beim Schlag der Mittagsglocke inne; von hinten ertönt der Chor der Mönche: „Rector potens, verax Deus“ (Allmächtiger Lenker, wahrhaftiger Gott) - ein Bittgesang des Aurelius Ambrosius.


    Plötzlich wird es hinter ihm unruhig: Das Hoftor wird aufgestoßen und ein älterer Mann kommt, auf eine Frau gestützt, herein. Der Mann bricht zusammen und Mathis sieht eine blutende Kopfwunde. Eilig kommen Mönche hinzu, um den Verwundeten zu versorgen, während Mathis mit dem jungen Mädchen ins Gespräch kommt, die sich Regina, Tochter des verwundeten Hans Schwalb, nennt. Ihre Schönheit und ungekünstelte Haltung spricht in berührend an, und er schenkt ihr ein Band, das er selbst vor Jahren mal als Liebespfand erhalten hatte und immer bei sich trägt.


    Schwalb, dessen Wunden inzwischen versorgt sind, lässt den Maler seine Missachtung spüren; er hält ihm herablassend die Sinnlosigkeit seines künstlerischen Schaffens vor und fordert von ihm stattdessen sofortiges Handeln gegen die Unterdrückung des Volkes durch die Herrschenden. Mathis hört aus den Worten Schwalbs eine Übereinstimmung mit eigenen Gedanken heraus. In diesem Augenblick kommt Regina aus dem Haus gerannt und berichtet, dass sie eine Staubwolke in der Ferne gesehen habe; es bedeutet, dass die Verfolger näher kommen. Mathis ist nun überzeugt, dass er helfen muss - und der erste Schritt dazu ist, dass er den beiden Bedrängten sein Pferd schenkt, damit sie schneller fliehen können. Er verspricht dem Mann, dass sie sich in Bälde wiedersehen werden.


    Sylvester von Schaumberg, ein Offizier des Bundesherr-Befehlshabers Truchsess von Waldburg, dringt mit Reitern durch die Hoftüre herein und verlangt die Herausgabe des Aufrührers Schwalb, der sich, wie er von Leuten auf dem Felde erfahren hat, hier verbergen soll. Die Mönche erklären, dass sie zwar einen Verwundeten versorgt haben, der jedoch inzwischen wieder aufgebrochen sei. Darauf reagiert der Offizier mit einem Wutanfall und will die Mönche einem Standgericht überantworten. Jetzt tritt Mathis hervor und stellt sich dem Offizier als Maler des Kardinals vor; er erklärt, dass die Mönche nichts wissen, dass er aber dem Mann sein Pferd zur Flucht überlassen habe. Höhnisch meint Sylvester, es würde den Kardinal bestimmt interessieren, dass ein Untertan einem Aufrührer geholfen habe. Ungerührt antwortet Mathis, dass man ihn ja vor der Eminenz verklagen könne; in zwei Tagen werde er in Mainz sein und sich dem Spruch des Kardinals beugen.


    Zweites Bild: Ein Saal in der Mainzer Martinsburg.


    Während Kardinal Albrecht von Brandenburg von einer Reise zurückerwartet wird, geraten sich Lutherische und Papisten in die Haare, vom umstehenden Volk neugierig beobachtet. Als die hochwürdigste Eminenz plötzlich in den Saal kommt, wird es sofort stille, alle verneigen sich und werden dafür mit dem Kreuzes-Zeichen gesegnet. Dann lässt Albrecht eine von mehreren Dienern getragene und mit Brokat verhüllte Truhe abstellen und erklärt, er habe den Leib des Heiligen Martin, Schutzpatron des Domes, mitgebracht. Mainz soll nach seinem Willen ein „deutsches Rom am Rhein“ sein. Er ordnet an, dass die Reliquie im Dom öffentlich zur Schau gestellt werde, und dass alle diejenigen, die dem Heiligen Verehrung zollen, frei von Sünden sein sollen.


    Die Reliquie wird, während sich der Saal leert, hinausgetragen. Außer Rat Capito und Domdechant Pommersfelden sind nur noch Mathis und der Mainzer Bürger Riedinger und seine Tochter Ursula zugegen.


    Mathis, der unter den Bürgern stand, verneigt sich vor dem Kardinal, der sich erfreut zeigt, ihn zu sehen. Während sich Mathis dann mit Ursula unterhält, berichtet Riedinger empört, dass eine Bücherverbrennung angeordnet worden sei. Albrecht reagiert entsetzt und fragt nach dem Urheber dieser Weisung. Pommersfelden gibt zur Antwort, dass es der römische Legat gewesen sei und Albrecht untersagt mit fester Stimme diese Anordnung. Dafür bietet Riedinger als Dank der von Geldnöten geplagten Eminenz finanzielle Unterstützung an.


    Nach dem Abgang der Riedingers kommt Pommersfelden auf die Bücherverbrennung zurück und besteht auf Ausführung der römischen Anordnung. Genervt gibt der Kardinal seine Zustimmung, worauf der Domdechant ihm ein entsprechendes Dekret zur Unterschrift vorlegt. Albrecht wechselt das Thema: Mathis soll für die neue Reliquie einen Schrein anfertigen, doch der Domdechant wendet ein, dass der Maler im Domkapitel keinen Rückhalt habe; außerdem fehle das Geld, um den Auftrag bezahlen zu können. Das Thema ist Albrecht zuwider, er meint, dass die Summe aufgenommen werden sollte, aber ihm wird klar gemacht, dass bereits alle Ressourcen ausgeschöpft seien. Dann solle man halt einen neuen Ablass einführen, worauf Pommersfelden angibt, der Wittenberger habe diese Quelle versiegen lassen. Und wenn man, fragt Albrecht, die Zinsen erhöhe, Maße und Gewichte verringere? Pommersfelden und Capito antworten übereinstimmend, dass das einen Aufstand auslösen würde. Gut, dann muss eben Riedinger aushelfen; ihm solle man für seine Hilfe jeden Wunsch erfüllen.


    Nun kommt Sylvester von Schaumberg auf die Szene und übergibt mit tiefer Verbeugung dem Kardinal ein Schreiben des Truchsessen von Waldburg, der verlangt, die Mainzer müssten das Bundesheer im Kampf gegen die aufständischen Bauern mit Reitern und Geld unterstützen. Während Albrecht empört reagiert, nimmt Sylvester Mathis wahr und will dessen sofortige Bestrafung wegen Fluchthilfe für den Aufrührer Schwalb. Unumwunden gibt Mathis die Fluchthilfe zu und erklärt mit Bestimmtheit, dass er sich ab sofort nicht mehr der Kunst, sondern nur noch der Sache der Bauern widmen will. Deshalb erbittet er vom Kardinal seine Dienst-Entlassung, die ihm seine Eminenz zunächst verweigert, dann jedoch schweren Herzens gewährt.


    Drittes Bild: Vor Riedingers Haus am Marktplatz in Mainz.


    Inzwischen wurde die Bücherverbrennung eingeleitet. Verängstigte Lutheraner kommen zu Riedinger, um ihre Bücher bei ihm zu verstecken. Landsknechte treten mit Säcken und großen Körben auf die Szene, um die Bücher einzusammeln. Den des Lesens unkundigen Soldaten geben sie belanglosen Schriften, beispielsweise den „Eulenspiegel“ oder das „Narrenschiff“ und die „Schelmenzunft“. Aber der hinzukommende Rat Capito lässt sich nicht hinters Licht führen, er entdeckt das Bücherversteck und konfisziert alles, was ihm in die Hände fällt und wirft die Bücher in die Körbe.


    Um die aufgebrachten Bürger zu besänftigen, gibt Capito Riedinger einen Brief Luthers mit der Bitte, ihn laut vorzulesen: Der Wittenberger schreibt darin an den Kardinal, er solle sein Erzbistum in ein weltliches Fürstentum umwandeln. Capito findet diese Idee gut, zumal darin auch eine reiche Heirat vorgeschlagen wird, die Albrecht von Brandenburg aller finanziellen Sorgen entheben würde. Und Capito weiß auch schon, wer als Braut dafür in Frage käme, nämlich Ursula, Riedingers Tochter, was er aber noch nicht laut sagt.


    Als Ursula jetzt die Szene betritt wird sie von ihrem Vater mit der merkwürdigen Frage konfrontiert, ob sie bereit wäre, für ihren Glauben und für ihre Glaubensgeschwister einzutreten, auch Bürden auf sich zu nehmen. Natürlich bejaht sie; und, so fragt Riedinger weiter, wenn man ihr zu des Luthertums und des Reiches Wohl eine Heirat mit einem ausgesuchten Mann abverlangen würde? Ursula versteht nicht, was ihr Vater (und die übrigen Männer) im Sinn haben. Ohne eine Antwort abzuwarten gehen Riedinger und die anderen Männer auf den Marktplatz, um der Bücherverbrennung zuzusehen. Allein auf der Szene glaubt Ursula, das sie als Spielball, als Werkzeug der Politik zu dienen hat.


    In diesem Augenblick kommt Mathis hinzu; Ursula eilt ihm stürmisch entgegen und sie umarmen sich. Mathis löst sich von ihr und sie gibt ihm zu verstehen, dass sie sich aus Liebe zu ihm hingezogen fühlt. Doch Mathis wehrt sie scheu ab: Was kann sie, die junge Frau, von ihm, dem so viel Älteren, erwarten? Alter und Jugend, so argumentiert er, passen nicht zusammen! Ursula erinnert ihn an das Band, das sie ihm einst als Beweis der Liebe schenkte und Mathis reagiert darüber betroffen. Das Publikum weiß, im Gegensatz zu der jungen Frau, warum. Dann aber fängt sich Mathis und sagt er ihr auf den Kopf zu, dass er soeben der Malerei entsagt habe, weil er die kämpfenden Bauern unterstützen will. Begeistert über diesen Gedanken will sie sich ihm anschließen, doch lehnt Mathis das Begehren rundheraus ab und stürzt in die inzwischen eingebrochene Dunkelheit hinaus.


    Riedinger kommt mit den Männern zurück. Während Diener Wein bringen, will der Vater von seiner Tochter wissen, ob sie sich zu seinen Fragen eine Meinung gebildet habe. Aber Ursula ist erst nicht ansprechbar, dann reagiert sie zögernd, aber zustimmend. Riedinger erhebt sein Glas und stößt mit den Männern auf eine gut Zukunft an. Ursula dagegen hält verzweifelt ihr Glas in den Händen, ohne jedoch daraus zu trinken.


    Verwandlung: Ein Platz mit verwahrlosten Häusern am Spätnachmittag. An einer Seite der Bühne eine kleine, offene Kapelle. Vor einem heruntergekommenen Wirtshaus auf der anderen Seite hocken essend und zechend Bauern. Ein Trupp Aufständischer stößt den gefesselten Grafen von Helfenstein mit Fußtritten in die Mitte der Bühne, ein anderer Haufen hält die verzweifelte Gräfin von Hohenstein unter Hohngelächter fest.


    Die zornigen Bauern kündigen dem Grafen seinen Tod an. Lange genug, so schreien sie ihn an, mussten sie sich von ihm und seinesgleichen demütigen lassen, jetzt zahlt er dafür die Zeche. Auch das Flehen der Gräfin um Gnade und Nachsicht nutzt nichts. Der Pfeifer des Grafen nimmt eine Fiedel und spielt während des Auszugs der Bauern mit dem Grafen eine muntere Melodei. Die Gräfin aber schreit, man solle sie auch töten, denn ohne ihren Mann will sie nicht weiter leben. Diese Klagen stacheln die Bauern noch mehr an und sie zwingen die Verzweifelte, ihnen unter lautem Gejohle Essen und Wein zu servieren.


    Während von der einen Bühnenseite der Trupp Bauern von der Hinrichtung des Grafen zurückkehrt, betritt von der anderen Seite eine verwahrloste und abgehärmt aussehende Männergestalt die Szene: Es ist Mathis. Ohne Umschweife klagt er die Horde Bauern des Mordes an und hält ihnen Rechtsbruch vor. Die Männer lachen ihn aus, sehen sich gegen die Unterdrücker im Recht und zählen auf, was die Hohen Herren ihnen alles angetan haben. Jetzt sei die Zeit des Duldens vorbei, man werde sich an den Vielfraßen rächen und die Häuser aller Reichen plündern. Als sich Mathis ihnen entgegenstellt und sie um Vernunft bittet, stoßen sie ihn hohnlachend beiseite.


    Während einige Bauern abgehen, belästigen andere erneut die Gräfin. Mathis stellt sich schützend vor sie und wird von den Randalierern niedergeschlagen. Als die Gräfin zu der kleinen Kapelle flieht und sich betend vor dem Marienbild niederwirft, hetzt die Meute ihr nach. Sie reißen sie vom Boden hoch und zerstören das Bild.


    Da stürmt Hans Schwalb mit seiner Tochter Regina auf die Szene und schimpft zornig mit den Bauern: Statt sich zu schlagen und zu prassen sollten sie sich lieber bewaffnen, denn das Bundesheer rückt näher. Jetzt werden die Bauern auf einmal kleinlaut: Was können sie denn mit Dreschflegeln und Holzknüppeln gegen die Soldateska ausrichten? Schwalb aber stachelt sie wütend an: Wollt ihr euch niedermachen lassen wie die Käfer? Sie sollten sich vor Augen halten, dass sie einen gerechten Kampf führen und der Sieg ihnen gehören wird!


    Plötzlich nimmt Schwalb den verwundeten Mathis wahr und will wissen, was ihm passiert sei; Mathis winkt mit der Bemerkung, es sei nur eine unbedeutende Wunde, ab. Regina tritt zu ihm und verbindet ihn. Die Bauern sind nicht überzeugt worden; sie haben ihren Mut verloren. Auch wenn sie gewinnen sollten, was viele bezweifeln, bleibt die Drangsal, bleibt das graue Leben daheim. Regina erklärt derweil Mathis über die Sorgen ihres Vaters auf: Bisher waren die Bauern tapfer, aber die Übermacht des Bundesheeres ist einfach zu groß. Schwalb sieht also selber schwarz, behält es aber für sich.


    Die Gräfin hat die Niedergeschlagenheit der Bauern bemerkt; sie sieht das für sie günstige Ende nahen und damit den Tod ihres Gatten gerächt. Schwalb mahnt seine Tochter, dass sie tapfer sein soll, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Er zieht sie an sich und küsst sie zum Abschied. Als aus der Ferne ein Signalhorn zu hören ist, weiß er, dass die Stunde da ist. Er reicht Mathis die Hand und zieht ihn hoch. Das Signal ist inzwischen ganz nahe; Schwalb mahnt seine Männer, tapfer zu kämpfen, schließlich seien sie Wegbereiter einer neuen Zeit.


    Der Angriff des Bundesheeres erfolgt in der Dämmerung. Kampfgetümmel wird laut. Die Bauern werden vernichtend geschlagen, Schwalb kommt dabei um. Regina kniet vor dem Toten, Mathis steht abseits und die Gräfin sitzt auf den Stufen der Kapelle. Der Truchsess von Waldburg mit Sylvester und anderen Offizieren kommen hinzu, während das Heer vorbeizieht.


    Fühlt sich der Herr Truchsess von Waldburg beobachtet? Er wüsste es vielleicht selbst nicht zu sagen, aber der abseits stehende Mann, der ihm bisher in der Hektik nicht aufgefallen war, stört ihn plötzlich. Als er in die Runde fragt, ob jemand den Kerl da kennt und nur Achselzucken erfährt, befiehlt er kurz entschlossen seinem Offizier, den Mann zu beseitigen. Da springt die Gräfin auf, stellt sich dem Befehlshaber namentlich vor, erklärt kurz und bündig, was geschehen ist und bezeichnet Mathis als ihren Retter. Daraufhin ändert der Generalissimus seine Meinung und erlaubt Mathis, seines Weges zu gehen, während sich die Gräfin dem abziehenden Heer anschließt. Nachdenklich sinniert Mathis über Gott und die Welt, ehe er auch abgeht und dabei auf die weinend am Boden liegende Regina stößt. Er hebt sie auf, nimmt sie in den Arm und geht mit ihr langsam davon.


    Fünftes Bild: Auf der Martinsburg in Mainz.


    In seinem Arbeitszimmer verwahrt sich Albrecht gegenüber seinem Rat Capito, ihn zu einer Heirat zu drängen, noch dazu wegen eines Schreibens von Luther. Ausgerechnet von diesem Kerl! Da sei Gott vor! Er lässt sich von Capito nicht verkuppeln, denn ein „Kardinal heiratet nicht“! Selbst als der Herr Rat die finanzielle Klemme seiner Eminenz ins Spiel bringt, bleibt er bei seiner Ablehnung, denn der Kardinal von Mainz kann grundsätzlich nicht bankrott gehen!Doch Capito gibt nicht auf: Vor der Tür wartet nämlich die Auserwählte und Albrecht gibt in diesem Punkt nach, er lässt die Dame eintreten, Capito geht hinaus.


    Ursula ist bleich und sehr aufgeregt, als sie sich vor Albrecht verneigt und seinen Bischofs-Ring küsst. Und der Kardinal ist völlig erstaunt über Capitos Wahl, mit Ursula hatte er nicht gerechnet. Das Gespräch der beiden verläuft argumentativ: Ursula erkennt in Luther einen Mann, der sowohl den Glauben als auch das Weltliche neu ordnen will. Und in dieser Neuordnung wäre sie ein kleiner Stein, der eine große Wirkung haben könnte. Sie hält mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg, sondern wirbt vor dem Kardinal geradezu für den lutherischen Glauben und ebenso für die Sache des Volkes. Naturgemäß sieht die Eminenz das ganz anders: Er lobt zwar ihre Offenheit und den Einsatz für das Volk und für Luther, hält ihr aber vor, dass die Begeisterung sie blind gemacht habe. Der von gewissen Kräften ausgeheckte Plan ist auf die Schwächung der allein seligmachenden Kirche gerichtet; fällt ein Stein aus festem Mauerwerk heraus, ist das gesamte Gebäude dem Einsturz nahe. Ursula weist Albrecht darauf hin, dass seine liberale Haltung den Eindruck vermittelt hat, der Sache Luthers nicht abgeneigt zu sein. Sie kniet vor ihm nieder und fordert


    Steht als Bekenner eures Glaubens auf, als Bezwinger alles Unentschiedenen.
    Führt einen Heerbann Gläubiger Streiter zum Heil hinan.


    Albrecht ist tief bewegt, hebt sie auf und küsst sie auf die Stirn. Dann geht er zur Tür und lässt Capito und Riedinger eintreten. Mit fester Stimme erklärt er seine Entscheidung: Er werde in Demut den Weg der Kirche weiter gehen, dabei sühnen, was versäumt wurde und dem Herrn der Kirche gehorchen. Enttäuscht äußern sich (jeweils für sich) Riedinger („Man stelle Weiber nicht auf Männerposten, dann zeigen sich bessere Ergebnisse“), Capito („Man kann sich auf ihn nicht verlassen, ich hätte es wissen müssen“) und Ursula („Habe ich das erreicht?“). Aber Albrecht ist noch nicht fertig: Er rät Riedinger, sich frei zum lutherischen Glauben zu bekennen; Capito aber empfiehlt er, sich nach einen anderen Dienstherren umzutun, denn er, Albrecht, werde das Leben eines Bischofs mit dem eines Eremiten eintauschen und dem alten Glauben treu und ehelos bleiben. Am Schluss dieser Szene segnet Albrecht die vor ihm kniende Ursula.


    Sechstes Bild: Im Odenwald, letztes Abendlicht.


    Mathis und Regina sind müde vom langen Irrweg; sie setzen sich unter einen Baum. Der vom Tode des Vaters erschütterten Regina vermag Mathis so überzeugend ein Konzert von Engeln zu vermitteln, dass sie beruhigt in den Schlaf sinkt. Auch Mathis wird schläfrig und scheint einzuschlafen, aber da wird plötzlich


    ein Teil der Bühne in geheimnisvolles Licht getaucht und Mathis liegt in der Gestalt des heiligen Antonius am Boden. Zugleich wird ein mittelalterliches Schloss sichtbar, aus dem die Gräfin von Helfenstein als Sinnbild des Reichtums und der Üppigkeit hervortritt. Hinter ihr kommen reich geschmückte Hofleute - ein Bild nach Art des Isenheimer Altars.


    Die Üppigkeit ruft Mathis mit schmeichelnden Worten zu neuen Taten großer Kunst, die Reichtum und Ehre bringen wird. Dann erscheint ein neues visionäres Bild,


    in dem die Figuren beiseite treten und einen Kaufmann, Pommersfelden, mit verbrämtem Mantel in einem Gewölbe Geld zählen sieht,


    der unverhohlen irdische Macht, Reichtum und Gewalt preist. Nochmals verwandelt sich das Bild und zeigt


    den Kaufmann und die Üppigkeit (deutlich als Gräfin von Helfenstein zu erkennen) beide zur Seite tretend und den Blick auf eine zu Antonius Füssen liegende Bettlerin (Ursula Riedinger) in völlig zerlumptem Kleid frei gebend.


    Die Bettlerin wirft plötzlich ihr zerlumptes Kleid ab und verwandelt sich in eine verführerische Schönheit, die sich dem heiligen Antonius unverhohlen als Buhlerin anbietet, von ihm jedoch zurückgewiesen wird. In diesem Moment erscheinen mehrere Frauen,


    die der Buhlerin ein graues Tuch überwerfen; so wird sie zu einer Märtyrerin, die von Männern mit Stangen und Waffen zu einem Richtplatz geschleppt wird. Während der Richtplatz bereitet wird, tritt Rat Capito in Gestalt eines Gelehrten zu Antonius


    und versucht ihn von der großen Macht der Wissenschaften zu überzeugen. Die Visionen gehen noch weiter:


    Aus einem gewaltigen Stadttor reitet mit großem Gefolge ein Kriegsherr (eindeutig als Hans Schwalb zu erkennen) in glänzender Rüstung zur Richtstätte der Märtyrerin,


    preist dabei das Kriegshandwerk als Jungbrunnen. Leider habe sich Mathis als zu alt, als zu schwach und viel zu empfindsam erwiesen; Empfindsamkeit aber schwäche die Kraft. Eine neuerliche, sich langsam vollziehende Verwandlung


    durch den Kriegsherrn Schwalb mit einer Handbewegung veranlasst, zeigt das Bild der Versuchungstafel des Isenheimer Altars.
    Mathis/Antonius siegt über alle diese Versuchungen, auch über die Dämonen des eigenen Körpers; er bleibt standhaft durch Selbstüberwindung. Und nochmals steigt ein neues Bild der Vision auf; darin wird eine


    in sanftes Licht getauchte Landschaft aus dem Isenheimer Altar sichtbar: Es ist das Bild der Begegnung zweier Heiliger, des Apostels Paulus und des heiligen Antonius. Der Apostel (eindeutig als Kardinal Albrecht erkennbar) hebt den am Boden liegenden Antonius auf.


    Der Apostel Paulus weist Bruder Antonius auf den Weg der Selbsterfüllung in seinem Künstlertum: „Gehe hin und bilde!“


    Die Szene verwandelt sich erneut und zeigt die im hellen Morgenlicht strahlende Stadt Mainz und den Rhein.


    Ein Zwiegespräch der beiden Heiligen: Der Apostel/Kardinal fordert Antonius/Mathis auf, seine quälenden Gedanken fahren zu lassen, aber der fühlt sich der ausgestreckten Hand unwert und sieht sich, obgleich noch lebend, bereits gestorben - gestorben durch eigene fehlerhafte Handlungen. Aber beide sind sich einig, dass man dem Kreis, aus dem man stammt, nicht entfliehen kann; dennoch gibt es eine überirdische Kraft, die den Menschen aufrecht hält, die ihm Bewährung abverlangt.


    Siebtes Bild: Die Malerwerkstatt von Mathis in Mainz.


    Es ist Nacht, eine Kerze brennt. Im Halbdunkel sieht man eine Anzahl herumstehender Bildertafeln. Skizzen- und Zeichnungen liegen herum; Mathis erschöpft vor einer Tafel. An der Seite steht ein Ruhelager, auf dem Regina schlafend liegt, Ursula sitzt wachend daneben.


    Die Arbeit am Isenheimer Altarbild hat Mathis vollkommen aufgezehrt. In dem Altarbild hat der Maler seine Visionen des Engelskonzerts, der Versuchung des Heiligen Antonius und des Gesprächs der beiden Heiligen Antonius und Paulus festgehalten. Auf dem Ruhelager liegt Regina, Schwalbs Tochter, im Sterben. Als sie erwacht, greift sie nach dem Band, das ihr Mathis kürzlich schenkte, und gibt es der wachenden Ursula. Die erkennt es sofort als jenes Band, das sie einst Mathis als Liebesbeweis geschenkt hatte. Regina richtet sich halb auf, wirft einen Blick auf den Gekreuzigten im Altarbild und fällt sterbend zurück.


    Nach einem Zwischenspiel, währenddessen es heller wird, betritt Kardinal Albrecht das Maleratelier, nicht nur, weil er das Altarbild bewundern möchte, sondern auch, um Mathis zu bitten, als Freund bei ihm zu leben. Doch Mathis will nicht, er fühlt sein Ende nahe. Albrecht umarmt den Maler, gibt ihm seinen Segen und entfernt sich traurig; er weiß, dass Mathis seine Lebensaufgabe erfüllt hat. Nachdem der Kardinal den Raum verlassen hat, begibt sich Mathis an eine Truhe und legte seine gesamte Habe einzeln hinein, bei jedem Gegenstand einen Augenblick nachdenklich verweilend.


    Der Vorhang senkt sich langsam herab.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Um das Jahr 1930 trug sich Hindemith mit dem Gedanken an eine Oper, entweder über den Erfinder des Buchdrucks, Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg (1400-1468) oder den Maler Mathis Neithardt (genannt Grünewald oder auch Matthias von Aschaffenburg, (um 1475/80-um 1528). Der Versuch, den Dichter Gottfried Benn für ein Opernlibretto zu gewinnen, schlug fehl; daher entschloss sich Hindemith erstens für das Maler-Sujet und zweitens, das Textbuch selber zu schreiben.


    Im Herbst 1933 begann Hindemith die Komposition mit den Vor- und Zwischenspielen, die 1934 als Sinfonie „Mathis der Maler“ (mit den Satzbezeichnungen Engelskonzert, Grablegung und Versuchung des heiligen Antonius) von Wilhelm Furtwängler in Berlin uraufgeführt wurde. Die vollständige Opern-Partitur war im Juli 1935 fertiggestellt; die in Frankfurt am Main geplante Uraufführung musste allerdings nach energischem Einspruch der Nationalsozialisten abgesetzt werden. So kam es am 28. April 1938 zur Uraufführung in Zürich, und erst 1946 in Stuttgart zur deutschen Erstaufführung.


    Weil die wenigen Lebensdaten Grünewalds eine Bühnenhandlung kaum zulassen, hat der Librettist Hindemith die Handlungsstränge frei erfunden. Belegt ist Grünewalds Tätigkeit für den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg, und das für das Antoniterkloster von Isenheim im Elsaß geschaffene Altarbild, das sich heute in Colmar befindet, und das man zu den größten Schöpfungen der Malkunst zählen muss.


    Der Komponist Hindemith geht von der dreisätzigen „Mathis-Sinfonie“ aus und findet auf barocke Ursprünge hinweisende Ausdrucksmöglichkeiten. So entwickelte er die Musik im dritten Bild motivisch aus dem Choral „Lobt Gott, ihr frommen Christen“, während die Szenen der Regina auf dem mittelalterlichen „Es sungen drei Engel“ beruhen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Komponist Wert auf klangliche Durchsichtigkeit legt und das sowohl im Orchestersatz als auch in den Gesangspartien. Als Höhepunkte im Sinne eines intimen Ausdrucks müssen alle Duette, vor allem aber diejenigen von Ursula und Mathis im dritten oder jenes zwischen Ursula und Albrecht im fünften Bild angesehen werden. Dem widerspricht nicht, dass Hindemith bei Massenszenen auch gewaltige Chöre einsetzt. Höhepunkt von Hindemiths Oper, die sich ansonsten jeglicher illustrativer Effekte enthält, ist eindeutig die Antoniusklage im sechsten Bild, die der Komponist in das „Lauda Sion Salvatorem“ münden lässt, und dem er letztendlich noch das vom Blech unterstützte gregorianische Halleluja anfügt.


    © Manfred Rückert für Tamino-Opernführer 2013
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Libretto
    Web-Site der Hindemith-Stiftung
    Schott-Verlag: Hindemith
    Wikipedia über Matthias Grünewald

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    MUSIKWANDERER

    Einmal editiert, zuletzt von musikwanderer ()

  • Aus den Angeboten der Tamino-Werbepartner Amazon und jpc wurden die folgenden Aufnahmen von Hindemiths Oper ausgewählt:



    Nebenstehend die von Gerd Albrecht dirigierte wergo-Aufnahme mit u.a. Sabine Hass, Marilyn Schmiege, Josef Protschka, Roland Hermann, Victor von Halem, Hermann Winkler, Harald Stamm, Heinz Kruse; es singt der Kölner Rundfunkchor und es spielt das Rundfunk-Sinfonie-Orchester Köln.



    Das Label Oehms veröffentlichte einen Mitschnitt von der Premiere am 25. September 2005 in der Hamburger Staatsoper unter der Leitung von Simone Young; als Solisten wirken u.a. Scott Mac Allister, Falk Struckmann und Carsten Wittmoser mit; es singt der Chor der Hamburger Staatsoper, es spielen die Hamburger Philharmoniker.



    Line Music bietet mit der nebenstehenden Aufnahme Historisches aus Stuttgart: Es singen u.a. Emmy Stoll, Engelbert Czubok, Lore Wissmann, Otto von Rohr, Res Fischer; es singt der Chor und es spielt das Orchester der Württembergischen Staatstheater unter Bertil Wetzelsberger.



    Die Solisten dieser EMI-Aufnahme sind u.a. Dietrich Fischer-Dieskau, James King, Urszula Koszut, Rose Wagemann, William Cochran und Peter Meven; Rafael Kubelik leitet Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks.

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    MUSIKWANDERER

  • Von den vier Aufnahmen habe ich zwei: die Kölner Aufnahme ist gut, hat aber bei den Sängern einige Schwächen. Die Kubelik - Aufnahme, vor allem Fischer-Dieskau, ist für mich unübertroffen. Vor langer Zeit gab es in der Rheinoper eine Produktion unter Hiroshi Wakasugi, da habe ich die Besetzung nicht mehr im Kopf. Da müssen wir wohl Harald fragen.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Vor langer Zeit gab es in der Rheinoper eine Produktion unter Hiroshi Wakasugi


    Ich selbst habe nur die Kubelik-Aufnahme, die genügt mir vollauf.
    Die Düsseldorfer Inszenierung habe ich nicht selbst gesehen; trotzdem hier die Daten (ein Freund hat die Aufnahme):


    Inszenierung: Gert Westphal/Erich Walter
    Bühnenbild: Heinrich Wendel
    Kostüme: Liselotte Erler
    Premiere Ddf.: 14.9.1980, Duisburg 17.12.1980
    mit
    A. Green, P. Stone, M. Yauger, S. O. Eliasson, U. Holdorf, C. Byrne, K. Diekmann, H. Pampuch, G. Reich, M. Rintzler, I. Korjus, Z. Kosnowski – Dirigent H. Wakasugi


    LG


    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Deutsche Grammophon hat eine Szenenfolge aus "Mathis der Maler" vorgelegt, die bisher offenbar nur als LP erschienen ist.



    Es singen Dietrich Fischer-Dieskau, Pilar Lorengar und Donald Grobe. Leopold Ludwig dirigiert das Berliner Radio Symphony Orchester.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Deutsche Grammophon hat eine Szenenfolge aus "Mathis der Maler" vorgelegt, die bisher offenbar nur als LP erschienen ist......
    Es singen Dietrich Fischer-Dieskau, Pilar Lorengar und Donald Grobe. Leopold Ludwig dirigiert das Berliner Radio Symphony Orchester.


    Es gibt eine CD-Veröffentlichung als Füller der Cardillac-Aufnahme! Ich hatte schon öfter darauf hingewiesen in diesem Forum! Nicht zuletzt, weil die beiden Duette Mathis-Regina eine der schönsten Aufnahmen der jungen Pilar Lorengar sind!


    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Es gibt eine CD-Veröffentlichung als Füller der Cardillac-Aufnahme! Ich hatte schon öfter darauf hingewiesen in diesem Forum!


    Lieber Caruso, dann muss ich mir wohl ausgerechnet jene Deiner 4650 Beiträge nicht gemerkt haben, in denen Du darauf hingewiesen hast, dass es diese "Mathis"-Szenen als Bonus auf der CD-GA des "Cardillac" gibt. Nach fast acht Jahren Tamino-Mitgliedschaft kann das schon mal passieren. ;) Nun weiß auch ich es und danke Dir sehr für die Aufklärung. Ich verfügte bislang nur über eine ziemlich miese Überspielung von LP. Dank meines geliebten Spotify hörte ich die Aufnahme sogleich und teile Deine Bewertung.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Caruso, dann muss ich mir wohl ausgerechnet jene Deiner 4650 Beiträge nicht gemerkt haben, in denen Du darauf hingewiesen hast, dass es diese "Mathis"-Szenen als Bonus auf der CD-GA des "Cardillac" gibt. Nach fast acht Jahren Tamino-Mitgliedschaft kann das schon mal passieren.


    Lieber Rheingold,


    ich habe einen meiner Hinweise auch nur gefunden, weil ich nach "Mathis der Maler" mit der Suchfunktion gefahndet habe!


    Man findet den Hinweis zuletzt in dem so lehrreichen Thread "Das Spiel mit den Opernrollen"!


    Das Spiel mit den Opernrollen


    Liebe Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!